Wettbewerb

Unwägbarkeiten trotz aller Sorgfalt nicht ausgeschlossen werden können, muss der Architekt oder Ingenieur als Treuhänder des Bauherrn diesen über die verbliebenen wirtschaftlichen Risiken unterrichten.

Erfahrungen zeigen, dass auch die von Architekten oder Ingenieuren erstellten Leistungsverzeichnisse häufig mit Fehlern behaftet sind. Deshalb ist es unerlässlich, dass der kommunale Bauherr die Verdingungsunterlagen, insbesondere das Leistungsverzeichnis, vor dem Versenden zumindest auf Plausibilität hin prüft. Die Einschaltung von Architekten und Ingenieuren entbindet den kommunalen Bauherrn nicht von seinen Bauherrenaufgaben. In einem Vergabeverfahren sind nicht die beauftragten Architekten und Ingenieure ­ und auch nicht ein Baubetreuer 99) ­, sondern die kommunalen Auftraggeber gegenüber den Bietern für Verstöße gegen Vergabebestimmungen verantwortlich.

Aus diesem Grunde sollte sich der kommunale Bauherr auch den Versand der Verdingungsunterlagen, die Entgegennahme der Angebote und deren ordnungsgemäße Verwahrung bis zur Eröffnung vorbehalten.

Obwohl der Rechnungshof seit Jahren auf die Bedeutung des Leistungsverzeichnisses und die Folgen unzutreffender oder unklarer Angaben hinweist, muss immer wieder festgestellt werden, dass Leistungsverzeichnisse in vielen Fällen geradezu nachlässig erstellt wurden. Das zeigt sich bei Prüfungen am deutlichsten durch einen Vergleich der ausgeschriebenen mit den in der Schlussrechnung der Auftragnehmer abgerechneten Teilleistungen. Die Vergleiche lassen erkennen, dass

­ Bauleistungen (Positionen), die trotz eines erheblichen Umfangs im Leistungsverzeichnis nicht aufgeführt waren, nachträglich (in der Regel ohne Preiswettbewerb) in Auftrag gegeben wurden,

­ Positionen mit großen Mengen und einem bedeutenden Anteil am Gesamtpreis nicht zur Ausführung kamen,

­ die bei den einzelnen Positionen abgerechneten Mengen von den im Leistungsverzeichnis angesetzten erheblich abwichen,

­ Positionen, die der Auftragnehmer zu niedrigen oder unauskömmlichen Preisen angeboten hatte, ganz entfielen oder in wesentlich geringeren Mengen als im Leistungsverzeichnis angesetzt ausgeführt wurden und Positionen mit überwertig kalkulierten Preisen mit weit höheren Mengen abgerechnet wurden,

­ Positionen ohne Mengenansatz oder mit dem Mengenansatz „1", bei denen nur der Einheitspreis anzugeben war, in großen Mengen ausgeführt wurden,

­ Bauleistungen nach der Art der Ausführung von der im Leistungsverzeichnis vorgesehenen abwichen.

Größere Abweichungen führten dazu, dass sich die Rangfolge der Bieter, die sich aus der Wertung der Angebote ergab, änderte.

Das im Rahmen der Wertung wirtschaftlichste Angebot war nach Ausführung der Arbeiten bei einem fiktiven Abrechnungsvergleich auf der Grundlage der Preise anderer Angebote häufig deutlich ungünstiger.

Ein Großteil späterer Beanstandungen bei Prüfungen und von Streitigkeiten zwischen den Vertragspartnern ist darauf zurückzuführen, dass

­ Leistungsverzeichnisse in erheblichem Umfang Wahl- und Bedarfspositionen ausweisen,

­ für dieselbe Leistung verschiedene Ausführungsarten, z. B. Straßendeckenaufbau oder Pflasterarbeiten, nicht alternativ, sondern nebeneinander ausgeschrieben sind,

­ unterschiedliche Leistungen in einer Position gebündelt werden,

­ dieselbe Leistung in mehreren Positionen erfasst ist und

­ dieselbe Leistung als eigene Position in verschiedenen Losen ausgeschrieben ist.

Ein Leistungsverzeichnis, das mit derartigen Fehlern und Mängeln behaftet ist, dem z. B. keine Detailplanung und Massenermittlung voranging oder dessen Verfasser DIN-Normen und allgemein anerkannte Regeln der Technik unbeachtet ließ, die Leistungen nicht vollständig erfasst oder „sicherheitshalber" übersetzte Mengen oder zweifelhafte Positionen angegeben hat, ermöglicht Spekulationsangebote und führt leicht zu überhöhten Angeboten oder zu Pauschalpreisangeboten. Ein gegenüber der Summe der Einheitspreise günstigerer Pauschalpreis ist ebenso wie eine gegenüber der Auftragssumme niedrigere Abrechnungssumme dann nur scheinbar vorteilhaft. Es wird nur der Eindruck einer zum Vorteil des Auftraggebers ausgeführten oder abgerechneten Maßnahme vermittelt. Bei fehlerfreier Ausschreibung wäre ein noch niedrigerer Preis zu erreichen gewesen. Bleibt die Abrechnungssumme unter der Auftragssumme, sind jedoch kritische Nachfragen seltener festzustellen als im umgekehrten Fall, wenn die Abrechnungssumme höher ist als die Auftragssumme. Dabei sollten auch diese Fälle kritisch hinterfragt werden.

Spekulative Preisgestaltungen in den Angeboten deuten stets auf Fehler im Leistungsverzeichnis hin. Deshalb ist in einem solchen Fall das Leistungsverzeichnis mit besonderer Sorgfalt auf seine Vollständigkeit und Genauigkeit hin zu überprüfen.

99) Vgl. Kommunalbericht 2000 Tz. 4 (Landtagsdrucksache 14/52). Beispiele:

­ Von 104 Einheitspreispositionen für den Bau eines Hochwasserrückhaltebeckens einschließlich Kanalarbeiten kamen 53 Positionen nicht zur Ausführung. Nur acht ausgeführte Positionen blieben nach der Abrechnung innerhalb des Toleranzbereichs des § 2 Nr. 3 VOB/B von +/­ 10 %. Die Abrechnung blieb mit 530 000 weit unter der Auftragsumme von 681 000.

Für den Kanal waren Schleuderbetonrohre und Steinzeugrohre ausgeschrieben. Es konnte aber nur eine Materialart verwendet werden. Als Baugrubenverkleidung waren stählerne Kanaldielen und Stahlspundbohlen ausgeschrieben. Für die Verwendung von Stahlspundbohlen bestand weder eine statische noch eine räumliche Notwendigkeit.

Der preisgünstigste Bieter hat die Mängel der Ausschreibung offensichtlich erkannt. Er bot die Kanaldielen, die mit erhöhten Mengen (+ 207 %) zur Ausführung kamen, teurer an als alle Mitbewerber, die Stahlspundbohlen dagegen deutlich billiger.

Bei zutreffender Ausschreibung wären nach einer Vergleichsrechnung zwei Mitbewerber mit Abrechnungssummen von 405 000 und 436 000 günstiger gewesen.

­ Weil die öffentliche Ausschreibung für Sicherungsarbeiten für das Hochwasserrückhaltebecken kein annehmbares Ergebnis brachte, wurden die gleichen Leistungen beschränkt ausgeschrieben. Der Mengenansatz für Stahlspundbohlen wurde dabei allerdings ohne erkennbaren Grund von 2,5 t auf 7,5 t angehoben.

Das günstigste Angebot belief sich auf 43 554. Der Bieter bot die Arbeiten alternativ zu einem Pauschalpreis von 32 100 an.

Er erhielt den Zuschlag auf das Pauschalangebot, obwohl der Umfang des Auftrags unklar war. Das Ingenieurbüro hatte darauf hingewiesen, dass verschiedene Positionen entfallen könnten. Der unterschiedliche Mengenansatz für Stahlspundbohlen in den beiden Ausschreibungen war nicht geklärt. Ferner enthielt das Pauschalangebot eine andere Art der Wasserhaltung als in der Ausschreibung vorgesehen.

Es ist nicht auszuschließen, dass das Pauschalangebot nur scheinbar günstiger war als das aus den Einheitspreisen ermittelte Angebot, weil möglicherweise nicht notwendige Leistungen oder Leistungen mit überhöhten Mengenansätzen ausgeschrieben waren.

Bauleistungen sollten nur dann zu Pauschalsummen vergeben werden, wenn die Leistung nach Ausführungsart und -umfang genau bestimmt und mit einer Änderung bei der Ausführung nicht zu rechnen ist (§ 5 Nr. 1 VOB/A). Tiefbauarbeiten, insbesondere Gründungs- und Wasserhaltungsarbeiten, sind hierfür in aller Regel nicht geeignet.

­ Kanalisationsarbeiten waren in Teillosen ausgeschrieben. Für jedes Teillos war ein anderer Bewerber günstigster Bieter. Die Aufträge wurden getrennt vergeben.

Der Leistungsumfang war stark übersetzt ausgeschrieben. Bei allen Losen kamen rund zwei Drittel aller Positionen nicht zur Ausführung und die Mengen der ausgeführten Positionen waren weit niedriger als die Ansätze in den Leistungsverzeichnissen. Die Abrechnungen fielen daher deutlich günstiger aus als die Angebote.

Ein Vergleich der Abrechnungen der Auftragnehmer mit fiktiven Abrechnungen auf der Grundlage der Einheitspreise der Mitbewerber machte deutlich, dass einige Angebote günstiger waren als die der beauftragten Unternehmen.

Beschreibung der Teilleistungen (Positionen) § 9 VOB/A enthält eine systematische Anleitung zur sachgerechten Erstellung des Leistungsverzeichnisses. Eine strikte Anwendung dieser Vorschrift und die Beachtung der allgemein zugänglichen Hilfsmittel, insbesondere der „Hinweise für die Aufstellung der Leistungsbeschreibung" in Abschnitt 0 der Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen, der Richtlinien in den jeweiligen Vergabehandbüchern, der Standardleistungsbücher, der Herstellerbeschreibungen usw., ermöglichen es, ein Leistungsverzeichnis mit der wünschenswerten Klarheit zu formulieren. So manches Leistungsverzeichnis, das der Prüfung unterzogen wurde, ließ von dieser Systematik allerdings wenig erkennen.

Beispiele:

­ In einer Ausschreibung für Kanalbauarbeiten wurden der Ermittlung des Bodenaushubs schräge Grabenwände von 60° und als Sohlenbreite in Abhängigkeit vom Rohrdurchmesser Breitenmaße zugrunde gelegt, die die Regelmaße nach DIN 4124 ­ Baugruben und Gräben, Böschungen, Arbeitsraumbreiten, Verbau ­ um 0,30 bis 0,55 m überschritten. Bei Einhaltung der DIN 4124 wären Bauausgaben von 28 860 weniger angefallen.

­ Für den Bau einer Wasserleitung waren die Sandbettung und Sandummantelung für 4 200 m Rohre mit einer Nennweite von DN 100 ausgeschrieben. Das Leistungsverzeichnis sah aber nur die Verlegung von Rohren der Nennweiten DN 200 und DN 250 vor.

Der spätere Auftragnehmer bot die ausgeschriebene Position zu einem unterwertigen Preis von 0,01 /m an. Ausgeführt wurden die Leistungen für Rohre mit den größeren Nennweiten. Dafür wurden nachträglich außerhalb des Wettbewerbs Einheitspreise von 2,26 /m und 3,39 /m vereinbart.

­ Bei einer Maßnahme mit 300 ausgeschriebenen Positionen und einer Auftragssumme von insgesamt 820 000 kamen 98 Positionen nicht zur Ausführung. In weiteren 177 Positionen verminderte sich der Mengenansatz zum Teil erheblich. Der Wert der nicht ausgeführten Leistungen betrug mehr als 200 000. In 80 Positionen (mit geringfügigen Nachträgen) gab es Massenmehrungen in einer Größenordnung von über 250 000. Die Fehlerquote lag weit über 50 % des Wertes der ausgeschriebenen Leistungen.

Bei den letzten beiden Beispielen drängt sich ­ wie auch bei einigen anderen in diesem Beitrag ­ die Frage auf, ob die Vergabe manipuliert war oder die Bieter nur die Schwächen des Leistungsverzeichnisses erkannt und sich durch spekulative Preise Wettbewerbsvorteile verschafft haben.

Mengenangaben (sog. Vordersätze)

Die ausgeschriebene Menge einer Position bestimmt in der Regel die Höhe des Einheitspreises. Dieser ist in Verbindung mit der tatsächlich ausgeführten Menge für die Abrechnung des Auftragnehmers verbindlich. Unzutreffende Mengenangaben können zu erheblichen Nachteilen für den Auftraggeber führen. Bei der Prüfung und Wertung der Angebote dürfen sie nicht korrigiert werden.

Die Angebote sind so zu werten, wie wenn die Mengenansätze im Leistungsverzeichnis korrekt wären. Jede andere Verfahrensweise würde Manipulationsmöglichkeiten eröffnen. Bei erheblichen Fehlern ist deshalb stets zu erwägen, die Ausschreibung nach § 26 VOB/A aufzuheben.

Beispiel:

Das Leistungsverzeichnis für den Bau einer Brauchwasserleitung enthielt die Position „200 m² Schwarzdecke aufnehmen und abfahren". Der preisgünstigste Bieter bot dafür einen Einheitspreis von 64,88, der Zweitplatzierte von 10,17.

Bei der Wertung der Angebote stellte der Auftraggeber fest, dass der Mengenansatz falsch ausgewiesen war, zutreffend waren 2 000 m².

Bei zutreffendem Mengenansatz wäre das Gesamtangebot des zweitplatzierten Bieters unter Einbeziehung der übrigen Positionen um 25 870 günstiger gewesen als das des Erstplatzierten. Dieser erhielt dennoch den Zuschlag, denn die Angebote wurden zutreffend nach dem unveränderten, dem Wettbewerb unterzogenen Leistungsumfang gewertet. Bei dieser Sachlage hätte jedoch erwogen werden müssen, die Ausschreibung nach § 26 VOB/A aufzuheben.

Eine Position mit der Menge „1" ist nur zulässig, wenn nach der Planung ein Einzelstück erwartet wird. Andernfalls ist stets von der voraussichtlichen Menge auszugehen. Bei Positionen mit geringen Mengen ist besondere Vorsicht geboten. Sofern sich die Mengen nicht mit Sicherheit aus der Planung ermitteln lassen, z. B. bei Fels, für Wasserhaltung oder bei Sanierungsmaßnahmen, ist es kaum möglich, kleine Mengen mit der gebotenen Sicherheit zu veranschlagen. Wird in diesen Fällen dennoch eine kleine Menge angesetzt, um einen Angebotspreis für die Leistung zu erhalten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein überhöhter Einheitspreis angeboten wird. Auf die geschätzte Auftragssumme hat er wegen der kleinen Menge nur einen geringen Einfluss. Falls aber tatsächlich größere Mengen ausgeführt werden, wirkt sich der überhöhte Einheitspreis deutlich zugunsten des Bieters aus.

Beispiele:

­ Für die Verlegung einer Wasserleitung war als Bedarfsposition ausgeschrieben: „1 m³ Erdaushub der Bodenklasse 7 100)". Der Auftragnehmer hatte dafür einen überhöhten Preis von 150/m³ angeboten. Tatsächlich fielen 120 m³ in Bodenklasse 7 an und mussten zu dem Angebotspreis vergütet werden. Ein Einheitspreis von 65 ­ 70 /m³ wäre angemessen gewesen.

­ Nach der Baubeschreibung für den Bau einer Straße sollte diese einen Unterbau aus 20 cm Frostschutzschicht und 20 cm Schottertragschicht erhalten. Im Leistungsverzeichnis waren dafür ausgeschrieben: Frostschutzschicht 10 bis 20 cm nicht auszuwerfen Frostschutzschicht 21 bis 25 cm 1 000 m³ Frostschutzschicht 26 bis 30 cm 1 m³ Schottertragschicht 12 bis 15 cm 1 m³ Schottertragschicht 16 bis 18 cm 1 000 m³ Schottertragschicht 19 bis 22 cm 1 m³.

Für die 10 bis 20 cm dicke Frostschutzschicht war weder ein Einheits- noch ein Gesamtpreis anzugeben. Für die 19 bis 22 cm dicke Schottertragschicht war nur der Einheitspreis anzuzeigen. Beide Positionen, die nach der Baubeschreibung vorgesehen waren, unterlagen damit nicht dem Wettbewerb.

Abgerechnet wurde die Position „Frostschutzschicht 10 bis 20 cm" nach einem frei vereinbarten Nachtragspreis und die Position „Schottertragschicht 19 bis 22 cm" nach dem mangels eines Mengenansatzes angebotenen Spekulationspreis.

100) Schwer lösbarer Fels.