Jahrhundertreform

Nach nunmehr gut eineinhalb Jahren glaubt niemand mehr an eine umfassende Reform, sondern höchstens nur noch an ein „Reförmchen". Es ist nicht mehr die Rede von der Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten und auch nicht mehr von einem klaren und einheitlichen Gerichtsaufbau. Auch die im Herbst angekündigten Vorhaben wie die Blitzscheidung beim Notar oder der flexible Richtereinsatz sind vom Tisch oder auf das politisch durchsetzbare Mindestmaß gestutzt worden. Und die noch verbliebene Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesen scheint auf dem Weg der Umsetzung noch zu scheitern, weil die Bundesjustizministerin schon angekündigt hat, dass die Privatisierung von Hoheitsaufgaben von ihr nicht unterstützt wird. Das einzige Vorhaben von der „Jahrhundertreform", die Vereinheitlichung aller Verfahrensordnungen, hat ebenfalls mit Schwierigkeiten zu kämpfen, ein Gesetzesentwurf soll erst bis zum Ende der Legislaturperiode der Bundesregierung vorgelegt werden.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie bewertet die Landesregierung den derzeitigen Stand der Justizreform im Vergleich zu den ursprünglichen Planungen aus 2004 auch vor dem Hintergrund der Einschätzung des sächsischen Justizministers Mackenrot (CDU) und der Bundesjustizministerin Zypris (SPD)?

2. Welche politischen Konsequenzen zieht die Landesregierung aus der Tatsache, dass ein zentrales rechtspolitisches Vorhaben in dieser Legislatur von der weit überwiegenden Mehrheit in der juristischen Fachwelt abgelehnt wird und damit nun zu scheitern droht?

3. Wann besinnt sich die Landesregierung auf ihre Kernaufgaben und macht eine vernünftige Rechtspolitik im Lande, statt große bundespolitische Reformen anzukündigen, die kaum Chance auf eine Realisierung haben?

41. Abgeordneter Ralf Briese (GRÜNE)

Wie funktioniert die juristische Bestenauslese in Niedersachsen?

Gegenwärtig wird ein Gerichtsverfahren in Niedersachsen öffentlich thematisiert. Für das Verwaltungsgericht in Hannover wird ein neuer Gerichtspräsident gesucht. Der Präsident des Verwaltungsgerichtes Halle, Ulrich Meyer-Bockenkamp, hatte sich auf diese Stelle beworben und wurde vom Justizministerium abgelehnt. Der Bewerber hat daraufhin Klage eingereicht, um vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg Recht zubekommen. Das Gericht bemängelte u. a., dass das Justizministerium die Bewerbungsbedingungen im laufenden Verfahren zu Ungunsten des Klägers geändert und zudem keine Bestenauslese betrieben hatte. Der abgelehnte Bewerber hat eidesstattlich erklärt, dass der niedersächsische Staatssekretär Dr. Oehlerking ihm die Präsidentenstelle in Hannover in einem Telefongespräch zugesichert habe. Der niedersächsische Staatssekretär widerspricht dieser Darstellung von Herrn Meyer-Bockenkamp. Dr. Oehlerking und Verwaltungsrichter Meyer-Bockenkamp kennen sich bereits seit Jahren u. a. aus gemeinsamen Zeiten am Verwaltungsgericht Hannover. Dr. Oehlerking ist später auch Staatsekretär in Sachsen-Anhalt gewesen. Meyer-Bockenkamp ist Verwaltungsgerichtspräsident in Halle geworden.

Ebenso sollte für die Frau von Herrn Meyer-Bockenkamp eine Führungsposition in der niedersächsischen Justiz gefunden werden. Die Familie Meyer-Bockenkamp ist aufgrund der angeblichen positiven Zusagen von zweithöchster Stelle aus dem Justizministerium bereits von Halle nach Hannover umgezogen. Dieses Verhalten wirft Fragen auf, da doch keine Familie mit schulpflichtigen Kindern einen aufwendigen Umzug vornimmt, wenn keine neue Arbeitsstelle am neuen Wohnort in Aussicht steht. Der Weser-Kurier vermutet hinter der Auseinandersetzung einen justizinternen Machtkampf zwischen der Ministerin und ihrem Staatssekretär. Die Zeitung vermutet u. a. dass Justizministerin Heiser-Neumann einen eigenen Kandidaten für die Präsidentenstelle in Hannover durchsetzen möchte.

Neben dem vermeintlich justizinternen Streit stellt sich die entscheidende rechtspolitische Frage, wie in Niedersachsen Bewerber für Führungspositionen an Gerichten gesucht und ausgewählt werden. Fest steht, dass durch das bereits laufende Verfahren bzw. die öffentlich thematisierten Konkurrentenklagen die niedersächsische Variante zur juristischen Bestenauslese gelitten hat.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie ist das offizielle Verfahren zur Besetzung von Gerichtspräsidentenstellen in Niedersachsen, und warum wurde es im o. g. Verfahren nicht eingehalten?

2. Warum werden für Präsidentenstellen an Gerichten nur niedersächsische Bewerber herangezogen und keine bundesweite Ausschreibung vorgenommen?

3. Welche Konsequenzen werden aus dem nunmehr beschädigten Verfahren zur Besetzung des Präsidentenamtes am Verwaltungsgericht Hannover gezogen?

Die Umstellung der Wohngeldkosten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden im Zusammenhang mit den Arbeitsmarktreformen nach Hartz IV hat auf kommunaler Ebene zu finanziellen Gewinnern und Verlierern geführt.

Zu den Verlierern der Neuregelung gehört der Landkreis Gifhorn. Die Ausgaben im Sozialhaushalt sind durch Hartz IV gestiegen. Der Anteil des Landkreises Gifhorn an den Zahlungen des Landes liegt bei 1,39 %. Das entspricht dem Anteil, den der Landkreis vor der Reform an den Wohngeldzahlungen des Landes an die Kommunen hatte. Die jetzige Mehrbelastung für Gifhorn gibt Anlass zu der Vermutung, dass der Anteil des Landkreises Gifhorn am Gesamtbetrag der in Niedersachsen geleisteten Wohngeldzahlungen jetzt höher ist.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welchen Anteil hat der Landkreis Gifhorn an den Wohngeldzahlungen für ALG II-Bezieher im Verhältnis zu den gesamten Ausgaben aller Kommunen im Lande?

2. Wann beabsichtigt die Landesregierung, die Zahlungen an die tatsächlichen Belastungen der einzelnen Kommunen anzupassen?

3. Gibt es Überlegungen, die ersparten Gelder nach einem Schlüssel an die Kommunen weiterzugeben, der sich z. B. an der Erfüllung der Aufgaben des Tagesbetreuungsausbaugesetzes orientiert?

Für die Dauer der WM hat die Landesregierung es - anders als andere Bundesländer - den Kommunen überlassen, Regelungen im Rahmen des Ladenschlussgesetzes zu treffen. Besonders erstaunlich war es daher, dass im Mai-Plenum bei den Mündlichen Anfragen auf Platz 1 eine Frage der FDP-Abgeordneten Jörg Bode und Jan-Christoph Oetjen stand, die nach den Möglichkeiten der Landesregierung fragten, auf die Kommunen einzuwirken, um eine Verlängerung der Öffnungszeiten zu ermöglichen. Noch mehr Erstaunen erzeugte, dass als diese von der FDP-Fraktion als Mündliche Anfrage mit der höchsten Priorität ausgewählte Frage zu Beginn des dritten Plenartages zurückgezogen wurde.

Bei der beginnenden Diskussion um die zukünftige Regelung der Ladenöffnungszeiten zeichnet sich einmal mehr ein Kompetenzstreit innerhalb der Landesregierung ab. Um den Ladenschluss im Hauptbahnhof Hannover und um den Ladenschluss während der WM gibt es eine Debatte, in der das Sozialministerium und das Wirtschaftsministerium mit unterschiedlichen Botschaften unterwegs sind. FDP-Chef Rösler schaltete sich jetzt auch noch ein und forderte über die Presse neben der kompletten Öffnung des Ladenschlusses für sechsmal 24 Stunden pro Woche darüber hinaus eine Lockerung für den Sonntag.

Ich frage die Landesregierung:

1. Müssen Einzelhandel und Kommunen weiterhin mit unterschiedlichen Positionierungen des Sozialministeriums und des Wirtschaftministeriums den Ladenschluss betreffend rechnen?

2. Teilt die Landesregierung die Auffassung der FDP-Abgeordneten Bode und Oetjen, dass die niedersächsischen Kommunen mit ihren vielfältigen Angeboten von Kultur, Gastronomie, Sport etc. noch zusätzlich aufgefordert werden müssten, während der WM mehr Aktivitäten zu zeigen?

3. Mit welchen Maßnahmen will die Landesregierung einer weiteren Benachteiligung des Einzelhandels in den Innenstädten gegenüber der grünen Wiese im Zuge von gelockerten Ladenöffnungszeiten entgegenwirken?

44. Abgeordnete Dorothea Steiner, Hans-Joachim Janßen (GRÜNE)

Wie geht die Landesregierung mit Planungen in faktischen Vogelschutzgebieten um?

Nach einem öffentlichen Beteiligungsverfahren werde das Land Niedersachsen Anfang 2007 weitere Flächen als EU-Vogelschutzgebiete nachmelden, heißt es in einer Pressemitteilung der Staatskanzlei vom 13. Juni 2006. Außerdem wird Umweltminister Sander in dieser Pressemitteilung mit der Forderung zitiert, die Vogelschutzrichtlinie zu ändern.

In ihrer „mit Gründen versehenen Stellungnahme" vom 10. April 2006 wegen nicht ausreichender Meldung von EU-Vogelschutzgebieten hat die EU-Kommission eine Reihe von niedersächsischen Gebieten ausdrücklich benannt, die ihres Erachtens nachgemeldet werden müssen.

Spätestens mit der ausdrücklichen Benennung der nachzumeldenden Gebiete dürfte klar sein, dass diese nach naturschutzfachlichen Kriterien grundsätzlich zu den zahlen- und flächenmäßig geeignetsten im Sinne des Artikels 4 der Vogelschutzrichtlinie gehören. Das Bundesverwaltungsgericht hat u. a. in seinem Urteil vom 31. Januar 2002 (4 A 15/01) festgestellt, dass diese Gebiete als faktische Vogelschutzgebiete anzusehen sind. Was ein faktisches Vogelschutzgebiet für etwaige Planungen bedeutet, hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 1. April 2004 (4 C 2.03) formuliert: Demnach sind Planungen grundsätzlich unzulässig, wenn diese zum Verlust mehrerer Brut- und Nahrungsreviere führen würden. Was mit diesem Urteil für Brutvogelarten des Anhangs I der Vogelschutzrichtlinie formuliert wurde, muss folgerichtig auch für Gebiete zum Schutz der Zugvogelarten gemäß Artikel 4 Abs. 2 der Vogelschutzrichtlinie gelten.

In einigen der von der EU-Kommission nachgeforderten Vogelschutzgebiete gibt es aktuelle Planungen, mit denen zum Teil erheblich in das Gebiet eingegriffen würde und die demnach unzulässig sind. Beispielsweise sind im Gebiet Norden-Esens der Bau eines 60 ha großen Golfplatzes in der Gemeinde Neuharlingersiel und weitere Vorhaben in Planung.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie wird die Landesregierung vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung bis zur vorgesehenen Nachmeldung weiterer Vogelschutzgebiete im Frühjahr 2007 mit Planungen umgehen, die in ein von der EU-Kommission ausdrücklich als nachzumelden eingefordertes Gebiet eingreifen?

2. In welcher Weise kommt die Landesregierung ihren fach- und rechtsaufsichtlichen Aufgaben im Zusammenhang mit den erheblich in das faktische Vogelschutzgebiet Norden-Esens eingreifenden kommunalen Planungen nach?

3. Welche Aktivitäten hat der Umweltminister im Sinne seiner Forderung nach Änderung des EU-Vogelschutzrichtlinie bisher unternommen, bzw. welche Aktivitäten sind in dieser Richtung geplant?