Zensur an der Deutschen Richterakademie bei der Richtertagung „Deutsche Justizgeschichte nach 1945" im August 2005 in Wustrau

„Ein in der Geschichte der Deutschen Richterakademie beispielloser Vorfall hatte sich auf der Richtertagung Deutsche Justizgeschichte nach 1945 im August 2005 in Wustrau ereignet. Der Eklat wirft ein grelles Licht auf die sonst im Windschatten der öffentlichen Aufmerksamkeit stehende Fortbildung der Richter und Staatsanwälte. Die Deutsche Richterakademie, mit den beiden Tagungsstätten in Trier und Wustrau, bietet den Richtern und Staatsanwälten die Möglichkeit, ihr Fachwissen zu verbessern.

Vor allem soll die Akademie ihnen ein Forum zur nicht gelenkten, offenen Auseinandersetzung über strittige Rechtsprobleme bieten. Informations- und Denkverbote darf es dort nicht geben. Aber ausgerechnet in dieser Bildungsinstitution, in der die Träger der Dritten Gewalt über die Durchsetzung der Werte des demokratischen Rechtsstaats im pluralen Diskurs vertieft nachdenken sollen, hat es jetzt ein solches Verbot gegeben. Unter Verletzung von gleich drei Grundrechten auf einmal hat die Akademieleitung für einen von den Tagungsteilnehmern gewünschten Vortrags- und Diskussionsabend ein Verbot erteilt..." (s. Homepage Forum Justizgeschichte e. V. Stand 5. September 2005 www.forumjustizgeschichte.de).

Ich frage die Landesregierung:

1. Seit wann hat die Landesregierung Kenntnis von der Zensur an der Deutschen Richterakademie bei der Richtertagung „Deutsche Justizgeschichte nach 1945" im August 2005 in Wustrau?

2. Wie und warum kam es zu dem Verbot der Veranstaltung?

3. Welche Stellungnahme hat die Direktorin der Richterakademie, deren Sitz in Trier ist, bezüglich des Vorfalls abgegeben?

4. Ist es zutreffend, dass durch konservative Landesregierungen ein politischer Einfluss auf die Organisation und die Inhalte der Deutschen Richterakademie genommen wird? Wie begründet die Landesregierung ihre Auffassung?

5. Welche Maßnahmen wird das rheinland-pfälzische Justizministerium ergreifen, damit eine Zensur in Zukunft nicht mehr stattfindet?

6. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, damit die Unabhängigkeit der Richterakademie gewahrt bleibt und weiter der plurale und demokratische Geist in der Richterfortbildung uneingeschränkt wirken kann?

Das Ministerium der Justiz hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 26. September 2005 wie folgt beantwortet:

Vorbemerkung:

Zum Verständnis der Organisation und Arbeitsweise der Deutschen Richterakademie muss vorausgeschickt werden, dass sie vom Bund und den Ländern gemeinsam getragen wird. Sie verfügt über eine Tagungsstätte in Trier und eine Tagungsstätte in Wustrau.

Die Deutsche Richterakademie dient der überregionalen Fortbildung der Richterinnen und Richter aller Gerichtszweige sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Sie soll diesen neben der fachlichen Fortbildung auch Kenntnisse und Erfahrungen über politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und andere wissenschaftliche Entwicklungen vermitteln.

Das Arbeitsprogramm der Deutschen Richterakademie wird in seinen Grundzügen von der Programmkonferenz jeweils für ein Kalenderjahr im Voraus festgelegt.

In der Programmkonferenz sind das Bundesministerium der Justiz und jede Landesjustizverwaltung mit jeweils einer Stimme vertreten; der Deutsche Richterbund, die Gewerkschaft ver.di (Fachgruppe Richter und Staatsanwälte), der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und die Leitung der Deutschen Richterakademie wirken beratend mit.

Die Landesjustizverwaltungen unterbreiten der Programmkonferenz thematische Vorschläge zur Gestaltung des Jahresprogramms.

Inhaltlich orientieren sie sich dabei zumeist an den Anregungen aus der richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis bzw. an den Erfordernissen, die sich aus neuen Gesetzen ergeben. Die Programmkonferenz bestimmt insbesondere Zahl, Dauer und Thematik der durchzuführenden Tagungen und legt fest, welche Justizverwaltung jeweils die Verantwortung für die Organisation einer Tagung übernimmt. Das jeweilige Veranstalterland gestaltet sodann die Tagung, das heißt, von dort erfolgt die Auswahl der Vortragenden, die thematische Festlegung der jeweiligen Vorträge und die Bestimmung der Tagungsleitung.

Zu Fragen 1 und 2:

Die Direktorin der Deutschen Richterakademie, Frau Richterin am Kammergericht Dagmar Mittler, hat die zuständige Fachabteilung meines Hauses unmittelbar nach Beendigung der in der Zeit vom 3. August bis 13. August 2005 parallel laufenden Tagungen „Aktuelle Entwicklungen in Kriminalistik und Strafrechtspflege" (Veranstalterland: Rheinland-Pfalz) und „Deutsche Justizgeschichte ab 1945" (Veranstalterland: Niedersachsen) in der 33. Kalenderwoche über den Vorgang anlässlich der niedersächsischen Tagung unterrichtet.

Sie hat die Fachabteilung darüber in Kenntnis gesetzt, dass der von Niedersachsen bestellte Tagungsleiter außerhalb des von Niedersachsen ausgerichteten Tagungsprogramms zusätzlich ein eigenes Referat halten wollte. Auf entsprechende Rückfrage durch die Direktorin hat sich die Justizverwaltung in Niedersachsen mit dieser Änderung des Tagungsprogramms nicht einverstanden erklärt.

Eine Ausübung von Zensur fand nicht statt. Die Direktorin hat lediglich abgelehnt, die Ressourcen der Deutschen Richterakademie (Räume, Kopiergelegenheiten etc.) zur Verfügung zu stellen, weil es sich nicht um einen von Seiten des Landes Niedersachsen zu verantwortenden Tagungsteil handelte. Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit war damit in keiner Weise verbunden. Dem Tagungsleiter war es ohne weiteres ­ wie dann auch geschehen ­ möglich, sein Referat in einem anderen Rahmen vorzutragen. Am nächsten Tag hat der Tagungsleiter die Fortbildungsveranstaltung planmäßig durchgeführt und beendet.

Zu Frage 3: Die Direktorin der Deutschen Richterakademie hat eine ausführliche Stellungnahme abgegeben, deren wesentlicher Inhalt in der Antwort zu den Fragen 1 und 2 dargestellt wurde.

Zu Frage 4: Eine besondere politische Einflussnahme durch einzelne Landesregierungen auf die Arbeit und die Inhalte der Deutschen Richterakademie ist ­ wie eingangs dargelegt ­ nicht möglich. Jedes Land hat ein gleichrangiges Vorschlagsrecht für die Programmkonferenz und jeweils die inhaltliche Verantwortung für die übernommenen Tagungen. Darüber hinausgehende Einflüsse sind weder in der praktischen Arbeit erkennbar noch in der Struktur der Deutschen Richterakademie angelegt.

Zu Frage 5: Da eine Zensur nicht stattfindet, sind keine Maßnahmen erforderlich.

Zu Frage 6: Es ist nicht erforderlich, dass die Landesregierung Maßnahmen ergreift, um die Unabhängigkeit der Richterakademie zu wahren.

Der Vorbemerkung und der zu Frage 4 erteilten Antwort ist bereits zu entnehmen, dass die Organisation der Deutschen Richterakademie so angelegt ist, dass der plurale und demokratische Geist in der Richterfortbildung uneingeschränkt wirken kann.