Ausdehnung der Jagd auf seltene Gänsearten

Einer Presseerklärung des Umweltministeriums vom 3. Dezember 2004 war zu entnehmen, dass die Landesregierung den Vorsatz habe, Grau- und Kanadagänse zur Bejagung freizugeben, weil es regional begrenzt zu einzelnen Schadensereignissen gekommen sein soll. Gegen eine Bejagung haben sich alle anerkannten Naturschutzverbände sowie der ökologische Jagdverband und der Tierschutzbeirat des Landes mit Entschiedenheit ausgesprochen. Sie haben darauf hingewiesen, dass selbst unter Berücksichtigung der größe ren Winterpopulationen von 2 000 bis 2 500 Tieren aufgrund von Wintergästen aus anderen Gebieten die Belastung gering sei und lediglich lokal auftrete. Eine Bejagung schädige einerseits den Bestand der Herkunftsregionen, andererseits werde der heimische Bestand von ca. 90 Brutpaaren gefährdet und die zurückliegenden Wiederansiedlungsbemühungen zunichte gemacht. Eine landesweite Bejagung sei aufgrund der Verwechslungsgefahr eine Bedrohung anderer Arten. Schließlich sei wegen der Jagd mit Schrot mit einer hohen Zahl von schwer verletzten Tieren zu rechnen, die qualvoll an den Folgen verenden. Die Bejagung sei zur Bestandregulierung weder erforderlich noch geeignet und könne aufgrund der fehlenden Verwertung der Tiere nicht gerechtfertigt werden.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung über die einzelnen Populationen von Grau- und Kanadagänsen vor, die regelmäßig in den vergangenen fünf Jahren in Rheinland-Pfalz beobachtet wurden (bitte nach Ort, Jahr und Populationsstärke diffe renzieren)?

2. Welche Informationen liegen der Landesregierung über die nachweislich durch Grau- oder Kanadagänse verursachten Schäden vor (bitte nach Jahr, Kreis und Schadensart unter Angabe der Anzahl der Schadensmeldungen sowie des jeweiligen nachgewiesenen Schadensumfangs differenzieren)?

3. Welche Vergrämungsmaßnahmen wurden zur Schadensabwehr ergriffen?

4. In wie vielen und welchen Fällen hätte das Schadensereignis die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Tötung von geschützten Arten nach § 43 Abs. 8 Nr.1 BNatSchG gerechtfertigt?

5. In wie vielen Fällen wurden Anträge auf Ausnahmegenehmigungen nach BNatSchG gestellt und wie wurde mit diesen Anträ gen verfahren?

6. Welche Empfehlungen wurden von den an der Gesprächsrunde im Umweltministerium beteiligten Verbänden bzw. staatlichen Stellen im Einzelnen abgegeben?

Das Ministerium für Umwelt und Forsten hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 27. Januar 2005 wie folgt beantwortet:

Vorbemerkung:

Die Überschrift der Kleinen Anfrage ist irreführend. Bei den in Frage kommenden Wildgänsen handelt es sich um Grau- (Anser anser) und Kanadagänse (Branta canadensis), also nicht um seltene Gänsearten. Auch kann nicht von einer Ausdehnung der Jagd gesprochen werden, weil lediglich die in Rheinland-Pfalz seit 1977 grundsätzlich bestehende ganzjährige Schonzeit für beide Arten aufgehoben wird, sodass die bundesrechtlich festgelegten Jagdzeiten auch in Rheinland-Pfalz Gültigkeit haben.

Beide Gänsearten fallen unter die Richtlinie 79/409/EWG des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (EG-Vogelschutzrichtlinie).

Gemäß Artikel 7 Abs. 2 EG-Vogelschutzrichtlinie dürfen die in Anhang II Teil 1 aufgeführten Arten in dem geografischen Meeresund Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, bejagt werden. In Anhang II Teil 1 ist sowohl die Graugans (Anser anser) als auch die Kanadagans (Branta canadensis) aufgeführt.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) gehören die Wildgänse (Gattungen Anser BRISSONund Branta SCOPOLI) zu den Tierarten, die dem Jagdrecht unterliegen. Sowohl für Graugänse als auch für Kanadagänse ist nach der (Bundes-)Verordnung über die Jagdzeiten eine Jagdzeit festgesetzt worden, und zwar für Graugänse vom 1. August bis 31. August und vom 1. November bis 15. Januar und für Kanadagänse vom 1. November bis 15. Januar.

Von der Möglichkeit Jagdzeiten aufzuheben (§ 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG) hat Rheinland-Pfalz bezüglich der Grau- und Kanadagänse bereits 1977 Gebrauch gemacht. Grund war das damals geringe Vorkommen infolge von Aussetzungen. Inzwischen sind die Populationen regional stark angewachsen, was zu teils erheblichen Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen (Fraß-, Tritt- und Kotschäden sowie zu Beschädigungen an Abdeckfolien) und zu Gewässer- und Uferverunreinigungen (Liegewiesen) an Badeseen und Freibadanlagen führt.

Von Amts wegen oder auf Antrag kann die untere Jagdbehörde nach Anhörung der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland im Einzelfall Ausnahmen von der ganzjährigen Schonzeit von Grau- und Kanadagänsen zulassen. Aufgrund dieser Ausnahmeregelung und von Anordnungen der unteren Jagdbehörden gem. § 27 BJagdG wurden in den vergangenen Jahren regelmäßig bis zu 185 Grau- und Kanadagänse jährlich erlegt. Dieses Verfahren hat sich als sehr verwaltungsaufwändig gezeigt.

Dies vorausgeschickt,beantworte ich die Kleine Anfrage2188 des Abgeordneten Dr.Braun (BÜNDNIS90/DIEGRÜNEN) namens der Landesregierung wie folgt:

Zu den Fragen 1 bis 3: Die für Deutschland relevanten nordwesteuropäischen Populationen der Graugans haben seit drei Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen. Mitte der siebziger Jahre wurden im nordwesteuropäischen Einzugsbereich rund 30 000 Vögel registriert; heute sind es über 400 000.

Die nordamerikanische Kanadagans wurde im vorigen Jahrhundert vor allem in skandinavischen Ländern angesiedelt. Sie hat sich seither stark vermehrt und ausgebreitet. Derzeit überwintern etwa 20 000 Vögel in Deutschland. Inzwischen gibt es hier eine Vielzahl kleinerer Brutpopulationen mit wachsender Tendenz.

Eine komplette Aufstellung der Bestände und Brutorte aus den letzten fünf Jahren liegt der Landesregierung nicht vor.

Nach Angabe des Landesamtes für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht ergibt sich in Rheinland-Pfalz für die vergangenen fünf Jahre folgendes Bild:

­ Graugänse

­ Winterbestand ca. 2 500 Tiere;

­ angesiedelt vor allem im Engerser Feld/Urmitzer Werth, Rheinhessische Rheininseln, Mortkaute Dietersheim, Laubenheimer Ried, Selztal bei Hahnheim, Eich-Gimbsheimer Altrhein, Bobenheim-Roxheim (wenige), Ludwigshafen (wenige).

­ Kanadagänse

­ Winterbestand ca. 600 Tiere;

­ angesiedelt vor allem in Ludwigshafen, Speyer, Germersheim und Neuburg.

Das Ergebnis einer aktuellen Umfrage bei den betroffenen Kreis- und Stadtverwaltungen ist aus der Anlage ersichtlich. Hierin sind insbesondere Angaben über die Höhe der Populationen, die Hauptschadenszeit, den Schadensumfang, anderweitige Beeinträchtigungen sowie sonstige Angaben enthalten.

Dabei zeigt sich auch, dass die Schäden wesentlich durch die starke räumliche Konzentration der Populationen in den Regionen „Engerser Feld/Urmitzer Werth", „Ingelheimer Rheinebene" und „Oberrhein von Frankenthal bis Speyer" verursacht werden.

Zu den Fragen 4 und 5: Nach § 39 Abs. 2 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatschG) sind die Bestimmungen des BNatschG im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) handelt es sich bei den Grau- und Kanadagänsen um Tierarten, die dem Jagdrecht unterliegen. Auch darüber hinaus ist § 43 Abs. 8 BNatschG nicht einschlägig.

Die Landespflegeverwaltung hatte somit keine Ausnahmegenehmigungen im Sinne des § 43 Abs. 8 BNatschG zu erteilen.

Zu Frage 6: Am 5. Juli 2004 fand auf gemeinsame Initiative des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau und des Ministeriums für Umwelt und Forsten ein Besprechung zu dem Themenkomplex „Wildschäden/Bekämpfung der Schweinepest" statt. Neben Angehörigen der beiden beteiligten Ministerien haben daranVertreter des Bauern- und Winzerverbandes RheinlandNassau e.V., des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd e.V., der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz, des Landesjagdverbandes Rheinland-Pfalz e.V., des Ökologischen Jagdverbandes Rheinland-Pfalz e.V.,des Landesverbandes der Berufsjäger Rheinland-Pfalz e.V., der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, des Gemeinde- und Städtebundes Rheinland-Pfalz sowie der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd teilgenommen.

Einvernehmlich kam man zu dem Ergebnis, dass gegen die Übernahme der bundesrechtlich bestehenden Jagdzeiten für die beiden Gänsearten in Rheinland-Pfalz keine Bedenken bestehen.