Für eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte an rheinland-pfälzischen Schulen

Die Geschichte Deutschlands des 20. Jahrhunderts ist geprägt von leidvollen Erfahrungen mit Diktaturen. Das nationalsozialistische Unrechtssystem hatte die Verfolgung Andersdenkender und sich in der Minderheit befindender religiöser Gruppen zur Folge, die im Völkermord an den europäischen Juden gipfelte. Der Krieg der Nazi-Diktatur brachte Leid über Millionen von Menschen weltweit und führte letztlich auch zur Zerstörung Deutschlands, zu Vertreibungen und der Teilung des Landes.

Während nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen des Landes das Grundgesetz Freiheit und Demokratie garantierte, etablierte sich im Osten Deutschlands ein Unrechtssystem. Dieses war zunächst in der Sowjetischen Besatzungszone, in der Folgezeit in der DDR, verantwortlich für die Toten an Mauer und Stacheldraht sowie in den Gefängnissen insbesondere in der Zeit der stalinistischen Säuberungen, für die Niederschlagung des Arbeiteraufstands am 17. Juni 1953, für die Bespitzelung und Erniedrigung der Bürgerinnen und Bürger und die Inhaftierung Tausender von Menschen, die lediglich Anspruch auf ihre unveräußerlichen Menschenrechte erhoben hatten.

Gerade die jüngste Vergangenheit war jedoch auch geprägt vom Streben der Bürgerinnen und Bürger nach Freiheit, Demokratie und einer rechtsstaatlichen Ordnung. Den Menschen im Osten Deutschlands ist es vor 20 Jahren gelungen, das Unrechtssystem der DDR durch die gewaltfreie Revolution von 1989 zu beseitigen. Dass es Deutschen gelang, sich erfolgreich für Freiheit, Recht und letztlich Einigkeit einzusetzen, war nicht nur beispiellos in der Geschichte Deutschlands, sondern bedeutete auch die Umsetzung jener Werte, die bereits 1832 auf dem Hambacher Fest gefordert wurden.

Die Menschen im Westen Deutschlands hatten die Möglichkeit, Demokratie und freiheitliches Bewusstsein zu erleben und zu erlernen. Das garantierte das vor 60 Jahren in Kraft getretene Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Die westdeutsche Gesellschaft hatte somit die Möglichkeit, im Laufe der Jahrzehnte ihr Bewusstsein und ihre Ansichten über Freiheit und Demokratie zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.

Weil die Menschen in Rheinland-Pfalz Freiheit und Demokratie wertschätzen und weiterhin fortentwickeln wollen, ist es wichtig, dass sich Kinder und Jugendliche dieser Werte bewusst werden und sensibilisiert werden für Verletzungen dieser Rechte und Werte. Neben der Aufarbeitung und Behandlung des Nationalsozialismus ist es daher auch von Bedeutung, dass den Schülerinnen und Schülern das Wissen über das Unrechtssystem derDDR nähergebracht wird,dasWissen überdieEntwicklung derDemokratie in Westdeutschland und die friedliche Revolution von 1989 in Ostdeutschland, die den Weg zur Deutschen Einheit ebnete.

Eine Untersuchung der Freien Universität Berlin hat ergeben, dass vielen deutschen Jugendlichen das elementare Wissen über die Zeit zwischen 1949 und 1989 fehlt, speziell was das Unrechtssystem der DDR betrifft. Mit fortschreitender Zeit wird die Zahl derjenigen, die aus eigenem Miterleben und eigenen Erinnerungen berichten und reflektieren, kleiner und die Möglichkeit für innerfamiliäre, authentische Geschichtsbewältigung seltener.

Dieser Antrag tritt an die Stelle des Antrags der Fraktion der CDU ­ Drucksache 15/2645 ­.

Der Präsident des Landtags hat den Antrag gemäß § 60 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Landtags unmittelbar an den Ausschuss für Bildung und Jugend überwiesen.

Die DDR-Geschichte sowie die Geschichte der Bundesrepublik bis 1990 ist in Rheinland-Pfalz Bestandteil des Lehrplans für das Fach Geschichte. Jedoch sind Jugendliche insbesondere in den vergangenen Jahren mit einem in den Medien gezeichneten Bild der Repressionen in der DDR konfrontiert, das nicht selten geprägt ist von verharmlosendem Klamauk. Produktionen wie z. B. der Film „Das Leben der Anderen" dagegen stellen ein gutes Beispiel für einen beeindruckenden und anspruchsvollen Umgang mit der deutsch-deutschen Vergangenheit dar.

Es ist daher wichtig, von Seiten der Schule dafür zu sorgen, dass Schülerinnen und Schüler ein reflektiertes Bild von der DDR bekommen. Insbesondere im Geschichtsunterricht kann auf die Gefahren hingewiesen werden, die ein nachlässiger Umgang mit den Werten der Demokratie und Freiheit nach sich zieht. Aber auch fächerübergreifendes Lernen bietet Möglichkeiten, punktuell Analysen zu Unrechtssystemen und daraus entstehenden Dissidentenbewegungen zu erarbeiten.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

­ die angekündigte Einrichtung der Lehrplankommission zur Überarbeitung der Lehrpläne für den Geschichtsunterricht weiterzuverfolgen und dabei darauf zu achten, dass bei der Strukturierung des künftigen Lehrplans dem chronologisch gegen Ende des Schuljahrs zu behandelnden Aspekten „Geschichte der DDR, ihres diktatorischen Systems sowie die Bedeutung ihrer freiheitlich-demokratischen Bürgerrechtsbewegung" genügend Zeit eingeräumt wird;

­ bei der Überarbeitung des Lehrplans im Besonderen darauf zu achten, dass dieser Aspekt konfrontiert wird mit der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und der Bedeutung und Wirkung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auf die Entwicklung der westdeutschen Gesellschaft, der Geschichte der deutschen Teilung sowie den sicherheitspolitischen und ökonomischen Facetten des weltweiten OstWest-Konflikts;

­ im Lehrplan mithilfe der sogenannten „Rechten Seite" dafür Sorge zu tragen, dass neben den chronologischen Abläufen eine historische Verdichtung im Unterricht stattfinden kann, indem Gegenwartsbezüge hergestellt werden, der lokale Kontext stärker in den Fokus genommen wird oder exemplarisches Lernen ermöglich wird;

­ dafür Sorge zu tragen, dass die bereits eingerichtete Koordinierungsstelle für Zeitzeugen verstärkt zur Vermittlung von Wissen über das Unrechtssystem der DDR genutzt wird, indem sie beispielsweise den Schulen Kontakte zu Vertreterinnen und Vertretern der Bürgerrechtsbewegung und den Verfolgten des DDR-Regimes vermittelt sowie zu Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die über das Alltagsleben der DDR berichten, um somit auch einen Einblick in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der DDR zu geben;

­ Schulen zu empfehlen, die Geschichte der DDR zum Gegenstand über den bloßen Geschichtsunterricht hinausgehender schulischer Aktivitäten zu machen. Die Behandlung von DDR-Literatur im Deutschunterricht oder von politischer Musik im Musikunterricht kann dabei in fächerübergreifenden Projekten mit dem Geschichtsunterricht verzahnt werden. Zudem bieten sich Klassenfahrten zu Gedenkstätten in den neuen Bundesländern bzw. an der ehemaligen innerdeutschen Grenze an. Derartige Klassenfahrten könnten dabei auch gemeinsam mit Schulklassen aus den jeweiligen ostdeutschen Partnerstädten stattfinden. Damit würde die Möglichkeit geboten, dass sowohl rheinland-pfälzische als auch ostdeutsche Schülerinnen und Schüler die DDR als Bestandteil ihrer gesamtdeutschen Geschichte erfahren;

­ dafür Sorge zu tragen, dass die pädagogischen Serviceeinrichtungen Angebote im Rahmen der Lehrerfort- und -weiterbildung zur Geschichte der DDR unterbreiten und dabei auch die entsprechenden Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellen.

Auch mehrtägige Fortbildungen an historisch bedeutsamen Orten bzw. Gedenkstätten in Verbindung mit Zeitzeugengesprächen sollen angeboten werden. Dabei sollen diese Institutionen mit der Landeszentrale für politische Bildung zusammenarbeiten. Auf diesem Wege kann auch Hilfestellung geleistet werden, damit Schulen besser über Ausstellungen, Vorträge und weitere Veranstaltungen zum Thema „Geschichte der DDR" informiert werden und diese Angebote für ihren Unterricht nutzen können.