Unwirtschaftliche Varianten für das Land bei der Beschulung geistig Behinderter

Beschlüsse des Landtages

a) vom 17.11.2004 (Nr. 30 der Anlage zu Drs. 15/1400)

b) vom 08.11.2006 (II Nr. 2 b der Anlage zu Drs. 15/3283 - nachfolgend nochmals abgedruckt)

Die Landesregierung wird gebeten, den Landtag bis spätestens zum 31.12.2006 über den Sachstand zu unterrichten.

Die Antworten der Landesregierung vom 17.03.2005 in der Drs. 15/1774 und vom 04.01.2006 in der Drs. 15/2514 werden wie folgt abschließend ergänzt:

Die staatlich anerkannten Tagesbildungsstätten sind teilstationäre Einrichtungen der Eingliederungshilfe zur schulischen Förderung, Bildung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit nicht nur vorübergehender wesentlicher geistiger Behinderung. Sie werden von Trägern der Freien Wohlfahrtspflege betrieben und erfüllen den im Niedersächsischen Schulgesetz (NSchG) festgelegten Erziehungs- und Bildungsauftrag. Gemäß § 162 NSchG können Kinder und Jugendliche mit geistigen Behinderungen ihre Schulpflicht dort alternativ zur integrativen Beschulung an einer Regelschule oder in einer Förderschule erfüllen.

Ein Anspruch auf Beschulung in einer Tagesbildungsstätte besteht nicht, jedoch ein Wunsch- und Wahlrecht der Eltern, sofern die Landesschulbehörde der Beschulung in einer Tagesbildungsstätte zustimmt.

Zwischen Förderschulen und Tagesbildungsstätten bestehen folgende wesentliche strukturelle Unterschiede:

Die Finanzierung der Beschulung an Förderschulen basiert auf den entsprechenden Regelungen des NSchG.

Bei der Beschulung in Tagesbildungsstätten werden im Rahmen der Heranziehung die Kosten im Einzelfall als Eingliederungshilfeaufwand durch den örtlichen Sozialhilfeträger übernommen und in das quotale System aufseiten des Landes als überörtlicher Träger der Sozialhilfe eingestellt. Über die Höhe der sozialhilferechtlich anzuerkennenden Vergütung werden entsprechende Vereinbarungen nach §§ 75 ff. SGB XII (Sozialhilfe) zwischen den Trägern der Tagesbildungsstätten und dem Land abgeschlossen.

An Förderschulen unterrichten Lehrerinnen und Lehrer mit entsprechender sonderpädagogischer Zusatzausbildung. Die Schulferien sind wie in Regelschulen ausgestaltet und die Schülerbeförderung erfolgt von sogenannten Sammelpunkten aus.

An den Tagesbildungsstätten werden fast ausschließlich Heilpädagoginnen und Heilpädagogen als Unterrichtskräfte eingesetzt. Tagesbildungsstätten bieten auch Betreuung in Ferienzeiten an und schließen i. d. R. (nur) an 30 Tagen im Jahr. Die Schülerbeförderung erfolgt „von Tür zu Tür".

Der LRH präferiert eine Änderung des bestehenden Nebeneinanders von Förderschulen in kommunaler oder freier Trägerschaft und Tagesbildungsstätten mit der Zielsetzung, dass die zurzeit im quotalen System entstehenden Kosten bzw. die finanzielle Belastung des Landes als überörtlicher Träger der Sozialhilfe gesenkt wird.

Eine Überführung der Beschulungsangebote der Tagesbildungsstätten in die Finanzierungssystematik des NSchG würde mit einer höheren finanziellen Belastung der Kommunen als Schulträger einhergehen. Es ist aus Sicht der Landesregierung daher als wahrscheinlich anzusehen, dass die Kommunen das seit Januar 2006 in Artikel 57 Abs. 4 der Niedersächsischen Verfassung statuierte Konnexitätsprinzip tangiert sähen.

Bei einer Überführung der Leistungsangebote der Tagesbildungsstätten in kommunale (Finanz-) Verantwortung ist der bei einer Schule bzw. Tagesbildungsstätte unabweisbar anfallende Investi tionskosten-, Regiekosten- und Verwaltungskostenanteil zu beachten.

1. Tagesbildungsstätten:

Zur Umsetzung des Landtagsbeschlusses hat die Landesregierung folgende Möglichkeiten eingehend geprüft:

­ Überführung der Tagesbildungsstätten in eine Schulform der allgemeinbildenden Schulen des § 5 Abs. 2 NSchG,

­ Umwandlung der Tagesbildungsstätten in ihrer jetzigen Form in (Ersatz-)Schulen in freier Trägerschaft als Förderschule mit ungemindertem Leistungsangebot.

Als Ergebnis der schulrechtlichen und schulfachlichen Prüfungen durch das MK ist festzustellen, dass eine Aufnahme als neue Schulform in den Katalog nach § 5 NSchG nicht in Betracht kommt. Dieses würde voraussetzen, dass das Land Tagesbildungsstätten selbst vorhalten oder nach § 1 Abs. 3 NSchG mit tragen wolle. Bereits aus Kostengründen kommt dies nicht in Betracht; ebenso wenig wie die weitere Konsequenz, Tagesbildungsstätten denselben materiellen Regelungen wie die übrigen Schulen zu unterwerfen.

Eine Umwandlung der Tagesbildungsstätten in ihrer jetzigen Form in Ersatzschulen kommt ebenfalls nicht in Betracht. Ersatzschulen müssen zum einen in ihren Lern- und Erziehungszielen öffentlichen Schulen entsprechen (§ 142 NSchG). Zum anderen dürfen sie weder in ihren Lernzielen und Einrichtungen noch in der Ausbildung ihrer Lehrkräfte hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen (§ 144 NSchG). Das Personal in den Tagesbildungsstätten verfügt nicht über ein Lehramtsstudium wie die Lehrkräfte in den Förderschulen. Eine Umwandlung der Tagesbildungsstätten als Ersatzschulen scheidet damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus.

Den Trägern der Tagesbildungsstätten bleibt es gleichwohl unbenommen, die Voraussetzungen zur Genehmigung als Ersatzschule zu schaffen.

Das MK würde die Umwandlung von Tagesbildungsstätten in Förderschulen mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung unterstützen, wenn die dafür notwendigen Voraussetzungen (insbesondere die Qualifizierung des Personals) geschaffen werden. Aus schulfachlicher Sicht würde das MK darüber hinaus die Neueinrichtung von Förderschulen mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung an den Standorten begrüßen, an denen die Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf bisher ihre Schulpflicht durch den Besuch einer Tagesbildungsstätte erfüllen.

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die für Umwandlungen in größerem Umfang benötigten Lehrkräfte derzeit auf dem Arbeitsmarkt nicht vorhanden sind. Dies trifft auch bei der Neueinrichtung von Förderschulen zu. Überdies stehen dafür zurzeit keine Planstellen zur Verfügung.

Bei der Berechnung der dem Land entstehenden Mehrkosten durch Tagesbildungsstätten für geistig behinderte Kinder und Jugendliche wurden Zahlen zugrunde gelegt, die nur bedingt miteinander vergleichbar sind. So ist der LRH davon ausgegangen, dass die in den mit dem Sozialhilfeträger vereinbarten Vergütungen enthaltenen Maßnahmenpauschalen ausschließlich Personalkosten für das pädagogische und das betreuende Personal enthalten. Tatsäch lich einberechnet sind jedoch auch die sächlichen Betreuungskosten, die hälftigen Beträge für Wirtschafts- und Verwaltungsdienst sowie Betriebskosten und Aufwendungen für Verpflegung.

Würden diese Kosten den zum Vergleich herangezogenen Kosten der „normalen" Förderschulen hinzugerechnet, wären beide Einrichtungen voraussichtlich mindestens gleich „teuer".

Hinzu kommt, dass die Kosten für die Betreuung in den Tagesbildungsstätten allein durch die dortigen längeren und intensivere Betreuungs- und Öffnungszeiten nur eingeschränkt einem Kostenvergleich zugänglich sind.

2. Tagesstätten:

Hinsichtlich der vom LRH aufgezeigten Fragestellung der Unwirtschaftlichkeit von Kooperationsmodellen zwischen Förderschulen in öffentlicher und Tagesstätten in freier Trägerschaft ist seitens der Landesregierung Folgendes darzulegen:

Die Ausweitung des bestehenden schulischen Angebots zu einem Ganztagsschulangebot an den Standorten, an denen zurzeit die in Rede stehenden Kooperationsmodelle existieren, müsste nach Auffassung des MK von den öffentlichen Schulträgern veranlasst werden. Wegen der dafür notwendigen zusätzlichen Ressourcen ist eine Abstimmung mit dem MK herzustellen; dies auch im Hinblick auf die Zielsetzung „Eigenverantwortliche Schule". Das MK befürwortet in diesem Zusammenhang schulfachlich ausdrücklich die Form der Ganztagsschule im Bereich der Förderschule Schwerpunkt Geistige Entwicklung.

Bei einer solchen - auch schrittweise denkbaren - Ausweitung wäre insbesondere die Einbeziehung des Tagesbetreuungsangebots freier Träger durch den jeweiligen Schulträger denkbar. Bestehende und bewährte Kooperationen müssten nicht zerschlagen, sondern könnten fortgesetzt werden, ohne dass eine Finanzierung der Tagesbetreuung aus Sozialhilfemitteln erfolgt.

Im Einzelnen:

a) Die Oswald-Berkhan-Schule in Braunschweig, Förderschule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung, ist inzwischen in eine Ganztagsschule umgewandelt worden. Der Sonderhort der Lebenshilfe Braunschweig gGmbH an der Schule wurde mit Beginn des laufenden Schuljahres 2006/07 aufgelöst. Der bisher jährlich vom Land gezahlte Sozialhilfeaufwand für Hortbetreuung in Höhe von rund 4 717 555 Euro fällt dort somit nicht mehr an.

b) Bezüglich der fünf weiteren Standorte von Förderschulen mit integrierter Tagesstätte (Alfeld, Hann. Münden, Göttingen, Duderstadt, Hildesheim) strebt das MK eine zunehmende Ausweitung des Anteils der vom MK finanzierten Pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Gesamtzahl der Pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Zum Schuljahr 2007/2008 werden auf der Grundlage der inzwischen vorliegenden Haushaltsbeschlüsse den Standorten zusätzliche Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugewiesen. Dies wird zu einer noch nicht konkret bezifferbaren Einsparung bei den derzeit über Sozialhilfemittel finanzierten Tagesstättenangebote führen.