Einfamilienhaus

Durch die verfahrensrechtlichen Änderungen sollten bauaufsichtliche Verfahrensabläufe weiter vereinfacht und verkürzt werden.

Die Schaffung eines Verfahrensangebots sollte Bauherren die Möglichkeit geben, in bestimmten Fällen zwischen verschiedenen Verfahrenswegen wählen zu können. Ein weiteres Ziel war es, die öffentliche Verwaltung durch die Verringerung bzw. den Wegfall von Prüfaufgaben zu entlasten. Dies sollte insbesondere durch die Umwandlung des optionalen Freistellungsverfahrens in ein obligatorisches Verfahren erreicht werden.

Um die Akzeptanz der neu eingeführten Verfahren in der Baupraxis in Relation zu den übrigen Verfahren beurteilen zu können, wurden die unteren Bauaufsichtsbehörden gebeten, hierüber konkrete Zahlenangaben zu machen. Den Angaben der Bauaufsichtsbehörden zufolge stellt sich die Entwicklung der verschiedenen Verfahren in den letzten Jahren wie folgt dar:

1. Entwicklung der bauaufsichtlichen Verfahren

a) Prozentuale Verteilung

b) Anzahl der einzelnen Verfahren

2. Erweitertes vereinf. 2 LBauO) teilen die Bauaufsichtsbehörden mit, dass dieses Verfahren relativ selten zur Anwendung kommt. Dies wird darauf zurückgeführt, dass die neuen Verfahrensmöglichkeiten zum einen in der Baupraxis noch nicht hinreichend bekannt sind und zum anderen offenbar keine wesentlichen Vorteile bei der Durchführung dieses Verfahrens gesehen werden. Als weiterer Grund wird angegeben, die Entwurfsverfasser lehnten die mit diesem Verfahren verbundene erhöhte Verantwortung ab und schlügen den Bauherrinnen und Bauherren deshalb die Durchführung des umfassenden Genehmigungsverfahrens vor, das ein höheres Maß an Rechtssicherheit gewährleiste. Zudem wird angegeben, die vorgeschriebene Einschaltung eines Sachverständigen für baulichen Brandschutz bringe Mehrkosten im Vergleich mit dem umfassenden Baugenehmigungsverfahren mit sich, was durch die Gebührenreduzierung in diesem Verfahren nicht ausgeglichen werden könne. Anders hingegen verhielte es sich, wenn die vorgeschriebene Beteiligung des feuerwehrtechnischen Bediensteten in bauaufsichtlichen Verfahren gebührenpflichtig wäre.

Einzig bei der Kreisverwaltung Ludwigshafen fand das Verfahren nach § 66 Abs. 2 LBauO vermehrt Anwendung. Dies war im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die Stelle des feuerwehrtechnischen Bediensteten bei der Kreisverwaltung für längere Zeit unbesetzt war und bei den Bauvorlageberechtigten intensiv für die Durchführung des modifizierten vereinfachten Genehmigungsverfahrens geworben wurde.

Die Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz weist in ihren Ausführungen über das vereinfachte Genehmigungsverfahren und das Freistellungsverfahren auf die Notwendigkeit des so genannten Vier-Augen-Prinzips bei der baustatischen Prüfung hin und schlägt vor, die baustatische Prüfung grundsätzlich vom Schwierigkeitsgrad der Baukonstruktion abhängig zu machen.

Erweiterung des Freistellungsverfahrens (§ 67 Abs. 5 LBauO)

Die Ausführungen in Abschnitt 1.2.2 gelten bezüglich des erweiterten Freistellungsverfahrens entsprechend. Auch das erweiterte Freistellungsverfahren, die Anwendungsmöglichkeiten und die Voraussetzungen für die Durchführung dieses Verfahrens sind in der Baupraxis offenkundig noch nicht hinreichend bekannt. Wie aus Stellungnahmen der unteren Bauaufsichtsbehörden hervorgeht, bestehen auf Seiten der Architekten und Ingenieure aber auch Vorbehalte gegen dieses Verfahren, das von den am Bau Beteiligten ein höheres Maß an Eigenverantwortung verlangt. Die Bauaufsichtsbehörden monieren, dass die Vorlage der geforderten Nachweise oftmals nicht wie vorgeschrieben erfolge; häufig seien Mahnungen und Nachforderungen notwendig. Der dadurch entstehende Verwaltungsaufwand stehe in einem Missverhältnis zur gesetzgeberischen Intention der Verfahrensvereinfachung.

Nach Mitteilung der Kreisverwaltung Ludwigshafen seien die vorgelegten Bauunterlagen zum Teil unvollständig gewesen; zudem habe es Unstimmigkeiten bei der Einstufung der Gebäudeklassen gegeben. Die Stadtverwaltung Bingen schlägt für den Fall der nicht angezeigten Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplans einen Bußgeldtatbestand vor.

Die Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen Spitzenverbände hingegen bewertet das neu eingeführte Verfahren nach § 67 Abs. 5 LBauO grundsätzlich positiv, da hierdurch Verfahrenserleichterungen geschaffen würden, die Zeitgewinn mit sich brächten. Davon profitierten sowohl die Verwaltung als auch die Bauherren. Kritisch wird jedoch angemerkt, dass es zu einer Verfahrensvereinfachung und einem Zeitgewinn nur dann komme, wenn die Bescheinigungen im Freistellungsverfahren ohne Prüfung ausgestellt werden könnten. Dies sei jedoch in vielen Fällen nicht möglich, weil die Bauantragsunterlagen nicht vollständig seien oder weil von Bebauungsplänen abgewichen werde. In solchen Fällen könne eine Verfahrensbeschleunigung oder eine Entlastung der Verwaltungen nicht festgestellt werden.

Der Verband der Wohnungswirtschaft Südwest merkt dazu an, dass eine Vereinfachung tatsächlich nur greifen könne, wenn das geplante Vorhaben mit den Festsetzungen des Bebauungsplans übereinstimme. Da Bebauungspläne jedoch zumeist sehr umfangreiche Festsetzungen enthielten, seien in vielen Fällen Befreiungen erforderlich, wodurch die Anwendung des § 67 LBauO nicht möglich sei.

Obligatorisches Freistellungsverfahren (§ 67 Abs. 1 LBauO)

Das Freistellungsverfahren, wie es in § 67 Abs. 1 bis 4 LBauO geregelt ist, wurde mit der Landesbauordnung 1995 in Rheinland Pfalz eingeführt. Die zunächst wahlweise bestehende Möglichkeit zur Durchführung dieses Verfahrens wurde mit In-Kraft-Treten der Landesbauordnung 1999 abgeschafft. Seitdem ist dieses Verfahren für Vorhaben, die im Katalog des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1

LBauO enthalten sind, in den einschlägigen Fällen obligatorisch. In Betracht kommt dieses Verfahren vor allem für Wohngebäude der Gebäudeklassen 1 bis 3.

Da das Freistellungsverfahren seit nunmehr rund sieben Jahren in Rheinland-Pfalz praktiziert wird, funktioniert es inzwischen weitgehend reibungslos. Aufgetretene Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung geklärt. Nur vereinzelt noch wird das Ministerium der Finanzen mit Vollzugsfragen befasst.

Dies wird auch darauf zurückgeführt, dass das Ministerium der Finanzen schon bei Einführung dieses Verfahrens im Jahre 1995 und zuletzt durch das Rundschreiben „Hinweise zum Vollzug der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (LBauO) vom 24. November 1998 (GVBl. S. 365)" vom 3. Februar 1999 (MinBl. S. 90) umfassend Hinweise zum Rechtsvollzug gegeben hat. Darüber hinaus haben Bedienstete des Ministeriums in zahlreichen Informationsveranstaltungen das neue Recht erläutert.

Von Teilen der bauaufsichtlichen Praxis wird das Freistellungsverfahren weiterhin, insbesondere seitdem es zwingend durchzuführen ist, kritisch gesehen. Hervorgehoben wird, dass die Tendenz zur Verlagerung der bauaufsichtlichen Tätigkeit von der Präventivprüfung zur repressiven Tätigkeit sich verstärke. Die Praxis zeige, dass in Fällen des § 67 LBauO ein überdurchschnittlicher Anteil an Rechtsverstößen vorkomme, die ein bauaufsichtliches Einschreiten erforderlich machten. Bei der Planung und Ausführung von Bauvorhaben werde häufig von den Festsetzungen des Bebauungsplans abgewichen, was erst durch Baukontrollen festgestellt werde.

So stehe der Gesetzeszweck des § 67 LBauO in keinem angemessenen Verhältnis zum Verwaltungsaufwand. Nur dort, wo die rechtlichen Vorgaben auch umgesetzt würden, könne es zu einer Reduzierung des Verwaltungsaufwands kommen. Weiterhin wird angeführt, dass der Beratungsaufwand bei den Bauaufsichtsbehörden infolge der neuen Verfahrensregelung beträchtlich zugenommen habe.

Die Architektenkammer Rheinland-Pfalz hegt grundsätzlich Zweifel an der Akzeptanz des Freistellungsverfahrens. Das Freistellungsverfahren werde gelegentlich so umgangen, dass in der Bauplanung eine Abweichung von Festsetzungen des Bebauungsplans vorgesehen werde. Bei nicht bebauungsplanplankonformer Bauausführung ist nämlich das vereinfachte Genehmigungsverfahren durchzuführen. Die Fälle, in denen § 67 LBauO von Bauherrinnen und Bauherren als „Freibrief" verstanden werde, ohne jede Einschränkung so zu bauen wie man möchte, führten dazu, dass bei den Bauaufsichtsbehörden der Aufwand für die Repression zugenommen habe. Insoweit könne aus Sicht der Architektenkammer nicht von einer Bewährung des Freistellungsverfahrens gesprochen werden.

Zusammenfassung:

Die praktische Durchführung der neuen Verfahren bereitet den Behörden im Allgemeinen keine Schwierigkeiten. Das neue Verfahrensangebot wird von der Baupraxis offenbar aber nur zurückhaltend angenommen.

Festzustellen ist, dass die verfahrensrechtlichen Änderungen durch die Gesetzesnovellen der letzten Jahre bisher nicht die erhoffte durchgreifende Entlastung der Bauaufsichtsbehörden gebracht haben. Gezeigt hat sich auch, dass es zu einer Teilverlagerung der Prüftätigkeit aus der präventiven in die repressive Phase gekommen ist.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass Bauherrinnen und Bauherren sowie die sonstigen am Bau Beteiligten dem traditionellen Genehmigungsverfahren offenbar den Vorzug vor neuartigen Verfahren geben, die zumeist noch als Experiment empfunden werden.

Wert gelegt wird vor allem auf eine zügige Abwicklung des Baugenehmigungsverfahrens und ein möglichst hohes Maß an Rechtssicherheit durch die Baugenehmigung. Die Vorteile, die ein differenziertes Verfahrensangebot für den heterogenen Kreis der Bauwilligen, der vom Bauherrn eines Einfamilienhauses bis zum Großinvestor reicht, hat, sind bislang noch nicht hinreichend deutlich geworden. Das Ministerium der Finanzen wird prüfen, wie die Akzeptanz der neuen Verfahrensvarianten ­ auch durch Kostenanreize wie die Reduzierung der Genehmigungsgebühren ­ verbessert werden kann, damit die mit den Neuregelungen verbundenen Erwartungen sich erfüllen.

2. Hat die Vereinfachung zu einer Häufung von Nachbarstreitigkeiten bzw. juristischen Auseinandersetzungen geführt?

Die unteren Bauaufsichtsbehörden stellen allgemein eine Zunahme von Nachbarstreitigkeiten fest. Vielfach wird auch ein Zusammenhang mit der Einschränkung bzw. dem Wegfall bauaufsichtsbehördlicher Präventivprüfungen vermutet.

Mitgeteilt wird, dass Nachbarn Bauvorhaben, die keiner Baugenehmigung bedürfen oder die nur eingeschränkt geprüft werden, vielfach mit Skepsis begegnen. So verzeichnen viele Bauaufsichtsbehörden durch Nachbaranfragen einen erhöhten Erläuterungsund Aufklärungsbedarf. Zunehmend gebe es die Tendenz, in das Zivilrecht gehörende Nachbarstreitigkeiten auf den kostengünstigen öffentlich-rechtlichen Rechtsweg zu verlagern.

Als besonders problematisch werden Fälle empfunden, in denen nach erteilter Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren die Verletzung von Nachbarrechten im Stadium der Bauausführung festgestellt wird. Bei ihren Baustellenkontrollen, die oftmals durch Nachbarbeschwerden veranlasst werden, stellen die Bauaufsichtsbehörden vor allem Verstöße gegen das Abstandsflächenrecht und gegen Festsetzungen des Bebauungsplans fest. Neben der Überschreitung der einzuhaltenden Grenzabstände nach dem Bauordnungsrecht würden oft auch die zulässigen Trauf- und Kniestockhöhen sowie die Festsetzungen über die Zahl der zulässigen Vollgeschosse sowie gestalterische Festsetzungen von Bebauungsplänen nicht beachtet. Um ein bauaufsichtliches Einschreiten in der Bauausführungsphase zu vermeiden, werden die Bauunterlagen vielfach umfassender geprüft, als im vereinfachten Genehmigungsverfahren vorgeschrieben.