Auswirkungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Elternunterhalt auf die kommunalen Träger der Sozialhilfe in Rheinland-Pfalz

Wenn Eltern in einem Heim leben, auf Pflege angewiesen sind und ihre Einkünfte dafür nicht ausreichen, dürfen ihre Kinder für die Kosten nicht so stark herangezogen werden. Der zu belassende angemessene Selbstbehalt der Unterhaltspflichtigen sollte in der Regel so bemessen sein, dass eine spürbare und dauerhafte Senkung ihres berufs- und einkommenstypischen Unterhaltsniveaus nicht erfolge und ihnen auch eine angemessene Altersversorgung ermöglicht werde. Diese Linie hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Rechtsprechung festgelegt.

Die Zahl solcher Unterhaltsverfahren hat aufgrund der steigenden Heim- und Pflegekosten und der Finanznot der Sozialhilfeträger zugenommen. Die Mehrzahl der beim zuständigen XII. Zivilsenat des BGH anhängigen Verfahren seien nicht von den Eltern gegen ihre Kinder in die Wege geleitet worden, sondern von den Sozialhilfeträgern aufgrund übergangener Unterhaltsansprüche. Mitunter sei dieser Weg erst geraume Zeit nach den Sozialhilfeleistungen beschritten worden. Expertinnen und Experten befürchten, dass die Gemeinden durch die neue Rechtsprechung des BGH erheblich belastet würden.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie hat sich die Praxis bzw. die Zahl der Heranziehung von Kindern zum Elternunterhalt in den vergangenen fünf Jahren und aktuell entwickelt (bitte aufschlüsseln nach den einzelnen Jahren)?

2. Wie hat sich die Belastung der Sozialhilfeträgerinnen durch Übernahme von Kosten für Heime und Pflege in den vergangenen fünf Jahren entwickelt (bitte aufschlüsseln nach Aufkommenshöhe und Jahren)?

3. In welcher Höhe fließen bzw. flossen in den vergangenen fünf Jahren Kosten wieder in die Kassen der Sozialhilfeträgerinnen zurück (bitte aufschlüsseln nach Jahren)?

4. Wie bewertet die Landesregierung die Befürchtung, dass die Gemeinden durch die neue Rechtsprechung zusätzlich erheblich belastet würden?

5. In welcher Höhe erwartet sie durch die Rechtsprechung neue Belastungen der Kommunen?

6. Wie wird diese Rechtsprechung umgesetzt, insbesondere mit Blick auf die neu eingeführte Grundsicherung und auch vor dem Hintergrund von „best practice" in der Sozialhilfe?

7. Wie hoch ist der Anteil von Familien mit Kindern bei den Unterhaltspflichtigen?

Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 21. Juli 2003 wie folgt beantwortet:

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 23. Oktober 2002 ­ Az.: XII ZR 266/99 ­ eine richtungsweisende Entscheidung zum so genannten Elternunterhalt ­ dies ist der Unterhalt, den Kinder für ihre Eltern erbringen müssen ­ getroffen. Hierbei wurden insbesondere Aussagen

­ zur Verwirkung rückständigen Elternunterhalts,

­ zur Höhe des eigenen angemessenen Unterhalts bei Unterhaltsansprüchen von Eltern gegen ihre erwachsenen Kinder und

­ zur Frage des Einsatzes von Vermögen zur Befriedigung des Elternunterhalts getroffen. Statistische Angaben zur Sozialhilfe enthalten die jährlichen Berichte des Statistischen Landesamtes. Der derzeit aktuellste Bericht enthält die Angaben für das Jahr 2001.

Zu 1.: Hierzu liegen keine statistischen Angaben vor. In der Sozialhilfestatistik werden die Einnahmen für die quantitativ bedeutsamen Hilfearten nachgewiesen. Ein Erhebungsmerkmal hierbei ist „Übergeleitete Unterhaltsansprüche gegen bürgerlich rechtlich Unterhaltsverpflichtete". Hier werden alle gemäß §§ 90 und 91 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) tatsächlich übergegangenen Unterhaltsleistungen nachgewiesen. Eine Unterscheidung nach Unterhaltsarten erfolgt hierbei nicht.

Zu 2. und 3.: Die Sozialhilfestatistik unterscheidet bei den Ausgaben zwischen Bruttoausgaben „in Einrichtungen" und „außerhalb von Einrichtungen". Die Sozialhilfe „in Einrichtungen" umfasst die den Hilfeempfängerinnen und Hilfeempfängern in Einrichtungen durch Unterbringung oder durch Betreuung geleistete Hilfe, wenn dabei Vollpflege über Tag und Nacht oder teilstationäre Betreuung gewährt wird. Nachgewiesen werden die Kosten der Pflege beziehungsweise der Betreuung, soweit die Beträge von den Sozialhilfeträgern gezahlt werden.

Nach Auffassung der Landesregierung wird es nicht zu „erheblichen" zusätzlichen Belastungen der Kommunen kommen. Die Umsetzung des Urteils vom 23. Oktober 2002 wird voraussichtlich lediglich zu geringen Einnahmeausfällen führen. Für diese Annahme sprechen insbesondere drei Gründe:

1. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes bezieht sich nur auf den Elternunterhalt. Alle anderen Konstellationen im Rahmen der nicht gesteigerten Unterhaltspflicht (z. B. Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern) sind davon nicht betroffen.

2. Im Rahmen der Einnahmen hat die Einnahmeart „Übergeleitete Unterhaltsansprüche" nur einen Anteil von insgesamt elf Prozent. Die voraussichtlich durch die Rechtsprechung verursachten etwas geringeren Einnahmen bei dem Elternunterhalt dürften sich nur sehr begrenzt auswirken.

3. Die Rechtsprechung hat nahezu keinerlei Auswirkungen auf die Grundsicherung, da in der Grundsicherung Unterhaltsansprüche der Antragsberechtigten gegenüber ihren Kindern nicht berücksichtigt werden, es sei denn, dass das jährliche Gesamteinkommen des Kindes jeweils 100 000 Euro überschreitet.

Zu 6.: Es ist davon auszugehen, dass die Träger der Sozialhilfe die Vorgaben des Bundesgerichtshofes bei der Inanspruchnahme von Kindern berücksichtigen. Der Arbeitskreis „Sozialhilferichtlinien" hat seine Empfehlungen zu § 91 BSHG ebenfalls bereits angepasst. Eine Veröffentlichung der aktualisierten Richtlinien erfolgt mit der nächsten Ergänzungslieferung.

Bei dem derzeit laufenden „Best-practice-Prozess" handelt es sich um eine Sammlung und einen Vergleich überzeugender, innovativer Maßnahmen und Handlungskonzepte der Kommunen als örtliche Träger der Sozialhilfe. Aussagen zur Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes waren in diesem Zusammenhang nicht zu erwarten und sind auch nicht getroffen worden.

Auswirkungen auf die Grundsicherung sind nahezu ausgeschlossen (siehe Antwort zu Fragen 4 und 5).

Zu 7.: Hierzu liegen der Landesregierung keine Angaben vor.