Kopftuch

Meine Damen und Herren, wenn wir da tagtäglich unsere Politik machen würden unter diesem Aspekt, wir machen das, denn wir würden die Klage sowieso verlieren, dann sage ich Ihnen wirklich gute Nacht, dann bricht letztendlich alles zusammen. Insofern zieht dieses Argument nicht, und Herr Weiß hat sich eindeutig falsch verhalten.

Es ist vorhin gesagt worden, wörtlich, das hat Herr Weiß so für sich entschieden. Genau das ist der Punkt: Er hat das so für sich entschieden. Seine eigene Schulverwaltung hat gesagt, das geht rechtlich nicht, die bremische Schulverwaltung hat gesagt, das geht rechtlich nicht. Dann kam von irgendjemandem ein Anruf, der gesagt hat, also, Mensch, kann man nicht irgendwie, sind doch nur sechs Wochen, und dann ging es auf einmal doch, völlig fernab von jedem Recht, von jedem Gesetz, einfach nur so aus dem Bauch nach der Devise, was bin ich tolerant, was bin ich nett, bin ich nicht ein schicker Kerl, der immer schön mit einem Schal herumläuft!

Meine Damen und Herren, so können wir keine Politik machen, wenn das einreißt, (Beifall bei der CDU) und deswegen wird das auch dann ein Nachspiel haben, wenn sich dann auch die Politik in Bremerhaven damit befasst.

Ich möchte einmal wissen, was Sie der Dame sagen, wenn sie irgendwann vor Ihnen steht und sagt, das verstehe ich jetzt überhaupt nicht! Sie haben gesagt, das Praktikum kann ich natürlich sechs Wochen mit Kopftuch machen, dann gibt es in der Studienordnung noch ein Halbjahrespraktikum, da haben Sie dann gesagt, das dürfen Sie auch machen.

Dann kam die Referendarzeit, und da haben Sie dann gesagt, ach, das könnten Sie eigentlich auch machen, und jetzt wollen Sie mich nicht zur Beamtin ernennen, bloß weil ich ein Kopftuch trage? Wie wollen Sie das deutlich machen, wo Sie da die Grenze ziehen?

(Beifall bei der CDU)

Da Sie das nicht können, haben Sie großes Interesse daran, das, wie Sie sagen, mit flachem Ball und mit kleinem Spiel herunterzuhalten. Fakt und Tatsache ist, meine Damen und Herren, da machen wir uns nichts vor: Wenn dieser Stadtrat in Bremerhaven nicht einer bestimmten Partei angehören würde, unserem Koalitionspartner, (Abg. Frau Hövelmann [SPD]: Kann ich das noch einmal hören mit dem Koalitionspartner?) dann hätten Sie hier ganz anders reagiert. Wenn das ein Stadtrat der CDU gewesen wäre, dann hätte ich Sie hier schon triumphierend aufmarschieren sehen das Kruzifix, wobei Frau Berk vorhin gesagt hat, das haben Sie aber lange ausgehalten. Gut, ich sage einmal, in einem Land mit christlicher Tradition, (Glocke) in dem die meisten noch an Gott glauben, ist das auch kein Wunder, wenn die das 40 Jahre nicht bemerkt haben, dass da ein Kruzifix hing, ein Kopftuch fällt da eben eher auf. Nur, da sage ich Ihnen auch ganz offen, dass ich mit einem Kruzifix in der Schule eher leben könnte als mit einem Kopftuch, das eine Lehrerin aus Glaubensgründen trägt. ­ Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU) Vizepräsident Dr. Kuhn: Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Isola.

Abg. Isola (SPD) : Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat haben wir hier zwei Bereiche, über die wir uns unterhalten. Das ist einerseits der juristische, der rechtliche Bereich und dann der politische Bereich, nur, sie sind eng miteinander verknüpft. Ich habe Schwierigkeiten, jetzt in der Weise zu differenzieren, dass ich da womöglich zu anderen Auffassungen komme.

Ich habe mich gemeldet einmal nach dem Beitrag des Kollegen Güldner, aber ich hatte vorher schon mit gewissem Erstaunen diese Pressemitteilung der Staatssekretärin Marieluise Beck gelesen. Da heißt es, ich darf zitieren: Es spricht jedoch einiges dafür, bei einer Ausbildung, für die ein Ausbildungsmonopol des Staates besteht, die Neutralitätspflicht des Staates, die bei dem Tragen eines Kopftuchs während eines Schulpraktikums lediglich gering beeinträchtigt wird, zurücktreten zu lassen. Diesen Satz kann ich zwar unterschreiben, aber ich muss hinzufügen, es spricht leider sehr vieles dagegen.

(Beifall bei der CDU)

Es spricht leider sehr vieles dagegen, und das ist eben nicht nur eine juristische Frage, sondern eine hoch politische Frage. Deswegen diskutieren wir das dann hier so. Natürlich wird das alles überwölbt auch durch die Situation, die wir in der Gesellschaft vorfinden, nicht nur in Bremen und Bremerhaven, in Deutschland und auch weltweit. Deswegen ist ja auch eine gewisse Aufgeregtheit und Unruhe. Ich denke einmal, wir werden wahrscheinlich nicht die einzige Diskussion hier heute über dieses Thema führen, sondern es wird ab jetzt ein Thema werden, bei dem wir überlegen müssen als Politiker ­ übrigens in Verantwortung auch für die Bevölkerung, die uns gewählt hat ­, wie gehen wir künftig mit diesem Thema um. Da vertrete ich allerdings die Auffassung, das wird Sie vielleicht nicht überraschen, dass ich nicht bereit bin, von substantiellen Entscheidungen in unserer Verfassung, die erkämpft worden ist, abzuweichen zugunsten anderer Auffassungen, die ich nicht nur rechtlich, sondern auch politisch für sehr problematisch halte.

Die Neutralitätspflicht des Staates ist ein erkämpftes Recht, übrigens gegen die Vorgänger der CDU, die hat sich da ja gewandelt, der Vorgänger war das Zentrum. Vor 130 Jahren, 1870, ging der Streit los, der später dann in den berühmten Kulturkampf mündete, übrigens zentral mit den Schulen. Da war es nämlich der damalige Papst, der die Unfehlbarkeit verkündete. Dann haben auch die Lehrer gesagt ­ da hat sich die Lehrerschaft gespalten ­, wir folgen diesem Papst, obwohl wir in staatlichen Schulen unterrichten, und andere haben gesagt, wir machen das nicht, und die sollten dann entlassen werden. Das war damals die Forderung einer zunächst klerikalen, dann politischen Bewegung, das war das Zentrum, das dann in dieser Hinsicht verlor.

Übrigens, die Folge war dann die Zivilgesetzgebung, die dann einsetzte im Deutschen Reich mit Zivilehe und so weiter. Das ist seinerzeit eine Errungenschaft gegen die historischen Vorläufer gewesen.

Ich werde der Letzte sein, der heute noch die CDU beschimpft, dass sie nun endlich auch dieser Auffassung ist, übrigens hinsichtlich aller religiösen Symbole. Ich bin froh, dass es soweit gelungen ist, denn in Bayern ist es keineswegs so. Wir haben ja Beschimpfungen des Urteils erlebt, was das Kruzifix angeht. Aber ich denke einmal, in diesem Fall ist eine Abwägung in der Tat vorzunehmen zwischen der Religionsfreiheit, die Bestandteil unseres Grundgesetzes ist, und dem Recht auf Berufsfreiheit und Berufsausbildung. Dann muss man aber auch zu einer Entscheidung kommen. Ich meine, dass es in diesem Fall zumutbar ist, dass die individuelle Religionsfreiheit, die überhaupt nicht tangiert wird, gegenüber dem höheren Recht, nämlich der Neutralitätspflicht des Staates, der Schule gegenüber den Schülern, zurücktreten muss, (Beifall bei der CDU) und dass es zuzumuten ist, dass in diesem Fall auf das Kopftuch verzichtet wird. Ihr soll ja nicht die Ausbildung verwehrt werden.

Ich finde, dies ist auch Bestandteil einer Ausbildung für Lehrerinnen und Lehrer. Sie müssen wissen, was ist denn unsere Grundrechtsordnung. Sie ist tolerant, aber sie hat auch ihre Grenzen. In diesem Fall ist es einfach Gebot, das ergibt sich aus unserer Verfassung, zu sagen, an dieser Stelle verläuft die Grenze, und das bitte respektiere, sonst geht es auch in diesem Land nicht weiter! Auch die freiheitlichdemokratische Grundordnung zeigt hier deutlich ihre Grenzen auf, und das ist keine Diskriminierung.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das ist ein Lernprozess, und der ist zumutbar und akzeptabel. Ich halte daher die Entscheidung auch für bedauerlich, ich mache daraus keinen Hehl. Ich halte die Entscheidung des Kollegiums in Bremerhaven für richtig und auch selbstverständlich die Position des Bildungssenators, der dann plötzlich in diese Schwierigkeiten gekommen ist.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Er kann sie ja beheben!) Wissen Sie, Kollege Röwekamp, es ist ein begünstigender Verwaltungsakt, das ist alles ganz schwierig! Vielleicht sollten wir es auch dann von diesem Fall wegnehmen.

Ich möchte nur noch eines in diesem Zusammenhang sagen, auch zum Kollegen Güldner, aber auch zu Willi Lemke. Es kommt nicht auf die Absicht an, die der Träger oder die Trägerin eines Kopftuches damit verbindet. Da kommen Sie rechtlich überhaupt nicht heran. Ich kann durchaus erklären, ich habe nicht die Absicht, das ist auch glaubhaft, zu missionieren und so weiter. Entscheidend ist der objektiv mögliche Eindruck auf die Kinder. Darauf hebt übrigens das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eindeutig ab. Sie haben hier eine Klientel, von vier bis 14, also fünf oder sechs Jahre, bis zwölf, 13, die religionsunmündig ist, sie ist hoch sensibel und beeinflussbar gerade in diesen frühen Lebensjahren. Neutralität des Staates heißt hinsichtlich jeglicher Religionsausübung, hier außen vor zu bleiben. Hier mischen wir uns nicht ein, es sei denn, die Eltern treffen eine andere Entscheidung und schicken sie zur Konfessionsschule.

Zweitens möchte ich noch sagen: Stellen Sie sich einmal vor, auch andere Religionen, Christen, aber auch Juden, gehen jetzt provokant offen mit Religionssymbolen in unsere Schulen, und das vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts zwischen Islam und Juden! Dann ist doch der Schulfrieden wohl auf jeden Fall gefährdet, wenn nicht sogar gestört. Das könnte man gar nicht hinnehmen. Man kann da auch nicht abwarten, bis es soweit kommt. Ich meine, man kann auch nicht abwarten, bis ein Elternteil dann sagt, das mache ich nicht mehr mit, sondern hier haben wir eine Aufsichtspflicht und Kontrollpflicht.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU ­ Glocke)

Ich finde, der sollte man auch nachkommen.

Damit Sie sich auch nicht vertun, dieser Fall wird jetzt so durchlaufen. Damit ist sicherlich nun auch nicht die freie demokratische Grundordnung im Land Bremen zusammengebrochen und gefährdet, nur, es ist auch ein Lehrstück für die Zukunft. Ich denke, dass die Behörde, das hat auch der Bildungssenator angekündigt, jetzt auch einmal anhand dieses Falls für die Zukunft einmal mit den Mitarbeitern bespricht, wie wollen wir eigentlich in dieser Angelegenheit verfahren. Aber ich hoffe, dass es dann doch zu einer Entscheidung kommt, dass wir aufgrund unserer, ich sage das noch einmal ganz offen, erkämpften Verfassung, die freiheitlichen Charakter hat, eine entsprechende Reaktion dann auch erfahren werden. ­ Vielen Dank!

(Beifall) Vizepräsident Dr. Kuhn: Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Abg. Dr. Güldner (Bündnis 90/Die Grünen) : Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, je länger wir die Debatte führen, desto besser wird sie, weil natürlich solche Beiträge wie dieser von Herrn Isola dazu geeignet sind. Deswegen respektiere ich das auch vollständig, und es gibt auch in etwa einen Diskussionsstand wieder in dem ganzen Spektrum, wie er bei den Grünen auch herrscht.

(Lachen bei der CDU ­ Abg. Röwekamp [CDU]: Jetzt rudern Sie zurück!

Marsch, marsch zurück, hat Frau Dr. Trüpel gesagt! ­ Abg. Eckhoff [CDU]: Das ist kein Rückspiel, das ist ein Rückzug, Herr Dr. Güldner!) Sie hätten es doch nur so gern anders! Nein, Ihr Problem ist doch, Sie hätten doch gern hier einen Blockkampf der Kulturen zwischen Rotgrün und Schwarz, aber den bekommen Sie nicht, meine Damen und Herren, den bekommen Sie nicht, Herr Eckhoff!

Ich möchte noch einige Bemerkungen machen, weil man an einigen Punkten, so sinnvoll sie sind, trotzdem auch noch weiterdenken muss. Die Debatte ist nicht zu Ende.

Jetzt zu Herrn Bildungssenator Lemke gesprochen! Ich teile Ihre Einschätzung, dass wir keinerlei Interesse daran haben, konfessionell gebundene Privatschulbereiche größeren Ausmaßes zu bekommen, wenn wir es nicht schaffen, alle Schülerinnen und Schüler in der Schule zu integrieren. Es ist aber natürlich faktisch so, dass es eine Tendenz, je nachdem, wie wir mit dem Fall umgehen, geben wird.

Wir berufen uns hier alle auf dieses Bundesverwaltungsgerichtsurteil. Worum geht es? Es geht um Frau Ludin, die in Baden-Württemberg Lehrerin werden wollte. Was hat Frau Ludin gemacht, als man ihr verwehrt hat, Beamtin auf Probe zu werden als Lehrerin? Frau Ludin ist heute Lehrerin in Berlin-Kreuzberg an einer islamischen Schule. Das ist genau dann die Parallelgesellschaft, die Sie angesprochen haben, die wir nicht wollen, und das heißt, wir müssen uns natürlich damit auseinander setzen, da alles, was wir tun oder nicht tun, Auswirkungen in unterschiedliche Richtungen hat, und da teile ich die Position.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Darf sie da Kopftuch tragen?)

Da darf sie selbstverständlich Kopftuch tragen.

Vielleicht, wenn es Sie interessiert, noch zu der Debatte in der Türkei, Sie haben wahrscheinlich die Wahlen beobachtet: Es wird jetzt schon entsprechende Gesetzgebung vorbereitet, dass sich dies dort auch durch die neue Mehrheit, die nach den Wahlen zustande gekommen ist, auch wieder ändert, auch für öffentliche Gebäude, Schulen, Universitäten und so weiter. Mit der Türkei, das macht unser Problem weder leichter noch besser, kann man aber schlichtweg weder in diese noch in jene Richtung argumentieren. Wir müssen uns hier in Bremen und Bremerhaven darauf einigen.

Es ist auch in der Bundesrepublik keineswegs so einheitlich, wie Sie das dargestellt haben. Es gibt natürlich einerseits dieses Verwaltungsgerichtsurteil, andererseits entscheiden die Länder Nordrhein Westfalen und Hamburg ­ Hamburg, hört, hört, ich weiß nicht, ob da die neue Regierung vielleicht nur irgendetwas übersehen hat ­ in steter Regelmäßigkeit für die Möglichkeit, sogar als Beamtin im Unterricht mit dem Kopftuch zu erscheinen. Sie sehen also, wir sind noch lange nicht an dem Punkt.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Bis zum Bundesverwaltungsgerichtsurteil!) Nein, auch bis heute in Nordrhein-Westfalen und in Hamburg, so ist es, Herr Röwekamp!