Hartz

Schaubild 9

Quelle: Schuldnerberatung im Rahmen des Verbraucherinsolvenzverfahrens in Rheinland-Pfalz, Statistik 2002.

Evaluation

Im Jahr 2003 erheben die Beratungskräfte erstmals in fünf verschiedenen Kategorien, welchen Einfluss die Beratungsarbeit auf die wirtschaftliche und persönliche/soziale Lebenssituation der Ratsuchenden hat. Das Anliegen dieses Statistikmoduls „Evaluation" besteht nicht in der Kontrolle der geeigneten Stellen, sondern in einer Bestandsaufnahme, die die besonderen Wirkungen der Intervention „Schuldnerberatung" über den wirtschaftlichen Bereich hinaus darlegen will.

Ausgehend von den durch die Wirksamkeitsstudie der evangelischen Fachhochschule Berlin in Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Berlin nachgewiesenen Einspareffekten gilt es nun im Detail für Rheinland-Pfalz zu erarbeiten, welche Wirkungskraft der Beratungsarbeit zukommt.

Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen

Die Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26. Oktober 2001 hat die Situation überschuldeter Privatpersonen deutlich verbessert. Zuvor war der Zugang zum Verbraucherinsolvenzverfahren gerade mittellosen Schuldnern unmöglich, weil sie nicht in der Lage waren, die Verfahrenskosten aufzubringen. In diesem Fall verlangte das Gesetz die Abweisung des Antrags mangels Masse, sodass diesen Personen auch das Restschuldbefreiungsverfahren verschlossen war. Dementsprechend blieb in diesen Fällen auch der außergerichtliche Einigungsversuch wirkungslos. Es fehlte für die betroffenen Schuldner am entsprechenden Druckmittel gegenüber den Gläubigern. Gerade für die Vielzahl der masselosen Verbraucherinsolvenzen stellte das Gesetz keine Lösung zur Verfügung. Denn die Mehrzahl der Gerichte gewährte auch keine Prozesskostenhilfe für das Verbraucherinsolvenzverfahren.

Seit der Verfahrensreform von 2001 erlaubt der Gesetzgeber mittellosen Privatpersonen eine Kostenstundung, sofern das Erreichen der Restschuldbefreiung nicht aus objektiven Gründen von vornherein ausgeschlossen ist. Seitdem schließt Masselosigkeit den Zugang zum Verbraucherinsolvenzverfahren und zur Restschuldbefreiung nicht mehr aus. Dementsprechend stärkt die Stundungsmöglichkeit auch die Situation der Schuldnerinnen und Schuldner in den außergerichtlichen Verhandlungen mit den Gläubigern.

Gleichzeitig führte sie jedoch zu einem sprunghaften Anstieg der Anträge auf Eröffnung des gerichtlichen Verbraucherinsolvenzverfahrens und der Zahl der masselosen Verfahren.

In einem neuen Reformvorhaben, das als Diskussionsentwurf vorliegt, bemüht sich der Gesetzgeber dagegen um eine Stärkung der außergerichtlichen Einigung. Gleichzeitig soll das Verfahren an einzelnen Punkten vereinfacht und von Hindernissen befreit werden. Generelles Ziel ist es, gerichtliche Verfahren möglichst zu vermeiden und die Mehrzahl der Fälle durch außergerichtlichen Vergleich beizulegen. Der Gesetzgeber beabsichtigt zu diesem Zweck, die Wirkungen der Restschuldbefreiung in einen gerichtlichen Beschluss über die Annahme des Schuldenbereinigungsplanes zu legen. Falls nicht alle Gläubiger dem außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan zustimmen, soll der außergerichtliche Einigungsversuch und Schuldenbereinigungsverfahren in einem eigenen Zustimmungsersetzungsverfahren zusammengefasst werden.

Die Verlagerung des Schwerpunktes auf den außergerichtlichen Bereich lässt erwarten, dass auf die geeigneten Personen oder Stellen, die Schuldner in diesem Verfahrensabschnitt vertreten, eine erhöhte Arbeitsbelastung zukommen wird.

Ausblick Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen tragen seit langem kosteneffizient dazu bei, überschuldete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihrer Motivation zum Erhalt des Arbeitsplatzes zu fördern und arbeitslose Menschen mit existenziellen wirtschaftlichen Problemen bei ihren Bemühungen um die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit zu unterstützen. Die Schuldner- und Insolvenzberatung ist somit zu einem anerkannten Instrument der Armutsbekämpfung und -vermeidung geworden. Es bleibt abzuwarten, ob im Rahmen der Hartz-Reformen in der regionalen und lokalen Umsetzung der Gesetzesvorgaben die professionellen Kompetenzen und der Bedarf der Schuldnerberatung ausreichend berücksichtigt werden.

Die im Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt explizit erwähnte Schuldnerberatung als ergänzende Dienstleistung in Kooperation mit Job-Centern wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Erfahrungen, die in den letzten Jahren in zahlreichen Städten gemacht wurden, Berücksichtigung finden.

12. Extreme Armut in Form verdeckter Armut

Verdeckte Armut in Rheinland-Pfalz Verdeckte Armut ist ein Phänomen, das im Zusammenhang mit allen von Armut bedrohten Personenkreisen zum Tragen kommen kann. Sie liegt bei Personen oder Haushalten vor, deren Einkommen niedriger ist als die Ansprüche auf Sozialhilfe oder Grundsicherung, die aber trotz des bestehenden Rechtsanspruchs diese existenzsichernden Leistungen nicht in Anspruch nehmen.

Das Problem der verdeckten Armut hat entscheidend zur Einführung der bedarfsorientierten Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung geführt. Vorangegangen waren intensive Diskussionen in Wissenschaft und Politik über Art und Ausmaß der verdeckten Armut. Da die verdeckte Armut zum Bereich der Dunkelfeldforschung gehört, waren und sind hier erhebliche Unsicherheiten zu verzeichnen. Vorrangigen Handlungsbedarf sah man aber übereinstimmend bei den Altersarmen. In Rheinland-Pfalz hat sich Professor Dr. Richard Hauser, der auch an der Erstellung des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung beteiligt war, mit der Problematik in der Studie „Gefährdete soziale Lagen in Rheinland-Pfalz" befasst. Die Studie wurde vor Einführung der bedarfsorientierten Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erstellt.

Als Ursachen für verdeckte Armut galten bis zur Einführung der bedarfsorientierten Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung insbesondere die Angst vor Stigmatisierung, Scham oder die Furcht vor dem Rückgriff des Sozialamtes gegenüber unterhaltspflichtigen Angehörigen. Man spricht daher auch oftmals von verschämter Armut. Die Studie umreißt die Gründe für die Nichtinanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen wie folgt:

­ Informationsdefizite auf Seiten der Anspruchsberechtigten,

­ die mit der Bedürftigkeitsprüfung verbundenen bürokratischen Hürden, die insbesondere bei geringen zu erwartenden Aufstockungsbeträgen als zu hoch erscheinen,

­ die Furcht vor Stigmatisierung durch das soziale Umfeld und

­ die Furcht vor der Beeinträchtigung von Familienbeziehungen, sofern zu erwarten ist, dass das Sozialamt Kinder oder Eltern in Regress nimmt.

2) mit Nettovermögen von 2 630 DM bis 15 780 DM pro Kopf.

3) mit Nettovermögen von mehr als 15 780 DM pro Kopf.

4) Sozialhilfebezug umfasst hier Bezieherinnen und Bezieher von HLU und HbL. Da in der EVS auch jene Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger erfasst sind, die während des Jahres nur kurzzeitig Sozialhilfe bezogen haben, liegt diese Zahl höher als die Stichtagszahl der Sozialhilfeempfängerstatistik.

Die Anzahl der verdeckt Armen in Rheinland-Pfalz beläuft sich nach der von Prof. Dr. Richard Hauser vorgenommenen und von ihm als vorsichtig eingestuften Schätzung auf rund 100 000 Personen. Dies bedeutet, dass auf eine Empfängerin beziehungsweise einen Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt schätzungsweise eine Person hinzukommt, die ihren Anspruch auf Sozialhilfe nicht geltend macht.

Ein differenzierteres Bild ergibt sich, wenn man auf verschiedene Haushaltstypen abstellt. Die Studie unterscheidet diesbezüglich zwischen Alleinerziehenden, Paaren mit Kindern und Haushalten mit einem Haushaltsvorstand über 65 Jahre.

Die Inanspruchnahmequote von Sozialhilfeleistungen bei Alleinerziehenden ist laut Hauser relativ hoch, sodass hier auf zwei Sozialhilfe beziehende einkommensarme Alleinerziehende nur eine verdeckt arme Person in einem Allein-Erziehenden-Haushalt kommt.

Bei Paarhaushalten mit Kindern ist die Inanspruchnahmequote demgegenüber niedriger und die verdeckte Armut deutlich höher: auf eine/n Sozialhilfeempfangende/n kommen zwei verdeckt arme Personen. Ebenfalls hoch ist die Quote der verdeckten Armut bei den Haushalten mit einem Haushaltsvorstand über 65 Jahre. Auf eine/n einkommensarme/n Sozialhilfeempfangende/n aus dieser Gruppe entfallen etwa zwei verdeckt Arme.

Mittlerweile hat der Gesetzgeber auf diese Problematik reagiert. Das Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie das ab 1. Januar 2005 in Kraft tretende Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch113) haben für die Personengruppe der dauerhaft voll Erwerbsgeminderten und der über 65-Jährigen den so genannten Unterhaltsrückgriff aufgehoben. Darüber hinaus wurden die Vorschriften über Auskunft und Beratung mit der Zielsetzung überarbeitet, den Betroffenen einen schnellen und unbürokratischen Zugang zu den ihnen zustehenden Leistungen zu ermöglichen.

Erkenntnisse aus der Praxis der Grundsicherungsämter

Die Landesregierung hat im Auftrag der Fraktion der SPD im September 2003 den Stand der praktischen Umsetzung der Grundsicherung in Rheinland-Pfalz im Wege einer Umfrage bei den Kommunen untersucht. 114) Es liegen damit erste Hinweise aus der Praxis vor, die eine vorsichtige Einschätzung des Phänomens verdeckte Altersarmut und der Wirkung des Grundsicherungsgesetzes erlauben.

113) Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch ­ Sozialhilfe ­. 114) Bericht der Landesregierung gegenüber Landtag betr. „Grundsicherung in Rheinland-Pfalz", Antrag der SPD, Vorlage 14/2452.