Geplante Kurzarbeitslosigkeit als Hebel zur Lohndrückerei bei Erziehern und Erzieherinnen sowie Ordnungskräften in der Stadt Mainz

In der Stadt Mainz soll es laut Presseberichten gängige Praxis sein, Zeitarbeitsverträge mit Erziehern und Erzieherinnen sowie mit Ordnungskräften auslaufen zu lassen, um die Betroffenen nach einem Monat und einem Tag zu schlechteren Bedingungen wieder einzustellen. Die Kommunalverwaltung beruft sich dabei auf eine Neuregelung des Tarifvertrags Öffentlicher Dienst. Die Gewerkschaft ver.di nennt diese Praxis „rechtsmissbräuchlich". Unstrittig dürfte sein, dass durch die Entlassungen in kalkulierte Arbeitslosigkeit vermeidbare Kosten bei den Sozialversicherungssystemen entstehen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele Personen, welche Tätigkeitsfelder und welche Lohngruppen waren nach Kenntnis der Landesregierung im laufenden Jahr von der Praxis der Stadt Mainz betroffen, gezielt Zeitarbeitsverträge zu kündigen, um anschließend eine schlechtere Bezahlung durchzusetzen?

2. Was wurde vorher und was wird nachher bezahlt?

3. Welche Kosten entstehen durch diese geplante Kurzarbeitslosigkeit bei den Sozialversicherungen?

4. Sind ähnliche Praktiken aus anderen Gebietskörperschaften in Rheinland-Pfalz bekannt, wenn ja, in welchen?

5. Wie bewertet die Landesregierung die geschilderte Praxis?

6. Wird sich die Kommunalaufsicht mit dieser Frage befassen?

Das Ministerium des Innern und für Sport hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 13. Januar 2006 wie folgt beantwortet:

Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) vom 13. September 2005 sind seit 1. Oktober 2005 in Kraft.

Die über den 30. September 2005 hinaus fortbestehenden Arbeitsverhältnisse werden für die Dauer des ununterbrochenen Fortbestehens ­ regelmäßig unter Wahrung des monetären Besitzstandes ­ übergeleitet (§ 1 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA); in der Zeit bis 30. September 2007 sind Unterbrechungen von bis zu einem Monat unschädlich (Protokollerklärung zu § 1 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA).

Auf Arbeitsverhältnisse, die nicht vom TVÜ-VKA erfasst werden, findet der TVöD Anwendung, nach dem insbesondere die Zahlung von Orts- bzw. Familienzuschlägen, der allgemeinen Zulage und anderer Zulagen nicht vorgesehen ist.

Im Rahmen ihrer Personalhoheit, die Teil der verfassungsrechtlich geschützten kommunalen Selbstverwaltung ist, können Gemeinden frei entscheiden, ob und wann auslaufende Zeitarbeitsverträge mit den bisherigen Beschäftigten fortgesetzt werden. Nach dem Selbstverständnis der Landesregierung über ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind jedoch bei Personalentscheidungen auch die sozialen Folgen ­ zumindest im Einzelfall ­ zu berücksichtigen, insbesondere bei Übergang in eine befristete Arbeitslosigkeit und gravierenden Gehaltseinbußen von Beschäftigten der unteren Einkommensgruppen. Damit ist eine Unterlassung einer Weiterbeschäftigung, obwohl unverändert ein sachlicher Bedarf für die befristete Beschäftigung von Beschäftigten in diesen Bereichen besteht, allein aus dem Grund einer ­ unbestritten notwendigen und als Zielvorstellung anzuer, 14. Februar 2006 kennenden ­ Haushaltskonsolidierung durch Verminderung von Personalausgaben, wobei eine von den Tarifvertragsparteien nicht vorgesehene Gestaltungsmöglichkeit bei der Einführung des neuen Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes zu Lasten einer Partei ausgenutzt werden soll, nicht vereinbar. Die Landesregierung will deshalb den Dialog mit der Stadt Mainz und dem Kommunalen Arbeitgeberverband Rheinland-Pfalz mit dem Ziel suchen, Lösungen zu finden, bei denen die Interessen der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker einfließen können.

Die Fragen beantworte ich vor diesem Hintergrund im Einzelnen wie folgt:

Zu 1.: Die Stadt Mainz hat im abgelaufenen Jahr Zeitarbeitsverträge nicht gekündigt.

In folgenden Personalfällen wurden im Jahr 2005 nach dem Auslaufen befristeter Arbeitsverträge und nach einer Übergangsfrist von mehr als einem Monat neue Arbeitsverträge auf der tariflichen Grundlage des TVöD angeboten und abgeschlossen:

­ acht Erziehungskräfte, davon zwei in Entgeltgruppe 5 und sechs in Entgeltgruppe 6,

­ zwei Kräfte im Sozialdienst in Entgeltgruppe 9,

­ drei Verwaltungskräfte, davon zwei in Entgeltgruppe 3 und eine in Entgeltgruppe 5.

Zu 2.: In den in der Antwort zu Frage 1 genannten Personalfällen aus dem IV. Quartal 2005 ergeben sich für die Stadt Mainz jährliche Personalkosteneinsparungen (einschließlich Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung) von rund 37 500 ; das entspricht einem Bruttoentgelt von ca. 28 800. Die durchschnittliche Verminderung des Jahresbruttoeinkommens je Arbeitnehmer beträgt somit etwa 2 200.

Zu 3.: Die exakten Kosten bei den Sozialversicherungen können nicht beziffert werden, da sie von der genauen Höhe der zuletzt gezahlten Entgelte und von persönlichen Faktoren der Arbeitnehmer abhängig sind, die aus Datenschutzgründen nicht im Detail abgefragt werden können.

Die Kosten bei den Sozialversicherungen setzen sich grundsätzlich zusammen aus dem zu zahlenden Arbeitslosengeld sowie der Übernahme der Beiträge für die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung durch die Arbeitsverwaltung. Einen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben jedoch grundsätzlich nur die Arbeitnehmer, die innerhalb der letzten zwei Jahre mindestens zwölf Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Der Anspruch beträgt für Arbeitslose mit Kindern 67 % und für alle anderen 60 % des letzten pauschalierten Nettoentgelts. Die Beiträge für die Rentenversicherung betragen derzeit 19,5 %, für die Krankenversicherung durchschnittlich 13,4 % und für die Pflegeversicherung 1,7 % der beitragspflichtigen Entgelte.

Zu 4.: Nein.

Zu 5. und 6.: Für eine Befassung der Kommunalaufsicht im Sinne eines Handelns gegenüber der Stadt Mainz besteht keine Rechtsgrundlage (§§ 117 ff. GemO). Die Stadtverwaltung Mainz hat mit der Praxis, die Gegenstand der vorliegenden Kleinen Anfrage ist, nicht offenkundig gegen geltendes Tarifrecht verstoßen.