Jugendstrafanstalt

Die Zeugin Frau Vatter gab in ihrer Vernehmung an, bei keinem der drei untergebrachten Jugendlichen sei ihr bekannt gewesen, dass sie im Zusammenhang mit körperlichen Tätlichkeiten bereits in Erscheinung getreten waren 699). Ungeachtet dessen ist der gegen den Jugendlichen erlassene Haftbefehl bekannt gewesen, aus dem sie ­ die Zeugin Frau Vatter ­ Hinweise für eine personenbezogene Gewaltbereitschaft allerdings nicht habe entnehmen können 700).

Der Zeuge Schady bekundete, der Zeuge Podehl habe ihn am 13. Oktober 2003 von polizeilichen Ermittlungen wegen einer weiteren Straftat unterrichtet 701). Zudem ist ein psychiatrisches Gutachten über den Jugendlichen vorhanden gewesen 702). Hinweise auf eine Gewaltbereitschaft des Jugendlichen lagen den Bekundungen des Zeugen Schady zufolge ­ von einer Handgreiflichkeit gegen die Großmutter abgesehen ­ nicht vor 703).

Auch die Zeugin Frau Griebel bekundete, dass hinsichtlich der seinerzeit untergebrachten Jugendlichen Delikte lediglich aus dem Bereich der Eigentumskriminalität bekannt gewesen waren 704).

cc) Staatsanwaltschaft Koblenz

Der Aussage der Zeugin Frau Henneberger zufolge waren der Staatsanwaltschaft Koblenz vor Erlass des Haftbefehls insgesamt acht Strafverfahren bekannt, die teilweise an die Staatsanwaltschaft Köln abgetrennt, teilweise eingestellt wurden und teilweise zur Anklagerhebung führten 705). In einem dieser Strafverfahren war der Jugendliche einer körperlichen Gewalttätigkeit verdächtig.

d) Nachträglich vorhandene Erkenntnisse über den Jugendlichen

Im Anschluss an das Aufnahmegespräch ist den beteiligten Stellen Folgendes über den Jugendlichen bekannt geworden:

aa) Jugendgerichtshilfe

Einen Abdruck des gegen den Jugendlichen erlassenen Haftbefehls forderte der Zeuge Podehl einen Tag nach dem Aufnahmegespräch am 14. Oktober 2003 an, der bei ihm am 15. Oktober 2003 einging 706). Angesichts der seinerzeit noch offen gewesenen Frage der örtlichen Zuständigkeit der Jugendgerichtshilfe, über die Klarheit erst am 9. Oktober 2003 bestand, forderte der Zeuge in der noch bis zu dem Aufnahmegespräch verbleibenden Zeit, in der ein Wochenende dazwischen lag, weitere Informationen über den Jugendlichen bei dem Jugendamt Köln an 707). Die am 14. Oktober 2003 vorliegenden Unterlagen bestanden aus einem Jugendgerichtshilfebericht aus dem Jahr 2002, einem Hilfeplan gleichen Jahres sowie einem Kurzbrief der Rheinischen Kliniken Viersen, die den Zeugen Podehl seiner Aussage zufolge in seiner skeptischen Haltung gegenüber einer Aufnahme bestärkten 708). Von einer Zuleitung dieser Unterlagen an das Jugendheim sah der Zeuge Podehl ab in der Annahme, dass diese dort bereits vorhanden waren. Diese Annahme stützte sich nach der Aussage des Zeugen Podehl auf ein bei früherer Gelegenheit mit dem Zeugen Schady geführtes Gespräch, der ihm gegenüber bestätigt habe, dass er sich unmittelbar an das Kölner Jugendamt gewandt habe 709).

Weiter erhielt der Zeuge Podehl Mitteilungen über verschiedene gegen den Jugendlichen erhobene Anklagen, von deren Zu- und Weiterleitung an das Jugendheim er jedoch absah, einerseits da die Anklagepunke in einem mit der Einrichtung für den 24. November 2003 verabredeten Termin hätten thematisiert werden sollen und es sich andererseits nach der Aussage des Zeugen auch nicht um eine von der Jugendgerichtshilfe wahrzunehmende Aufgabe handele710). Ungeachtet dessen hatte der Zeuge auch die Möglichkeit einer Zuleitung nicht in Erwägung gezogen 711).

In der Zeit nach dem 13. Aus diesen seien Straftaten hervorgegangen, durch welche sich die Gewaltproblematik gegenüber dem bisher Vorhandenen nochmals als wesentlich erhöht dargestellt habe713). Auch die Zeugin Frau Griebel gab an, dass nach der Aufnahme noch weitere Anklageschriften der Staatsanwaltschaft Köln eingegangen sind 714). An ihrer Aufnahmebereitschaft hätten die der Zeugin Frau Vatter nachträglich bekannt gewordenen Straftaten nichts geändert 715).

cc) Staatsanwaltschaft Koblenz

Vor dem Antrag auf Erlass eines Untersuchungshaftbefehls hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz Kenntnis von insgesamt acht Strafverfahren, die gegen den Jugendlichen geführt worden waren, unter Einbeziehung der nachfolgenden Zeit waren es insgesamt zwölf 716). Die Anklageschriften wurden ­ wie in Jugendsachen vorgesehen und üblich ­ auch dem zuständigen Jugendamt mitgeteilt. Wegen der zum 8. Oktober 2003 noch unklaren örtlichen Zuständigkeit der Jugendgerichtshilfe hatte die Zeugin Frau Henneberger Ablichtungen der ab diesem Zeitpunkt geführten Strafverfahren nicht nur für den Zeugen Podehl als Vertreter der Jugendgerichtshilfe der Kreisverwaltung Ahrweiler, sondern vorsorglich auch für das Jugendamt Köln verfügt 717).

e) Schreiben des Jugendheims Mühlkopf an die Staatsanwaltschaft Koblenz vom 14. Oktober 2003

Der Zeuge Vocke wurde nach Ankunft des Zeugen Schady und der Zeugin Frau Vatter sowie von Christina Knoll in Rodalben über die Ablehnung der Aufnahme und deren Gründe informiert. Zuvor hatte bereits die Zeugin Frau Vatter den Zeugen Vocke von der Jugendstrafanstalt Wittlich aus über Verlauf und Ergebnis des Aufnahmegesprächs vom 13. Oktober informiert 718).

Für den Zeugen Vocke war die von dem Zeugen Schady zur Nichtaufnahme gegebene Begründung in ihren wesentlichen Teilen zwar nachvollziehbar, in der Sache selbst teilte er sie jedoch nicht 719). Die sich am 13. Oktober 2003 vollziehende Änderung in der Beurteilung der Frage, ob der Jugendliche für das Projekt geeignet ist, erklärte sich der Zeuge Vocke in seiner Vernehmung mit der Zusammensetzung der Personen, die an dem Gespräch teilnahmen, nämlich einerseits dem Zeuge Podehl, der fünf andere Jugendliche in seinem Zuständigkeitsbereich für geeigneter gehalten habe, und andererseits die bei den Einrichtungsmitarbeitern vorhandene Unsicherheit 720).

Der Aussage des Zeugen Vocke zufolge ist ihm dabei mitgeteilt worden, dass die Zeugin Frau Henneberger im Rahmen des mit dem Zeugen Schady geführten Telefonats gefragt habe, ob gewährleistet werden könne, dass der Jugendliche nicht bereits während der Rückfahrt zur Einrichtung die Flucht ergreife und sichergestellt sei, dass er zur Hauptverhandlung erscheine 721). Der Zeuge Schady habe sich nach Aussage des Zeugen Vocke vor dem Hintergrund der von der Zeugin Frau Henneberger gestellten Frage verunsichert gezeigt, insbesondere hinsichtlich der Konsequenzen, die auf ihn hätten zukommen können, wenn der Jugendliche im Zusammenhang mit dem Transport nach Rodalben tatsächlich geflohen wäre, was er in Rechnung gestellt habe722). Der Zeuge Vocke erhielt auch die Information, dass die Zeugin Frau Henneberger darum gebeten habe, schriftlich darzulegen, aus welchen Gründen die Einrichtung ein Erscheinen des Jugendlichen in der Hauptverhandlung nicht gewährleisten und eine Flucht bei seiner Überführung nach Rodalben nicht verhindern könne 723). Zunächst hatte der Zeuge Schady ein entsprechendes Schreiben verfasst, in dem er die Bedenken nochmals dargestellt hatte 724). Das dem Zeugen Vocke übergebene Schreiben änderte dieser nochmals ab, unterzeichnete es und leitete es mit Datum vom 14. Oktober 2003 der Zeugin Frau Henneberger zu 725). Von dem Schreiben erfuhr der Zeuge Teufel erst nach Absendung an die Zeugin Frau Henneberger 726).

In diesem Schreiben wird mitgeteilt, dass die Einrichtung sich aufgrund der neuen Sachlage nicht im Stande sieht, den Jugendlichen im Rahmen der Untersuchungshaftvermeidung in der Einrichtung aufzunehmen.Sinnhaftigkeit" der Unterbringung geäußert habe727) .

Als weiterer Grund wird in dem Schreiben festgehalten, dass der Jugendliche selbst seine beim ersten Vorstellungsgespräch zugesagte Bereitschaft zur Unterbringung relativiert bzw. in Frage gestellt habe. Hierzu führt das Schreiben aus, dem Jugendlichen schwebe vor, auf legalem oder illegalem Wege wieder zu seinem Vater als Personensorgeberechtigter nach Holland gehen zu wollen. Unter diesem Aspekt wird in dem Schreiben die Vermutung geäußert, dass der Jugendliche die ersten Lockerungen, die einen wesentlichen Aspekt in der Konzeption darstellten, zur Flucht nutzen werde.

Dritter und letzter der in dem Schreiben aufgeführten Gründe ist, dass sich die Einrichtung trotz Sicherung durch Gitter aufgrund der Rahmenbedingungen und Konzeption nicht in der Lage sieht, die erforderliche Sicherstellung der Hauptverhandlung und pädagogische Arbeit zu leisten.

Bei der Abfassung der Gründe war dem Zeugen Vocke bekannt, dass Fluchtgefahr die Annahme eines Ausschlussgrundes für die Unterbringung nicht rechtfertigt 728). Der Zeuge bekundete weiter, die im Zusammenhang mit der fehlenden Zuständigkeit der Jugendgerichtshilfe formulierten Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Unterbringung gebe die Auffassung des Zeugen Podehl wieder, der gegenüber dem Zeugen Schady von mehreren Jugendlichen gesprochen habe, die ihm geeigneter erschienen. Die übrigen der in dem Schreiben genannten Gründe entsprechen der Aussage des Zeugen Vocke zufolge den Erwägungen der sich vor Ort befindenden Mitarbeiter, wie sie ihm von dem Zeuge Schady dargestellt worden seien und die er ­ der Zeuge Vocke ­ auch so weitergegeben habe, jedoch ohne sie sich inhaltlich zu Eigen gemacht zu haben, da er auch nach wie vor zur Aufnahme bereit gewesen wäre 729).

In seiner Vernehmung bezeichnete der Zeuge Vocke das Schreiben als „beschissen formuliertes Gefälligkeitsschreiben" 730) und bekundete hierzu, er habe der Staatsanwaltschaft mit der schriftlichen Darstellung der Ablehnungsgründe eine Gefälligkeit erweisen wollen 731). Der Zeuge führte ergänzend aus, dass in anderen Fällen, in denen die Einrichtung die Aufnahme eines Jugendlichen ablehne, die hierfür sprechenden Gründe nicht mitgeteilt würden 732). Die Gefälligkeit bezog sich nach Darstellung des Zeugen Vocke auf die schriftliche Abfassung der Gründe als solche, nicht auf deren Inhalt 733) .

f) Schreiben der Jugendgerichtshilfe an die Staatsanwaltschaft Koblenz

Der Zeuge Podehl unterrichtete die Zeugin Frau Henneberger über seine Einschätzung des Aufnahmegesprächs mit Schreiben vom 14. Oktober 2003 734). Darin führte der Zeuge Podehl unter anderem aus, dass der Jugendliche aus Sicht der Jugendgerichtshilfe einen Rahmen benötige, aus dem er sich langfristig nicht entziehen kann 735). Mit den Formulierungen „langfristig" und „entziehen" wollte der Zeuge Podehl seiner Aussage nach zum Ausdruck bringen, dass der Jugendliche für einen Zeitraum zwischen vier bis zwölf Wochen festgesetzt werden muss, um einen Wandel seiner bisherigen Lebensführung erreichen zu können 736).

Soweit es in dem Schreiben des Zeugen Podehl an die Zeugin Frau Henneberger vom 14. Oktober 2003 heißt: „In den nächsten Tagen wollen die Vertreter des Heimes mit Ihnen klären, ob einer Aufnahme dennoch zugestimmt werden kann" 737), handelte es sich hierbei um ein Missverständnis, das aus einer Äußerung der Zeugin Frau Vatter resultiert. Nachdem am 13. Oktober 2003 die Aufnahme des Jugendlichen abgelehnt worden war, hatte diese dem Jugendlichen die tatsächlichen Hintergründe der definitiv entschiedenen Ablehnung nicht mitgeteilt; stattdessen hatte sie ihm gegenüber zu verstehen gegeben, dass der Bezug zu Holland ein neuer und noch der Klärung bedürfender Sachverhalt sei, um ihn nicht sofort vor vollendete Tatsachen stellen zu müssen 738).

Am 16. Oktober 2003 verfasste der Zeuge Podehl, der nach seiner eigenen Aussage zu diesem Zeitpunkt das ihm am 13. Oktober 2003 überlassene Konzept der Einrichtung kannte, ein weiteres an die Zeugin Frau Henneberger gerichtetes Schreiben.

727) 9. Sitzung, Protokoll S. 15 (Anlage zum Beschlussprotokoll der 24. Sitzung des Rechtsausschusses am 4. Dezember 2003).