Verbrechen des DDR-Unrechtsregimes wissenschaftlich aufarbeiten

In den vergangenen Wochen sind weitere Schießbefehle des DDR-Regimes aufgetaucht, mit denen Spezialkompanien des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) angehalten wurden, auch auf flüchtende Frauen und Kinder zu schießen.

Der Landtag vertritt in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass es für eine fundierte historische Aufarbeitung und Bewertung der SED-Diktatur nicht darauf ankommt, ob diese Dokumente bereits bekannt sind. Der Landtag verurteilt in aller Schärfe Versuche, insbesondere von führenden Vertretern der Partei „Die Linke", die Authentizität solcher Dokumente in Zweifel zu ziehen. Gleiches gilt für ähnliche Äußerungen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter. Jeder der über 700 Toten an Mauer und Stacheldraht sowie die unzähligen Verletzten sind traurige Zeugen, dass dem DDR-Unrechtsregime alle Mittel recht waren, um die Bürger an einem Leben in Freiheit zu hindern. Noch lebende Opfer zeugen heute davon, dass das DDR-Unrechtssystem Biographien zerstört hat. Es ist unvorstellbar, dass ohne eine Weisung von „Oben" gehandelt wurde.

Der Landtag ist der Auffassung, dass das Auffinden solcher Dokumente Anlass gibt, an der Aufarbeitung der Geschichte der deutschen Teilung festzuhalten und diese zu vertiefen. Eine wichtige Rolle zur Aufarbeitung und damit zur Entwicklung eines gesamtdeutschen Geschichtsverständnisses nimmt dabei insbesondere die Arbeit der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) ein.

Der Landtag erkennt die Bedeutung der Deutschland- und Ostpolitik unter Führung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt und seines liberalen Außenministers Walter Scheel, die einen ersten Schritt auf dem Wege zum Ende der SED-Diktatur bedeutete, sowie das Engagement des christdemokratischen Bundeskanzlers Helmut Kohl und seines liberalen Außenministers HansDietrich Genscher für ein Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands an.

Der Landtag erinnert an die besondere Betroffenheit des Landes Niedersachsen in Hinsicht auf die deutsche Teilung. Unser Bundesland hatte die längste Grenze zur DDR. Insofern handelte die Niedersächsische Landesregierung 1961 folgerichtig, sich bereit zu erklären, die auf einen Beschluss der Justizminister des Bundes und der Länder zurückgehende Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen zur Strafverfolgung in Salzgitter einzurichten. Hier wurden Unrechtshandlungen der DDR systematisch registriert.

Die inzwischen in „Zentrale Beweismittel- und Dokumentationsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter" umbenannte Behörde hat nach Ansicht des Landtages eine nicht zu unterschätzende Aufgabe wahrgenommen. Durch sie konnte die Unmenschlichkeit der DDR aktenkundig gemacht werden. Zugleich hat sie wesentlich dazu beigetragen, dass die Verletzten und Toten an Mauer und Stacheldraht nicht anonym blieben. Nach dem Fall der Mauer konnten die Vorermittlungen samt vorhandenem Aktenmaterial an die nun zuständigen Staatsanwaltschaften in der noch existierenden DDR übergeben werden. Bereits vollständige vernichtete Akten konnten ersetzt und somit Verfahren wieder aufgenommen werden. Die Arbeit der Zentralen Beweismittel- und Dokumenta tionsstelle sowie die damals gewonnenen Erkenntnisse über das DDR-Unrecht würden entwertet, sollten die Akten nicht wissenschaftlich aufgearbeitet werden.

Der Landtag zeigt sich besorgt über Berichte, wonach die Geschichte der DDR insbesondere bei Schülern in Vergessenheit zu geraten droht. Einen Grund dafür sehen Wissenschaftler in der mangelnden oder mangelhaften Behandlung des Themas in Schulbüchern und im Schulunterricht.

Daher bittet der Landtag die Landesregierung,

1. sich auf Bundesebene für eine unverzügliche und umfassende Aufarbeitung der Dokumente der Zentralen Beweismittel- und Dokumentationsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter über Menschenrechtsverletzungen in der DDR einzusetzen. Dabei muss bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung auch herausgearbeitet werden, wo diese Akten juristische Bedeutung erlangt und zu Verurteilungen geführt haben. Die Ergebnisse der Aufarbeitung sollen regelmäßig im Rahmen eines Berichts der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

2. die Geschichte der DDR im Schulunterricht und darüber hinaus an den Schulen intensiv zu behandeln. Schulbücher müssen diesen Teil deutscher Nachkriegsgeschichte vertiefter darstellen.

3. gezielt darauf hinzuwirken, dass Schulklassen im Rahmen ihrer Klassenfahrten verstärkt die Stätten aufsuchen, an denen die Grausamkeiten des DDR-Regimes deutlich werden, so z. B. das Mauermuseum am Check-Point-Charly, Hohenschönhausen, Bautzen, Helmstedt/Marienborn, Theistungen/Duderstadt und Gespräche mit ehemaligen Häftlingen organisiert werden.