Handelsrecht

38 Tz. 2 Kommunale Eröffnungsbilanzen

1. Allgemeines:

Reform des kommunalen Haushaltsrechts in Rheinland-Pfalz

Als Ergebnis jahrelanger und bundesweiter Diskussionen über ein neues kommunales Haushaltsrecht wurde in Rheinland-Pfalz mit dem Landesgesetz zur Einführung der kommunalen Doppik das bisherige kameralistische Rechnungswesen in den Gemeinden und Gemeindeverbänden durch ein Rechnungswesen nach den Regeln der doppelten Buchführung für Gemeinden abgelöst.

Im Unterschied zur rein zahlungsorientierten kameralistischen Veranschlagung von Einnahmen und Ausgaben in Verwaltungs- und Vermögenshaushalten sieht das doppische Rechnungswesen ein Drei-Komponenten-System vor, das durch die Vorgabe von Zielen und die vollständige Abbildung des jeweiligen Ressourcenverbrauchs die Haushaltssteuerung verbessern soll. Sämtliche Erträge und Aufwendungen werden im Ergebnishaushalt nachgewiesen, während alle Ein- und Auszahlungen und die kommunale Investitionstätigkeit im Finanzhaushalt abgebildet werden.

Als dritte Komponente wird die Vermögensrechnung in Form der kommunalen Bilanz eingeführt. Januar 2007 auf die Doppik umzustellen. Durch Beschluss des Gemeinderats 59) konnte der Zeitpunkt der Umstellung auf die Haushaltsjahre 2008 oder 2009 verschoben werden. Seit 2009 besteht daher in Rheinland-Pfalz nur noch das doppische kommunale Rechnungswesen.

Der Rechnungshof hat die Umsetzung der Reform des kommunalen Haushaltsrechts 2007 bei 16 hauptamtlich geführten Gemeinden und Gemeindeverbänden begleitend geprüft. Hierbei hat sich gezeigt, dass eine ausreichende Vgl. Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und Innensenatoren der Länder vom 21. November 2003. Der Beschluss ist im Internet unter www.berlin.de in der Rubrik Politik und Verwaltung bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport veröffentlicht. zeitliche und personelle Planung, klare Zuständigkeiten sowie die Qualifikation des mit der Umsetzung beauftragten Personals entscheidend für die gesetzeskonforme Umstellung des Rechnungswesens sind.

Kommunale Eröffnungsbilanzen

Ein wesentliches Element der kommunalen Doppik ist die Darstellung der Vermögens- und Finanzlage in der Bilanz.

Für Zwecke der Erstbilanzierung ist aufgrund Artikel 8 § 2 KomDoppikLG eine Eröffnungsbilanz zum 1. Januar des ersten Jahres einer doppischen Haushalts- und Wirtschaftsführung aufzustellen, die wie folgt zu gliedern ist.

Auf der Aktivseite der Bilanz wird die Vermögensverwendung abgebildet. Im Anlagevermögen sind alle Vermögensgegenstände, die langfristig der kommunalen Aufgabenerfüllung dienen sollen, z. B. Straßen sowie Schul- und Verwaltungsgebäude, erfasst. Alle Vermögensgegenstände, die nicht dauerhaft benötigt werden, wie zur Veräußerung vorgesehene Baugrundstücke, sind als Umlaufvermögen zu bilanzieren.

Die Passivseite gibt darüber Auskunft, wie das Vermögen finanziert ist. Neben Eigenkapital und Verbindlichkeiten werden Zuwendungen Dritter zur Anschaffung und Herstellung von Vermögensgegenständen als Sonderposten ausgewiesen. Dies betrifft z. B. Beiträge für die erstmalige Herstellung von Straßen.

Zukünftige Verpflichtungen und Aufwendungen der Gemeinden, die vor dem Bilanzstichtag verursacht wurden und deren Eintreten dem Grunde, der Höhe und der Fälligkeit nach noch ungewiss ist, finden als Rückstellungen Eingang auf der Passivseite der Bilanz. Ein wichtiges Beispiel dafür sind die im Rahmen des doppischen Haushaltsrechts erstmals zu bilanzierenden Rückstellungen für künftige Pensionsverpflichtungen.

Ein Ziel des neuen Rechnungswesens ist die periodengerechte Zuordnung aller Geschäftsvorfälle. Sofern vor einem Bilanzstichtag Zahlungen geleistet oder empfangen werden, die nach dem Stichtag Aufwand oder Ertrag darstellen, ist insoweit eine zeitliche Abgrenzung der Zahlungen erforderlich. Zum Nachweis enthält die Bilanz sowohl auf der Aktivseite als auch auf der Passivseite Rechnungsabgrenzungsposten.

Das Eigenkapital ist die rechnerische Differenz zwischen Aktiva und den übrigen Passiva. Es handelt sich demnach nicht um zur Aufgabenerfüllung verfügbare Finanzierungsmittel der Gemeinde. Die im Jahresabschluss ausgewiesenen Überschüsse oder Fehlbeträge steigern oder schmälern das Eigenkapital. Sofern die jährlichen Fehlbeträge das Eigenkapital übersteigen, wird auf der Aktivseite ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ausgewiesen.

Die Erfassung und Bewertung des älteren kommunalen Vermögens ist trotz der haushaltsrechtlich eingeräumten Erfassungs- und Bewertungsvereinfachungen mitunter sehr aufwändig. Dennoch muss die Eröffnungsbilanz entgegen der gelegentlich bei den örtlichen Erhebungen vertretenen Auffassung aus nachfolgenden Erwägungen möglichst sorgfältig aufgestellt werden:

- Die Eröffnungsbilanz hat gemäß Artikel 8 § 4 Abs. 3 KomDoppikLG ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens- und Finanzlage der Gemeinde zu vermitteln. Dies kann nur gelingen, wenn die Bilanzposten vollständig und mit dem richtigen Bilanzwert ermittelt werden.

- Die Wertansätze der Eröffnungsbilanz beeinflussen maßgeblich die Haushaltswirtschaft und den Haushaltsausgleich der Folgejahre. Höhe und Nutzungsdauer des einer Abnutzung unterliegenden kommunalen Vermögens und die korrekte Bildung von Rückstellungen prägen maßgeblich die Belastung von Ergebnishaushalt und Ergebnisrechnung. Umgekehrt wirken sich die Rückstellungen im Zeitpunkt ihrer Auflösung (§ 36 Abs. 3 GemHVO) entlastend auf das Haushaltsergebnis aus.

- Die Eröffnungsbilanz stellt erstmals umfassend die Auswirkungen kommunaler Entscheidungen auf die Vermögens- und Kapitalstruktur einer Gemeinde dar. Die Aussagekraft wird verfälscht, wenn Bilanzposten unzutreffend ausgewiesen werden.

62) Beispielsweise die Beamtenbezüge des Monats Januar im Dezember des Vorjahrs.

63) Z. B. Mietvorauszahlungen.

Deshalb dürfen auch unter Berücksichtigung der bis 2013 eingeräumten Korrekturmöglichkeiten einzelne Bilanzposten bei der Erfassung und Bewertung nicht nur grob oder überschlägig ermittelt werden.

Prüfung durch den Rechnungshof

Im Hinblick auf die Bedeutung der Eröffnungsbilanzen für die Haushalte und Jahresabschlüsse der Folgejahre hat der Rechnungshof 2008 eine Querschnittsprüfung bei fünf Verbandsgemeinden und einem Landkreis durchgeführt. Neben den Bilanzen der Verbandsgemeinden wurden auch die Bilanzen ausgewählter Ortsgemeinden geprüft.

Hierbei sollte festgestellt werden, ob

- Aktiva und Passiva in der Eröffnungsbilanz vollständig erfasst, zutreffend ausgewiesen und korrekt bewertet und

- die Eröffnungsbilanzen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen aufgestellt, geprüft und festgestellt worden waren.

Daneben wurden Eröffnungsbilanzen weiterer Gemeinden und Gemeindeverbände ausgewertet, so dass zu Vergleichszwecken insgesamt die Daten aus Bilanzen von fünf Landkreisen, sechs Verbandsgemeinden und 73 Ortsgemeinden zur Verfügung standen.

Die wesentlichen Erkenntnisse der Prüfung 64) sind nachfolgend zusammengefasst 65). Sie sind auch für die im Rahmen des kommunalen Jahresabschlusses zu erstellenden Bilanzen von Bedeutung, soweit sie sich nicht auf Besonderheiten der Eröffnungsbilanz beziehen. Zunächst werden Fehler bei der Erfassung und Bewertung dargestellt, die nicht nur einem bestimmten Bilanzposten zuzuordnen sind. Im Anschluss werden häufige Fehler, die bei der Prüfung einzelner Bilanzposten auftraten, aufgezeigt.

2. Allgemeine Fehler bei der Erfassung und Bewertung

Projektorganisation

Die Querschnittsprüfung zeigte, dass bei der Bilanzierung der Aktiva und Passiva bestimmte Fehler häufig auftraten, die auf eine unzureichende Projektorganisation bei der Vorbereitung und Durchführung der Erstbilanzierung zurückzuführen waren. Die Einführung der kommunalen Doppik musste zumeist neben den eigentlichen Aufgaben bewältigt werden. Zudem fehlten nicht selten ausreichende Kenntnisse über die anzuwendenden Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften. Darüber hinaus war die Einbindung der Fachämter in Informations- und Entscheidungsprozesse verbesserungswürdig.

Die ordnungsgemäße Erfassung und Bewertung sämtlicher Vermögensgegenstände, Sonderposten, Rückstellungen, Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten erfordert ein Mindestmaß an Projektorganisation. Hierzu gehören vor allem mit Weisungsbefugnissen ausgestattete Projektverantwortliche, ausreichend geschultes Personal, eine realistische Zeitplanung und die Einbindung der Fachämter.

Inventur und Dokumentation der Inventurergebnisse

Damit das kommunale Vermögen und die Schulden erstmals bilanziert werden können, müssen sie zuvor erfasst werden. Dies geschieht, wie auch im Handelsrecht, durch eine mengen- und wertmäßige Bestandsaufnahme, die Inventur. Die Gemeinden und Gemeindeverbände haben vor der Aufstellung der Eröffnungsbilanz eine Inventur ihres Vermögens, ihrer Sonderposten sowie Rückstellungen und Verbindlichkeiten zum Bilanzstichtag durchzuführen und die Ergebnisse in einem Inventar zu dokumentieren 66). Darüber hinaus ist eine Inventur aller wesentlichen Sachverhalte, aus denen sich finanzielle Verpflichtungen ergeben können, erforderlich (Vertragsinventur). Die Inventur muss insbesondere den Grundsätzen der Vollständigkeit, Richtigkeit, Nachprüfbarkeit und der Einzelerfassung genügen.

Die Querschnittsprüfung hat gezeigt, dass die Inventur oftmals nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt wurde:

- Nicht selten wurde es versäumt, Vermögensabgänge und Zugänge zwischen dem Zeitpunkt der Vermögenserfassung und dem Bilanzstichtag zu berücksichtigen.

- Die Vertragsinventur war unvollständig, da es nicht gelang, alle Verträge auf bilanzierungspflichtige Inhalte zu überprüfen. Zum Teil fehlte sie gänzlich. Der Rechnungshof hat in diesem Zusammenhang empfohlen, eine Übersicht der wichtigsten Verträge an zentraler Stelle vorzuhalten und fortzuführen.

64)

Bei Bedarf wird auch auf Erkenntnisse aus der Orientierungsprüfung zurückgegriffen.

65)

Die Prüfungsergebnisse wurden im Gutachten „Querschnittsprüfung Kommunale Eröffnungsbilanzen" vom 29. Januar 2009

(Az.: 6-P-0024-22-2/2007) auf den Internetseiten des Rechnungshofs veröffentlicht.

66) Artikel 8 § 4 Abs. 4 KomDoppikLG i. V. m. § 31 Abs. 1 Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO) vom 18. Mai 2006 (GVBl. S. 203), zuletzt geändert durch Verordnung vom 28. Dezember 2007 (GVBl. 2008 S. 23), BS 2020-1-2.