Zielabweichungsverfahren nach NROG

Derzeit gibt es in der Stadt Oldenburg eine politische Auseinandersetzung hinsichtlich der Frage, ob eine Ansiedlung eines schwedischen Möbelhauses durch einen Träger öffentlicher Belange im Zuge eines Zielabweichungsverfahrens nach NROG verhindert werden kann. Der amtierende Oberbürgermeister möchte sein politisches Versprechen einlösen und die Planung für ein großes innenstadtrelevantes Einkaufscenter rückgängig machen, da befürchtet wird, dass insbesondere der inhabergeführte Einzelhandel durch dieses Vorhaben leiden würde. Daneben werden schwere städtebauliche Schäden bei der Realisierung eines ECE-Centers befürchtet. Dem gegenüber wird die Ansiedlung des Möbelhauses IKEA im Außenbereich der Stadt Oldenburg von allen politischen Parteien begrüßt und unterstützt. Die Oldenburger Industrie- und Handelskammer macht nun ein Mitspracherecht im Planungsverfahren für den Möbelkonzern geltend und beruft sich dabei auf das Niedersächsische Raumordnungsgesetz. Danach seien die Träger öffentlicher Belange im Rahmen eines Zielabweichungsverfahrens gemäß § 11 NROG i. V. m. § 25 Abs. 4 NROG zu beteiligen. Die IHK will ihre Zustimmung zur Zielabweichung verweigern und argumentiert u. a. mit den Auswirkungen auf den innerstädtischen Einzelhandel, wenn IKEA realisiert wird, nicht aber das ECECenter.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Folgen hat es für die geplante IKEA-Ansiedelung, wenn die IHK ihr Einvernehmen zur beantragten Zielabweichung nicht erteilt, bzw. welche Möglichkeiten hat das Land, den vorgetragenen Bedenken der IHK nicht zu entsprechen?

2. Kann das Land die Ziele im NROG ändern, sodass ein Zielabweichungsverfahren obsolet wird, und, wenn ja, wie lange dauert eine entsprechend Zieländerung und wie geht sie administrativ vonstatten?

3. Wie bewertet die Landesregierung die Bedenken der IHK, dass durch die Nichtrealisierung eines ECE-Centers in der Oldenburger Innenstadt bei gleichzeitiger Realisierung von IKEA im Außenbereich der innerstädtische Einzelhandel negativ betroffen wäre?

Die Stadt Oldenburg beabsichtigt, durch Änderung der Bauleitplanung die Ansiedlung eines IKEAMöbelfachmarktes zu ermöglichen. Bei einer Gesamtverkaufsfläche von 27 300 m² ist ein innenstadtrelevantes Randsortiment von 6 100 m² vorgesehen.

Der vorgesehene Standort ist städtebaulich nicht integriert. Im Landes-Raumordnungsprogramm (LROP) ist das Ziel formuliert, dass Einzelhandelsgroßprojekte mit nicht innenstadtrelevantem

Kernsortiment (wie z. B. Möbelmärkte) auch außerhalb städtebaulich integrierter Lagen an verkehrlich gut erreichbaren Standorten im baulichen Zusammenhang mit dem Siedlungsbereich des Zentralen Ortes möglich sind, jedoch nicht mehr als 10 % und max. 700 m² der Verkaufsfläche für innenstadtrelevante Randsortimente zulässig sind (LROP II C 1.6 Nr. 03 Sätze 9 und 10). Mit einem innenstadtrelevanten Randsortiment in einer Größenordnung von 6 100 m² verstößt die geplante IKEA-Ansiedlung gegen dieses Ziel.

Das geplante Vorhaben der Ansiedlung eines IKEA-Möbelfachmarktes bzw. die ihr zugrunde liegende Bauleitplanung ist daher nur rechtmäßig, wenn vorher eine Zielabweichung nach Maßgabe des § 11 NROG zugelassen wird.

Die Zuständigkeit für die Durchführung des Verfahrens liegt gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 NROG beim Ministerium für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz als oberste Landesplanungsbehörde. Die Stadt Oldenburg hat vor diesem Hintergrund für o. g. Vorhaben die Zulassung einer Zielabweichung beantragt.

Mit Schreiben vom 21.07.2006 wurde das Zielabweichungsverfahren eingeleitet und die Beteiligten mit einer achtwöchigen Frist um Stellungnahme gebeten.

Gemäß § 11 Abs. 1 NROG kann im Einvernehmen mit den fachlich berührten Stellen sowie im Benehmen mit den betroffenen Gemeinden eine Abweichung von einem Ziel der Raumordnung zugelassen werden, wenn die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Im Zielabweichungsverfahren sind die Voraussetzungen für eine mögliche Abweichung vom bestehenden Ziel zu prüfen und die Rechtskonformität nachfolgender Planungsschritte und Folgeverfahren herzustellen.

Die vorhabenbezogene Prüfung auf Einhaltung der Ziele der Raumordnung hat nach Auswertung der Antragsunterlagen sowie der eingegangenen Stellungnahmen ergeben, dass das Vorhaben den Zielen der Raumordnung entspricht, sofern notwendige Bedingungen über Maßgaben im Rahmen der Zielabweichung gesichert werden.

Das Zielabweichungsverfahren wurde nach Erteilung des Einvernehmens seitens der IHK Oldenburg mit Datum vom 03.01.2007 positiv abgeschlossen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt.

Zu 1: Die Raumordnung erachtet die jeweils zuständigen IHKen in allen mit dem Themenkomplex „Einzelhandel" befassten Raumordnungsverfahren und Zielabweichungsverfahren als fachlich berührte Stellen.

Somit war die IHK auch in diesem Zielabweichungsverfahren fachlich berührte Stelle. Ihre Stellungnahme ist auf den konkreten Einzelfall bezogen und hinreichend fachlich fundiert. Etwaige Mängel/Fehler im Detail sind aus raumordnerischer Sicht irrelevant und führen nicht zur Nichtigkeit der Stellungnahme. Selbst wenn die Raumordnung eine inhaltlich gänzlich andere Auffassung vertritt als die argumentativ nachvollziehbare Auffassung einer fachlich berührten Stelle, wären die formalrechtlichen Kriterien für eine Verfahrensbeteiligung erfüllt.

Gemäß § 11 Abs. 1 NROG ist das Einvernehmen der fachlich berührten Stellen zwingende Voraussetzung für eine Ermessensausübung der zuständigen Landesplanungsbehörde. Ohne erteiltes Einvernehmen kann nicht von einem Ziel abgewichen werden.

Zu 2: Ziele der Raumordnung sind nicht im NROG verankert, sondern in Raumordnungsplänen - beim vorliegenden Fall im LROP II. Wenn infolge neuer Entwicklungen ein generelles Festhalten am bisherigen Raumordnungsziel und den Grundzügen der Planung nicht mehr vertretbar ist, wäre der Raumordnungsplan an die neuen Umstände anzupassen (vgl. § 3 Abs. 3 NROG). In dem dafür vorgesehenen, förmlichen Verfahren kann darüber entschieden werden, ob das Ziel der Raumordnung aufgehoben und durch welche neue Zielaussage es ersetzt wird. Mit dem bisherigen Ziel kollidierende Vorhaben können so ggf. in Einklang mit den Zielen der Raumordnung gebracht werden, ohne dass ein Zielabweichungsverfahren durchzuführen ist.

Ein Verfahren zur Änderung des LROP II, das auch die den Einzelhandel betreffenden Ziele umfasst, läuft derzeit. Die verfahrensrechtlichen Vorschriften (§ 9 Abs. 1 i. V. m. § 6 NROG und § 7 Abs. 5 ff ROG) erfordern die Durchführung eines Beteiligungsverfahrens (Träger öffentlicher Belange, Vereine und Verbände, Öffentlichkeit) und eine umfassende Abwägung aller Belange. Außerdem ist eine Strategische Umweltprüfung in das Verfahren zu integrieren, bei der die Auseinandersetzung mit erheblichen, umweltrelevanten Auswirkungen transparent gemacht wird. Der Entwurf zur Änderung des LROP II wurde am 17.10.2006 vom Kabinett für das Beteiligungsverfahren freigegeben. Die Beteiligung von ca. 1 700 Stellen und der Öffentlichkeit läuft vom 10.11.2006 bis zum 15.02.2007. Nachdem der Landtag Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hat, ist der Abschluss des Verfahrens zur LROP-Änderung voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2007 zu erwarten.

Zu 3: Durch die Neuansiedlung eines IKEA-Möbelfachmarktes im Bereich Holler Landstraße/Osthafen wird das Verhältnis von Verkaufsflächen für großflächigen Einzelhandel zwischen Innenstadt und Außenbereichen der Stadt Oldenburg zulasten der Innenstadt weiter verschoben. Relevant für die raumordnerische Betrachtung im Rahmen des Zielabweichungsverfahrens ist das Verhältnis der Verkaufsflächengröße des innenstadtrelevanten Randsortiments.

Dem Beginn einer Fehlentwicklung des innenstadtrelevanten Randsortimentes zwischen Innenund Außenstandorten durch die Realisierung des in Rede stehenden Vorhabens ist entgegenzuwirken.

Da die unstrittige Magnetwirkung eines Möbelfachmarktes weitere Kaufkraftumlenkung aus der Innenstadt wahrscheinlich macht, wird in der Innenstadt Oldenburgs ein wirksames „Gegengewicht" zum geplanten innenstadtrelevanten Randsortiment in Randlage der Stadt benötigt. Hierzu sind zusätzliche Verkaufsflächen innenstadtrelevanter Sortimente in der Oldenburger Innenstadt zu etablieren. Die Größenordnung der Verkaufsflächen ergibt sich aus den Untersuchungen zum geplanten ECE-Vorhaben, wobei aus raumordnerischer Sicht nicht der Betreiber sondern allein das Vorhandensein zusätzlichen innenstadtrelevanten Sortiments entscheidend ist.

Deshalb wird im Bescheid über eine Maßgabe geregelt, dass unabhängig von konkreten Investoren geeignete Flächen für großflächigen Einzelhandel im Wege der Bauleitplanung zu sichern sind.