Versorgungsdefizite bei der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Rheinland-Pfalz
Von Seiten einiger Psychiatriebeiräte in Rheinland-Pfalz wird Beschwerde darüber geführt, dass die Versorgung mit ambulanter Kinder- und Jugendpsychiatrie in Rheinland-Pfalz, insbesondere in ländlichen Räumen, defizitär sei.
Hinsichtlich der Ursachen wird insbesondere auf zwei Gründe verwiesen:
a) Da bei vielen Hochschulabsolventen bereits während des Studiums die familiäre Verwurzelung begonnen hat, lassen sich überproportional viele in der Nähe ihrer vormaligen Hochschule nieder; fehlende Bildungsgänge bewirken somit geringere Zahlen bei der Niederlassung.
b) Unvollständige bzw. zögerliche Umsetzung der „Sozialpsychiatrischen Vereinbarung für Kinder- und Jugendpsychiater" in Rheinland-Pfalz.
Ich frage die Landesregierung:
1. Ist es zutreffend, dass die Zahl von kinder- und jugendpsychiatrischen Problemfällen in Haushalten mit geringerem Einkommen vergleichsweise größer ist als in Haushalten mit mittlerem und höherem Einkommen?
2. Ist es demnach auch zutreffend, dass diesbezügliche Fallzahlen in wirtschaftlich schwachen Regionen vergleichsweise häufiger sind und damit dort der Bedarf an ambulanter ärztlicher Versorgung größer ist als in wirtschaftsstarken Landesteilen?
3. In welchen Kreisen bzw. kreisfreien Städten in Rheinland-Pfalz gibt es eine „Unterversorgung" bei der ambulanten kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung?
4. Ist es zutreffend, dass ausgerechnet die AOK, bei der ein Großteil der Haushalte mit geringem Einkommen pflichtversichert ist, die sozialpsychiatrische Vereinbarung nicht vollständig bzw. zögerlich umsetzt?
5. Was gedenkt die Landesregierung zu unternehmen, damit regional bestehende Defizite bei der ambulanten Versorgung im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie verringert und die diesbezüglichen Vereinbarungen von allen Kassen 1 : 1 umgesetzt werden?
6. Beabsichtigt die Landesregierung, die Lücke in der rheinland-pfälzischen Hochschullandschaft zu schließen und bei der UniKlinik Mainz einen Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie einzurichten und wie begründet die Landesregierung ihre Haltung?
Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 31. Januar 2007 wie folgt beantwortet:
Zu 1.: Ein direkter und eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Einkommen der Familien und der Häufigkeit von Behandlungsbedarfen ist durch die Studienlage nicht belegt.
Die Anzahl von Kindern und Jugendlichen, die eine psychiatrische und psychotherapeutische Betreuung benötigen, nimmt insgesamt zu. Die Gründe hierfür sind vielfältig und komplex. Psychische Störungen und Erkrankungen werden durch soziale, kulturelle und ökonomische Bedingungen beeinflusst.
Nach den Ergebnissen eines bundesweiten Kinder- und Jugendgesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2006 gelten ein niedriger sozioökonomischer Status und ein negatives, konfliktreiches Familienklima als bedeutendste Risikofaktoren für psychische Krankheiten und Auffälligkeiten. Auch Trennungen, Arbeitslosigkeit und häufiger Wohnortwechsel belasten Kinder immer mehr.
Zu 2.: Zur Frage, ob sich in wirtschaftlich schwachen Regionen des Landes die Fallzahlen für kinder- und jugendpsychiatrische Behandlungen häufen, kann die Landesregierung keine Aussage treffen. Der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz liegen keine nach Landkreisen gegliederten Fallzahlen für kinder- und jugendpsychiatrische Behandlungen vor.
Zu 3.: Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz sind in Rheinland-Pfalz 33 Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiater vertragsärztlich tätig. Da die Bedarfsplanungsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses für Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiater keine Messzahlen vorsehen, anhand derer ein Versorgungsgrad berechnet werden kann, findet eine formale Feststellung von Über- und Unterversorgung im Sinne der §§ 99 ff. des Fünften Buches Sozialgesetzbuch nicht statt.
Bei der Betrachtung der Versorgungssituation muss neben den ambulant tätigen Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiatern das weitere Angebot berücksichtigt werden. So nehmen 99 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten und weitere 162 psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit der Berechtigung zur Behandlung von Kindern an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung teil. Hinzu kommen Kinderärztinnen und Kinderärzte mit der Zusatzqualifikation „Psychotherapie". Zusätzlich besteht ein Netz von derzeit acht sozialpädiatrischen Zentren und sieben psychiatrischen Institutsambulanzen. Ein vormaliger Versorgungsengpass in der Region Pirmasens und Westpfalz konnte durch die Einrichtung einer psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) mit Standorten in Kaiserslautern und Pirmasens aufgefangen werden. Damit ist eine sozialpsychiatrische Behandlung von Kindern und Jugendlichen in Rheinland-Pfalz insgesamt sichergestellt.
Notwendig ist neben der medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung eine integrierte Versorgung, in die unter anderem die Leistungen der Jugendhilfe zu integrieren sind. Der Landespsychiatriebeirat hat in seinen Empfehlungen zur Förderung und Wiederherstellung der seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu Recht darauf hingewiesen, dass die Systeme Bildung, Jugendhilfe und Gesundheitswesen integrativ zusammenarbeiten müssen, um nachhaltige Verbesserungen zu erzielen.
Zu 4.: Bei der Sozialpsychiatrievereinbarung handelt es sich nicht um eine Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern um eine von einigen Kassen auf freiwilliger Basis abgeschlossenen zusätzlichen Vereinbarung. Der Gesetzgeber hat den Partnerinnen und Partnern im Gesundheitswesen die Aufgabe übertragen, Vergütungs- und Vertragsfragen unter Einhaltung der gesetzlichen Rahmenvorgaben eigenverantwortlich zu regeln. Daher besteht für die AOK Rheinland-Pfalz keine Verpflichtung, diese Vereinbarung zu übernehmen.
Die AOK Rheinland-Pfalz setzt sich im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie für vernetzte integrierte Versorgungsstrukturen durch eine Kooperation zwischen niedergelassenen Vertragsärztinnen und Vertragsärzten und therapeutischen Leitungserbringern ein. Die AOK Rheinland-Pfalz hat bereits erste integrierte Versorgungskonzepte realisiert und diese Versorgungsform auch für die integrierte ambulante Versorgung verhaltensauffälliger und psychisch erkrankter Kinder und Jugendlicher gewählt.
Die AOK Rheinland-Pfalz führt hinsichtlich einer integrierten Versorgung seit geraumer Zeit Gespräche mit der Regionalgruppe Rheinland-Pfalz des Berufsverbandes der Ärztinnen und Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Die Verhandlungen sind noch nicht vollständig abgeschlossen. Die AOK ist aber zuversichtlich, dass es zeitnah zu einem erfolgreichen Abschluss kommen wird.
Zu 5.: Die Sicherstellung der ambulanten vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Versorgung obliegt den Kassenärztlichen Vereinigungen (§ 75 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch). Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland Pfalz ist die Versorgung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen in Rheinland-Pfalz in der Fläche gewährleistet.
Bei regionalen Engpässen hat sich die Landesregierung für die Schaffung von Angeboten eingesetzt. So konnte durch die Vermittlung des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen die Einrichtung einer psychiatrischen Institutsambulanz in Pirmasens und Kaiserslautern erreicht werden, die für diese Regionen die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit sozialpsychiatrischer Behandlung gewährleistet. Die Leistungsangebote dieser Einrichtungen gehen im Hinblick auf die Versorgungsintensität deutlich über die Inhalte der Sozialpsychiatrievereinbarung hinaus.
Daneben steht die Landesregierung mit der AOK Rheinland-Pfalz in engem Kontakt und unterstützt das Vorhaben, durch integrierte Versorgung ein fach- und sektorenübergreifendes Versorgungskonzept zu schaffen, das die Behandlung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher optimiert.
Zu 6.: Die Professur für Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde ausgeschrieben und ein Berufungsverfahren durchgeführt. Dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur wurde durch den Präsidenten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Juli 2006 ein Besetzungsvorschlag unterbreitet. Der Ruf wurde im Oktober 2006 an den erstplatzierten Kandidaten erteilt.
Derzeit laufen die Ausstattungsverhandlungen sowie Gespräche über die Zusammensetzung der persönlichen Bezüge mit dem Klinikum und dem Präsidenten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.