Sozialversicherung und Saisonarbeit in der Landwirtschaft

Mit dem Beitritt der neuen EU-Mitglieder zum 1. Mai 2004 hat auch die EU-Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 für die EU-Neumitglieder Geltung. Die Landesregierung unter Führung von Ministerpräsident Kurt Beck hatte sich bei der Bundesregierung dafür eingesetzt, dass eine Übergangslösung zwischen Deutschland und Polen hinsichtlich einer rückwirkenden Nachzahlung von nicht gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen gefunden werden konnte und die Sozialversicherungsregelung mit Polen vor dem EU-Beitritt bis einschließlich 30. Juni 2005 Anwendung finden kann. Den Interessen der Landwirtschaft und des Weinbaus in Deutschland und Rheinland-Pfalz wurde durch diese Übergangslösung Rechnung getragen. Manche Landwirte und Winzer sowie berufsständische Organisationen hatten sich über die anzuwendende EU-Regelung nach dem EU-Beitritt Polens nicht informiert gezeigt. Mögliche Nachzahlungsforderungen stehen durch die neue Übergangslösung micht mehr zur Diskussion.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Wie viele polnische Saisonarbeitskräfte in Landwirtschaft und Weinbau in Rheinland-Pfalz waren bisher oder sind voraussichtlich von der Regelung der EU-Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 nach Auslaufen der Übergangslösung ab dem 1. Juli 2005 betroffen, bzw. wie hoch ist der Anteil derjenigen in Polen als beschäftigt geltenden Saisonarbeitskräfte in Rheinland-Pfalz am Gesamtanteil aller polnischer Saisonarbeitskräfte in Landwirtschaft und Weinbau in Rheinland-Pfalz?

2. Wenn polnische Schüler und Schülerinnen, Studenten und Studentinnen, Hausfrauen und Hausmänner, Rentner und Rentne rinnen sowie Arbeitslose mit Wohnsitz in Polen nicht unter die EU-Regelung nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 fallen, gilt dies gleichermaßen für diese Beschäftigungsgruppen in Bezug zur Sozialversicherungsfreiheit und kurzfristigen Beschäftigung nach deutschem Recht oder gilt für Arbeitslose aus Polen, wie auch vor dem EU-Beitritt Polens, eine Berufsmäßigkeit der Saisonarbeit?

3. Falls der Nachweis über eine Nichtberufsmäßigkeit der Saisonarbeit im Hinblick auf Einstufung als kurzfristige Beschäftigung nicht möglich ist, besteht dann dennoch die Möglichkeit zur Einstufung der Saisonarbeit als geringfügige Beschäftigung und welche Vorteile sieht die Landesregierung möglicherweise hierbei?

4. Hat sich bei der bisherigen Anforderung, nach der auch für ausländische Saisonarbeitskräfte, die nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen, eine der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbare private Krankenversicherung abgeschlossen werden muss, etwas geändert?

5. Welche Schritte haben nach Kenntnis der Landesregierung die berufsständischen Organisationen zwischenzeitlich unternommen, um sich und die Landwirte und Winzer mit dem EU-Beitritt Polens zum 1. Mai 2004 auf die veränderte Situation bei der Saisonarbeit insbesondere auch nach Auslaufen der Übergangsregelung vorzubereiten und auch für die Zukunft entsprechend zu beraten?

Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheithat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 6. Juli 2005 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Der Landesregierung liegen zu dieser Fragestellung keine Informationen vor.

Zu 2.: Seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 gilt auch für polnische Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter die so genannte Wanderarbeitnehmerverordnung (EWG 1408/71). Polnische Saisonarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer, die in Polen ein Beschäftigungsverhältnis haben und zusätzlich eine Saisonarbeit in Deutschland ausüben, unterliegen nach dem Wohnsitzlandprinzip grundsätzlich in beiden Beschäftigungsverhältnissen dem polnischen Sozialversicherungsrecht.

Saisonarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer, die in Polen nicht erwerbstätig sind, können in Deutschland dagegen weiterhin nach deutschem Sozialversicherungsrecht behandelt werden. Keine Erwerbstätigkeit in ihrem Herkunftsland üben in der Regel insbesondere Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten, Hausfrauen und Hausmänner, Rentnerinnen und Rentner sowie Arbeitslose aus. Sind solche Personen mit Wohnsitz in Polen als Saisonarbeitskräfte in Deutschland tätig, gilt für sie ­ wie vor dem EU-Beitritt Polens ­ das deutsche Sozialversicherungsrecht.

Polnische Saisonarbeiterinnen und -arbeiter werden häufig im Rahmen einer kurzfristigen Beschäftigung eingesetzt, die nach deutschem Recht sozialversicherungsfrei ist. Eine kurzfristige Beschäftigung liegt vor, wenn sie innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400 im Monat übersteigt.

Das im Rahmen einer landwirtschaftlichen Saisonarbeit erzielte monatliche Arbeitsentgelt ist jedoch in den meisten Fällen höher als 400, so dass es für die Realisierung der Sozialversicherungsfreiheit neben der Einhaltung der Zeitgrenze maßgeblich darauf ankommt, dass die Beschäftigung nicht berufsmäßig ausgeübt wird. Berufsmäßigkeit liegt dann vor, wenn die Beschäftigung für die in Betracht kommende Person nicht von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung ist.

Die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland hat öffentlich darüber informiert, dass bei polnischen Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeitern folgende Beurteilung vorgenommen werden kann:

Bei Hausfrauen und Hausmännern, Rentnerinnen und Rentnern sowie Studentinnen und Studenten aus Polen ist davon auszugehen, dass eine kurzfristige Saisonarbeit nicht berufsmäßig ausgeübt wird. Es besteht damit grundsätzlich Sozialversicherungsfreiheit. Versicherungspflicht besteht lediglich in der gesetzlichen Unfallversicherung. Soweit kein Krankenversicherungsschutz vorliegt, ist außerdem der Abschluss einer privaten Krankenversicherung erforderlich.

Bei Arbeitslosen schließt die Ausübung einer Saisonarbeit in Deutschland dagegen den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach polnischem Recht aus. Die Saisonarbeit tritt deshalb wirtschaftlich in den Vordergrund. Da somit Berufsmäßigkeit vorliegt, besteht grundsätzlich Sozialversicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung nach deutschem Recht.

Zu 3.: Das deutsche Sozialversicherungsrecht kennt Sozialversicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit einer Beschäftigung in der Ausprägung der kurzfristigen Beschäftigung und der geringfügig entlohnten Beschäftigung (Mini-Job).

Eine kurzfristige Beschäftigung liegt vor, sofern die Zeitgrenze von 50 Tagen oder zwei Monaten eingehalten wird, es sei denn, die Beschäftigung wird berufsmäßig ausgeübt und das Entgelt liegt über 400 Euro. Die Sozialversicherungsfreiheit wegen Kurzfristigkeit der Beschäftigung bleibt auch dann bestehen, wenn zwar Berufsmäßigkeit angenommen werden muss, das Entgelt aber weniger als 400 Euro pro Monat beträgt.

Eine geringfügig entlohnte Beschäftigung (Mini-Job) liegt vor, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400 Euro nicht übersteigt. Trotz Versicherungsfreiheit hat der Arbeitgeber Pauschalabgaben zu entrichten.

Die Landesregierung geht davon aus, dass Saisonarbeiterinnen oder Saisonarbeiter in der Landwirtschaft während Produktionsphasen eingesetzt werden, die einen intensiven Arbeitseinsatz erfordern. Ob kurzfristige Tätigkeiten gegen ein Entgelt von weniger als 400 Euro pro Monat eine Möglichkeit darstellen, den Arbeitsanfall zu bewältigen, sollte von den Landwirten geprüft werden.

Gegebenenfalls könnte eine teilweise Kompensation der bislang ausgeübten Saisonarbeit in der Landwirtschaft durch Beschäftigungsverhältnisse ersetzt werden, deren Entgelt unterhalb der Grenze von 400 Euro liegt.

Zu 4.: Der Arbeitgeber hat für Saisonarbeitskräfte auf seine Kosten eine private Krankenversicherung abzuschließen, soweit ansonsten kein Krankenversicherungsschutz besteht. Andernfalls trägt der Arbeitgeber das volle finanzielle Risiko im Krankheitsfall. Nach der Wanderarbeitnehmerverordnung, die seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union grundsätzlich auch für die Tätigkeit polnischer Saisonarbeitskräfte in Deutschland gilt, sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer grundsätzlich nur im System eines Staates versichert. Der Versicherungsschutz nach dem polnischen Sozialversicherungssystem umfasst auch den Krankheitsfall. Aufgrund dessen besteht bei Versicherungspflicht von Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeitern im polnischen System grundsätzlich auch ein Anspruch auf medizinische Leistungen in beiden Staaten. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung kann deshalb entfallen, wenn der Versicherungsschutz im polnischen System den Arbeitgebern durch den Vordruck E 101 nachgewiesen wird.

Zu 5.: Dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit liegt ein Merkblatt des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland Pfalz Süd e.V. vom 16. März 2005 vor, das über die Rechtslage nach dem EU-Beitritt Polens informiert. Der Deutsche Bauernverband führt derzeit Informationsveranstaltungen durch und stellt Handreichungen zur Verfügung.