Tagesbildungsstätten für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbe darf mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung

Das Niedersächsische Schulgesetz lässt zu, dass Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogi schem Förderbedarf mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung anstelle einer allgemeinen oder einer Förderschule eine anerkannte Tagesbildungsstätte besuchen. Die Anerkennung der Ta gesbildungsstätte setzt nach § 164 NSchG u. a. voraus, dass „die Leiterin oder der Leiter der Ta gesbildungsstätte sowie die dort tätigen Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter nach Ausbildung oder bisheriger Tätigkeit über die erforderliche Befähigung verfügen. " Tagesbildungsstätten wurden eingerichtet, als Kinder mit geistiger Behinderung noch vom Schul besuch ausgeschlossen waren. Sie haben damals eine sehr wichtige Funktion gehabt. In Nieder sachsen wurden sie aber auch noch nach der Gründung von Sonderschulen für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung bei behalten. Im Jahr 2006 haben in Niedersachsen 3 024 der insgesamt 9 571 Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung eine Tagesbildungsstätte besucht (Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage „Entwicklung der Integration von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Niedersach sen" der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drs. 15/3566).

Am 20.04.2007 hat Kultusminister Busemann erklärt, dass Tagesbildungsstätten künftig einen Na men tragen dürfen, der die Bezeichnung Schule enthält. Nach § 163 NSchG haben anerkannte Ta gesbildungsstätten eine Bezeichnung zu führen, die eine Verwechslung mit Förderschulen aus schließt.

Ich frage die Landesregierung:

1. In welchen anderen Bundesländern können Schülerinnen und Schüler mit dem Förder schwerpunkt geistige Entwicklung ihre Schulpflicht in einer Tagesbildungsstätte erfüllen?

2. Welche Ausbildung haben die Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter in den Tagesbildungs stätten, und welche Befähigungen werden von ihnen verlangt? Wie unterscheidet sich diese Ausbildung und Befähigung von derjenigen der Lehrerinnen und Lehrer an den Förderschulen mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung? Hat das Kultusministerium eine Verordnung nach § 164 (2) NSchG erlassen, die die Voraussetzungen für die Befähigung der Leiterinnen und Leiter sowie der Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter der Tagesbildungsstätten näher regelt?

3. Können Erzieherinnen und Erzieher, deren Ausbildung und Befähigung für die Arbeit in Ta gesbildungsstätten anerkannt wird, auch in Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt geisti ge Entwicklung anstelle von Förderschullehrkräften eingesetzt werden? Wenn ja, ist dieser Einsatz von der Landesregierung für die Zukunft geplant?

4. Beabsichtigt die Landesregierung, den Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sonderpäda gogischem Förderbedarf mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, die eine Tagesbil dungsstätte besuchen, künftig zu erhöhen oder zu reduzieren?

5. In welcher Weise wird nach Auffassung der Landesregierung die Erfüllung der Schulpflicht in einer Tagesbildungsstätte dem Integrationsauftrag nach § 4 des Niedersächsischen Schulge setzes gerecht?

6. Welche Abschlüsse erwerben die Schülerinnen und Schüler an einer Tagesbildungsstätte im Vergleich zu einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung?

7. Welcher Prozentanteil der Schülerinnen und Schüler der Tagesbildungsstätten wechselt im Anschluss auf eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen, und welchem Prozentanteil gelingt eine weitere berufliche Qualifikation und eine Integration in den Arbeitsmarkt? Wie se hen im Vergleich die entsprechenden Prozentanteile bei den Schülerinnen und Schülern aus, die eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung oder eine Integrati onsklasse besucht haben?

8. Welche fachlichen Gründe haben den Kultusminister veranlasst zuzulassen, dass anerkannte Tagesbildungsstätten künftig in ihrem Namen die Bezeichnung „Schule" tragen dürfen.

Für Kinder und Jugendliche mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf im Schwerpunkt Geisti ge Entwicklung stehen in Niedersachsen verschiedene Organisationsformen sonderpädagogischer Förderung zur Verfügung. Für Unterricht und Erziehung, für Betreuung, Pflege und Therapie wer den Förderschulen, Tagesbildungsstätten und Integrationsklassen vorgehalten. Eine größere Zahl von Schülerinnen und Schülern wird darüber hinaus in Kooperationsklassen unterrichtet und erzo gen, die organisatorisch zu Förderschulen oder zu Tagesbildungsstätten gehören.

Alle Anstrengungen der sonderpädagogischen Förderung sind darauf gerichtet, jungen Menschen das Hineinwachsen in die Gesellschaft zu ermöglichen und ihre weitestgehende Teilhabe und Teil nahme am gesellschaftlichen Leben sicherzustellen. Die Landesregierung wird deshalb weiterhin ein gleichberechtigtes Nebeneinander verschiedener Förderorte für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf gewährleisten. Dieses in Jahrzehnten entwickelte differenzier te Angebot ist effektiv und findet große Zustimmung. Die Vielfalt der Förderorte ist ein anerkanntes wesentliches Merkmal der sonderpädagogischen Förderung in Niedersachsen.

Die Landesregierung lehnt es ab, die Einrichtungen „Förderschule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung" und „Tagesbildungsstätte" gegeneinander auszuspielen, weil einerseits verkannt wird, welche Bedeutung die Tagesbildungsstätten beim Aufbau und der Entwicklung eines Angebots für Menschen mit geistiger Behinderung haben und weil andererseits ausgeblendet wird, welche Leis tungen in diesen Einrichtungen erbracht werden und welch große Akzeptanz die Tagesbildungs stätten deshalb bei Eltern haben. Hinzuweisen ist auch auf die Bereitschaft zu Veränderungen und Neuorientierungen - so sind wesentliche Impulse bei der Bildung von Kooperationsklassen gerade von den Tagesbildungsstätten ausgegangen. Die Landesregierung unterstützt deshalb die Weiter entwicklung und qualitative Erweiterung der alternativen Einrichtungen Förderschule und Tagesbil dungsstätte mit ihren spezifischen Ausprägungen und ihren wechselseitigen stimulierenden Her ausforderungen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen im Einzelnen wie folgt:

Zu 1: Die anderen Bundesländer verfügen nicht über das doppelte Angebot von Förderschulen und Ta gesbildungsstätten.

Zu 2: Die staatlich anerkannte Tagesbildungsstätte erfüllt den im NSchG festgelegten Erziehungs- und Bildungsauftrag. Die Ziele und Inhalte orientieren sich an den curricularen Vorgaben für die Förder schule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung. In der Rahmenleistungsbeschreibung gemäß § 5 LRV (Landesrahmenvereinbarung zwischen dem Land, den Kommunalen Spitzenverbänden und der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege) ist festgeschrieben, dass sich die pädagogische Tätigkeit in der Tagesbildungsstätte an die Vorgaben der Rahmenrichtlinien (Kern curricula) und die schulformbezogenen erlasslichen Regelungen anlehnt. Die Vielzahl der Tätigkei ten ist damit den Bereichen Unterricht, Erziehung, Förderung, Betreuung und Pflege zuzuordnen.

In den Tagesbildungsstätten wird zur Erfüllung der umfangreichen Aufgaben Personal aus unter schiedlichen Berufsgruppen in der Gruppenleitung eingesetzt.

Ein Überblick über die Ausbildung der Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter in den Tagesbildungs stätten ergibt sich aus der letzten Auswertung der Personal- und Platzzahlmeldungen gemäß § 47 SGB VIII zum Stichtag 01.10.2005:

- Qualifikation Anzahl Ergänzende Anmerkungen Förderschullehrkräfte 7 davon 1 mit 1. Staatsprüfung Grund- und Hauptschullehrkräfte 12

- Realschullehrkraft 1

- Diplom-Pädagogen 26

- Diplom-Sozialpädagogen 83 davon 1 mit heilpädagogischer Zusatz qualifikation Heilpädagogen 115

- Erzieher 102 davon 41 mit heilpädagogischer Zusatz qualifikation Heilerziehungspfleger 33

- Ergotherapeut 1.

In den Leistungsbeschreibungen des Landesamts für Soziales zu den Mindestpersonalschlüsseln ist ausgeführt: Als Fachkräfte werden regelmäßig folgende Berufsbilder gewertet: Förderschullehr kräfte, Diplom- und Sozialpädagogen der entsprechenden Fachrichtung, Heilpädagogen, Grundund Hauptschullehrkräfte sowie Erzieher, jeweils mit sonderpädagogischer Zusatzausbildung.

Bei den Einstellungen durch die Träger sind in den letzten Jahren zunehmend Absolventen von Universitäten und Hochschulen berücksichtigt worden

Das Kultusministerium hat von der seit 1993 gegebenen Ermächtigung des § 164 Abs. 2 NSchG, durch Verordnung zu regeln, welche Qualifikationen für die Arbeit in den Tagesbildungsstätten zugrunde gelegt werden, bislang - u. a. wegen der Neuordnung der Studiengänge - keinen Gebrauch gemacht.

Das Kultusministerium hat in den letzten Jahren die erheblichen Anstrengungen der Träger von Tagesbildungsstätten unterstützt, die Qualität der Arbeit in den Einrichtungen zu steigern. Neben den hauseigenen Fortbildungen der jeweiligen Träger ist eine landesweite umfangreiche Zusatz ausbildung hinsichtlich der Inhalte, Organisation und Prüfungsverfahren einvernehmlich von Ver bänden der Freien Wohlfahrtspflege mit dem Kultusministerium und dem Sozialministerium abge sprochen worden. Die Zusatzausbildung ist bereits mehrfach mit großer Resonanz an den Standor ten Hannover und Lingen auch unter Beteiligung der Universitäten Oldenburg und Hannover durchgeführt worden.