Verstoßen niedersächsische Gerichte gegen den Datenschutz?

Mindestens das Amtsgericht Braunschweig übermittelt Entscheidungen in Betreuungssachen an Heime und ambulante Pflegeeinrichtungen

Nach mir vorliegendem Schriftwechsel zwischen einer vom Amtsgericht Braunschweig bestellten Betreuerin (nach § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB) und dem Niedersächsischen Landesbeauftragten für den Datenschutz verstößt nach Auffassung des Landesbeauftragten die Praxis des Amtsgerichts Braunschweig, entsprechende Betreuungsbeschlüsse an Heime und Pflegeeinrichtungen zu versenden, gegen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Danach sieht § 69 a des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) die Übersendung der Entscheidungen an das Heim oder die Pflegeeinrichtung nicht vor; insoweit fehle es an einer Befugnis, derartige Entscheidungen zu übermitteln.

Nach meiner Recherche steht die geübte Praxis des Amtsgerichts Braunschweig dazu in eklatantem Widerspruch. Im dieser Anfrage zugrunde liegenden Fall wurde der entsprechende Betreuungsbeschluss an einen ambulanten Pflegedienst übersandt, und zwar einschließlich der datenschutzrelevanten Gründe der Betreuungsbestellung. Das Amtsgericht Braunschweig behauptet zwar in einem mir vorliegenden Schreiben, derartige Betreuungsbeschlüsse nur an stationäre Pflegeeinrichtungen - aus Sicht des Amtsgerichts rechtlich legitimiert - zu senden, es ist aber im konkreten Fall beweisbar, dass der Betreuungsbeschluss einschließlich der umfassenden Begründung über die Hintergründe der Betreuungsregelung auch dem seinerzeit pflegenden ambulanten Dienst zugegangen ist.

Nachdem die bestellte Betreuerin die betreute Pflegebedürftige in einer stationären Einrichtung anmelden musste, wurde dort später von ihr der gesamte Betreuungsbeschluss verlangt. Nach Rücksprache mit der zuständigen Heimaufsicht hat die Betreuerin den Beschluss mit Begründung nicht vorgelegt, sondern sich nur durch die Urkunde legitimiert. Auch die Heimaufsicht bestätigte die Rechtsauffassung, dass die Pflegeeinrichtung keinen Anspruch auf den Betreuungsbeschluss habe. Nachdem die Betreuerin die Vorlage „verweigert" hat, wurde ihr bedeutet, aufgrund der Praxis des Amtsgerichts Braunschweig „bekäme man den kompletten Betreuungsbeschluss sowieso".

Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung und der widersprüchlichen Rechtsauffassungen zwischen dem Amtsgericht Braunschweig, dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und der Heimaufsichtsbehörde frage ich die Landesregierung:

1. Teilt sie die Auffassung des Datenschutzbeauftragten, dass die Übersendung der kompletten Betreuungsentscheidungen z. B. durch das Amtsgericht Braunschweig an Heime und Pflegeeinrichtungen gegen die datenschutz-rechtlichen Bestimmungen verstößt?

2. Hält sie es für gesetzeskonform, dass die Bestellung von Betreuerinnen und Betreuern einschließlich der detaillierten Begründung für die Bestellung in Form von „Rundschreiben" öffentlich gemacht wird?

3. Ist diese Praxis nur beim Amtsgericht Braunschweig üblich oder auch bei anderen oder gar allen Amtsgerichten in Niedersachsen?

4. Wird die Landesregierung, wenn die Rechtsauffassung des Datenschutzbeauftragten geteilt wird, die möglicherweise betroffenen Amtsgerichte zu einer veränderten Praxis anhalten, und wenn ja, in welcher Weise?

5. Falls die Auffassung des Amtsgerichts geteilt wird, welche Begründung wird dafür angegeben, und ist es vertretbar, auch die Gründe zur Bestellung von Betreuern offen zu legen?

Die Kleine Anfrage beantworte ich im Namen der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Die Bearbeitung von Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, um die es sich auch bei Betreuungsverfahren handelt, ist als Rechtsprechungstätigkeit nach den Vorschriften des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes einer datenschutzrechtlichen Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten entzogen. Davon geht nach hier vorliegender Erkenntnis auch der Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen aus. Die Gerichte sind in ihren Entscheidungen unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Daher steht auch der Landesjustizverwaltung die Bewertung einer gerichtlichen Entscheidung oder eine Einflussnahme auf unmittelbar der Rechtsprechung dienende Tätigkeiten der Gerichte nicht zu.

Zu 2: Gemäß § 69 a FGG sind Entscheidungen zur Bestellung einer Betreuerin bzw. eines Betreuers dem Betroffenen selbst, der Betreuerin bzw. dem Betreuer und der „zuständigen Behörde", also der Betreuungsbehörde bekanntzumachen. Der Personenkreis ist damit nicht abschließend aufgezählt.

Grundsätzlich hat in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, zu denen auch die Betreuungsverfahren gehören, eine Bekanntmachung der Entscheidung an denjenigen zu erfolgen, für den die Entscheidung ihrem Inhalt nach bestimmt ist - § 16 Abs. 1 FGG - oder wer am Verfahren unmittelbar beteiligt ist, z. B. der Verfahrenspfleger oder der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen.

Aus dem Fürsorgecharakter des Betreuungsverfahrens ergibt sich darüber hinaus, dass Entscheidungen im Einzelfall auch einer außerhalb des Verfahrens stehenden Person bekannt gemacht werden können oder sogar müssen, wenn dies dem Wohl des Betroffenen dient. Die Entscheidungen darüber obliegen den Gerichten und sind von ihnen für den jeweiligen Einzelfall in richterlicher Unabhängigkeit zu treffen.

Vor diesem Hintergrund wird ein „Rundschreiben" nicht als gesetzeskonform anzusehen sein (vgl. im Übrigen auch die Antwort zu Frage 3).

Zu 3: Der Landesregierung liegt kein Hinweis darauf vor, dass das Amtsgericht Braunschweig oder ein anderes niedersächsisches Gericht Entscheidungen über die Bestellung eines Betreuers einschließlich der Entscheidungsgründe in Form von „Rundschreiben" öffentlich macht.

Zu 4: Die verfassungsmäßig garantierte richterliche Unabhängigkeit verbietet es der Landesjustizverwaltung, auf richterliche Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Auf die Antworten zu Fragen 1 bis 3 wird im Übrigen verwiesen.

Zu 5: Entfällt, vgl. Antworten zu Fragen 1 und 2.