ADHS in Rheinland-Pfalz

Eine Erhebung, auf die sich der „Focus" in seiner Ausgabe vom 5. Oktober 2009 beruft, hat ergeben, dass in Rheinland-Pfalz deutschlandweit die meisten Methylphenidat- oder Atomoexetin-Produkte an Kinder und Jugendliche verschrieben werden. Mit 5,4 % weist Rheinland-Pfalz beispielsweise einen doppelt so hohen Wert wie Hessen oder Bremen auf. Die Verantwortlichen verweisen darauf, dass diese Unterschiede nicht medizinisch zu erklären seien.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie hoch schätzt die Landesregierung die Zahl der Schülerinnen und Schüler ein, die von AD(H)S betroffen sind?

2. Wie hat sich die Verschreibung von Ritalin oder ähnlichen Medikamenten in Rheinland-Pfalz in den vergangenen zehn Jahren entwickelt?

3. Hat die Landesregierung angesichts der besonders hohen Zahl an Verschreibungen von Ritalin oder ähnlichen Medikamenten in Rheinland-Pfalz Kenntnisse über die Häufung von Nebenwirkungen, die hiermit in Verbindung stehen?

4. Welche konkreten Hilfen, beispielsweise zusätzliche Förderstunden oder auch Eingliederungshilfen nach § 35 a SGB VIII, wurden in den letzten fünf Jahren den rheinland-pfälzischen Schulen im Zusammenhang mit AD(H)S-Erkrankungen gewährt?

Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 26. Oktober 2009 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die von AD(H)S betroffen sind, wird statistisch nicht erfasst.

Nach den Kriterien der Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders der amerikanischen Psychiatrie-Vereinigung liegt in Deutschland die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit AD(H)S bei 9,3 Prozent, nach Kriterien der WHO bei 3,4 Prozent (Zahlen aus dem DAK Gesundheitsreport von 2009).

Zu 2.: Daten zur Entwicklung der Verordnungsmenge von Methylphenidat innerhalb der letzten zehn Jahre in Rheinland-Pfalz stehen aus folgenden Gründen nicht zur Verfügung: Methylphenidat findet sich kostenmäßig nicht unter den TOP 30 im GAmSi (GKVArzneimittelschnellinformation); somit stehen Verordnungszahlen nicht zur Verfügung. Vergleichsanalysen von Insight Health stützen sich nicht auf DDD-Angaben, sondern auf Standardeinheiten; dabei werden die einzelnen abgetrennten Applikationsformen gezählt; das heißt, Tabletten, Dragees oder Zäpfchen. Da Methylphenidat in mehreren Wirkstärken (10 mg, 20 mg, 30 mg, 40 mg) auf dem Markt ist, sind diese Parameter für einen adäquaten Verordnungsvergleich nicht geeignet. Betrachtet man jedoch die prozentuale Zunahme der Methylphenidatverordnungen ­ auf DDD Basis ­ in den letzten beiden Jahren, so liegt Rheinland-Pfalz unter dem Bundesdurchschnitt (Zahlen der KV-RLP).

Zu 3.: Das Comittee for Medical Products for Human Use (CHMP) der Europäischen Überwachungs- und Zulassungsstelle EMEA hat bereits im Januar 2009 ein Verfahren zur Risikobewertung von Methylphenidat nach Art. 31 RL 2001/83/EG durchgeführt. Es wurden Risiken kardiovaskulärer und psychiatrischer Nebenwirkungen und mögliche Effekte auf das Wachstum von Kindern und Jugendlichen bewertet. Nach Abwägung des Nutzen-/Schadensverhältnisses empfahl die CHMP, die Verfügbarkeit von Methylphenidat für eine tatsächlich erforderliche Behandlung unter Sicherheitsauflagen beizubehalten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat deshalb mit Wirkung zum 1. September 2009 die Zulassung von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Methylphenidat (Ritalin) geändert. Die Behandlung mit Methylphenidat setzt jetzt demnach zum einen die gesicherte, kriterienorientierte Diagnostik einer AD(H)S und eine entsprechende Schwere und Dauer der Erkrankung voraus.

Die Diagnose darf sich nicht mehr allein auf das Vorhandensein eines oder mehrerer Symptome stützen. Zum anderen müssen Behandlungsversuche mit anderen Therapieverfahren, wie zum Beispiel Psychotherapie, unternommen worden sein, ohne dass sich unter diesen Behandlungen allein ein Therapieerfolg eingestellt hat. Die therapeutische Gesamtstrategie umfasst jetzt also sowohl psychologische, pädagogische, soziale und auch pharmakologische Maßnahmen und die Behandlung darf nur noch unter der Aufsicht eines Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern durchgeführt werden. Außerdem wurden von der EMEA zur Untersuchung von Langzeiteffekten weitere klinische Studien angeordnet.

Zu 4.: Für Rheinland-Pfalz liegen keine aktuellen Daten zu konkreten Maßnahmen nach § 35 a des Achten Buches Sozialgesetzbuch im Zusammenhang mit AD(H)S vor. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2003 weist für das Jahr 2002 aus, dass 34 Prozent der Leistungen nach § 35 a des Achten Buches Sozialgesetzbuch im Zusammenhang mit Aufmerksamkeitsstörungen stehen.

Die Spannbreite des kognitiven Leistungsvermögen von Kindern und Jugendlichen mit AD(H)S ist in der Regel altersentsprechend.

Es können sich jedoch Probleme bei der Lern- und Leistungsmotivation, bei der Anstrengungsbereitschaft und hinsichtlich der Ausdauer beim Umgang mit umfangreicheren Aufgaben sowie Auffälligkeiten im Bereich des Verhaltens ergeben. Häufig treten in diesem Zusammenhang auch umschriebene Leitungsschwächen, zum Beispiel beim Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen auf.

Alle Schulen sind im Rahmen ihres schulgesetzlichen Auftrags zur individuellen Förderung (§ 10 Abs.1 des Schulgesetzes) verpflichtet, ihren Unterricht durch geeignete Lern- und Arbeitsformen so zu gestalten, dass er allen Schülerinnen und Schülern ­ auch solchen mit AD(H)S ­ einen individuellen Lernfortschritt ermöglicht.

Bei AD(H)S kommt es vor allem darauf an, dass Aspekte der Strukturierung von Unterrichtssituationen sowie der Rhythmisierung von Unterricht in die Planungen der Lehrkräfte mit einfließen und somit der Rahmen für erfolgreiches, den individuellen Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler entsprechendes Lernen gewährleistet wird. Spezielle Stundenzuweisungen für die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit AD(H)S gibt es deshalb nicht. Das Institut für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung des Landes Rheinland-Pfalz (IFB) hat im Jahr 2005 eine Informationsbroschüre mit dem Titel „AD(H)S als schulische Herausforderung ­ So geht's ­ AD(H)S in der Schule" herausgegeben, die sich ausführlich mit Theorien und Thesen zu AD(H)S auseinandersetzt und Beispiele aus der Praxis im Umgang mit entsprechenden Schülerinnen und Schülern aufführt.