Arbeitsamt

Empfehlungen des Landesjugendamts

Das Landesjugendamt hatte gegenüber dem Zeugen Teufel angesichts der mit dem Projekt erfassten Zielgruppe die Empfehlung ausgesprochen, erfahrenes Personal überwiegend aus den bereits im Jugendheim vorhandenen Einrichtungen zu rekrutieren 547). In diesem Sinn sollte der Aussage der Zeugin Frau Krückels zufolge auch die Leistungsbeschreibung zu verstehen sein, soweit diese davon spricht, dass die Mitarbeiter über „teilweise" langjährige Erfahrungen im geschlossenen Bereich verfügen548). Auf die Erfahrenheit des Personals war von Seiten des Landesjugendamts insbesondere auch deswegen Wert gelegt worden, weil die neu installierte Untersuchungshaftvermeidungsgruppe noch eines struktur- und formgebenden Rahmens bedurfte, der sich auch an der besonderen Zielgruppe des Angebots orientieren und auf vermittelte Erfahrungen mit einem vergleichbaren Personenkreis aufbauen musste 549). Gegenstand der durch das Landesjugendamt wahrgenommenen Beratung war vor diesem Hintergrund auch die Vermittlung der fachlichen Unterschiede zwischen der Unterbringung zur Vermeidung von Untersuchungshaft einerseits und der Unterbringung nach §1631b des Bürgerlichen Gesetzbuchs andererseits, insbesondere auch im Hinblick auf die Zielsetzung der Untersuchungshaftvermeidung, bei welcher nicht der Aufbau eines persönlichen Verhältnisses als Grundlage der Erziehung, sondern die Vorbereitung des Jugendlichen auf die Hauptverhandlung im Vordergrund steht 550). Entscheidende Kriterien nicht zuletzt auch für das pädagogische Konzept waren insoweit die Personalausstattung und die Personalqualifizierung sowie die Alltagsstrukturierung 551) .

Aus Sicht des Landesjugendamts hatte generell nichts dagegen gesprochen, auch jüngeres und weniger erfahrenes Personal einzusetzen, soweit neben fachlicher Eignung auch das Persönlichkeitsprofil den spezifischen Anforderungen des Aufgabengebiets entsprach und gleichzeitig erfahrenes Personal in ausreichendem Umfang vorhanden ist, das in Art und Weise der Aufgabenerfüllung anleitet 552). Die Persönlichkeitsstruktur kann allerdings, worauf die Zeugin Frau Eisele in ihrer Vernehmung hingewiesen hat, nur im Einzelfall und auch nur von dem Träger in Wahrnehmung der ihm obliegenden Fachund Dienstaufsicht beurteilt werden553).

Die von Seiten der Einrichtung zur Personalrekrutierung vorgenommenen Stellenaus- und -beschreibungen für die Gruppenerzieher des Projekts waren dem Landesjugendamt nicht bekannt, da in der Beratung zum Zeitpunkt der Stellenausschreibungen zunächst der Stellenschlüssel und noch nicht die inhaltliche Aufgabenbeschreibung im Vordergrund gestanden hatte 554).

c) Von der Einrichtung eingestelltes Personal

Das für das Projekt von Seiten des Zeugen Teufel eingestellte Personal stellte sich nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme bis zum 18. November 2003 wie folgt dar:

Die Zeugin Frau Burkhart war als Erzieherin seit 1. November 2003 in der Untersuchungshaftvermeidungsgruppe eingesetzt. Zuvor hatte sie für vier Jahre in einer offenen Einrichtung teilweise auch mit schwer erziehbaren Kindern und Jugendlichen gearbeitet 555).

Der Zeuge Schady war in der Zeit vom 3. Oktober bis zu der von ihm ausgesprochenen Kündigung zum 31. Oktober 2003 in der Einrichtung beschäftigt 556). Zuvor war er vorübergehend arbeitslos, nachdem Fördermittel für eine Bildungseinrichtung, bei der er Berufsvorbereitungslehrgänge für Jugendliche abgehalten hatte, eingestellt wurden. Nach der Kündigung seiner Stelle im Jugendheim Mühlkopf wurde er im unmittelbaren Anschluss wieder von seinem vorhergehenden Arbeitgeber beschäftigt 557). Von dem Arbeitsplatz im Jugendheim Mühlkopf erfuhr der Zeuge Schady durch das Arbeitsamt 558).

Das von dem Zeugen Teufel mit dem Zeugen Schady geführte Vorstellungsgespräch hatte nicht länger als 20 Minuten gedauert 559).

Eine Ausbildung in einer Justizvollzugsanstalt brach er nach einem Jahr ab und arbeitete zunächst in seinem ursprünglich gelernten Beruf als Kraftfahrzeug-Mechaniker weiter 560). Nach absolviertem Studium der Sozialpädagogik war er sieben Jahre bei einer Stadtverwaltung überwiegend im Jugendamt beschäftigt. Von dort wechselte er zu einer Bildungseinrichtung für Jugendliche, bei dem es wegen zeitlich befristeten Fördermitteln immer wieder zu beschäftigungslosen Zeiträumen von jeweils zwei Monaten im Jahr kam. Inzwischen ist der Zeuge Schady in einer Verbandsgemeinde als Jugendhelfer angestellt 561).

Als Grund für die Kündigung seiner Stelle im Jugendheim Mühlkopf gab er an, er habe sich in der Einrichtung nicht wohl gefühlt, einerseits wegen des Konzepts als solchem, das ihm allzu reglementiert wie durchstrukturiert schien und auch kaum Freiräume für pädagogische Arbeit eröffnet habe, andererseits wegen der aus seiner Sicht mangelnden Kritikfähigkeit und Aufnahmebereitschaft der Zeugen Teufel und Vocke 562).

Die Zeugin Frau Griebel war als Ergotherapeutin halbtags in der Untersuchungshaftvermeidungsgruppe beschäftigt. In der Anfangszeit führte sie überwiegend Beschäftigungstherapien mit den Jugendlichen durch, die sich bei weiterer Belegung der Gruppe als soziale Trainingskurse gestaltet hätten 563).

Zum Einrichtungspersonal gehörte weiterhin auch die Zeugin Frau Conrad, eine 24-jährige Erzieherin und angehende Heilpädagogin, die in der Zeit vom 1. bis 21. November 2003 in der Einrichtung und zuvor zwei Jahre in einer offenen Gruppe tätig war.

In der Funktion eines Lehrers war der Zeuge und Erziehungswissenschaftler Zeunert in die Einrichtung übernommen worden, in der er ab dem 1. November 2003 zum Einsatz kam 564).

Der Zeuge Langhans, ein 32-jähriger Diplompädagoge, war in der Zeit ab dem 16. Oktober 2003 in der Untersuchungshaftvermeidungsgruppe eingesetzt und hatte zuvor mit Menschen mit Behinderungen gearbeitet.

Vor ihrem Wechsel in die Untersuchungshaftvermeidungsgruppe war die Zeugin Frau Vatter, seinerzeit noch Studentin der Sozialpädagogik, im offenen Bereich des Jugendheims tätig.

Für die Sozialpädagogin Christina Knoll war das Jugendheim Mühlkopf ihre erste Arbeitsstelle nach Beendigung ihres Studiums.

d) Beurteilung der Eignung des Personals durch Landesjugendamt und Einrichtungsleitung

Aus Sicht des Landesjugendamts hatte sich jedenfalls einer der für das Projekt vorgesehenen Mitarbeiter nicht als erfahren dargestellt 565). Bei diesem handelte es sich um den Zeugen Langhans, der aus dem Berufsfeld behinderter Kinder und Jugendlicher kam566). Die Geeignetheit des späteren Tatopfers Christian Knoll hatte aus Sicht des Landesjugendamts nicht endgültig und zweifelsfrei beurteilt werden können, auch wenn im Ergebnis einige Gesichtspunkte für die Annahme ihrer persönlichen sowie ihrer durch Magisterabschluss im Pädagogikstudium ausgewiesenen fachlichen Eignung hätten sprechen können 567). Die übrigen fünf der insgesamt sieben bis zum 18. November 2003 eingestellten Fachkräfte wurden durch die Zeuginnen Frau Krückels und Frau Eisele für erfahren gehalten 568), nicht zuletzt, weil vier von ihnen aus den bestehenden Gruppen des Jugendheims in die Untersuchungshaftvermeidungsgruppe gewechselt waren 569).

Der Einsatz von Christina Knoll als Berufsanfängerin und des für unerfahren gehaltenen Zeugen Langhans insbesondere im Nachtdienst war im Rahmen des Fortbildungs- und Begegnungstags am 18. November 2003 nicht näher thematisiert worden 570). Ungeachtet dessen war in diesem Zusammenhang jedoch Gesprächsbedarf mit der Einrichtungsleitung, ggf. auch dem Träger gesehen worden, insbesondere hinsichtlich des konkreten Einsatzfeldes dieser Beschäftigten und auch der Motive, die zu ihrer Aufnahme in die Untersuchungshaftvermeidungsgruppe geführt hatten571). Zu dem Gespräch, dem eine Auswertung des Gesamttages vorangehen sollte, war es angesichts des tödlichen Vorfalls nicht mehr gekommen.

Der Zeuge Teufel hatte Christina Knoll trotz ihrer fehlenden Berufserfahrung für kompetent und engagiert gehalten. Ausschlaggebend für ihre Einstellung war seiner Aussage zufolge, dass sie sich in Zeiten ihres Studiums mit dem Problemfeld der geschlossenen Unterbringung befasst hatte und zudem über einschlägige, durch Praktika vermittelte Erfahrungen verfügte 573). Zudem ging er davon aus, dass das Landsjugendamt trotz der bestehenden Bedenken die Entscheidung für die Einstellung von Christina Knoll mitgetragen habe, nachdem er die Gründe entsprechend erläutert habe574).

Hinsichtlich der Zusammensetzung des Betreuungspersonals hatte der Zeuge Teufel seinem Bekunden zufolge darauf zu achten versucht, neben praktischen Erfahrungen auch aktuelles theoretisches Wissen innerhalb des Personals zu installieren 575).

5. Konzeptionelle Umsetzung der Personalsicherheit in der Einrichtung

Für die Sicherheit des Personals waren von Seiten der Heim- und Einrichtungsleitung folgende Vorgaben formuliert worden:

Nach Aussage des Zeugen Teufel hatte für das Personal die Vorgabe gegolten, im Fall einer beabsichtigten und möglicherweise mit Übergriffen verbundenen Entweichung eines Jugendlichen diese zum Schutz der eigenen körperlichen Integrität zuzulassen576). Unter Sicherheitsaspekten stand der Aussage der Zeugin Frau Vatter zufolge der Selbst- und Eigenschutz im Vordergrund 577). Darüber hinaus war nach Aussage der Zeugin Burkhart verabredet, in Krisensituationen eine zweite Person hinzuzuziehen 578). Vorgegeben war nach übereinstimmender Aussage des Zeugen Vocke sowie der Zeuginnen Frau Burkhart, Frau Vatter und Frau Conrad des Weiteren, die Zimmer der Jugendlichen ­ je nach Einschätzung der sich konkret darstellenden Situation ­ nicht ohne zweite Person zu betreten, sondern im Türrahmen stehenzubleiben 579). Das Personal war laut Aussage der Zeugin Frau Burkhart angehalten, den Messerblock in dem Dienstzimmer in einem Schrank unter Verschluss zu halten580) obgleich es für die Beschäftigten der Sache nach keinen wesentlichen Unterschied ausgemacht hatte, ihn statt im Dienstzimmer in der Küche verschlossen aufzubewahren 581).

Im Vorfeld der Inbetriebnahme hatte der Träger den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein mehrtägiges Deeskalationstraining angeboten, das zum 18. November 2003 auch absolviert gewesen war582). In der Folge hätte noch ein Selbstverteidigungstraining angestanden 583) .

Mit dem Gruppenpersonal waren im Vorfeld der Eröffnung der Einrichtung der Aussage des Zeugen Teufel zufolge regelmäßig stattfindende Anleitungsgespräche durchgeführt worden, die Verhaltensmuster in bestimmten Konfliktsituationen aufzeigen sollten 584).

Insbesondere vor dem Hintergrund der Annahme, dass die aus jugendlichen Tatverdächtigen bestehende Zielgruppe des Projekts nicht mit erheblicher Jugendstrafe zu rechnen hatte, und im Hinblick auf die durch den Stufenplan vermittelten Möglichkeiten der Rückerlangung der Freiheit waren Ausbruchs- oder Gewaltszenarien mit akuter Gefahr für Leib oder Leben für die Bediensteten von keiner Seite in Rechnung gestellt worden 585).

Der Aussage der Zeuginnen Frau Burkhart, Frau Conrad und Frau Vatter zufolge war das fehlende schnurlose Telefon in Gesprächen gelegentlich Thema, wobei davon ausgegangen wurde, dass dieses ­ dem Standard der anderen beiden geschlossenen Gruppen entsprechend ­ demnächst installiert wird 586). Die Zeugin Frau Conrad bekundete, das Gebäude sei zudem hellhörig, sodass ein lautstarker Wortwechsel oder das Zertrümmern von Mobiliar auch in den anderen Gruppen hörbar gewesen sei 587) . Sonstige, im Heimalltag auftretende besondere Vorkommnisse, wie körperliche oder verbale Aggressivität, sollten innerhalb von so genannten Teamsitzungen thematisiert werden, in denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Art.