Eindämmung des Umsatzsteuerbetruges mit „Karussellgeschäften"

Nach Presseberichten sollen in der Europäischen Union jährlich rund 60 Milliarden Euro Umsatzsteuer hinterzogen werden.

Berüchtigt ist das so genannte Mehrwertsteuer-Karussell, bei dem sich Betrüger durch fingierte Exporte Mehrwertsteuer vom Staat zurückholen. Die Ware verlässt das Land allerdings nie oder sie wird schwarz „zurückimportiert".

Die Bundesregierung hat den Vorschlag gemacht, in Deutschland das so genannte „Reverse-Charge-Modell" einzuführen, um diesen Umsatzsteuerbetrug in Deutschland einzudämmen. Das „Reverse-Charge-Modell" sieht eine Verlagerung der Steuerschuld vom Leistungserbringer auf den Leistungsempfänger vor, die im Ergebnis weniger betrugsanfällig wäre. Die EU hat die Ausnahmeregelung der 6. Mehrwertsteuerrichtlinie jedoch abgelehnt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Alternativen sieht die Landesregierung zur Eindämmung des Umsatzsteuerbetruges in Rheinland-Pfalz nach Ablehnung des „Reverse-Charge-Modells" durch die EU?

2. Was unternimmt die Landesregierung, um dem Umsatzsteuerbetrug durch „Karussellgeschäfte" in Rheinland-Pfalz zu begegnen?

3. Wie hoch ist der geschätzte Schaden, der Rheinland-Pfalz durch Umsatzsteuerbetrug jährlich entsteht?

Das Ministerium der Finanzen hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 3. August 2006 wie folgt beantwortet:

Zu Frage 1.: Es ist zwischenzeitlich national, aber auch auf EU-Ebene unstreitig, dass das geltende System der Allphasen-Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug, wonach einem Unternehmer die Umsatzsteuer auf Eingangsleistungen vom Finanzamt unabhängig von der Zahlung dieser Umsatzsteuer durch den leistenden Unternehmer angerechnet bzw. vergütet wird, hohe Ausfallrisiken birgt und betrugsanfällig ist. Dabei bilden Vorsteuerbetrügereien, unter anderem durch sog. Karussellgeschäfte, nur eine Ausprägung der systembedingten Steuerausfallursachen. In mindestens gleichem Maß sind die fehlenden Umsatzsteuereinnahmen auch auf die Zahlungsunfähigkeit von leistenden oder leistungsempfangenden Unternehmern zurückzuführen.

Die Landesregierung setzt sich daher bereits seit geraumer Zeit für eine Korrektur dieses Systems in der Weise ein, dass die Steuerschuld bei größeren Umsätzen vom leistenden Unternehmer auf den Leistungsempfänger verlagert wird (sog. Reverse-Charge).

Insoweit würden zwischen Unternehmern keine Rechnungen mit offenem Steuerausweis mehr erteilt werden dürfen und dementsprechend ein Vorsteuerabzug nicht mehr möglich sein. Die damit verbundenen Ausfälle könnten stark reduziert werden. Dies hat ein Planspiel im Auftrag von Bund und Ländern eindeutig ergeben. Demgegenüber hat sich in diesem Gutachten der Gegenvorschlag zum allgemeinen Übergang zur sog. Ist-Besteuerung als wenig effektiv erwiesen. Er stellt daher keine verfolgenswerte Alternative zu Reverse-Charge dar.

Jede Abweichung vom Mehrwertsteuersystem in einem EU-Mitgliedstaat bedarf allerdings der Änderung der 6. EG-MehrwertsteuerRichtlinie, zumindest aber einer Ausnahmeermächtigung des Rates. Nachdem sich die Bundesregierung das Reverse-Charge-Modell zu eigen gemacht hatte, hat sie deshalb ­ wie kurz zuvor bereits Österreich ­ zunächst die Ausnahmeermächtigung als die am schnellsten zu erreichende Rechtsgrundlage beantragt. Deren Erteilung hat die EU-Kommission am 20. Juli 2006 sowohl für Österreich als auch für Deutschland abgelehnt mit der Begründung, dass die angestrebten Änderungen so grundlegend seien, dass sie nur auf Grundlage einer geänderten Richtlinie umgesetzt werden können.

Die Realisierung des Reverse-Charge-Verfahrens ist damit also keineswegs unmöglich geworden. Derzeit beraten die zuständigen Gremien der Kommission und des Rates bereits über eine Änderung der 6. EG-Mehrwertsteuerrichtlinie, die es den Mitgliedstaaten zumindest optional erlaubt, Reverse-Charge einzuführen.

Zu Frage 2.: Wie bereits zu Frage 1 ausgeführt, sind Umsatzsteuerausfälle nicht nur auf Betrug, sondern auf verschiedene Ursachen zurückzuführen, die ihren Ursprung zu großen Teilen im Mehrwertsteuersystem haben. Daher ist eine Modifikation des Mehrwertsteuersystems die effektivste Methode, Steuerausfälle bereits im Ansatz zu vereiteln.

Gerade Karussellgeschäfte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie typischerweise länderübergreifend stattfinden, also die Lieferketten sich über mehrere Länder und Mitgliedstaaten erstrecken. Sie sind daher nur schwer und vor allem in der Regel erst nach einem gewissen Zeitraum aufzudecken. Wichtig sind insbesondere schnelles Tätigwerden und zielführende Zusammenarbeit der Steuerverwaltungen. Hier finden kontinuierlich Verbesserungen statt. Bundesweit sind zu diesem Zweck in den letzten Jahren eine Vielzahl von technischen und rechtlichen Maßnahmen ergriffen worden, z. B. die Einführung einer unangekündigten Nachschau oder die Schaffung von Koordinierungsstellen und zentralen Informationssystemen. Rheinland-Pfalz hat darüber hinaus die Zusammenarbeit zu den unmittelbaren Nachbarstaaten Frankreich, Belgien und Luxemburg intensiviert und die Möglichkeit des unmittelbaren und direkten Auskunftsaustauschs zwischen den hiesigen Finanzämtern und den dortigen Steuerbehörden geschaffen.

Zudem wurden die Umsatzsteuersonderprüfungsstellen personell verstärkt und zusätzliche Fortbildungsmaßnahmen im Bereich Umsatzsteuer ergriffen.

Zu Frage 3.: Genaue Zahlen über den Umfang der Hinterziehung von Umsatzsteuern liegen weder für Rheinland-Pfalz noch für die Bundesrepublik noch für den Bereich der Europäischen Union vor, da die Umsatzsteuerkriminalität ­ wie andere Formen der Steuerhinterziehung auch ­ durch eine hohe Dunkelziffer gekennzeichnet ist.

Im Rahmen des zu Frage 1 erwähnten Planspiels wurde in Zusammenarbeit mit dem Münchener ifo-Institut unter Zuhilfenahme volkswirtschaftlicher Berechnungen eine Schätzung des bundesweiten jährlichen Steuerausfalls bei der Umsatzsteuer i. H. v. zirka 17 Mrd., von dem etwa 4,4 Mrd. auf Vorsteuerbetrug und weitere 5,6 Mrd. auf insolvenzbedingten Ausfällen beruhen, vorgenommen. Andere seriöse Erhebungen in Deutschland sind nicht bekannt.

Eine konkrete Bezifferung des Schadens für Rheinland-Pfalz ist nicht möglich, denn das Aufkommen aus der Umsatzsteuer steht Bund und Ländern gemeinsam zu und wird nach Schlüssel verteilt. Insofern ist der auf einzelne Länder entfallende Schaden nicht empirisch auf Grund der hierzulande entdeckten Fälle ermittelbar, sondern ergibt sich allenfalls aus einem prozentualen Anteil an den insgesamt fehlenden Einnahmen. Hinzu kommt beim Karussellbetrug, dass auch wegen der dabei meist länderübergreifenden Lieferketten eine Zuordnung des konkreten Schadensbetrages zu einem Land ohnehin nicht möglich ist.