Rückzug des Jugendhilfezentrums Bernardshof aus dem Kreis der Bewerber

Das Jugendhilfezentrum Bernardshof hatte von seinem Angebot in der Folgezeit Abstand genommen. Einer der Gründe hierfür war, dass durch die Einrichtung des Projekts eine Personallücke in anderen Gruppen des Jugendhilfezentrums entstanden wäre, aus denen das Personal für das Projekt hätte abgezogen werden müssen. Eine Rolle hatte dabei auch gespielt, dass die Heimleiterin, die Zeugin Frau Freisberg, davon ausgegangen war, dass lediglich drei Plätze eingerichtet werden sollen, die nach ihrer Kalkulation jedoch den selben personellen und finanziellen Aufwand erfordert hätten wie die späteren sechs. Weiteres Motiv für das Abstandnehmen von dem Projekt war, dass die Zeugin Frau Freisberg aus dem Verlauf der Besichtigung den Eindruck gewonnen hatte, als sei die ursprüngliche Debatte zwischen Justiz und Jugendhilfe noch nicht überwunden. Vor allem im Hinblick auf die während der Begehung dargestellten Standards der Entweichungssicherung in Gestalt von Vergitterungen und eigener Nasszellen hatte es für die Zeugin Frau Freisberg an notwendiger Abstimmung gefehlt. Auch um nicht in einen von ihr befürchteten Konflikt zwischen den Ministerien zu geraten, hatte sie das Angebot zurückgezogen.

Über den Rückzug des Jugendhilfezentrums Bernardshof aus dem Kreis der sich bewerbenden Einrichtungen hatte die Zeugin Frau Porr die Zeugin Frau Strohkendl am 26. Mai 2003 unterrichtet.

4. Entscheidungsvorschlag der Fachebenen

Die im Rahmen der Heimbegehungen gewonnenen Erkenntnisse wurden am 16. Juni 2003 von den Zeuginnen Frau Porr und Frau Strohkendl sowie Frau Krückels und Frau Eisele gemeinsam ausgewertet. Im Rahmen dieses Gesprächs hatte die Zeugin Frau Porr mitgeteilt, dass das Jugendhilfezentrum Don Bosco eine Vergitterung an den Fenstern nicht akzeptieren könne, da nach außen die Geschlossenheit der Gruppe nicht sichtbar gemacht werden solle.

a) Unvereinbarkeit von Gittern mit der Konzeption des Jugendhilfezentrums Don Bosco

Die Heimleiterin des Jugendhilfezentrums Don Bosco, die Zeugin Frau Schmitz, hatte die von dem Zeugen Holitzner bei der Besichtigung angeregten baulichen Sicherungen, insbesondere die Vergitterungen der Fenster, mit einem offenen Konzept, wie es von dem Träger vertreten wird, für nicht vereinbar gehalten. In der Zeit nach der Heimbesichtigung hatte sie der Zeugin Frau Porr mitgeteilt, dass vor dem Hintergrund zu vergitternder Fenster kein Interesse mehr an der Durchführung des Projekts besteht.

Die Zeugin Frau Strohkendl hielt auf Bitten der Zeugin Frau Porr im Anschluss an die erfolgte Auswertung Rücksprache bei dem Zeugen Holitzner, der die Anbringung von Gittern während den Heimbegehungen thematisiert hatte. Nach seiner der Zeugin Frau Strohkendl gegebenen Auskunft sind Vergitterungen generell vorzugswürdig, insbesondere im Hinblick auf die nicht oder kaum gegebenen Lüftungsmöglichkeiten bei sicherheitsverglasten Fenstern, die den Einbau zusätzlicher Lüftungsmöglichkeiten erforderlich machen. Ungeachtet dessen veranschlagte der Zeuge die Widerstandsfähigkeit von Gittern und Sicherheitsglas in seiner Vernehmung als etwa gleich. Von der Hinzuziehung eines Sachverständigen zur Ermittlung technischer Belüftungsmöglichkeiten hatte der Zeuge Holitzner im Hinblick auf seinen eigenen Sachverstand und vor dem Hintergrund vorhandener Erfahrungen mit den Lüftungsschwierigkeiten bei sicherheitsverglasten Fenster abgesehen.

In dem sich anschließenden Telefonat hatte die Zeugin Frau Strohkendl die Zeugin Frau Porr über die Einschätzung des Zeugen Holitzner unterrichtet und dabei zugleich die Befürchtung geäußert, dass das Jugendhilfezentrum Don Bosco das Konzept eines baulich entweichungssicheren Heims im Ergebnis möglicherweise nicht oder nur eingeschränkt mittragen würde, was sie auf die ablehnende Haltung der Einrichtung hinsichtlich des Einbaus der Gitter und die dazu gegebene Begründung gestützt hatte, nämlich dass die Geschlossenheit nach außen nicht sichtbar werden soll.

In Vorbereitung der auf Staatssekretärsebene zu treffenden Entscheidung über den Träger hatten die jeweiligen Fachabteilungen des Sozial- und Justizministeriums eine Bewertung für die Jugendheime vorgenommen, in die unter Berücksichtigung der in der Rahmenkonzeption vorgegebenen Beurteilungskriterien folgende Erwägungen eingestellt waren:

b) Beurteilungskriterien und Erwägungen der Fachabteilung des Sozialministeriums

Die Bewertung, ob die nach Maßgabe des Rahmenkonzepts erforderliche Erfahrenheit des Trägers auch im Hinblick auf die konkret zur Auswahl stehenden Einrichtungen vorlag, hatte das Sozialministerium vorgenommen und ist von Seiten der Fachabteilung durch den Zeugen Glöckner und die Zeugin Frau Porr in Abstimmung mit den Zeuginnen Frau Eisele und Frau Krückels wahrgenommen worden.

aa) Erfahrenheit der jeweiligen Einrichtungen

An einschlägigen Kenntnissen sind für das Jugendheim Mühlkopf verbucht worden, dass es als einzige Einrichtung in Rheinland-Pfalz über langjährige Erfahrungen in der geschlossenen Unterbringung Jugendlicher nach §1631 b des Bürgerlichen Gesetzbuchs verfügt und auch im Kontext der ­ offenen ­ Untersuchungshaftvermeidung Jugendlicher bereits tätig gewesen war. Auch das Jugendhilfezentrum Don Bosco hatte einschlägige Erfahrungen in der Betreuung offen untergebrachter Jugendlicher vorweisen können und als einzige Einrichtung insbesondere auch Erfahrung mit der Unterbringung jugendlicher Sexualstraftäter.

bb) Besondere Vorkommnisse innerhalb des Jugendheims Mühlkopf Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit des Jugendheims Mühlkopf hatten innerhalb des Sozialministeriums nicht bestanden. Etwaige Versäumnisse des Trägers des Jugendheims Mühlkopf, die in einem Vermerk vom 28. Juni 1996 anlässlich einer Besichtigung durch den Staatssekretär im Ministerium für Kultur, Jugend, Familie und Frauen aufgeführt sind, hatten keine Rolle gespielt und wären der Aussage des Zeugen Dr. Auernheimer zufolge als vorübergehende Feststellung angesichts der Reputation des Trägers im Jahr 2003 auch nicht von ausschlaggebender Bedeutung gewesen. Auch externe Sachverständige wie der Kriminalhauptkommissar Reuther beim Polizeipräsidium Köln haben bekundet, einen positiven Eindruck von der Einrichtung in Rodalben aufgrund eigener Erfahrungen und Anschauungen vor Ort gewonnen zu haben.

Von anderen Vorfällen oder besonderen Vorkommnissen innerhalb des Jugendheims Mühlkopf hatte das Sozialministerium keine Kenntnis.

(1) Polizeiliche Strichliste:

Im Dezember 2004 wurde anlässlich einer Sitzung des Rechtsausschusses durch Berichterstattung des Ministers der Justiz bekannt, dass die Polizeidirektion Pirmasens eine Strichliste führt, die für tatverdächtige Jugendliche oder Heranwachsende aus dem Jugendheim Mühlkopf für die Jahre 2001 bis 2003 insgesamt 121 und für 2004 weitere 21 Vorfälle aufweist. Bei weiterer zeitlicher Differenzierung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Träger werden für das Jugendheim Mühlkopf ungefähr 100 Vorfälle in der Strichliste ausgewiesen, die unterschiedliche strafrechtliche Sachverhalte betreffen und zur Hälfte Vergehen der Bedrohung, einfache und gefährliche Körperverletzung und zur anderen Hälfte Vergehen der Sachbeschädigung und des Diebstahl ausweisen. Ein Täter kann dabei auch mehrfach in die Strichliste aufgenommen worden sein.

Nach Aussage des Dienststellenleiters der für die Gemeinde Rodalben zuständigen Polizeiinspektion, dem Zeugen Becker, sind hingegen im Jahr 2001 vier, im Jahr 2002 20 und im Jahr 2003 acht Straftaten polizeilich erfasst worden, in denen der Täterkreis dem Jugendheim Mühlkopf zuzuordnen gewesen war. Unter diesen insgesamt 32 Straftaten der Jahre 2001 bis 2003 befanden sich acht gefährliche Körperverletzungen, zwei Bedrohungen und eine Freiheitsberaubung. Bei den übrigen Straftaten handelte es sich im Schwerpunkt der Aussage des Zeugen Becker zufolge um Körperverletzungen mittlerer Erheblichkeit. Die polizeiliche Registrierung dieser von dem Zeugen Becker mitgeteilten Straftaten gibt keine Auskunft über die Geschädigten, insbesondere auch nicht darüber, ob es sich um Übergriffe gegen das Heimpersonal oder innerhalb der untergebrachten Kinder und Jugendlichen gehandelt hat. Unabhängig von diesen polizeilichen Erfassungssystemen und Statistiken führen die Jugendsachbearbeiter der Polizei für eigene Zwecke Arbeitsstatistiken, so genannte Strichlisten, die nach Aussage des Zeugen Becker jedoch nicht repräsentativ sind. Der Zeuge Becker bekundete weiter, dass die Gemeinde Rodalben mit dem Jugendheim Mühlkopf in seiner Dienstzeit seit 1998 als polizeilicher Kriminalitätsschwerpunkt bislang nicht in Erscheinung getreten ist.

Der Zeuge Teufel, der damalige Leiter des Jugendheims Mühlkopf, gab an, dass es sich bei den in der polizeilichen Strichliste ausgewiesenen Vorfällen weitgehend um Bagatellfälle gehandelt habe.

Vor dem Hintergrund der zwischen Jugendheimen, Landesjugendamt und Sozialministerium vorhandenen Informationsstruktur war von der Fachabteilung des Sozialministeriums kein Anlass für eine darüber hinausgehende Informationsbeschaffung gesehen worden.

(2) Informationsstruktur zwischen Jugendheim, Landesjugendamt und Sozialministerium:

Nach dem vorhandenen Informationsmechanismus werden besondere Vorkommnisse in Jugendheimen von diesen dem Landesjugendamt gemeldet, das seinerseits das Sozialministerium unterrichtet. Unter welchen Voraussetzungen ein Vorfall seitens eines Jugendheims an das Landesjugendamt zu melden ist, liegt ­ mit Ausnahme von schweren Kindeswohlbeeinträchtigungen und den Zweck der Einrichtung betreffenden Vorfällen, deren Mitteilungspflichtigkeit in der Betriebserlaubnis bestimmt ist ­ weitgehend im Ermessens- und Beurteilungsspielraum der jeweiligen Einrichtung selbst. Über die genannten Fälle hinaus sind Art und Umfang meldepflichtiger Ereignisse durch Vorgaben auch nicht konkretisiert, nicht zuletzt auch angesichts der relativen Offenheit des Begriffs des „besonderen Vorkommnisses" in der Jugendhilfe. Ungeachtet dessen hat sich in der Praxis eine Übung entwickelt, nach der jedenfalls über solche Vorfälle berichtet wird, die in ihrer Bedeutsamund Erheblichkeit über Routinevorkommnisse hinausgehen. Auch im Verhältnis zum Sozialministerium liegt es weitgehend in der Einschätzungsprärogative des Landesjugendamts, welche der an sie gemeldeten Vorkommnisse weitergeben werden.

Dem Sozialministerium waren in der Zeit zwischen 2001 und 2003 keine besonderen Vorkommnisse durch das Landesjugendamt gemeldet oder sonst bekannt geworden, die in der Wahrnehmung der Fachebene geeignet gewesen wären, die Erfahrenheit und Zuverlässigkeit des Jugendheims Mühlkopf zu bezweifeln. Das Jugendheim Mühlkopf hatte dem Landesjugendamt im Jahr 2001 lediglich einen tätlichen Angriff auf einen Erzieher gemeldet, der durch einen Zwölfjährigen verübt worden war. Für die folgenden Jahre bis 2003 waren nach Aussage der Zeugin Frau Eisele keine Meldungen an das Landesjugendamt erfolgt, die im Zusammenhang mit körperlichen Übergriffen gestanden hatten.

(3) Aussagekraft polizeilicher Strichlisten:

Darüber hinaus ist von den vernommenen Zeugen die Aussagekraft polizeilich geführter Strichlisten als Indikator für die fachliche Qualität der Einrichtung verneint worden.

Die Zeugin Frau Dreyer wies darauf hin, dass die in der Strichliste gezählten Vorfälle im Kontext zu Zielgruppe und Aufgabenstellung heimerziehender Einrichtungen betrachtet werden müssten. Bei den in Erziehungsheimen untergebrachten Jugendlichen handele es sich um problembehaftete und delinquente Jugendliche, die in nicht unerheblichem Umfang auch strafrechtlich bereits in Erscheinung getreten seien. Vor diesem Hintergrund komme es in Einrichtungen der Jugendhilfe stets zu Vorfällen, die jedoch auch Ausdruck der Schwererziehbarkeit der Kinder und Jugendlichen sei und der in den Jugendheimen begegnet werde. Insoweit sei ­ so die Zeugin Frau Dreyer ­ die für das Jugendheim Mühlkopf von der Polizei geführte Strichliste mit den in ihr aufgeführten Vorfällen, verglichen mit anderen Einrichtungen der Jugendhilfe in Rheinland-Pfalz, auch nicht als auffällig zu kennzeichnen.