Mobbing in der niedersächsischen Finanzverwaltung
Eine Beamtin des gehobenen Dienstes der niedersächsischen Steuerverwaltung wehrt sich seit ca. sechs Jahren gegen eine rechtswidrige Behandlung im Zusammenhang mit schwerem Mobbing durch ihre unmittelbaren und mittelbaren Vorgesetzten. Die Betriebsprüferin Renate G. half in der Vergangenheit über eine freiwillige Abordnung bei der Steuerfahndung in Lüneburg (FA FuSt) aus.
Ihr Berufsweg verlief bis dahin positiv, und auch bei der Steuerfahndung versah sie gern ihren Dienst. Nach Ablauf der Abordnung dankte ihr die OFD für die Hilfe. Auf Wunsch des Vorstehers des FA FuSt verlängerte sie dort ihre Unterstützungstätigkeit, wurde aber bald von ihrem Sachgebietsleiter nach ihrer Auffassung schikanös behandelt. Sie beantragte, von ihm fort in ein anderes Sachgebiet umgesetzt zu werden, was ihr aber trotz des Rechtsanspruchs als Schwerbehinderte verweigert wurde. Stattdessen wurden Vermerke über sie angefertigt, Anhörungen unterblieben. Ihre Beschwerden und Gegendarstellungen wurden inhaltlich nicht berücksichtigt. Die OFD beendete die Abordnung und ein sachlich nicht zuständiger Vorsteher leitete gleichsam als „Retourkutsche" ohne jegliche Vorprüfung, aber in Absprache mit der OFD ein Disziplinarverfahren vor allem wegen angeblicher Verspätungen gegen die Beamtin ein. Ihr wurde zudem ein weiteres Disziplinarverfahren angedroht wegen angeblicher Nutzung der Dienstzeit zur Verteidigung im bereits seit über drei Monaten laufenden ersten Verfahren. Das zweite Disziplinarverfahren wurde entgegen der geäußerten Absicht des Dienstvorgesetzten nicht eingeleitet, was die Beamtin aber erst nach rund einem Jahr zufällig über einen Akteneinsichtstermin erfuhr. Das durchgeführte Disziplinarverfahren endete erst nach 44 Monaten - trotz Beschleunigungsgebots - mit einer Einstellung durch die Disziplinarkammer in Lüneburg. Entscheidungsgegenstand waren drei sechsminütige Verspätungen und einminütige in eineinhalb Jahren. Infolge dieser Belastungen, auch wegen der Erwartung eines zweiten Verfahrens erkrankte die ohnehin schwerbehinderte Beamtin. Konfliktlösungen wurden von der OFD kategorisch abgelehnt. Stattdessen versuchte sie, die Beamtin zu psychiatrisieren, um sie zwangsweise pensionieren zu können. Doch die Amtsärzte - massiv von der OFD bedrängt konnten bei der Beamtin keine dauernde Dienstunfähigkeit attestieren und rieten dringend zu einer Konfliktlösung (Mediation), was die OFD jedoch vehement ablehnte und auch aktuell weiterhin ablehnt. Auch das Zwangspensionierungsverfahren musste schließlich eingestellt werden.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Umgang mit erhobenen Vorwürfen wegen Mobbing in der niedersächsischen Verwaltung
a) Wie wird üblicherweise mit Mobbing und anderen Vorwürfen von Beschäftigten in der niedersächsischen Verwaltung umgegangen?
b) Gibt es hierfür ein standardisiertes Ablaufschema (z. B. Dienstvereinbarung, strukturierter und kontrollierter Beschwerdeweg)? Wenn nein, warum nicht?
2. Zur fehlenden Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots, erlassener Regelungen für Konfliktfälle und anderer Richtlinien (Selbstbindung der Verwaltung)
a) Warum wurden die Niedersächsische Schwerbehindertenrichtlinien (Rd. Erl. d. MI v. 19.03.1993, Nds. MBl. 1993 S. 361) nicht konsequent zum Vorteil der Beamtin G. angewendet? Dies bezieht sich vor allem auf,
den nicht bewilligten Umsetzungsantrag der schwerbehinderten Beamtin - weg vom damaligen Sachgebietsleiter zu einem anderen der Steuerfahndung - als niederschwellige Konfliktlösung,
die abrupte Beendigung der Abordnung - trotz vorherigen Dankesschreibens für die Tätigkeit - mit entsprechenden finanziellen und beruflichen Nachteilen.
b) Warum wurde die telefonische Mediationszusage des Finanzministeriums vom 10.07.2003 an den Abgeordneten Prof. Dr. Lennartz zurückgezogen und bis heute keine Mediationsbereitschaft mehr gezeigt?
c) An welchen Stellen des mittlerweile sechs Jahre andauernden Konflikts wurden welche der unten stehenden Regelungen für Konfliktfälle angewendet? Siehe folgende Auflistung:
Allgemeine Grundsätze für Zusammenarbeit und Führung, Gem. Rd. Erl. des MI, der StK und der übrigen Ministerien vom 12.01.1993, Nds. MBl. S. 330,
Leitbild der Niedersächsischen Finanzämter, veröffentlicht im Abschlussbericht des Reformvorhabens „Finanzamt 2003" vom 01.10.2003 durch die OFD,
Niedersächsische Fachhochschule Rinteln, Fachbereich Steuerverwaltung 1986/ 1987: „Typische Unterscheidungsmerkmale verschiedener Führungsstile",
Inhalte der durchgeführten etlichen Seminare zum Thema Konfliktmanagement und entsprechende Selbstlernprogramme, die die OFD allen Beschäftigten zur Verfügung stellt und die explizit Konfliktlösungen mit Schlichtern durch Win-win-Lösungen vorsehen,
Vereinbarung gemäß § 81 NPersVG zum Gesundheitsmanagement in der niedersächsischen Landesverwaltung vom 19.11.2002,
Lehrinhalte von Seminaren am Studieninstitut des Landes Niedersachsen (SiN).
d) Warum wurden im Fall der Beamtin G. sorgfältig und umfassend recherchierende Verwaltungsermittlungen unterlassen, sodass sogar Verspätungen vorgeworfen wurden, die ausschließlich durch vorgehende Zeiterfassungsgeräte begründet waren mit der Folge, dass die schwerbehinderte Beamtin mit einem 44-monatigen Disziplinarverfahren unverhältnismäßig belastet wurde?
e) Warum wurde das Disziplinarverfahren nicht umgehend ohne die Feststellung eines Dienstvergehens eingestellt? Warum musste die schwerbehinderte Beamtin stattdessen über insgesamt 44 Monate zur Erreichung einer vollständigen Einstellung auch noch zwei gerichtliche Verfahren führen, bei denen es um drei sechsminütige und eine einminütige Verspätung in eineinhalb Jahren (!) ging?
3. Zu den Kosten und Steuerausfällen im Zusammenhang mit dem ungelösten Konflikt
a) Welche Kosten (auch für Personaleinsatz) sind dem Land Niedersachsen seit Frühjahr 2001 dadurch entstanden, dass die niederschwellige Konfliktlösung einer Umsetzung nicht praktiziert wurde (siehe Antrag der schwerbehinderten Beamtin vom 13.03.2001)?
b) Welche Steuerausfälle (statistische Höhe) sind dem Land Niedersachsen im Zusammenhang mit dem ungelösten Konflikt aufgrund der Dienstunfähigkeit der Beamtin seit Sommer 2001 entstanden?
4. Defizite in der Anwendung des Rechts auf Akteneinsicht und des Beamtenrechts
a) Warum wurde § 101 c NBG nicht gegenüber der Beamtin angewendet, sodass sie auf laufende Vermerke, Stellungnahmen, Berichte u. Ä. hätte rechtzeitig reagieren können?
b) Warum wurde nicht auf Remonstrationen der Beamtin gemäß § 64 Abs. 2 NBG mit dem dort festgelegten Procedere reagiert?
c) Wurde der Beamtin eine volle Akteneinsicht gewährt? Wenn nein, warum nicht?
d) Wie viele Akteneinsichtsbegehren der Beamtin sind auf den Direktionsebenen FA FuSt Lüneburg, FA Soltau, OFD Hannover und MF eingegangen, und mit welchen zeitlichen Verzögerungen wurde ihr Einsicht gewährt?
e) Welche Unterlagen wurden gegebenenfalls vorenthalten, und aufgrund welcher Rechtsgrundlage geschah das? Bitte listen Sie die ggf. zurückgehaltenen Unterlagen im Einzelnen auf.
f) Entspräche das Herausgeben von Aktenbestandteilen nur aufgrund gezielter Anfrage unter Bennennung der einzelnen Unterlagen den Bestimmungen des Akteneinsichtsrechts?
g) Warum wurde die Stellungnahme der OFD vom 12.03.2003, die das MF in seinem Erlass vom 28.03.2003 nahezu vollständig übernahm, der Beamtin trotz mehrfacher Anforderung erst nach zweieinhalb Jahren und nach Ablauf der vom Landgericht Hannover gesetzten Frist (07.11.2005) übersandt?
h) Warum erfuhr die Beamtin erst nach einem Jahr anlässlich einer Akteneinsicht, dass ein zweites ihr angedrohtes Disziplinarverfahren längst nicht mehr vorgesehen war?
i) Wie wird üblicherweise mit Akteneinsichtsbegehren in der niedersächsischen Steuerverwaltung umgegangen?
Dem von den Abgeordneten Prof. Dr. Hans-Albert Lennartz und Stefan Wenzel (GRÜNE) nachgefragten Sachverhalt liegt die Personalangelegenheit einer Beamtin zugrunde, die nicht nur seit Jahren diverse (zivil- und verwaltungsgerichtliche) Prozesse gegen ihren Dienstherrn u. a. wegen angeblichen „Mobbings" führt, sondern im Jahr 2005 auch eine Strafanzeige gegen nicht namentlich benannte Bedienstete der Verwaltung wegen Rechtsbeugung erstattet hat.
Abgesehen von einem einzigen Rechtsstreit (Klage gegen die Einstellung eines Disziplinarverfahrens mit Feststellung eines Dienstvergehens) wurden alle übrigen sieben Klagen der Beamtin erstinstanzlich abgewiesen. Zurzeit (Stand: 05.06.2007) sind noch vier Berufungsverfahren und eine Nichtzulassungsbeschwerde der Beamtin beim Bundesgerichtshof anhängig. Bezüglich der vorgenannten Strafanzeige hat die Staatsanwaltschaft Hannover die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß §§ 170 Abs. 2, 152 Abs. 2 Strafprozessordnung abgelehnt, weil keine zureichenden Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat vorlagen (Verfügung vom 10.04.2007 - NZS - 1151 Js 56795/05). Zur Begründung führt sie aus, das Vorbringen der Beamtin beschränke sich vielfach lediglich auf Behauptungen und Spekulationen, die einen strafrechtlichen Anfangsverdacht nicht zu begründen vermögen.
In sämtlichen von der Beamtin angestrengten Prozessen haben die Gerichte - jedenfalls soweit dazu Anlass bestand - festgestellt, dass die Beamtin keinem Mobbing ausgesetzt war, zuletzt das Oberlandesgericht (OLG) Celle durch Urteil vom 17.04.2007 - 16 U 93 /06 -, das das Niedersächsische Finanzministerium dem Mitglied des Niedersächsischen Landtages Prof. Dr. Lennartz bereits in Ablichtung überlassen hat. Es kann also keine Rede davon sein, dass sich die Beamtin seit ca. sechs Jahren „gegen eine rechtswidrige Behandlung im Zusammenhang mit schwerem Mobbing" wehrt. Richtig ist, dass die Beamtin ihrem Dienstherrn seit Jahren „schweres Mobbing" vorwirft - zu Unrecht. Das Verwaltungsgericht (VG) Lüneburg, das über die Rechtmäßigkeit der verschiedenen angeblichen „Mobbinghandlungen" zu befinden hatte, hat die Auffassung der Verwaltung in allen Punkten bestätigt. So hat es auch in keiner Weise beanstandet, dass die Verwaltung dem Antrag der Beamtin auf Umsetzung in ein anderes Sachgebiet des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen Lüneburg nicht gefolgt ist, sondern deren Abordnung an dieses Finanzamt aufgehoben hat.