Heilbehandlung

Bemühungen zur Ausweitung des TOA

Aus Sicht der Landesregierung ist das Potenzial an geeigneten Verfahren noch nicht ausgeschöpft. Sie strebt daher eine Steigerung der Fallzahlen in den nächsten Jahren an. Erreicht werden kann dieses Ziel durch eine Einbeziehung von Straftaten der mittleren Kriminalität in einen Täter-Opfer-Ausgleich. Das Justizministerium wirbt deshalb aus den in Abschnitt B, I. 7.1 dargelegten Gründen für eine verstärkte Anwendung des TOA im Zwischenverfahren. Gerade mit Blick auf diese Bemühungen steht die Landesregierung in regelmäßigem Kontakt mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Konfliktschlichtungsstellen. Diese berichten von einer grundsätzlich positiven Entwicklung. Bei mehreren Staatsanwaltschaften sei eine Steigerung der Verfahren festzustellen, in denen mit Anklageerhebung ein TOA angeregt wurde.

Die Justizverwaltung beabsichtigt in einem neuen Projekt auch bei bereits verurteilten und in Haft befindlichen Täterinnen und Tätern eine nachträgliche Aussöhnung zwischen den Konfliktparteien zu erproben. Deshalb findet in Zusammenarbeit mit dem Projekt „Dialog" in Frankenthal, der Justizvollzugsanstalt Frankenthal, der Jugendstrafanstalt Schifferstadt, der Jugendhilfe Neustadt und dem Jugendamt Ludwigshafen ein entsprechendes Modellprojekt statt. Zur Vermeidung einer erneuten Traumatisierung der Opfer ist hier jedoch hohe Sensibilität geboten. Andererseits besteht gerade hier eine Möglichkeit, Ängste auf Opferseite angesichts einer bevorstehenden Entlassung der Täterin oder des Täters abzubauen. Erfahrungen in diesem Bereich liegen bisher nicht vor.

18. Wirtschaftliche und gesundheitliche Unterstützung von Opfern

Umsetzung des Opferentschädigungsgesetzes in Rheinland-Pfalz

Zuständigkeit und Verfahren

In Rheinland-Pfalz sorgen das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung sowie die Ämter für soziale Angelegenheiten Koblenz, Landau, Mainz und Trier in ihren Bezirken dafür, dass Opfer von Gewalttaten die ihnen zustehenden Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz erhalten (zu dem rechtlichen Rahmen, den Anspruchsvoraussetzungen und den Leistungen vgl. Abschnitt B, V.).

Auf Antrag prüft das zuständige Amt für soziale Angelegenheiten, ob die Anspruchsvoraussetzungen nach dem Opferentschädigungsgesetz vorliegen. Diese Prüfung ist bei den Ämtern sogenannten Sonderreferentinnen bzw. Sonderreferenten anvertraut, bei denen es sich um Juristinnen bzw. Juristen mit der Befähigung zum Richteramt handelt. Zunächst muss der Sachverhalt so weit wie möglich aufgeklärt werden. Dabei sind die Antragstellerinnen und Antragsteller zur Mitwirkung verpflichtet. Insbesondere müssen sie alle Tatsachen angeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen der Erteilung erforderlicher Auskünfte durch Dritte zustimmen.

Sofern die Ermittlungsbehörden mit dem Geschehen befasst sind oder waren, was bei Gewalttaten im familiären Nahraum nicht immer der Fall ist, sind die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten eine der wichtigsten Erkenntnisquellen für das Amt für soziale Angelegenheiten bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen. An die abschließende Beurteilung durch die Ermittlungsbehörden oder die Gerichte der Strafgerichtsbarkeit ist das Amt für soziale Angelegenheiten allerdings nicht gebunden (vgl. Abschnitt B, V. 1). Liegen die Grundvoraussetzungen für einen Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz vor, veranlasst das Amt für soziale Angelegenheiten erforderlichenfalls eine medizinische Begutachtung zur Feststellung, welche Gesundheitsstörungen als Folge der Gewalttat vorliegen und wie hoch der Grad der Schädigungsfolgen zu bewerten ist.

Im Rahmen des Verfahrens wird auch der Gefahr der sogenannten Re-Traumatisierung Rechnung getragen. Die Problematik liegt in diesen Fällen in der Belastung des Opfers durch die Sachverhaltsermittlung und die Feststellung der Gesundheitsschädigung, die die Gefahr einer weiteren Schädigung insbesondere psychischer Natur in sich bergen. Es gilt eine sekundäre Viktimisierung zu vermeiden (vgl. Einleitung des Abschnitts B). In solchen Fällen ist deshalb nach einem Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 28. November 1996 bei der Sachverhaltsaufklärung besonders einfühlsam vorzugehen. Bereits mit Erlass vom 17. September 1993 bittet das zuständige rheinland-pfälzische Ministerium, „bei der Entscheidung derartiger Fälle die Aufklärung des Sachverhaltes mit der notwendigen Sensibilität zu betreiben" und „auf eigene Ermittlungen, wie die Vernehmung der Betroffenen" zu verzichten, „weil dies erfahrungsgemäß als besonders belastend empfunden wird und das Erlebnis erst dadurch Schäden beim Opfer hervorrufen kann [...]". Leider ist eine Sachverhaltsaufklärung ohne die Beteiligung der Opfer kaum möglich. Wenn keinerlei Unterlagen über das in Rede stehende schädigende Ereignis (z. B. den jahrzehntelang zurückliegenden sexuelle Missbrauch) zu beschaffen sind, bleibt als einzige Möglichkeit nur die persönliche Beteiligung der Opfer selbst. Bei erforderlichen Vernehmungen der Opfer wird besonders behutsam vorgegangen. So wird z. B. die Wahl der Vernehmung (schriftlich oder mündlich) dem Opfer überlassen. Bei mündlicher Vernehmung kann auch eine Ärztin oder ein Arzt hinzugezogen werden.

Bei erforderlichen Untersuchungen wird darauf geachtet, dass diese nur von besonders qualifiziertem und erfahrenem medizinischem Fachpersonal durchgeführt werden (z. B. Kinder- und/oder Jugendpsychiaterinnen bzw. -psychiater), um die Gefahr einer Re-Traumatisierung zu minimieren oder nach Möglichkeit auszuschließen.

Es soll an dieser Stelle aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass inzwischen im Lichte der therapeutischen Bedeutung der Aufarbeitung des Geschehenen oder Erlebten in der Wissenschaft die Gefahr einer Re-Traumatisierung durchaus differenzierter gesehen wird.

Wichtig bleibt in diesem Zusammenhang allerdings ausnahmslos der geschulte Umgang mit der besonderen Situation des Opfers durch besonders geschulte Personen, insbesondere Therapeutinnen und Therapeuten, die die Exploration ohne zusätzliche Gefahr für das Opfer beherrschen.

Schließlich arbeiten die Ämter für soziale Angelegenheiten mit dem WEISSEN RING zusammen und tauschen sich anlassbezogen in Einzelfällen mit Frauenschutzorganisationen aus.

Information der Bürgerinnen und Bürger

Den Bürgerinnen und Bürgern in Rheinland-Pfalz stehen umfassende Informationen über das Opferentschädigungsrecht zur Verfügung. Opfer von Gewalttaten werden schon von der Polizei über die gesetzlichen Möglichkeiten der Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz informiert. Das vom Landesamt herausgegebene Informationsfaltblatt zum Opferentschädigungsgesetz und Antragsvordrucke stehen den Polizeibehörden zur Verfügung.

Die Polizei unterweist seit Jahren in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen und der Versorgungsverwaltung die Polizeibeamtinnen und -beamten regelmäßig in Fortbildungsveranstaltungen über das Opferentschädigungsgesetz, seinen Inhalt, seine Bedeutung und Anwendung. Die Polizei verwendet zudem das „Merkblatt über die Rechte von Verletzten und Geschädigten im Strafverfahren" (vgl. Abschnitt D, II. 2.1). Dieses den Opfern in der Regel bereits bei der Anzeigenaufnahme ausgehändigte Merkblatt enthält Informationen über Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz, die Adressen des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung sowie der regionalen Ämter für soziale Angelegenheiten in Koblenz, Landau, Mainz und Trier.

Darüber hinaus hat das Landesamt seine Informationsschriften und Antragsvordrucke den Kommunen in Rheinland-Pfalz bis zur Ebene der Verbandsgemeindeverwaltungen zur Information für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort übersandt und die Rechtsanwaltskammern in Rheinland-Pfalz mit diesem Material zur Veröffentlichung in ihrer Fachzeitschrift ausgestattet.

Das Faltblatt „Entschädigung für Opfer von Gewalttaten" des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung (www.lsjv.de/ home/download/v_flyer_oeg.pdf) sowie die Antragsformulare (www.lsjv.de/home/download/index.html#Gewaltopfer) sind im Internet abrufbar.

Arbeitsstatistische Daten zur Umsetzung des Opferentschädigungsgesetzes in den letzten zehn Jahren

Erledigungen Unerledigte Unerledigte Jahr Erstanträge Eingang Renten- Anerkennungen Heilbehandlung, Ablehnungen, Erstanträge

1. Januar bewilligungen unter 25 v. H. keine Schädi- sonstige 31.2 Stiftung Rheinland-Pfalz für Opferschutz

Die Stiftung Rheinland-Pfalz für Opferschutz ist im Jahre 2002 vom Land Rheinland-Pfalz zur individuellen ergänzenden Unterstützung von Opfern von Straftaten errichtet worden, die in Rheinland-Pfalz wohnen oder hier zum Opfer einer Straftat wurden.

Das Stiftungskapital beträgt 500 000 Euro. Zuwendungen aus den Kapitalerträgen können bis zum Höchstbetrag von 5 000 Euro Opfern gewährt werden, wenn sie durch die Straftat in eine finanzielle Notlage geraten sind, die auf andere Weise nicht behoben oder gelindert werden kann. Deshalb tritt die Stiftung nur subsidiär ein, wenn das Opfer von der Täterin bzw. vom Täter oder von Dritten keinen Schadensersatz oder sonstige Leistungen (insbesondere nach dem Opferentschädigungsgesetz) erlangen kann. Die weiteren formellen Voraussetzungen für die Gewährung einer Zuwendung sind in der Satzung der Stiftung und den Zuwendungsrichtlinien näher geregelt. Nach Letzteren (Nr. 3 der Richtlinien) kann die Stiftung auch gemeinnützige Organisationen unterstützen, die Opferbetreuungsprogramme aufgelegt haben.

Der Vorstand der Stiftung hatte im Jahr 2007 über 49 Anträge zu entscheiden. Das stellt gegenüber dem Jahr 2006 nahezu eine Verdoppelung der Antragszahl (2006: 28 Zuwendungsanträge; 2005: 20 Zuwendungsanträge; 2004: 24 Zuwendungsanträge; 2003: 18 Zuwendungsanträge) dar. Dieser Trend setzt sich jedoch nach den bisherigen Eingangszahlen im Jahr 2008 nicht fort.

Die Ursache der Steigerung der Anträge im Jahre 2007 im Vergleich zu den Vorjahren und der umgekehrten Tendenz in diesem Jahr, entzieht sich der Kenntnis des Vorstandes. Am Bekanntheitsgrad der Stiftung, auf die in den ersten Jahren gegenüber den Polizei- und Justizbehörden, den Kommunen, den Anwaltskammern, dem „Runden Tisch" der Frauenhäuser und ähnlichen Institutionen massiv aufmerksam gemacht worden ist, dürfte es nicht liegen.

26 Anträge ­ und damit etwas mehr als 50 % ­ wurden im Jahr 2007 von Frauen gestellt, davon (mutmaßlich) neun von Frauen mit Migrationshintergrund. 15 der Anträge betrafen Gewalt in engen sozialen Beziehungen. Neun Anträge, die alle positiv mit Beträgen zwischen 390 Euro und 1 664 Euro beschieden wurden, wurden von gemeinnützigen Organisationen gestellt, die Präventionsprogramme für von Gewalt bedrohte oder betroffene Frauen und Mädchen anbieten.

Endgültig abgelehnt wurden 13 Anträge (= 26,5 %), weil

­ keine strafbare Handlung gegenüber dem Antragsteller vorlag,

­ die Straftat keine finanzielle Notlage des Opfers zur Folge hatte,

­ der Schuldenstand nicht Folge der Straftat war, sondern schon zuvor bestand.

Mit Zuwendungen zwischen 150 Euro und 3 000 Euro belief sich die im Jahr 2007 ausgezahlte Summe auf den Rekordbetrag von rund 47 000 Euro (nach 16 800 Euro im Jahre 2006 und 9 300 Euro im Jahr 2005). Damit lag der ausgezahlte Gesamtbetrag um rund 15 700 Euro über den Zinseinahmen des Jahres 2007 (rund 25 600 Euro), den Einnahmen aus Geldbußen und gerichtlichen Auflagen (4 920 Euro) sowie aus sonstigen Einnahmen von 765 Euro (insgesamt rund 31 280 Euro). Nach den deutlichen Einnahmeüberschüssen in den vorausgegangenen Jahren war dieser Mittelabfluss dem Vorstand der Stiftung durchaus willkommen, zumal die Stiftung am 31. Dezember 2007 immer noch über Rücklagen verfügte.

Den von Gewalt in engen sozialen Beziehungen betroffenen Frauen wurden Zuwendungen gewährt, damit diese

­ nach einem notwendigen Wohnungswechsel eine neue Wohnung beziehen und/oder einrichten konnten (häufigste Fälle),

­ Reparaturen an Einrichtungsgegenständen, Pkw und sonstigen Sachen nach Gewaltexzessen ihrer (früheren) Partner vornehmen konnten,

­ sonstige Schulden tilgen konnten, die mit der Gewaltanwendung ihrer ehemaligen Partner in engem Zusammenhang standen (z. B. Behandlungs-, Fahrtkosten, Ferienfreizeit für Kinder des Opfers).

In den übrigen Fällen wurden Zuwendungen beispielhaft gewährt

­ an Opfer von Trickdiebstählen,

­ 3 000 Euro einem Opfer, dessen Anwalt eine Entschädigungszahlung unterschlug (und dann eine Selbsttötung beging),

­ an Opfer tätlicher Gewalt für Aufwendungen, die nicht unter das Opferentschädigungsgesetz fielen (z. B. Heilbehandlungskosten, Mietkautionen),

­ einem Ehepaar, das durch die Übernahme der Fahrtkosten die Flucht einer polnischen Frau vor den Gewaltexzessen ihres Ehemannes nach Polen ermöglichte.

Wo der Vorstand Zweifel hatte, ob die Opfer aufgrund ihrer psychischen Verfassung die zugewendeten Beträge ohne Hilfe Dritter bestimmungsgemäß einsetzen können, und um sicherzugehen, dass die Zuwendungen nicht in falsche Hände gelangen (nämlich die der Peiniger), hat er die Gelder in einer Reihe von Fällen treuhänderisch an namentlich benannte Bedienstete der Polizei oder Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter von Frauenhäusern bzw. des WEISSEN RINGS überwiesen, die sich zur Übernahme von Kontrollaufgaben im Interesse der Stiftung bereit erklärt hatten und die in der Regel diejenigen waren, die schon die Anträge der Opfer überprüft und befürwortet hatten. Bei Zweifeln helfen die Außendienstmitarbeiterinnen und Außendienstmitarbeiter des WEISSEN RINGS, mit dem die Stiftung in hervorragender Weise vertrauensvoll zusammenarbeitet. Diese Zusammenarbeit verdient auch aus Sicht der Landesregierung besondere Anerkennung.