Ungleiche Behandlung bei der Einleitung von Abwässern in Vorflutern

Der Presse war zu entnehmen, dass die SGD gefordert hatte, ungeklärte Abwässer der Ortsgemeinde Bretzenheim (Nahe) in den Vorfluter Gultenbach einzuleiten, während andererseits der Abwasserverband Untere Selz (AVUS) mit Sitz in Ingelheim mit einer hohen Abwasserabgabe belastet wurde, weil in den Vorfluter Selz eingeleitete Abwässer nicht den gewünschten Reinigungsgrad hatten.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Wie stellen sich die beiden Sachverhalte nach ihrer Auffassung dar?

2. Werden hier zur Beurteilung der jeweiligen Situation durch die Aufsichtsbehörden des Landes unterschiedliche Maßstäbe angelegt und gegebenenfalls aus welchen Gründen?

3. Entspricht es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn in einem Falle Aufsichtbehörden des Landes eine großzügige Einleitung von ungeklärten Abwässern in einen Vorfluter anordnen und im anderen Falle bei nicht ganz abweichenden Voraussetzungen die Zahlung einer hohen Abwasserabgabe verlangt wird?

4. Sieht sie die Möglichkeit dazu beizutragen, dass ein laufendes staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren ohne Auflagen eingestellt wird oder soll in diesem Fall das Schuldprinzip des Strafrechts außer Kraft gesetzt werden?

5. Gibt es weitere Fälle von Ungleichbehandlungen bei der Einleitung von Abwässern in einen Vorfluter?

Das Ministerium für Umwelt und Forsten hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 5. Juli 2004 wie folgt beantwortet:

Zu den Fragen 1 und 3: Die Kläranlage Bretzenheim entspricht in ihrer Reinigungsleistung nicht mehr den gesetzlich vorgesehenen Anforderungen und soll daher bis zum 31. Dezember 2005 aufgegeben werden.

Das Abwasser, das bisher der Kläranlage Bretzenheim zugeleitet wird, soll zukünftig in der Kläranlage Langenlonsheim mitbehandelt werden. Die Kläranlage Langenlonsheim ist zu diesem Zweck ebenfalls bis 31. Dezember 2005 nachzurüsten. In der Zwischenzeit wird auf Grund einer von der Struktur- und Genehmigungsdirektion erteilten wasserrechtlichen Erlaubnis das in der Kläranlage Bretzenheim biologisch vorgereinigte Abwasser bei Trockenwetter bereits heute zur Kläranlage Langenlonsheim weitergeleitet.

Da bei einem Zufluss zur Kläranlage Bretzenheim von > 20 l/s und einer Weiterleitung zur Kläranlage Langenlonsheim diese hydraulisch überlastet wäre und nicht mehr die geforderte Reinigungsleistung erbringen würde, sieht die Erlaubnis vor, dass in einem solchen Fall der Ablauf aus der Kläranlage Bretzenheim unmittelbar in den Guldenbach zu erfolgen hat. Es handelt sich daher nicht um die Einleitung ungeklärten Abwassers, sondern um biologisch vorgereinigtes Abwasser.

Mit der bei Trockenwetter erlaubten Zuleitung des vorgereinigten Abwassers aus der Kläranlage Bretzenheim in die Kläranlage Langenlonsheim wird im Vergleich zum unabhängigen Betrieb beider Anlagen insgesamt eine bedeutsame Frachtreduzierung der relevanten Schadstoffparameter erzielt. Die erlaubte Verfahrensweise ist daher aus Gründen des Gewässerschutzes geboten.

Die bei einem Zufluss zur Kläranlage Bretzenheim von > 20 l/s unmittelbar in den Guldenbach eingeleiteten Abwassermengen sind im Betriebstagebuch der Kläranlage Bretzenheim zu dokumentieren. Hierfür ist eine entsprechende Abwasserabgabe zu zahlen.

Hinsichtlich der Kläranlage des Abwasserzweckverbandes Untere Selz (AVUS) wurden bei einer behördlichen Überwachung im Jahre 2000 Überschreitungen der Überwachungswerte festgestellt, ohne dass vorab der oberen Wasserbehörde eine Betriebsstörung gemeldet worden war. Die Messergebnisse dieser Überwachung wurden gemäß den abwasserabgaberechtlichen Bestimmungen bei der Festlegung der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2000 zugrunde gelegt. Der entsprechende Bescheid der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd wurde vom Verwaltungsgericht Mainz bestätigt; das Urteil ist rechtskräftig.

Da es sich hierbei um völlig verschiedene Sachverhalte handelt, können die beiden Fälle nicht miteinander verglichen werden.

Zu den Fragen 2 und 5: Gleich oder ähnlich gelagerte Sachverhalte wurden in der Vergangenheit und werden weiterhin auf Grund gleicher Vorgaben behandelt. Ungleiche Sachverhalte wurden in der Vergangenheit und werden weiterhin entsprechend ihrer Ungleichheit ungleich behandelt.

Zu Frage 4: Bei der Staatsanwaltschaft Mainz ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gewässerverunreinigung in Tateinheit mit unerlaubtem Umgang mit gefährlichen Abfällen und dem unerlaubten Betreiben von Anlagen gegen einen Verantwortlichen des Abwasserzweckverbandes Untere Selz (AVUS) anhängig. Das Ermittlungsverfahren wurde nach Mitteilung des Leitenden Oberstaatsanwalts in Mainz mittlerweile gemäß § 153 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO mit richterlicher Zustimmung vorläufig gegen Zahlung einer Geldbuße von insgesamt 30 000 Euro zugunsten von gemeinnützigen Einrichtungen eingestellt; der Beschuldigte habe dem zugestimmt. Sobald die Bestätigung der begünstigten Einrichtungen vorlägen, werde das Verfahren endgültig gemäß § 153 a Abs. 1 StPO eingestellt.

Das Umweltstrafrecht ist wegen des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung verwaltungsakzessorisch, so dass die Entscheidungen der Verwaltung und der Verwaltungsgerichte auch die strafrechtliche Würdigung beeinflussen. Die Landesregierung sieht im Hinblick auf die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit der Gerichte keine Möglichkeit und auch keinen Anlass, Einfluss auf das strafrechtliche Verfahren zu nehmen.