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20. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung vor zur Anzahl bzw. zum Ausmaß des Phänomens „Schulschwänzer", dessen Ursachen und Auswirkungen?

21. Wie hoch ist der Anteil von Schulschwänzern (aufgelistet nach Landkreisen bzw. Städten und Schulart)?

Für Rheinland-Pfalz liegen keine verallgemeinerbaren empirischen Befunde zum Ausmaß des Phänomens Schulabsentismus („Schulschwänzen") vor.

Aus sozialwissenschaftlichen Studien, die jedoch nicht Rheinland-Pfalz zum Gegenstand hatten, können folgende, allgemeine Befunde als gesichert gelten:

­ Tendenzen von Schulmüdigkeit können bereits im Grundschulalter auftreten.

­ Unter allen Schulschwänzern beträgt der Anteil derer, die als der „harte Kern" der Schulabsentisten bezeichnet werden können, bundesweit zwischen fünf und zehn Prozent.

­ Beim gelegentlichen Schulschwänzen gibt es keine zahlenmäßigen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen. Bei den regelmäßigen Schulschwänzern überwiegen die Jungen.

­ An Hauptschulen und Förderschulen zeigen sich im Vergleich zu anderen allgemein bildenden Schularten höhere Anteile an Schulschwänzern.

Schulschwänzen kann das Risiko des schulischen Scheiterns erhöhen. Regelmäßiges Schulschwänzen kann oft in Wechselwirkung mit verschiedenen Risikofaktoren stehen, die nicht nur auf die Schule beschränkt sind: Herkunftsverhältnisse, Familiensituation, Migrationshintergrund, Gleichaltrigencliquen und nicht zuletzt auch individuelle Merkmale wie z. B. das Geschlecht. So haben Jungen offenbar häufiger Schwierigkeiten in der Schule als Mädchen. Gerade wenn verschiedene Problemlagen kumulieren, sind damit häufig Anerkennungsdefizite verbunden, auf die Jugendliche z. B. mit auffälligem Verhalten in der Schule reagieren. Dazu können aber auch innerschulische Faktoren beitragen, z. B. begrenzte Partizipationsmöglichkeiten der Jugendlichen, einförmige Unterrichtsgestaltung, Konflikte mit schulischen Regeln.

22. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung vor bezüglich des Zusammenhangs zwischen Schulschwänzen und straffälligem Verhalten bzw. Verhalten, das die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet?

Punktuelles Fernbleiben kann in der Regel als typischer Regelverstoß Heranwachsender eingeordnet werden. Diese Formen sind in der Regel eher nicht mit straffälligem Verhalten verbunden. Problematisch wird das Fernbleiben von Unterricht und Schule besonders dann, wenn es sich verfestigt und regelmäßig vorkommt. Im „Ersten Periodischen Sicherheitsbericht" (Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz, [Hrsg.], Erster Periodischer Sicherheitsbericht, Berlin 2001) wird auf der Grundlage empirischer Daten deutlich, dass zwischen häufigem, regelmäßigem Schulschwänzen und deviantem Verhalten von Jugendlichen ein Zusammenhang besteht. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine aktuelle Studie in Rheinland-Pfalz (Wetzstein, Th., Erbeldinger, P., Hilgers, J., Eckert, R., Jugendliche Cliquenorientierungen, Wiesbaden 2005). 23. Bestehen Konzepte zur Verhinderung von „Schulschwänzen", welchen Inhalts sind diese?

Das Verhindern von „Schulschwänzen" durch Integration in die Klassen- und Schulgemeinschaft ist ein grundständiger Auftrag von Schule. Bei Anzeichen von Absentismus werden Gespräche mit den Eltern ggf. unter Einbeziehung der Jugendhilfe oder anderer Fachleute geführt und pädagogische bzw. Ordnungsmaßnahmen in die Wege geleitet. Die Landesregierung unterstützt die Schulen sowohl mit Maßnahmen, die im Bereich der Primärprävention ansetzen, als auch mit solchen, die sich speziell an Jugendliche mit hohem schulischem Scheiternsrisiko wenden. Beispielhaft seien genannt:

1. Mit Aktion aus der Passivität:

Das Projekt ­ in Trägerschaft des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschlands e. V. Kirchheimbolanden ­ richtet sich an schulpflichtige Kinder und Jugendliche im Alter von elf bis 16 Jahren, die durch hohe Fehlzeiten einen hohen Grad an Schulverdrossenheit zeigen oder den Schulbesuch ganz verweigern. Wesentliches Projektziel ist die Rückführung in den Regelunterricht.

Im Mittelpunkt steht die intensive Einzelfallarbeit, wobei das Gesamtsystem des oder der Betroffenen (z. B. Freunde, Eltern, Lehrpersonen), aber auch andere relevante Institutionen einbezogen werden, wie z. B. Arbeitsamt, Jugendamt oder Beratungsstellen. Das Projekt wird an den Standorten Kaiserslautern und Kirchheimbolanden durchgeführt und richtet sich grundsätzlich an alle Schularten des jeweiligen Standorts.

Dietrich, P. S./Sturzbecher, D. (1993): „Schulverweigerung von Jugendlichen im Land Brandenburg". Abschlussbericht zur Feldstudie. Potsdam.

Schreiber-Kittl, M./Schröpfer, H. (2002): Abgeschrieben? Ergebnisse einer empirischen Untersuchung über Schulverweigerer. Übergänge in Arbeit. Bd. 2, München.

Schulze, G./Wittrock, M. (2001): Schulaversives Verhalten ­ Multifaktorielle Ansätze zur Erfassung und Bearbeitung des Phänomens im Rahmen einer systemisch orientierten Sonderpädagogik. Abschlussbericht zum Landesforschungsprojekt. Band I und II. Rostock.

Schulze, G.: (2003): Unterrichtsmeidende Verhaltensmuster. Formen, Ursachen, Interventionen. Hamburg.

Wagner, M. u. a. (2004): Schulverweigerung. Empirische Analysen zum abweichenden Verhalten von Schülern. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 56, Heft 3, S. 457 bis 489.

2. Mobile Jugendsozialarbeit mit schulverdrossenen und schulverweigernden Schülern: Ähnlich wie das unter 1. beschriebene Projekt richtet sich auch diese in Trier verortete Maßnahme an Schülerinnen und Schüler, die an der Schwelle des Ausstiegs stehen. Das Projekt wird durch die Kinder- und Jugendhilfe Palais e. V. Trier getragen. Es leistet intensive Einzelfallarbeit und arbeitet eng mit den Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern der Trierer Hauptschulen und Förderschulen sowie den erzieherischen Hilfen und der Jugendberufshilfe von Palais e. V. zusammen.

3. Schulverweigerungsprojekt „Stellwerk":

Dieses Projekt, in Trägerschaft des Internationalen Bunds e. V. Bad Kreuznach, ist im Bereich der Stadt und des Landkreises Bad Kreuznach angesiedelt. Es richtet sich an Jugendliche, die wiederholt die Schule nicht besucht haben. Angeboten werden Beratungs- und Betreuungsleistungen im Kontext der Übergänge „Schule ­ Ausbildung" sowie „Ausbildung ­ Beruf". Die gemeinsame Entwicklung einer persönlichen und damit ganzheitlichen Perspektive ist zentraler Bestandteil dieser Maßnahme.

4. Schulsozialarbeit:

Das Programm „Schulsozialarbeit an Hauptschulen in Rheinland-Pfalz" ist ein weiterer Baustein zur Verhinderung von Schulschwänzen. Die Landesregierung unterstützt mittlerweile über 40 Personalkostenstellen an über 50 Schulstandorten. Weitere Standorte und Stellen werden im Verlauf des Jahres 2005 hinzukommen.

Die Schulsozialarbeit strebt eine emotionale Stabilisierung, Förderung sozialer Kompetenzen, Unterstützung bei Lebenskrisen, Förderung der Konfliktfähigkeit und konstruktive Konfliktlösung sowie erfolgreiche Bewältigung des Übergangs Schule ­ Beruf an. Schulsozialarbeit leistet somit auch einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung von Schulmüdigkeit und Absentismus.

An den öffentlichen berufsbildenden Schulen ist an allen 48 Standorten, an denen Berufsvorbereitungsjahre bestehen, Schulsozialarbeit eingerichtet. Hierfür stehen den berufsbildenden Schulen 26 Stellen (elf Landesstellen, 15 Trägerstellen) zur Verfügung.

Die von Trägern bereitgestellten Stellen werden weitgehend aus Haushaltsmitteln des Landes finanziert.

5. Projekt „Streetwork":

Das Projekt „Streetwork" ist ein Angebot der Stadt Mainz mit Schwerpunkt im Bereich der aufsuchenden Jugend(sozial)arbeit.

Der Schwerpunkt der Einzelfallhilfe liegt auf der Bewältigung von Alltagsschwierigkeiten der betreffenden Jugendlichen (Schule, Ausbildung und Beziehung). Insoweit ist dieses Projekt auch ein niedrigschwelliges Angebot für Schulschwänzer.

6. Arbeitsweltklassen im Rahmen des „Aktionsprogramms Hauptschule":

In je einer Arbeitsweltklasse an derzeit 20 Hauptschulen erhalten Schülerinnen und Schüler z. B. durch ein verändertes Curriculum und einen wöchentlichen Praxistag Unterstützung zur besseren Vorbereitung auf den Übergang in die Berufs- und Arbeitswelt und zur Integration in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt.

7. Projekt „Startchancen verbessern":

Das Projekt „Startchancen verbessern" wird getragen von der AG Sozialwissenschaftliche Forschung und Weiterbildung e. V. an der Universität Trier und kooperiert mit der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland sowie der LAG Schule-Wirtschaft Rheinland-Pfalz. Es gewährt Jugendlichen von Hauptschulen, die Ganztagsschulen in Angebotsform sind, Unterstützung, einen Ausbildungs- oder dauerhaften Arbeitsplatz zu finden. Es zielt darauf ab, die Chancen für einen Schulabschluss zu erhöhen durch die Kooperation mit den Eltern, durch ein Angebot von Orientierungshilfen und durch die Erweiterung des Berufswahlspektrums.