Die Obdachloseninitiative versorgt Wohnungslose mit Materialien die zum Überleben auf der Straße notwendig sind

191 16.5.4. Streetworkerinnen und Streetworker

Das Land unterstützt weiter gezielt niedrigschwellige Angebote. Dazu zählt die Arbeit von Streetworkerinnen und -workern. Die Finanzierung ist zwar Angelegenheit der Kommunen, die für diese Form der ambulanten Hilfe zuständig sind. Um die Realisierung an bestimmten Orten zu erleichtern, beteiligt sich das Land jedoch freiwillig an den Aufwendungen für Streetworkerinnen und ­workern in Koblenz und Bingen.

Obdachloseninitiative „Die Platte"

Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen unterstützt seit 1993 die Wohnungsloseninitiative „Die Platte", die folgende Aufgaben übernimmt:

· Zusammenarbeit mit wohnungslosen Menschen in der Region Bad Kreuznach und Mainz-Bingen sowie Vermittlung in Übernachtungs- und Resozialisierungseinrichtungen und Krankenhäuser sowie Vermittlung von Wohnraum und Motivation zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft

· Gewinnung von Sponsoren zur Abgabe von Lebensmitteln sowie Verteilung an wohnungslose Menschen (in Bingen, Ingelheim und Gensingen)

· Verteilung von Wintermaterialien (Schlafsäcke, Isoliermatten, Rucksäcke und Winterunterwäsche) an wohnungslose Menschen sowie an die von diesen aufgesuchten Übernachtungs- und Resozialisierungseinrichtungen.

Die Obdachloseninitiative versorgt Wohnungslose mit Materialien, die zum Überleben auf der Straße notwendig sind. Mit den angebotenen Hilfen sollen die Menschen nicht dazu verleitet werden, auf der Straße zu bleiben. Es geht vielmehr um Hilfen, die den Betroffenen ein Stück weit vor den Härten eines Lebens auf der Straße schützen und im Winter vor allem Schutz vor Kälte geben. Es handelt sich um eine humanitäre Aufgabe, die notwendig ist, weil es viele Wohnungslose trotz Winterkälte ablehnen, Einrichtungen aufzusuchen oder andere Angebote anzunehmen. Die Wohnungsloseninitiative „Die Platte" nutzt ihren niedrigschwelligen Zugang auch, um die Betroffenen von den Hilfeangeboten der Wohnungslosenhilfe zu überzeugen.

16.5.6. Mainzer Modell

Das sogenannte „Mainzer Modell" des Arztes Prof. Dr. Gerhard Trabert in Kooperation mit dem Verein Armut und Gesundheit umfasst ein niedrigschwellig angelegtes und interdisziplinär ausgerichtetes medizinisches Versorgungsangebot, das nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern auch bundesweit Vorbildcharakter hat.

Der Grundgedanke für eine bessere Versorgung wohnungsloser Menschen lautet: „Kommt der Patient (arme Patient) nicht zum Arzt, muss der Arzt zum Patienten gehen." Das Mainzer Modell beruht auf einer Kombination von bezahlter und ehrenamtlicher Arbeit und besteht aus fünf Modulen:

Ambulante medizinische Sprechstunde innerhalb stationärer Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe Regelmäßige Sprechstunden in zwei Mainzer Wohnheimen für Wohnungslose, dem Thaddäusheim (Caritas), und dem Heinrich-Egli-Haus (Innere Mission), sowie einer Binger Übernachtungsstelle (Caritas). Es besteht eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den dort tätigen Sozialarbeiterinnen und -arbeitern/Sozialpädagoginnen und ­pädagogen. Während dieser Sprechstunden sind ein Arzt sowie eine Krankenschwester der zuständigen Sozialstation vor Ort.

Ambulante medizinische Sprechstunde, integriert in einer ambulanten Beratungsstelle der Wohnungslosenhilfe

Eine Sprechstunde in einer ambulanten Fachberatungsstelle beziehungsweise einem Ort, an dem man sich regelmäßig trifft (zum Beispiel Teestube), ist dementsprechend ein adäquates niederschwelliges medizinisches Versorgungsangebot gerade auch für wohnungslose Frauen. Das geschieht in der Beratungsstelle für Wohnungslose der Inneren Mission in Mainz. Dort findet zweimal wöchentlich eine ärztliche Sprechstunde statt. Auch hier gibt es eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den zuständigen Sozialarbeiterinnen und -arbeitern. Zusätzlich ist eine Sozialarbeiterin im Mainzer Modell angestellt, die eine psychosoziale Betreuung und Unterstützung bei sozialadministrativen Behördengängen anbietet.

Mobile medizinische Versorgungseinrichtung, die wohnungslose Menschen vor Ort auf der Straße aufsuchen und eine Erstversorgung vornehmen kann Regelmäßige Fahrten einer mobilen Sanitätsstation (Arztmobil, fahrende Ambulanz), sollen - im Sinne einer aufsuchenden medizinischen Betreuung („medicalstreetwork") - eine medizinische Erstversorgung von Wohnungslosen direkt auf der „Straße" gewährleisten. Dafür ist ebenfalls eine intensive Zusammenarbeit mit den Sozialarbeiterinnen und -arbeitern (Streetworkerinnen und -workern) erforderlich. Die Erfahrungen zeigen, dass damit weitere Wohnungslose erreicht werden, die sonst selbst von den niedrigschwelligen Versorgungsangeboten nicht erreicht werden.

Medizinische und pflegerische Betreuung schwerstkranker pflegebedürftiger wohnungsloser Menschen

Die Erfahrungen des „Mainzer Modells" zeigen, dass ein Teil der Patientinnen und Patienten schwer krank und pflegebedürftig ist. Für Betroffene, die sich zum Beispiel im letzten Stadium eines Tumorleidens befinden, ist eine häusliche Versorgung aufgrund ihrer besonderen Lebenssituation bisher nicht möglich. Diese Menschen werden im Krankenhaus versorgt oder in ein Altenheim eingewiesen. Beide Möglichkeiten sind für die Betroffenen selbst sowie für die Institutionen oft unbefriedigende Behandlungsstrategien. Hier wird in Kooperation mit den stationären Wohnungsloseneinrichtungen eine ärztliche und pflegerische Versorgung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im „Mainzer Modell" angeboten. Die Erfahrung zeigt, dass ein derartiges Versorgungskonzept mit vielerlei administrativen Hürden zu kämpfen hat und eine Refinanzierung der Tätigkeiten oft nicht ausreichend gegeben ist.

Kooperation mit dem sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes und einer Tagesklinik für psychisch Kranke Psychische Auffälligkeiten und Erkrankungen bei Wohnungslosen spielen eine wichtige Rolle innerhalb niedrigschwelliger Behandlungskonzepte. Hier ist eine Vernetzung bestehender Versorgungsstrukturen von Bedeutung. Eine von vielen Möglichkeiten ist zum Beispiel die Kooperation mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes und im Falle des „Mainzer Modells" mit einer Tagesklinik für psychisch Kranke des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Ein wesentlicher Aspekt ist auch die Kontaktaufnahme mit den betroffenen Patientinnen und Patienten „vor Ort" in den ambulanten und stationären Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe durch die Fachärztinnen und Fachärzte (Psychiaterinnen und Psychiater). Resüme Wesentliche Voraussetzung für das Gelingen dieses Konzeptes war die Erteilung einer ärztlichen Behandlungsermächtigung, speziell für den Personenkreis der alleinstehenden Wohnungslosen medizinisch tätig zu werden, obwohl durch die Kassenärztliche Vereinigung eine ausreichende Ärztedichte sichergestellt ist.

Innerhalb des gesamten medizinischen Versorgungskonzeptes ist eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit unabdingbar. Das wird durch die Beteiligung verschiedener Wohlfahrtsverbände, Institutionen der Wohnungslosenhilfe, örtlichen und überörtlichen Behörden sowie ärztlichen Standesvertretungen und sonstigen Einrichtungen (Kassenärztliche Vereinigung Rheinhessen, Bezirksärztekammer, Gesundheitsamt, Krankenhäuser, Tagesklinik für psychisch Kranke, ärztlichen Praxen etc.) deutlich.

Die ehrenamtliche Mitarbeit aus verschiedenen Berufsgruppen und durch fachfremdes Engagement ist ein wesentlicher Mosaikstein des Versorgungskonzeptes.

Die ersten längeren Erfahrungen innerhalb des Mainzer Versorgungsmodells sind durchgehend positiv. Die Behandlungs- und Patientinnen- und Patientenzahlen nehmen seit Beginn des Angebotes (9/94) stetig zu. Im Jahr 1995 wurden ca. 100 Patientinnen und Patienten betreut und ungefähr 400 Behandlungen durchgeführt. Im Jahr 2008 waren es 562 Patientinnen und Patienten und 3.743 Behandlungen. Diagnostik und Therapie können somit oft früh einsetzen und damit ein Fortschreiten von Krankheiten verhindern. Dadurch werden auch später notwendige stationäre Behandlungen abgewendet und letztendlich Kosten eingespart. Eine Reintegration in das bestehende Gesundheitssystem ist über solche niedrigschwellige Versorgungsangebote leichter möglich.

Beirat Wohnungslosenhilfe

Zur Zusammenarbeit und Steuerung der Hilfen für wohnungslose Menschen haben das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen, das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung, der Landkreistag, der Städtetag, die Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagentur für Arbeit und die LIGA