Einige wenige Frauen haben es bisher gewagt das Thema aus ihrer Sicht offen

Für ein gleichberechtigtes Leben von Frauen und Mädchen aus Migrantenfamilien in Deutschland. Zwangsheirat und „Mord im Namen der Ehre" stehen derzeit im Fokus der Öffentlichkeit. In den letzen Wochen sind zahlreiche bewegende Berichte über Zwangsheirat und „Mord im Namen der Ehre" in den Medien erschienen. Nicht vorhandene statistische Zahlen, hohe Dunkelziffern und unklare Definitionen lassen lediglich erahnen, wie schwierig die Situation der betroffenen Mädchen und Frauen tatsächlich ist.

Einige wenige Frauen haben es bisher gewagt, das Thema aus ihrer Sicht offen anzusprechen.

Die Menschenrechtsorganisation „Terre des Femmes e. V." strebt mit ihrer Kampagne „Stoppt Zwangsheirat" eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit, staatlicher Stellen, der Justiz und der Betroffenen an.

Nach der Definition von amnesty international versteht man unter Zwangsheirat eine Ehe, die ohne eindeutige Zustimmung von beiden Partnern geschlossen wird oder deren Zustimmung durch körperliche oder psychische Gewalt, sozialen Druck oder emotionale Erpressung zustande gekommen ist. Da es sich bei der Zwangsheirat um einen klaren Verstoß gegen die Handlungsfreiheit und andere elementare Grundrechte handelt, kann eben diese auch als eine moderne Form der Sklaverei angesehen werden.

In der Polizeilichen Kriminalstatistik und justiziellen Strafverfolgungsstatistik werden „Morde im Namen der Ehre" oder ähnliche Delikte nicht gesondert erfasst. Dennoch zählte die Organisation „Terre des Femmes e. V." allein im Jahr 2004 bundesweit mindestens acht „Ehrenmorde". Im selben Jahr bearbeitete die Organisation 104 Fälle von Zwangsheirat, Unterdrückung im Namen der Ehre und, damit einhergehend, Todesdrohungen.Expertenschätzungen zufolge liegt die Dunkelziffer bei ca.30000 Frauen, die jährlich von Zwangsverheiratungen betroffen sind. Die Zahlen nehmen stetig zu.

Auch in Rheinland-Pfalz dürfen die zuständigen Stellen die Augen vor diesem Problem nicht verschließen.

Die rheinland-pfälzische Polizei hat in den Jahren 2000 bis 2004 im Rahmen von Ermittlungsverfahren vier Vorgänge bearbeitet, die unter die o. g. Definition fallen (vgl. Drucksache 14/4121, Große Anfrage der CDU-Fraktion zur Situation muslimischer Frauen und Mädchen in Rheinland-Pfalz und Antwort der Landesregierung) und die rheinland-pfälzische Justiz hat mitgeteilt, dass in diesem Zeitraum jedenfalls bei vier Verurteilungen zu einer jeweils lebenslangen Freiheitsstrafe das Tatmotiv „Wiederherstellung der Familienehre" zugrunde lag. Aktuell hat das Amtsgericht Ludwigshafen am 22. September 2005 einen 40-jährigen Türken wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte zugegeben, dass er seiner 22-jährigen Schwester in die Beine geschossen hatte; als Tatmotiv gab er an, sie habe durch ihren westlichen Lebensstil die Familienehre verletzt. Die junge Frau lebte mit einem Deutschen zusammen.

1. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein weltoffenes und ausländerfreundliches Land, das Menschen anderer Nationen, Vertriebene und Verfolgte aufnimmt und willkommen heißt. Staat und Gesellschaft sind gefordert, die Zugewanderten in das gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Leben zu integrieren. Fragen von Kultur und Religion sind für eine erfolgreiche Integration in die deutsche Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Europäische sowie deutsche Verfassungs- und Rechtsstandards und der Bestand an Grund- und Menschenrechten sind indisponibel und müssen auch von allen eingewanderten Ausländern ausnahmslos beachtet und respektiert werden.

2. In Deutschland leben mehrere Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, darunter auch etwa 3,1 bis 3,5 Millionen Muslime. Etwa siebzig Prozent dieser Menschen stammen aus der Türkei. Ein Teil der dauerhaft in unserem Land lebenden Migranten lebt zunehmend in Parallelgesellschaften, in denen die alten Traditionen ihrer Herkunftsländer vorherrschen und insbesondere Mädchen und Frauen benachteiligt werden.

3. In Deutschland sind Gewalt gegen Frauen, Zwangsheirat und Ehrenmorde viel zu lange verharmlost oder gar verschwiegen worden. Ehrbezogene Gewalt ist eine Form der Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die innerhalb stark patriarchalisch strukturierter Familien und Gesellschaften häufig vorkommt. Auch die Zwangsheirat ist eine Form der Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Sie ist eine besonders schwerwiegende Menschenrechtsverletzung und muss als solche deutlich geächtet werden.

Die unter Zwang verheirateten Mädchen und jungen Frauen in Deutschland stammen zwar oft aus einem türkischen oder kurdischen Umfeld, betroffen sind nach Aussagen der Menschenrechtsorganisation „Terres des Femmes e. V." aber auch Albanerinnen, Pakistanerinnen, Inderinnen, Marokkanerinnen, Jordanierinnen, Italienerinnen, Brasilianerinnen und Griechinnen. Das macht deutlich, dass das Phänomen der Zwangsheirat nicht nur auf den islamischen Kulturkreis beschränkt ist. Zwangsheirat ist keine Frage der Religion, sondern von traditionell patriarchalisch verfestigten Familienstrukturen.

4. Zwangsheirat und Ehrenmorde sind aber nur ein Teil aus dem Gesamtspektrum von Gewalt gegen Frauen. Studien des Bundesfamilienministeriums belegen, dass 42 Prozent aller Frauen in Deutschland Opfer von häuslicher Gewalt sind. Bei den Einwanderinnen aus der Türkei ist sogar jede zweite Frau Gewalt im sozialen Nahraum ausgesetzt.

5. Die überwiegende Mehrheit von Familien mit Migrationshintergrund lebt ein tolerantes und integriertes Leben in der Bundesrepublik. 85 Prozent der Migrantinnen sind laut einer Umfrage weitgehend zufrieden mit ihren Familien und fühlen sich durch sie nicht in ihren Freiheiten beschnitten.

C.

Der Landtag folgert daraus, dass

1. im Vordergrund der aktuellen Debatte der Schutz der Betroffenen und die Entschärfung der Konflikte stehen müssen. Dazu gehören Informations- und Aufklärungsarbeit sowie der Ausbau von Beratungs- und Hilfsangeboten. Die Zusammenarbeit mit geeigneten Kooperationspartnern muss verbessert werden. Eine besondere Bedeutung kommt Migrantinnenorganisationen und religiösen Gemeinschaften zu;

2. die Debatte über die Problematik offen und offensiv werden muss, ohne pauschal alle Migrantenfamilien und insbesondere Muslime unter Generalverdacht zu stellen;

3. ein bedeutsamer Schlüssel zu einem gleichberechtigten Leben von Frauen und Mädchen aus Migrantenfamilien in Deutschland das Beherrschen der deutschen Sprache ist, welches einen gleichberechtigten Zugang zur Bildung ermöglicht;

4. es Aufgabe des Staates ist, sicherzustellen, dass alle kulturellen und religiösen Gruppen in Deutschland das Grundgesetz achten;

5. in Fällen offenkundiger Ablehnung der nationalen Rechts- und Gesellschaftsordnung oder bei gravierenden Rechtsverstößen staatliche Maßnahmen zu treffen sind, die je nach Schwere des Verstoßes bis zur Ausweisung führen müssen.

D.

Der Landtag fordert daher die Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass

­ bundesweit Erhebungskriterien und Fallzahlen über Formen und Ausmaß von Verbrechen im „Namen der Ehre", insbesondere der so genannten „Schandmorde" sowie über Ausmaß und Auswirkungen von Zwangsverheiratungen, eingeführt werden,

­ die Rechtsstellung der Opfer von Zwangsverheiratungen zivilrechtlich gestärkt wird,

­ ein neuer Tatbestand „Zwangsheirat" im Strafgesetzbuch geschaffen wird,

­ den Opfern von Zwangsverheiratungen und ihren minderjährigen Kindern im Rahmen der geltenden gesetzlichen Regelungen ein Bleiberecht in Deutschland eingeräumt wird,

­ die Themenbereiche Zwangsheirat und Ehrenmorde länderübergreifend und wissenschaftlich fundiert bearbeitet werden, um auch Erfahrungen und Erkenntnisse mit anderen zu teilen.

E.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

­ geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Behörden, vor allem aber auch Lehrerinnen und Lehrer zu sensibilisieren und zu schulen, damit sie spezifische Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen erkennen und geeignete Maßnahmen einleiten können,

­ insbesondere auch Schülerinnen und Schülern deutlich zu machen, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen zu den demokratischen Grundrechten gehört, deren Missachtung keinesfalls toleriert werden kann. Die Themen Zwangsheirat und Ehrenmorde sollen an rheinland-pfälzischen Bildungseinrichtungen behandelt werden, um potenzielle Opfer auf ihre Rechte und Unterstützungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen,

­ das Bewusstsein der Bevölkerung für die Problembereiche Zwangsheirat und Ehrenmorde zu schärfen. Der Öffentlichkeit soll deutlich gemacht werden, dass es sich bei diesen Taten um gravierende Menschenrechtsverletzungen handelt und

­ eine Sprachausbildung für Kinder mit Migrationshintergrund bereits im Vorschulalter zu gewährleisten, um Chancengleichheit in der Schulbildung sowie in der späteren Berufswahl sicherzustellen.

Für die Fraktion: Herbert Jullien