Umsatzsteuerliche Behandlung von Weingütern mit eigenem Ausschank oder bei Weinfesten

Mit Urteil vom 2. Mai 1996 hat der EuGH entschieden, dass die Abgabe von Speisen und Getränken zum sofortigen Verzehr eine sog. „sonstige Leistung" im Sinne des Umsatzsteuerrechts (bisher „Lieferung") darstellt.

Im deutschen Umsatzsteuerrecht wurde dieses Urteil vom Gesetzgeber mit Wirkung ab dem 27. Juli 1998 umgesetzt. Dies hat zur Folge, dass eine Zahllast für die entsprechenden Umsätze bei den Straußwirtschaften (Nebenbetrieb L + F) aufgrund der Durchschnittssätze für land- und forstwirtschaftliche Betriebe gem. § 24 UStG entfällt (alt: Umsatzsteuer 16 %./. pauschale Vorsteuer 9 % = Zahllast 7 % / neu: Steuersatz 9 %./. Vorsteuer 9 % = Zahllast 0 %).

Es bestand danach Übereinstimmung mit der Finanzverwaltung, dass ab dem 27. Juni 1998 bis zur Gesetzesanpassung am 1. Januar 2002 keine Umsatzsteuer auf die entsprechenden Umsätze zu erheben war. Da jedoch grundsätzlich EU-Recht über dem Bundesrecht steht, war seinerzeit vom Berufsstand beantragt worden, die EuGH-Rechtsprechung auch für die Umsätze der Jahre 1996 bis 26. Juni 1998 anzuwenden, also für den Zeitraum der EuGH-Rechtsprechung bis zur Umsetzung ins deutsche Umsatzsteuerrecht.

Dies wurde von der Finanzverwaltung zunächst bestätigt, die entsprechende Umsatzsteuer zuzüglich Zinsen wurde auf Antrag sogar erstattet.

Im Frühjahr 2002 hat die Oberfinanzdirektion Koblenz nun aber die Finanzämter angewiesen, diese Regelung tatsächlich erst ab dem 27. Juni 1998 anzuwenden. Aufgrund dieser Verfügung haben die Finanzämter die Bescheide 1996 und 1997 in der Weise korrigiert, dass die Erstattungen aus oben geschildertem Sachverhalt zzgl. Zinsen wieder zurückgezahlt werden sollten. Für 1998 sollte noch der anteilige Betrag für die Zeit vom 1. Januar bis 26. Juni ermittelt werden. Dann sollten auch hier Nachzahlungsbescheide ergehen.

Die Maßnahme hat zu erheblichem Unmut bei den Betroffenen geführt. Zum Teil waren fünfstellige Beträge nur deshalb nachzuentrichten, von denen man eigentlich glaubte, dass der Staat wegen EU-Recht darauf verzichte.

Ich frage deshalb die Landesregierung:

1. Was war der Grund für den Zickzack-Kurs der Finanzverwaltung in diesem Fall?

2. Weshalb geht die Finanzverwaltung davon aus, dass hier EU-Recht nicht vor nationalem Recht steht?

3. Sieht die Landesregierung noch Chancen, doch noch einmal für die Zeit zwischen 1996 und 1998 zu einer unternehmensfreundlicheren Umsatzsteuergestaltung zu kommen, als sie nach der letzten OFD-Verfügung gilt?

4. Wie wirken sich die aktuellen steuerrechtlichen Planungen der Bundesregierung auf Weingüter mit eigenem Ausschank aus?

5. Wie ist die Position der Landesregierung hierzu?

Das Ministerium der Finanzen hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 12. Februar 2003 wie folgt beantwortet:

Ich gehe davon aus, dass sich die Fragestellung des Herrn Abgeordneten Bracht nur auf solche Straußwirtschaften bezieht, die nach ertragsteuerlichen Gesichtspunkten als landwirtschaftliche Nebenbetriebe zu qualifizieren sind und für die umsatzsteuerlich von der Durchschnittssatzbesteuerung gem. § 24 UStG Gebrauch gemacht wird.

Dies vorangestellt, beantworte ich namens der Landesregierung die vorbezeichnete Kleine Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1: Der EuGH hat in seinem Urteil vom 2. Mai 1996 ­ Rs. C-231/94 ­ zur Beantwortung der vom BFH vorgelegten Frage nach dem Leistungsort so genannter Restaurationsleistungen entschieden, dass es sich bei der Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle nicht um Lieferungen, sondern um sonstige Leistungen handelt.

Diese von der davor geltenden deutschen Sicht abweichende Auslegung hatte zur Folge, dass seither in diesen Fällen die Anwendung des nur für Lieferungen bestimmter Lebensmittel geltenden ermäßigten Steuersatzes von vornherein ausgeschlossen ist.

Insoweit ergab sich im Ergebnis jedoch keine Änderung der umsatzsteuerlichen Behandlung, da zuvor die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für Restaurationsumsätze nach § 12 Abs. 2 Nr.1 Satz 2 UStG ausgeschlossen war. Die EuGH-Entscheidung wurde mit Wirkung ab 27. Juni 1998 durch Änderung des UStG in nationales Recht umgesetzt. Seither regelt § 3 Abs. 9 Satz 4 + 5

UStG, dass es sich bei Restaurationsleistungen um sonstige Leistungen handelt. Die Steuersatzbestimmung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG für Lieferungen von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle wurde aufgehoben. Materielle Auswirkungen sollten mit diesen Änderungen nicht verbunden sein.

Eine weitere Folgewirkung der EuGH-Entscheidung ist seinerzeit allerdings übersehen worden: Im Rahmen der Durchschnittssatzbesteuerung für land- und forstwirtschaftliche Betriebe nach § 24 UStG kam es durch die Umqualifizierung der Leistungsart für Restaurationsumsätze bezüglich der Abgabe von alkoholischen Getränken in Straußwirtschaften zu einer nicht beabsichtigten Änderung der Besteuerung zu Gunsten der Winzer. Während nach alter Rechtslage bis zum 26. Juni 1998 Lieferungen von alkoholischen Flüssigkeiten nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG mit 16 % besteuert wurden (unter Anrechnung einer Vorsteuerpauschale i. H. von 9 % der Umsätze), fielen diese Restaurationsleistungen danach als sonstige Leistungen unter § 24 Abs. 1 Nr. 3 UStG. Daher waren nur noch 9 % Umsatzsteuer zu erheben, so dass sich nach Anrechnung der Vorsteuerpauschale keine Zahllast für die Landwirte mehr ergab. Durch eine Änderung des § 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG zum 1. Januar 2002 wurde dieses Redaktionsversehen korrigiert und die ursprüngliche Rechtslage wiederhergestellt.

Anträge von Winzern auf die Anwendung der EuGH-Entscheidung auf Umsätze bereits ab dem Jahr 1996 wurden von den Finanzämtern unterschiedlich behandelt. Die Oberfinanzdirektion Koblenz hat daraufhin in einer Rundverfügung vom 12. April 2002 für eine einheitliche Rechtsanwendung dahin gehend gesorgt, dass die entsprechenden Umsätze, die Zeiträume bis einschl. 26. Juni 1998 betreffen, nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG mit 16 % zu besteuern sind.

Zu Fragen 2 und 3: Zwar ist die Pauschalierungsregelung des § 24 UStG in der ursprünglichen wie auch in der jetzigen Fassung EU-rechtlich unbestritten. Ein Unternehmer kann sich aber nach gefestigter Rechtsprechung gegenüber einer für ihn nachteiligen Vorschrift nationalen Rechts unmittelbar auf eine für ihn günstigere Richtlinienregelung berufen, wenn der Gesetzgeber es versäumt hat, diese fristgemäß und korrekt in nationales Recht umzusetzen. Dies könnte vorliegend der Fall sein, wenn sich bereits durch die EuGH-Entscheidung zur Auslegung der 6. EG-Richtlinie und nicht erst durch die Änderung des UStG die Notwendigkeit zur steuerlichen Qualifikation von Restaurationsumsätzen als sonstige Leistungen mit der o. g. Nebenfolge ergeben hätte. In diesem Fall hätte die Richtlinienregelung ­ in der Auslegung durch den EuGH ­ Anwendungsvorrang gegenüber entgegenstehendem nationalem Gesetzesrecht. Die Entscheidung darüber, ob die Verwaltung einen Anwendungsvorrang von Richtlinienrecht gegenüber dem nationalen Recht zu beachten hat, ist allerdings vom BMF in Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder zu treffen.

Dies ist bisher nicht erfolgt. Insofern haben die Finanzämter das geltende Umsatzsteuerrecht anzuwenden. Frau Parlamentarische Staatssekretärin im BMF Dr. Hendricks hat bereits am 2. September 2002 auf eine ähnliche Anfrage hin folgende Auffassung vertreten: „Die terminologische Neubewertung durch den EuGH (bisher: Lieferung; jetzt: sonstige Leistung) änderte aber nichts daran, dass nach § 24 UStG die Getränke und alkoholischen Flüssigkeiten mit dem dort ausdrücklich angegebenen Steuersatz zu versteuern waren. Für die Zeit von 1996 (Ergehen der EuGH-Entscheidung) bis zum 26. Juni 1998 bestand somit aufgrund der insoweit unveränderten Formulierung in § 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG kein Anlass, die fraglichen Umsätze hiervon abweichend zu versteuern."

Die Landesregierung wird die Frage auf Bundesebene zur Diskussion stellen. Ich weise darauf hin, dass in den derzeit anhängigen Rechtsbehelfsverfahren Aussetzung der Vollziehung gewährt wurde.

Zu Fragen 4 und 5: Der Landesregierung sind keine aktuellen steuerrechtlichen Planungen der Bundesregierung bekannt, die sich konkret auf Weingüter mit eigenem Ausschank beziehen.