Besondere Bedeutung erlangt dieser Gesichtspunkt im Rahmen von Strafverfahren

B. Die Rechtsstellung des Opfers Opfer brauchen in vielfältiger Hinsicht die Hilfe und Unterstützung der Gesellschaft, des Staates und seiner Einrichtungen.

Äußerliche Wunden mögen heilen, materielle Schäden mögen sich wirtschaftlich beheben lassen. Doch oftmals sind es gerade die unsichtbaren, die immateriellen Folgen einer Tat, die die Opfer besonders nachhaltig belasten. Eine Traumatisierung wirkt über die Tat hinaus und sie kann durch spätere Ereignisse in unterschiedlicher Weise erheblich beeinflusst werden.

Besondere Bedeutung erlangt dieser Gesichtspunkt im Rahmen von Strafverfahren. Hier gilt es, eine sogenannte sekundäre Viktimisierung möglichst zu vermeiden. Sekundäre Viktimisierung bedeutet die erneute schwerwiegende Belastung und Beeinträchtigung von Geschädigten im Rahmen und als Folge des Strafverfahrens (nachdem die Verletzten bereits durch die Tat Opfer geworden ­ also „primär viktimisiert" worden ­ sind).

Neben diesem wichtigen Aspekt dürfen aber auch die weiteren Belange des Opfers nicht vernachlässigt werden. Hierzu zählen etwa das Interesse an einer angemessenen Genugtuung für erlittenes Unrecht, nicht zuletzt auch in finanzieller Hinsicht, oder der Schutz des Opfers vor neuen Repressionen von Täterseite.

Diesen Belangen werden die in zahlreichen Regelungswerken niedergelegten gesetzlichen Vorschriften in unterschiedlicher Form und entsprechend ihres jeweiligen Gesetzeszwecks in unterschiedlichem Umfang gerecht.

Da der beste Opferschutz immer noch der Schutz davor ist, überhaupt Opfer einer Straftat zu werden, kommt gerade auch den präventiv wirkenden Regelungen zentrale Bedeutung zu.

Eine erschöpfende Darstellung aller opferrelevanten Regelungen würde den Rahmen des Opferschutzberichts sprengen. Allerdings erscheint ein Überblick über die Rechtsstellung der Opfer unter verschiedenen Blickwinkeln für die Beurteilung ihrer Lage und zur Sensibilisierung für mögliche Schutzlücken unabdingbar. Daher werden über den strafrechtlichen Bereich hinaus weitere wichtige Regelungen aus unterschiedlichen Rechtsbereichen dargestellt, die für den vorbeugenden und/oder nachsorgenden Opferschutz von Bedeutung sind.

I. Die Stellung des Opfers im Straf- und Strafverfahrensrecht

1. Allgemeines:

Das Strafrecht enthält in vielfältiger Hinsicht opferschützende Normen.

Zwar stehen bei der Erörterung des Opferschutzes im Strafrecht regelmäßig die opferschützenden Vorschriften des Strafverfahrens in der Strafprozessordnung (StPO) und im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) im Vordergrund, doch enthält auch das Strafgesetzbuch (StGB) zahlreiche Regelungen, die dem Opferschutz dienen:

So entfalten die im StGB und im Nebenstrafrecht enthaltenen Straftatbestände, die dem Individualrechtsgüterschutz dienen, durch die von ihnen ausgehende Abschreckung opferschützende Wirkung. Besonders deutlich wird die Ausrichtung auf präventive Schutzaspekte bei den Straftatbeständen der Nichtanzeige geplanter Straftaten und der unterlassenen Hilfeleistung (§§ 138, 323 c StGB) oder bei Tatbeständen, die die bloße Vorbereitung einer Straftat oder die Gefährdung von Menschen und Sachen unter Strafe stellen.

Wegen des Umfangs verzichtet der Bericht auf eine Darstellung einzelner Straftatbestände. Dies gilt entsprechend für die strafrechtlichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe, die ebenfalls dem Schutz der Opfer dienen. Sie erlauben angegriffenen Opfern oder hilfsbereiten Dritten, sich gegen Rechtsgutsbeeinträchtigungen effektiv zu wehren, ohne sich selbst strafbar zu machen.

Der Gedanke des Opferschutzes kommt auch bei der Regelung des straffreien Rücktritts vom Versuch einer Straftat in § 24 StGB zum Tragen. Denn die Gewährung von Straffreiheit für Täterinnen und Täter, die freiwillig von der weiteren Ausführung der Tat absehen oder ihre Vollendung verhindern, stellt einen dem Opferschutz dienenden Anreiz zur Aufgabe des Tatplans dar. Entsprechende Erwägungen liegen den Regelungen über die tätige Reue zugrunde (z. B. § 239 a Abs. 4 StGB).

Dem präventiven Opferschutz dienen namentlich auch die Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB). Besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die freiheitsentziehenden Maßregeln der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt (vgl. Abschnitt B, III. 1. und 2.) sowie der Führungsaufsicht (vgl. Abschnitt B, I. 11.1.2). Aber auch die übrigen Maßregeln wie die Entziehung der Fahrerlaubnis und das Berufsverbot dienen dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.

Einen wirkungsvollen Beitrag zum vorbeugenden und zum nachsorgenden Opferschutz leisten ferner Auflagen bzw. Weisungen im Rahmen einer Bewährung (§§ 56 ff. StGB; vgl. Abschnitt B, I. 11.1.1).

Mit Blick auf den nachsorgenden Opferschutz sind auch die Strafzumessungsvorschriften der §§ 46 und 46 a StGB zu nennen. Nach § 46 Abs. 1 StGB gehört das Bemühen der Täterin bzw. des Täters, den Schaden wiedergutzumachen, oder einen Ausgleich mit der oder dem Verletzten zu erreichen, zu den Umständen, die bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. § 46 a StGB bestimmt, dass das Gericht die Strafe mildern oder unter Umständen sogar von Strafe absehen kann, wenn sich die Täterin bzw. der Täter um einen Täter-Opfer-Ausgleich (vgl. Abschnitt B, I. 7.) bemüht, eine Wiedergutmachung bewirkt oder ernsthaft erstrebt oder eine Entschädigung erbracht hat. Die Aussicht auf eine Strafmilderung bietet einen Anreiz für Täterinnen und Täter, sich auf diese Maßnahmen einzulassen.

Bezug zum Opferschutz haben schließlich auch die in den §§ 77 ff. StGB normierten Regelungen zum Strafantrag (vgl. Abschnitt B, I. 2.1) sowie die das Ruhen der Verjährung betreffende Vorschrift des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. Abschnitt B, I. 2.2). Hierbei handelt es sich um Vorschriften an der Schnittstelle zum Strafverfahren, dem der Schwerpunkt der folgenden Darstellung gewidmet ist. Denn gerade das Strafverfahren erinnert in herausragender Weise an den Moment der Opferwerdung. Nicht selten sind Opfer insbesondere in einer Hauptverhandlung vor Gericht gezwungen, die schrecklichen Ereignisse nochmals zu durchleben.

Das Opfer ist nicht bloßes Objekt des Strafverfahrens.

Opfer sind im Strafverfahren zwar in aller Regel als Zeuginnen oder Zeugen und damit als Beweismittel von wesentlicher Bedeutung für die Durchsetzung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs. Sie können unter bestimmten Voraussetzungen jedoch auch im eigenen Interesse gestaltenden Einfluss auf das Verfahren nehmen. Dies kann bereits mit der Frage beginnen, ob überhaupt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann (vgl. Abschnitt B, I. 2.). Denn in nicht wenigen Fällen ist die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens von einem Strafantrag der oder des Verletzten abhängig. Unter bestimmten Voraussetzungen können Opfer von Straftaten ferner in unterschiedlicher Form Einfluss auf den Gegenstand und den Gang eines Strafverfahrens nehmen. Sie können sich im Wege der Nebenklage der öffentlichen Klage anschließen (vgl. Abschnitt B, I. 9.2), mit der Privatklage die Strafverfolgung selbst betreiben (vgl. Abschnitt B, I. 9.3) oder im sogenannten Adhäsionsverfahren ihre zivilrechtlichen Ansprüche im Strafprozess verfolgen (vgl. Abschnitt B, I. 10.2).

Darüber hinaus stehen Opfern zur Vermeidung rechtlicher Nachteile im Strafverfahren eine Reihe von Schutz- und Informationsrechten zu (vgl. Abschnitt B, I. 5.). Die gesetzlichen Regelungen berücksichtigen dabei, dass bei Opfern von Straftaten durchaus unterschiedliche Interessen im Vordergrund stehen können.

Opfern, die einen Strafantrag stellen oder sich im Wege der Neben- oder Privatklage an dem Verfahren beteiligen, ist das Interesse an einer nachhaltigen Strafverfolgung der Täterinnen und Täter gemeinsam. Sie erstreben hiermit in der Regel als Folge der Verurteilung zumindest auch eine persönliche Genugtuung oder die Wiederherstellung ihres Sicherheitsgefühls. Das Interesse von Opfern kann aber auch darauf gerichtet sein, in materieller Hinsicht eine Kompensation für das erlittene Unrecht zu erhalten und sich hinsichtlich eingetretener Vermögensverluste schadlos zu halten.

Vielen Opfern ist aber vor allem daran gelegen, im Rahmen des Strafverfahrens Schutz vor einer erneuten Traumatisierung, anderen starken psychischen Belastungen oder vor neuen Repressalien der Täter zu erlangen. Verschiedene Regelungen dienen deshalb dazu, eine sekundäre Viktimisierung von Opfern im und durch das Strafverfahren soweit als möglich zu vermeiden.

Unabhängig davon, ob und welche ihrer Befugnisse Opfer im Einzelnen geltend machen, haben die Richterinnen und Richter sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Staatsanwaltschaften aufgrund ihrer prozessualen Fürsorgepflicht die für die Verletzten mit dem Strafverfahren verbundenen Belastungen so gering wie möglich zu halten und deren Belange zu berücksichtigen (vgl. Nr. 4 c der Richtlinien über das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren ­ RiStBV).

Im Folgenden sollen die für Opfer besonders bedeutsamen Regelungen zunächst nach ihrer jeweiligen Beteiligung oder Betroffenheit im Verfahren geordnet dargestellt werden. Dabei werden sie innerhalb der betreffenden Abschnitte grundsätzlich in der Reihenfolge dargelegt, in der sie für die Verletzten einer Straftat im Ablauf des Strafverfahrens regelmäßig erstmals oder in besonderer Weise zum Tragen kommen.

2. Die Bedeutung des Opfers für die Verfolgbarkeit einer Straftat

Das Opfer kann durch einen Strafantrag eine Voraussetzung dafür schaffen, dass ein Ermittlungs- bzw. Strafverfahren überhaupt eingeleitet werden kann (vgl. Abschnitt B, I. 2.1). Darüber hinaus kann die Person des Opfers in bestimmten Fällen auch für die Frage von Bedeutung sein, wie lange eine an sich von Amts wegen zu verfolgende Straftat verfolgt werden darf (vgl. Abschnitt B,

I. 2.2).

Das Opfer als Strafantragstellerin oder Strafantragsteller

Ein Ermittlungsverfahren ist von der Staatsanwaltschaft bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine verfolgbare Straftat einzuleiten (vgl. § 152 Abs. 2 StPO). Oftmals liegt der Einleitung des Verfahrens die Strafanzeige oder der Strafantrag eines Opfers zugrunde. Grundsätzlich müssen Straftaten von Amts wegen und ohne Rücksicht auf den Willen der oder des Verletzten verfolgt werden.

Allerdings gibt es auch Straftaten, deren Verfolgung zwingend einen wirksamen Strafantrag voraussetzt (sogenannte „absolute Antragsdelikte"). Beispiele „absoluter Antragsdelikte" sind etwa der Hausfriedensbruch (vgl. § 123 Abs. 2 StGB), die Beleidigungsdelikte (vgl. § 194 StGB) oder die Verletzung von Privatgeheimnissen (vgl. § 205 Abs. 1 S. 1 StGB).

Daneben gibt es Delikte, die zwar grundsätzlich einen Strafantrag voraussetzen, bei denen das Fehlen des Antrags jedoch dadurch ersetzt werden kann, dass die Staatsanwaltschaft ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht (sogenannte „bedingte Antragsdelikte"). Dies ist etwa der Fall bei der fahrlässigen, der (einfachen) vorsätzlichen Körperverletzung (vgl. § 230 Abs. 1 StGB) oder bei einfachen „Stalking"-Vorwürfen (vgl. § 238 Abs. 4 StGB).

Im Gegensatz zu einer Strafanzeige handelt es sich bei einem Strafantrag nicht lediglich um die als schlichte Anregung zu verstehende Mitteilung eines Sachverhalts, der Anlass für strafrechtliche Ermittlungen sein kann. Vielmehr beinhaltet der Strafantrag ein ausdrückliches oder schlüssiges Strafverfolgungsverlangen der oder des Antragsberechtigten. Der Strafantrag muss innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis von Tat und Täterin bzw. Täter (§ 77 b Abs. 1 StGB) bei der Staatsanwaltschaft, den Behörden oder Beamtinnen und Beamten des Polizeidienstes oder den Amtsgerichten mündlich oder schriftlich angebracht werden (§ 158 Abs. 1 StPO). Bei Antragsdelikten muss der Antrag bei einem Gericht oder bei der Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll, bei einer anderen Behörde schriftlich gestellt werden (§ 158 Abs. 2 StPO). Antragsberechtigt sind die durch die Tat Verletzten, in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen bestimmte Angehörige oder die gesetzliche Vertreterin bzw. der gesetzliche Vertreter (vgl. § 77 Abs. 2 und 3 StGB). Kommt es zu einer zeugenschaftlichen Vernehmung einer durch eine Straftat verletzten Person, so wird diese auch dazu befragt, ob sie einen etwa erforderlichen Strafantrag stellen, ihn sich vorbehalten oder hierauf verzichten möchte (falls eine Entscheidung noch nicht aktenkundig sein sollte). Folgende Besonderheiten ergeben sich für das Opfer, das einen Strafantrag gestellt hat:

Wird das Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts oder wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses (wie etwa der Verjährung) gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, steht den Verletzten unter bestimmten Voraussetzungen der Weg offen, eine Anklageerhebung im Wege des sogenannten Klageerzwingungsverfahrens (§ 172 StPO) durchzusetzen. Nähere Einzelheiten zu den Rechten von Opfern in diesem Zusammenhang sind unter Abschnitt B, I. 8.2 dargestellt. Die Rücknahme des Strafantrages kann für Strafantragstellerinnen und Strafantragsteller mit Kosten verbunden sein. Nähere Ausführungen hierzu enthält der Abschnitt B, I. 11.3.

Besondere Verjährungsregelung für die Opfer von Sexualstraftaten § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB trifft eine besondere Regelung zur Verjährung bei bestimmten Sexualdelikten (§§ 174 bis 174 c und den §§ 176 bis 179 StGB). Hiernach ruht die Verjährung bei diesen Straftaten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers. Betroffen sind hiervon u. a. der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen, der sexuelle Missbrauch von Kindern, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung sowie der sexuelle Missbrauch widerstandsunfähiger Personen.

Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die zur Tatzeit minderjährigen Opfer der genannten Straftaten Situationen ausgesetzt sehen können, die ihnen die frühzeitige Erstattung einer Strafanzeige erschweren. Dies kann insbesondere zum Tragen kommen, wenn die Tat von einem Familienmitglied begangen worden ist, in dessen Haushalt und/oder Abhängigkeit das Opfer lebt. Die dargestellte Verjährungsregelung ermöglicht daher eine Verfolgung von Taten, zu deren Anzeige sich die Opfer erst im Erwachsenenalter, nach Aufarbeitung der Tat, der Realisierung ihrer Tragweite oder der Befreiung aus einem Abhängigkeitsverhältnis entschlossen haben.

3. Das Opfer als Zeugin oder Zeuge im Strafverfahren

Allgemeines:

Die Opfer von Straftaten sind wichtige, oftmals die wichtigsten Zeuginnen und Zeugen zur Aufklärung des ihnen widerfahrenen Unrechts. Ohne ihre Hilfe lassen sich Straftaten vielfach nicht ermitteln und die Täterinnen und Täter nicht überführen. Ihre Mitwirkung kann auch zur Vermeidung von Wiederholungstaten beitragen. Die Strafverfolgungsbehörden können daher trotz der oftmals gegebenen besonderen Schutzbedürftigkeit von Opfern und der deshalb gefragten Sensibilität regelmäßig nicht auf deren zeugenschaftliche Angaben verzichten.

Wie alle Zeuginnen und Zeugen haben die Verletzten einer Straftat bestimmte Pflichten im Rahmen des Strafverfahrens. Die als staatsbürgerliche Pflicht von der Strafprozessordnung vorausgesetzte allgemeine Zeugenpflicht umfasst grundsätzlich die Pflicht

­ zur Vernehmung bei Gericht oder Staatsanwaltschaft (nicht aber bei der Polizei) zu erscheinen,

­ wahrheitsgemäß auszusagen und

­ eine Aussage auf Verlangen des Gerichts zu beeiden.

Zudem sind Zeuginnen und Zeugen unter Umständen gehalten, Gegenüberstellungen und körperliche Untersuchungen zu dulden (vgl. §§ 58, 81 c StPO).