Die Szene auf der Straße lässt vordergründig ein bindungsloses Leben zu

Außerdem kennt beispielsweise das Bundessozialhilfegesetz eine Reihe von Vorschriften, mit denen Wohnungslosigkeit vorgebeugt wird.

Brüche in der Biographie treffen in Zeiten gesellschaftlichen Wandels und weit verbreiteter Arbeitslosigkeit viele Menschen, ohne massenweise Wohnungslosigkeit auszulösen. Die „biographischen Brüche" müssen also auf individuelle Besonderheiten stoßen, die zur Abkehr vom etablierten Leben und zur teilweisen Selbstaufgabe führen. Solche individuellen Besonderheiten können zum Beispiel psychische Erkrankungen, krankhafter Alkoholismus oder Drogenmissbrauch sein. Eine präzise Ursache-Folgen-Beschreibung ist aber dennoch kaum möglich. Auslösendes Moment kann auch jenseits der Krankheitsbilder die schlichte Flucht vor der persönlichen Verantwortung sein, die sich nur schwer bestimmten Kategorien zuweisen lässt. So sind auf der Straße Menschen anzutreffen, die nach einer Trennung vom Partner vor Unterhaltspflichten fliehen und in der Szene quasi abtauchen. Umgekehrt schaffen Menschen, die aus der totalen Institution der Haft entlassen werden, in der Regel nur mit Anpassungsschwierigkeiten die Rückkehr in das „normale Leben". Auch sie können, ohne psychisch krank, alkoholkrank oder drogenabhängig zu sein, den Weg auf die Straße nehmen.

Die Szene auf der Straße lässt vordergründig ein bindungsloses Leben zu. Freilich ist dafür ein hoher Preis zu zahlen. Ablehnung und Ausgrenzung sind auszuhalten, auch wenn man Rückhalt in der Szene findet. Die Szene selbst birgt Gefahren. Persönlichen Problemen, wie Alkoholismus oder psychische Beeinträchtigungen, kann der Einzelne, der ein bindungsloses Leben führen will, nur schwer begegnen. Vollends lebensgefährlich wird der Zustand unter Umständen, wenn gesundheitliche Vorsorge und Kontrolle unterbleiben.

Finanzielle Situation wohnungsloser Menschen Wohnungslose, die bei Sozialämtern vorstellig werden, erhalten in erster Linie den so genannten Tagessatz. Diese Geldleistung beträgt in der Regel 1/30 vom Regelsatz, welcher als pauschale Leistung dazu dient, laufende Kosten abzudecken. Der Regelsatz für Alleinstehende beträgt in Rheinland-Pfalz (Stand 1. Juli 2003) 296. Der Tagessatz beläuft sich auf 9,87. Wohnungslose haben wie alle Hilfesuchenden Anspruch auf weitere Hilfen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Das gilt insbesondere für die angemessenen Kosten der Unterkunft oder Krankenhilfe. Obwohl das Bundessozialhilfegesetz kein Antragsprinzip kennt, müssen diese Hilfen von den Betroffenen quasi „eingefordert" werden. Die Lebenswirklichkeit in den Sozialämtern ist meist nicht so, dass eventuellen Ansprüchen von Wohnungslosen nachgegangen wird. Der Wille, die eigene Notlage zu überwinden und mit der Behörde entsprechend zusammenzuarbeiten, ist sozialhilferechtlich eine wichtige Voraussetzung für die Gewährung von Hilfen.

Gesundheitliche Situation wohnungsloser Menschen

Der Gesundheitszustand der meisten Wohnungslosen muss als schlecht bezeichnet werden. Es wird geschätzt, dass etwa 90 Prozent der Betroffenen ärztlicher Behandlung bedürfen. Am häufigsten leiden sie an Herz- und Kreislauferkrankungen, an Infektions- und Hautkrankheiten, Folgen von Unfällen und von Alkoholmissbrauch sowie an Zahnerkrankungen. Von den Fachkräften der Wohnungslosenhilfe wird außerdem von zunehmenden psychischen Störungen und Erkrankungen berichtet.

Die Heilung wird erschwert durch einen oftmals geschwächten Allgemeinzustand, geschwächte Abwehrkräfte, falsche Ernährung und mangelnde Hygiene. Fatal kann sich zu später Behandlungsbeginn auswirken.

Zahl und Struktur der Wohnungslosen

Im rheinland-pfälzischen Armutsbericht von 1998 wurde angekündigt, dass die Landesregierung einen Forschungsauftrag vergeben werde, um empirisch gewonnene, verlässliche Zahlen für den Personenkreis, der auf der Straße lebt, zu erhalten. 116) Der Auftrag wurde an das Institut für Sozialpädagogische Forschung erteilt und unter der Projektleitung von Professor Dr. Detlef Baum umgesetzt. Im Wege einer Stichtagserhebung wurde der Versuch unternommen, Zahl und Struktur der Wohnungslosen zu erfassen.

Die Ergebnisse sind in der Studie „Wohnungslose Menschen in Rheinland-Pfalz" 117) veröffentlicht worden. Danach bezogen am Stichtag 18. November 1998 insgesamt 738 wohnungslose Personen als Nichtsesshafte in irgendeiner Form Sozialhilfe, davon waren 67 Frauen (9,1 Prozent) und 671 Männer (90,9 Prozent). Auf der Grundlage der ermittelten 738 Personen nimmt die Studie eine Dunkelzifferschätzung vor. Dabei wurde eine verdeckte Wohnungslosigkeit in Rheinland-Pfalz von 30 Prozent angenommen. Das sind etwa 220 Personen. Die Dunkelziffer liegt damit immer noch unter 1 000 Personen.

116) Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Armut in Rheinland-Pfalz, Bericht 1998, 1998, S. 69.

117) Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Wohnungslose Menschen in Rheinland-Pfalz, 1998, S. 15.

Die Ergebnisse der Studie werden von Land und LIGA unterschiedlich bewertet. Einigkeit bestand aber dahin gehend, dass zur näheren Erforschung des Verhältnisses zwischen dem Bedarf nach Wohnungslosenhilfe und den tatsächlich in Rheinland-Pfalz vorgehaltenen ambulanten und stationären Angeboten eine Folgestudie in Auftrag gegeben werden sollte. Ein entsprechender Auftrag wurde ausgeschrieben, konnte aber mangels Haushaltsmittel nicht vergeben werden. Die LIGA hat darauf hin eine eigene Erhebung zur Anzahl der Wohnungslosen in Rheinland-Pfalz durchgeführt, an der das Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit nicht beteiligt wurde.

Struktur der Wohnungslosenhilfe in Rheinland-Pfalz Extreme Armutsformen wie Wohnungslosigkeit müssen in einem Sozialstaat besondere Aufmerksamkeit finden. In Rheinland-Pfalz gibt es ein breit angelegtes Engagement in der Wohnungslosenhilfe.

Angebotsstruktur

Das Land Rheinland-Pfalz als überörtlicher Träger der Sozialhilfe unterstützt den betroffenen Personenkreis zusammen mit den Kommunen und den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege. Hinzu kommt ein erfreulich hohes Maß an privatem Engagement, das sich in jüngster Zeit vor allem in der Entstehung von „Tafeln" zeigt. Das Land ist als überörtlicher Träger der Sozialhilfe zuständig für einen beträchtlichen Teil der Hilfen für Wohnungslose. Es handelt sich dabei um so genannte Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten in ­ stationärer oder teilstationärer Form (Resozialisierungseinrichtungen) oder

­ ambulanten Hilfen, die dazu dienen, Nichtsesshafte sesshaft zu machen (betreutes Wohnen).

Die Hilfen dienen dazu, die Betroffenen soweit zu stabilisieren, dass sie ein selbständiges Leben in eigenem Wohnraum führen können. Die Einrichtungen befinden sich in Trägerschaft der Freien Wohlfahrtspflege.

Es gibt in Rheinland-Pfalz 14 Resozialisierungseinrichtungen mit 416 Plätzen (414 stationär und zwei teilstationär) und 100 Wohngemeinschaftsplätze an 15 Standorten.

Stationäre und teilstationäre Plätze dienen der Resozialisierung von Hilfesuchenden, die eine besonders intensive Betreuung benötigen. Wohngemeinschaftsplätze sind gedacht für Hilfeempfängerinnen und -empfänger, die über einen höheren Grad an Selbständigkeit verfügen. Die Betreuung erfolgt durch professionelle Fachkräfte (zum Beispiel Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter). Nicht in die Zuständigkeit des Landes fallen die so genannten Übernachtungseinrichtungen.

Diese werden von den Kommunen unterhalten und dienen nicht in erster Linie der Resozialisierung. Es handelt sich um zeitlich begrenzte Übernachtungsmöglichkeiten (drei bis sechs Tage), die aber im Einzelfall Anknüpfungspunkt für weitergehende Hilfen sein können.

Hinsichtlich der in Rheinland-Pfalz existierenden niedrigschwelligen Angebote wie Tee- oder Wärmestuben, Kleiderkammern, Beratungsstellen, betreutes Wohnen und Übernachtungsplätzen wurde vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit im Juni 2003 eine Abfrage durchgeführt. Nach den vorliegenden Antworten werden nachstehende Übernachtungsmöglichkeiten vorgehalten. Dies hemmt die Effektivität der Hilfen. Insbesondere die Weiterentwicklung der Wohnungslosenhilfe nach dem auch in anderen sozialen Bereichen geltenden Grundsatz „ambulant vor stationär" könnte bei einer Zuständigkeitsbündelung erleichtert werden. Schnittstellenproblematiken können letztlich aber nur durch gesetzgeberische Maßnahmen beseitigt werden. Dies ist mit der Umsetzung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in ein entsprechendes Ausführungsgesetz des Landes vorgesehen.

Angebote für wohnungslose Frauen

Die Wohnungslosenhilfe wird in Rheinland-Pfalz hauptsächlich von professionellen Kräften getragen. Der Bericht erlaubt keinen abschließenden oder vollständigen Überblick über alle Angebote. Beispielhaft kann jedoch auf die Struktur der Wohnungslosenhilfe für Frauen verwiesen werden. Frauen sind zwar deutlich seltener von sichtbarer Wohnungslosigkeit betroffen als Männer. Das Angebot für Frauen zeigt aber anschaulich, wie professionelle Hilfe für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten funktioniert. Es wird daher für den zum Personenkreis des § 72 des Bundessozialhilfegesetzes zählenden Personenkreis in diesem Bericht exemplarisch dargestellt.

In Rheinland-Pfalz existieren in der Wohnungslosenhilfe nachfolgende Einrichtungen, die speziell für Frauen konzipierte Angebote vorhalten: Tabelle 33

Anzahl der Übernachtungs- und Resozialisierungsplätze für Frauen in Rheinland-Pfalz Haus Maria Goretti, Trier 22 Plätze (vollstationär) angegliedert „Haltepunkt" 2 Plätze (teilstationär), das heißt Notunterkunft gekoppelt mit Tagestreff „Wendepunkt", Mainz 15 Resozialisierungsplätze (vollstationär) 2 Betten in der Notunterkunft Cafe Bunt, Bad Kreuznach 2 Betten (Notunterkunft) 6 Betten (stationär) Entscheidend ist die Kombination verschiedenartiger Angebote. Sie ermöglicht in hohem Maße passgenaue Hilfen. Im Haus Maria Goretti werden beispielsweise 22 stationäre Resozialisierungsplätze für wohnungslose Frauen vorgehalten. Das angeschlossene Angebot des Haltepunkt in Trier umfasst einen Tagestreff mit Übernachtungsmöglichkeiten für wohnungslose Frauen oder von Wohnungslosigkeit bedrohte. Zu den Aufgaben der dort beschäftigten Fachkräfte zählen die Vermittlung an andere Einrichtungen und Hilfen, wie zum Beispiel Krisenintervention vor oder nach einer psychiatrischen Unterbringung, Kontakt zu Suchtberatungsstelle und Ärzten, Begleitung zu Behörden oder die vorrangige Suche nach einer Wohnung.

Angeboten werden außerdem Hilfen, die niedrigschwellig sind und gerade in akuten Notfällen wirksame Unterstützung bieten.

Hierzu zählen zum Beispiel eine Postadresse, Aufenthaltsmöglichkeiten, Möglichkeiten zum Wäschewaschen und Duschen, Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sowie spezielle Beschäftigungsangebote. Hinzu kommt mit Hilfe von Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds die Qualifizierungsmaßnahme „Frauenwerkstatt", die für jeweils ein halbes Jahr durchgeführt wird. Hier wird vier Stunden täglich praktisch-theoretischer Unterricht gegeben, beispielsweise in Mathematik, PC-Handhabung, Hauswirtschaft oder Bewerbungstraining. Anschließend wird eine Umschulung über die Arbeitsverwaltung oder auch die Vermittlung auf den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt ermöglicht.

Das Cafe Bunt in Bad Kreuznach umfasst eine Tagesaufenthaltsstätte, eine Notunterkunft und eine Beratungsstelle für Frauen in Not. In der Beratungsstelle werden Probleme von Wohnungslosigkeit oder drohender Wohnungslosigkeit aufgegriffen, wie zum Beispiel Zwangsräumungen oder häusliche Gewalt. Ergänzend bietet die kreuznacher diakonie seit 1990 ein stationäres Hilfeangebot nach § 72 des Bundessozialhilfegesetzes an. Dieses umfasst eine Wohngruppe mit sechs Plätzen (ausschließlich Frauen, bei Bedarf auch mit Kindern).

Einen Eindruck von der Nachfrage vermitteln folgende Zahlen: Der Tagesaufenthalt wurde im Jahr 2002 von mehr als 4 000 Besucherinnen aufgesucht. Die Notunterkunft, die in 2002 über zwei Betten und bei Bedarf über Ergänzungsmöglichkeiten durch Matratzen verfügt, zählte 746 Übernachtungen durch insgesamt 130 bis 150 Frauen. Darunter waren 216 Übernachtungen mit Kindern.

Auch der „Wendepunkt" in Mainz umfasst mit Tagesaufenthalt, Notübernachtung, Beratung und Resozialisierung vielseitige und kombinierte Angebote. Der Tagesaufenthalt bietet Aufenthalts- und Kontaktmöglichkeit, Raum zum Ausruhen, soziale Beratung und unterstützende Hilfeangebote. Hinzu kommen Gruppenangebote in Form von Informationsveranstaltungen, Kursen oder Freizeitangeboten. Die Notübernachtung besteht aus einem Zwei-Bett-Zimmer und zwei Einzelzimmer. Jährlich werden circa 1 000

Übernachtungen von 170 bis 180 Frauen gezählt. Der Verbleib ist bis zu sechs Tagen möglich. Kurzfristige Aufnahmen können bei Tag und Nacht erfolgen. Neben der Erstversorgung ist ein längerer Verbleib möglich.

Die beratende Unterstützung umfasst nicht nur persönlichen Kontakt und Information. Sie reicht weiter und beinhaltet beispielsweise Einzelfallhilfen in folgenden Formen: Unterstützung beim Schriftwechsel mit Behörden, Hilfestellung zur Entschuldung, Postanschrift, präventive Hilfestellungen, Vermittlung in Wohnung oder Weitervermittlung an andere Einrichtungen und Vermittlung in Ausbildung oder Schule. Die kombinierten Angebote erlauben ebenso Soforthilfe wie mittel- und langfristig angelegte Hilfen. Für länger angelegte Hilfen stehen die Angebote zur Resozialisierung mit 15 Einzelzimmern in Wohngruppen zur Verfügung.