Die klassische Dreiteilung des Lebens in die Phasen des Lernens des Arbeitens und des Ruhestands hat sich daher überlebt

Analyse: Familie, Soziales, Gesundheit und Gesellschaft

Alterung ist kein Prozess, der mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben einsetzt, sondern erstreckt sich über die gesamte Lebensspanne. Das kalendarische Alter ist dabei nur ein Faktor unter vielen, die sich auf die Leistungskraft und soziale Kompetenz älterer Menschen auswirken. Weitere wichtige Faktoren sind Bildung, geistige Flexibilität, Gesundheit und soziales Umfeld. Diese müssen sich im gesamten Lebenszyklus entwickeln und können nicht im Alter vollständig neu erworben werden.

Die klassische Dreiteilung des Lebens in die Phasen des Lernens, des Arbeitens und des Ruhestands hat sich daher überlebt. Die meisten Menschen sind auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben bereit und in der Lage, Verantwortung gegenüber ihrer Familie und der Gesellschaft zu übernehmen. Beispiele hierfür liegen etwa im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements, der Bildung von Brückenfunktionen zu den nachfolgenden Generationen, der Betreuung von Enkelkindern oder auch der finanziellen Hilfe für die eigenen Kinder (vgl. MS 2006a: 15; BAGSO 2006: 21).

Da die Lebenswege der Menschen unterschiedlich sind, ist auch die Gruppe der älteren Menschen in sich sehr heterogen. Ältere Menschen sind in ganz unterschiedlichem Maße leistungsfähig, engagiert und unterstützungsbedürftig. Daher scheint jede generalisierende Aussage über „die Alten" unangemessen und verstärkt eher die pauschalisierende und teilweise auch diskriminierende Einstellung gegenüber der älteren Generation.

Dringend geboten ist eine Veränderung des Altersbildes der Gesellschaft, das die positiven Aspekte des Alters sowie die Potenziale und Leistungen älterer Menschen hervorhebt. Die Älteren übernehmen neue Aufgaben und damit neue Rollen in der Arbeitswelt und der Familie. Schon heute engagieren sich 40 % der 55- bis 64 Jährigen und 32 % der 65- bis 74-Jährigen ehrenamtlich. Zwangsläufig nimmt diese Rate mit zunehmenden Alter ab; bei den über 75-Jährigen sind es jedoch immerhin noch 19 % aller Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren (vgl. BMFSFJ 2005c: 211). Dies zeigt, dass viele ältere Menschen ein Engagement wollen und ihre Erfahrungen aktiv einbringen möchten, weil dies Bestandteil eines erfüllten Lebens ist und das Selbstwertgefühl stärkt.

Ein neues Altersbild ist die Voraussetzung dafür, den noch immer vorherrschenden Tendenzen der „Altersdiskriminierung" in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. Das Problem der Altersdiskriminierung tritt dabei in unterschiedlichen Formen in Erscheinung: Auf dem Arbeitsmarkt haben es ältere Menschen bei gleicher Qualifikation und zumeist größerer Erfahrung deutlich schwerer als Jüngere. Genauso ist es bei der Vergabe von Krediten oder dem Abschluss von Versicherungen. (vgl. MS 2006a: 38).

Gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen

Die aktive Teilhabe älterer Menschen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ist notwendig für ein Miteinander der Generationen. Voraussetzungen hierfür liegen vor allem in der Sicherung einer eigenständigen Lebensführung im Alter durch eine Absicherung des Alterseinkommens und der Möglichkeit, sich an politischen und gesellschaftlichen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen zu beteiligen.

Der intergenerative Dialog muss deshalb gefördert und teilweise bestehende Tendenzen der Altersdiskriminierung müssen abgebaut werden. Diese Anforderungen beziehen sich gerade auch auf die zukünftig weiter steigende Anzahl von älteren Menschen mit Migrationshintergrund, die nach einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ganz überwiegend in Deutschland verbleiben.

Eigenständigkeit im Alter Seniorenpolitik wurde und wird vielfach auf tatsächliche oder vermeintliche Schutzund Versorgungsbedürfnisse älterer Menschen konzentriert. Im Mittelpunkt steht dabei das Schaffen einer altengerechten barrierefreien Umwelt.

Durch allein auf Fürsorge ausgerichtete Maßnahmen wird allerdings die Eigenständigkeit älterer Menschen nicht ausreichend unterstützt. Die überwiegende Mehrzahl der Menschen wünscht sich jedoch auch im Alter eine möglichst eigenständige Lebensführung und eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.

Die Voraussetzungen, um die Eigenständigkeit auch im Alter sicherzustellen, liegen im Wesentlichen in folgenden Bereichen: Gesundheit und geistige Vitalität im Alter Körperliche und geistige Gesundheit stellen eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt der Selbstständigkeit im Alter dar. Hierbei spielen vor allem eine gesunde Lebensführung in der gesamten Lebensspanne, körperliche und geistige Aktivität auch im Alter sowie Rehabilitationsmaßnahmen nach akuten Krankheiten und Krankenhausaufenthalten eine große Rolle.

Zwar sind ältere Menschen heute im Durchschnitt geistig und körperlich gesünder als alle Seniorengenerationen zuvor, dennoch gibt es eine Reihe von altersbedingten Krankheitserscheinungen insbesondere bei Hochaltrigen, die zu einer Behinderung im Alter führen können und die die Eigenständigkeit der betroffenen Personen objektiv einschränken. Dabei können körperliche Gebrechen durch entsprechende Maßnahmen und Gestaltung von Rahmenbedingungen vielfach kompensiert und so die Eigenständigkeit weitgehend erhalten werden. Das Vorliegen z. B. einer Demenzerkrankung führt dagegen vielfach zu einem Verlust von Eigenständigkeit (vgl. Kapitel D.IV in diesem Abschnitt). Notwendige Infrastrukturen und Versorgungsangebote

Eine eigenständige Lebensführung im Alter setzt geeignete wohnungsnahe Dienstleistungs-, Versorgungs- und Freizeitangebote voraus. Hierzu zählen neben Einkaufsmöglichkeiten insbesondere haushaltsbezogene Dienstleistungen, Mobilitätsangebote und eine umfassende medizinische Versorgung.

Die aktuellen Tendenzen zur Ausdünnung entsprechender Strukturen in weiten Teilen des ländlichen Raumes wirken sich in hohem Maße einschränkend auf die Selbstständigkeit insbesondere allein lebender älterer Menschen in diesen Gebieten aus.

Sind entsprechende Angebote im eigenen Aktionsradius nicht mehr vorhanden, steigt die Abhängigkeit von sozialen Unterstützungsstrukturen oder die Notwendigkeit zum Umzug in die Städte.

Versorgungsstrukturen, die gezielte Angebote für die Gruppe der älteren Menschen mit Migrationshintergrund bereit halten, sind in Niedersachsen bisher die Ausnahme und allenfalls in einigen größeren Städten zu finden. Gerade dieser Personenkreis wird allerdings stark anwachsen, da die überwiegende Zahl der Migranten auch nach ihrem Erwerbsleben in Deutschland verbleibt. Ein steigender Bedarf besteht daher insbesondere auch bei der Vernetzung von Migrationsarbeit und Altenhilfe sowie dem Ausbau kultursensibler Altenpflege (vgl. BAGSO 2006: 64 f.). Soziale Versorgungssysteme

Die sozialen Versorgungssysteme für ältere Menschen sind vornehmlich am Fürsorgegedanken ausgerichtet und folgen weniger dem Ziel „Erhalt der eigenständigen Lebensführung". Die Gründe hierfür liegen einerseits in der nach wie vor verbesserungswürdigen Finanzierung ambulant erbrachter Leistungen im häuslichen Umfeld, die vielen älteren Menschen mit Hilfebedarf ein selbstständiges Leben im Alter außerhalb stationärer Einrichtungen unrealisierbar erschienen ließ. Sie liegen andererseits an der unzureichenden Koordination und individuellen Anpassung der vorhandenen Angebote. Ein weiteres offenes Problem stellt nach wie vor auch die Finanzierung vorpflegerischer Leistungen dar.

Analyse: Familie, Soziales, Gesundheit und Gesellschaft

Insbesondere werden die bestehenden Rehabilitationsmöglichkeiten, die zum Erhalt oder zur Wiedererlangung der Eigenständigkeit im Alter beitragen können, nur unzureichend genutzt. Neben der Tatsache, dass entsprechende Angebote nicht flächendeckend vorhanden sind, mag hierbei auch eine Rolle spielen, dass viele Hausärzte aufgrund mangelnder geriatrischer Ausbildung ein negatives Altersbild haben und die Möglichkeiten einer Rehabilitation nicht erkennen. Ferner liegen Rehabilitationsmaßnahmen in der finanziellen Zuständigkeit der Gesundheitskassen, die bei ausbleibender Rehabilitation notwendigen Pflegemaßnahmen jedoch in der Zuständigkeit der Pflegekassen. Mögliche Rehabilitationsmaßnahmen, über die die Krankenkassen im Einzelfall entscheiden, unterbleiben daher vielfach, wodurch Kosten auf das System der Pflegekassen verlagert werden. Erst die am 01.04.2007 erfolgte gesetzliche Einführung von geriatrischen Rehabilitationsleistungen als Pflichtleistungen wird hier Abhilfe schaffen.

Die Notwendigkeit, in ein Pflegeheim zu ziehen, kann durch eine Kombination unterschiedlicher Unterstützungsangebote vermieden oder aufgeschoben werden. Zwar sind entsprechende Angebote zumindest in den Städten bereits vielfältig vorhanden oder im Aufbau begriffen; jedoch ist es für die Betroffenen zumeist schwer, sich einen Überblick über das lokale Angebot zu schaffen, da trägerübergreifende Beratungsmöglichkeiten nicht immer gegeben und die Angebote unterschiedlicher Dienstleister oft nicht aufeinander abgestimmt sind. Der Weg in eine Altenpflegeeinrichtung erscheint dann häufig nahe liegender, wodurch die Chance auf einen Erhalt der eigenständigen Lebensführung vergeben wird (zum Themenfeld „Pflege" vgl. Kapitel D.IV.1.6 in diesem Abschnitt).

Mitbestimmung und Interessenvertretung Ältere Menschen stellen einen stetig wachsenden Anteil an der Gesellschaft. Sie verfügen über ein großes Potenzial an Erfahrungswissen und Leistungskraft.

Ältere Menschen sind bereit und fähig, Verantwortung in politischen und gesellschaftlichen Prozessen zu übernehmen. Dies bezieht sich nicht allein auf Handlungsbereiche, von denen sie direkt betroffen sind, sondern auf das gesamte Spektrum politischen und gesellschaftlichen Handelns.

Auf kommunaler Ebene gibt es hierzu in vielen Städten Seniorenbeiräte, die die seniorenpolitische Entwicklung vor Ort in allen Angelegenheiten begleiten und die ­ eine Akzeptanz ihrer Rolle vorausgesetzt ­ vielerorts zu einem wichtigen Partner für die Lokalpolitik geworden sind.

Innerhalb parlamentarischer Strukturen und auch im Bereich vieler Verbände und Organisationen werden die Leistungspotenziale älterer Menschen heute jedoch vielfach verkannt mit der Folge, dass sie dort nicht entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung vertreten sind. Gerade hier wäre jedoch auch eine proportionale Beteiligung älterer Menschen ­ auch mit Migrationshintergrund ­ notwendig, da viele gesellschaftliche Fragestellungen ­ wie beispielsweise eine ausgewogene Verteilung von Rechten und Pflichten zwischen den Generationen ­ nur generationsübergreifend gelöst werden können (vgl. BAGSO 2006: 90 ff.).

Miteinander der Generationen

Alle Generationen sind wichtige Bestandteile der Gesellschaft. Jede Generation profitiert dabei von den Leistungen der anderen, die sie zum Teil bereits erbracht hat, aktuell erbringt oder zukünftig noch erbringen wird. Um diesen gegenseitigen Nutzen weiter zu entwickeln, ist ein intensiver Austausch der Generationen notwendig:

In der Berufswelt können durch die Kombination aus der Dynamik und einer eher vorhandenen Risikobereitschaft jüngerer Menschen und dem Erfahrungswissen