Ungestörter Ablauf von Schulunterricht

Die Fraktion der CDU hat unter Drucksache 15/210 eine Große Anfrage zu obigem Thema an den Senat gerichtet.

Der Senat beantwortet die Große Anfrage wie folgt:

1. Welche Erkenntnisse hat der Senat über Formen und Ausmaß von Störungen des Unterrichts und Gewalt an Schulen?

Die im Ausgangstext der Anfrage enthaltenen Aussagen, nach denen es in Bremen und Bremerhaven eine offensichtlich steigende Tendenz von Störungen des Schulfriedens gibt, die eine steigende Tendenz von Störungen des Schulfriedens als Folge hat, und ...dass Klassenverbände oder Kurse immer häufiger hinter den gesteckten Lernzielen zurückbleiben, können aus Sicht des Senats zurzeit weder bestätigt noch widerlegt werden. Eine ausreichende Datenbasis ist nicht gegeben.

Die insgesamt angesprochenen Probleme müssen trotzdem ernst genommen werden; sie dürfen weder bagatellisiert noch dramatisiert werden.

Den vielfältigen Untersuchungen der letzten Jahre zum Thema Gewalt an Schulen in unterschiedlichen Bundesländern (Niedersachsen, Hamburg, Schleswig Holstein, Bremen, Thüringen, ...) liegt ein gemeinsames Problem zugrunde: Eine eindeutige Definition von Kinder- und Jugendgewalt wurde nicht vorgenommen, sie unterliegt vielmehr den subjektiven Eindrücken der je Befragten.

Da Kinder- und Jugendgewalt unterschiedlich definiert wird, gibt es keine Vergleichsbasis. Die Definitionen gehen von verbaler Gewalt (meist: Benutzen von Schimpfwörtern aus dem Sexual- und Fäkalbereich) über Gewalt gegen Sachen (Verschmutzen, Zerstören, Nicht-Säubern) bis hin zu körperlicher Gewalt wie Schwere Körperverletzung.

Die Definitionsbasis von Gewalt unterscheidet sich bereits von Schule zu Schule, ja sogar von Lehrer zu Lehrer, von Elternteil zu Elternteil und auch von Bundesland zu Bundesland. Darüber hinaus wird das subjektive Empfinden von Gewalt auch vom Lebensalter geprägt. Auch diese Kategorie (Alter der Lehrkräfte) wurde in den vorliegenden Untersuchungen nicht hinreichend einbezogen.

Im Bereich der Schulen gibt es bisher keine regionalen oder überregionalen statistischen Erhebungen über Gewalt im strafrechtlichen Sinn. Bei den Daten des polizeilichen Informationssystems ISA liegt keine Ausdifferenzierung nach Gewalttaten in und um Schule und außerhalb des Bereichs Schule vor.

Soweit der Senat im Folgenden auf Ausmaß und konkrete Formen von Gewalt und Störungen eingeht, sind diese Erkenntnisse aus der direkten Zusammenarbeit mit den Schulen und aus der Auswertung der Ordnungsmaßnahmen an bremischen Schulen gewonnen.

2. In welcher Form und an welchen Schulen gibt es von Schülerinnen und Schülern systematische und organisierte Störungen, Bedrohungen und gewalttätige Verhaltensweisen gegenüber Lehrkräften, Mitschülerinnen und Mitschülern, welche Erkenntnisse hat der Senat über regionale Besonderheiten unterrichtsstörender und gewalttätiger Aktivitäten von Schülerinnen und Schülern, und wie beurteilt der Senat dies?

Grundschulen:

Der Grundschulunterricht heute ist geprägt durch Unterrichtskonzeptionen, die die individuellen Ausgangssituationen der Kinder einbeziehen. Die Heterogenität in der Entwicklung der Kinder und die unterschiedlichen Könnensvoraussetzungen erfordern ein hohes Maß an differenzierenden Unterrichtsplanungen und individuellen Arbeitsstrategien im Unterricht.

Soweit von Störungen der Unterrichtsarbeit gesprochen werden kann, werden diese meist durch Konzentrationsschwierigkeiten und durch motorische Auffälligkeiten der Schülerinnen und Schüler hervorgerufen. Sie werden in der Regel durch die Unterrichtskonzepte und pädagogisch aufgefangen. Die Lernbereitschaft der Kinder ist dadurch kaum eingeschränkt.

In den Klassen ist mitunter eine zunehmende Aggressivität im Sprachgebrauch zu beobachten, die sehr wohl Störungen in der unterrichtlichen Arbeit bewirken kann.

Störung durch körperliche Gewalt ist im unterrichtlichen Kontext in der Regel von geringerer Bedeutung. Es fällt aber auf, dass Konfliktschwellen sehr gering sind und es besteht eine große Erwartung bei den Schülerinnen und Schülern, die individuellen Rechte und Ansprüche zu wahren, aber kaum Bereitschaft, Rücksicht zu nehmen, wenn es um die Wahrung der Rechte der Mitschülerinnen und Mitschüler geht. Der Schonraum der Klasse wird nicht in jedem Falle akzeptiert. Diese Formen der Gewalt sind im Rahmen der schulischen Möglichkeiten in der Regel noch pädagogisch zu bewältigen.

Allerdings existieren mit zunehmender Tendenz in den Grundschulen in den letzten Jahren Fälle von Erpressung und Bedrohung. Wenn auch die Zahl noch relativ gering ist, ist dies doch ein ernst zunehmendes Symptom. Darüber hinaus wurden in einzelnen Fällen auch Bedrohung (mit Waffen) und ansatzweise Banden beobachtet. Auch an Grundschulen ist Diebstahl ein Problem. Es handelt sich dabei vorwiegend um Gelegenheitsdiebstahl. Weiterhin existieren auch in den Grundschulen Konflikte zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die zu gewaltförmigen Auseinandersetzungen führen.

Sekundarstufe I und Sonderschulen im Bereich der Sekundarstufe I

Die Sekundarstufe I ist - entwicklungsbedingt erklärlich - die am auffallendsten von Konflikten betroffene Schulstufe, und hier im besonderen Maße die Jahrgänge 7-10. Wenngleich ein Teil der Auseinandersetzungen als vorübergehend eingestuft wird, ist doch die Belastung für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler nicht von der Hand zu weisen. Die Verstöße im Einzelnen umfassen sozial unangemessenes Verhalten im Unterricht und Pausengeschehen, bewusste Regelverstöße, das Nichtbefolgen von Anweisungen, leichte bis gravierende Unterrichtsstörungen, Bedrohungen von Mitschülern (auch als Zeugen) und Lehrkräften, Erpressung, Handgreiflichkeiten, Körperverletzung und sogar einzelne Morddrohungen. Verschiedentlich - nicht überall - werden auch sexistische Übergriffe berichtet. Das Maß an Sachbeschädigungen ist sehr unterschiedlich, Verunreinigungen durch Graffiti werden häufiger gemeldet.

Im Unterricht selbst findet lediglich ein geringerer Teil der Zwischenfälle statt, häufiger sind der Pausenhof, der Schulweg und andere Straßen Orte des Geschehens.

Auch sind keineswegs immer Mitschüler die Täter (fast ausschließlich Jungen), sondern oft sind es schulfremde Personen, die z. T. auf Schulgelände und in -gebäude vordringen, besonders in problematischen Wohnquartieren. Wie in allen anderen Schularten auch ist Diebstahl ein Problem, meist handelt es sich um Gelegenheitsdiebstahl, aber auch um Diebstahl im Zusammenhang mit Bandenbildung.

Systematische und organisierte Übergriffe von Schülern und Schülerinnen haben an einzelnen Schulen der Sekundarstufen I im Zusammenhang mit Banden-/Cliquenbildung stattgefunden. Ursachen sind regionalen Besonderheiten zuzuordnen. Einzelne Sekundarstufen I sind stark belastet durch kindliche und jugendliche delinquente Intensivtäter. Diese Schulen sind häufig überfordert (weil diese Kinder und Jugendlichen aufgrund ihrer oft katastrophalen Lebenssituation besondere Unterstützung bedürfen und pädagogischer Erfolg vonnöten ist, wenn ein Weg in die Kriminalität und Autodestruktion verhindert werden soll), sie verfügen nicht über hinreichende pädagogische Möglichkeiten im Umgang mit diesen Kindern und der von ihnen ausgehenden Gewalt und Bedrohung (siehe Pkt. 9: Eingeleitete Maßnahmen). Durchgängige Gymnasien und gymnasiale Oberstufe

Auch in den Gymnasien und in den gymnasialen Oberstufen sind Gewaltvorkommnisse bekannt geworden. Es handelt sich jedoch um zu vernachlässigende Einzelfälle. Dennoch gibt es in den Gymnasien und in den gymnasialen Oberstufen auch problematische Verhaltensweisen, die das schulische Miteinander belasten. Sie sind i. d. R. jedoch nicht der Definition von Gewalt im o.a. Sinne zuzuordnen.

Berufliche Schulen:

In den beruflichen Schulen existieren Gewaltprobleme vorwiegend im Bereich der Vollzeitschulischen Berufsausbildung und Ausbildungsvorbereitung (und hier meist zwischen Schülerinnen und Schülern). Dabei wurden in den letzten Jahren außer den Fäusten unterschiedliche Waffen (Messer, Tränengas, ...) eingesetzt.

Auch Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer ist in den letzten Jahren vorgekommen, es handelt sich aber um Einzelfälle.

Die Ursachen für Gewalt in diesem Bereich sind vielfältig, können aber auch der schulischen Situation der Jugendlichen zugeordnet werden. Bei auffälligen Schülern in diesem Bereich wurden häufig besondere Problemlagen festgestellt:

- Misserfolgserfahrungen in der gesamten schulischen Laufbahn.

- mangelnde Zukunfts- und Lebensperspektiven (insbes. bei jugendlichen Ausländern ohne Arbeitserlaubnis, aber auch im gesamten Bereich der Erwerbstätigkeit für ungelernte Arbeitnehmer/-innen).

- mangelnde ökonomische Absicherung. Die Jugendlichen erhalten keine Ausbildungsvergütung, sie können sich mitunter das Fahrgeld oder den Kaffee nicht leisten. Diese für sie frustrierende und würdelose Situation (der Abhängigkeit von Elternunterstützung) führt von Zeit zu Zeit zu gewaltförmigen Ausbrüchen.

- ethnisch-kulturelle soziale Hierarchien.

In den beruflichen Schulen existieren im Bereich des Dualen Systems deutlich weniger Gewaltauffälligkeiten als in o. a. Vollzeitklassen. Wenn im Bereich der Berufsausbildung Gewaltprobleme auftreten, so handelt es sich häufiger um altersbezogen typische zwischenmenschliche Probleme (wie z. B. Eifersucht, Konkurrenz etc.).

Darüber hinaus sehen die jungen Auszubildenden in der Berufsschule nicht mehr ihren Lebensort. Gewalttaten ereignen sich eher außerhalb des schulischen Raumes, sie werden schulisch bekannt, wenn die Jugendlichen für Gerichtstermine Unterrichtsbefreiung benötigen.

Neben der Gewaltproblematik ist Diebstahl für etliche berufliche Schulen ein schwerwiegendes Problem. Hier wird sowohl Gelegenheitsdiebstahl beobachtet wie auch Diebstahl durch Bandenmitglieder.

Weiterhin bewirken gerade im o. a. Vollzeitbereich Fehlzeiten und Schulverweigerungsverhalten Probleme für einen kontinuierlichen Unterrichtsablauf.

Für alle Schularten und Schulstufen gilt

Durch Fehlzeiten entsteht ein Lernrückstand nicht nur für diejenigen, die unregelmäßig am Unterricht teilnehmen, sondern auch für diejenigen, die kontinuierlich erscheinen, da die Lerngruppe insgesamt in einen Lernrückstand gerät. Dies muss durch zusätzliche strukturierende Maßnahmen und Förderstunden ausgeglichen werden.

Eine Ursache von aggressiven Auseinandersetzungen kann auch in Fehlinterpretationen von Schülerverhalten durch die Lehrkräfte liegen. Hier kann eine Eskalation entstehen, wo Deeskalation vonnöten wäre.

Regionale Besonderheiten Regionale Besonderheiten haben für den Bereich von Gewalt in und um Schule eine entscheidende - wenn auch nicht die einzige - Bedeutung. Das Ergebnis einer bremen-weiten Befragung der Schulen Gewalt und Gewaltbereitschaft an Bremer Schulen von 1993 wies einen eindeutigen Zusammenhang zum Sozialindex aus: je höher der Sozialindex eines Planbezirks umso geringfügigere Gewaltphänomene traten auf; je niedriger umso mehr Gewaltphänomene waren zu beklagen.