Schwerlastproblematik („Gigaliner" bzw. „Euro-Combis")

Innerhalb der Europäischen Union ist eine Achslasterhöhung von 40 auf 60 Tonnen beim Schwerlastverkehr im Gespräch („Gigaliner" bzw. „Euro-Combis"). In Deutschland sind im Straßengüterverkehr Lastzüge mit einem Gesamtgewicht von 40 Tonnen und einer Gesamtlänge von 16,5 Metern (Sattelzug) bzw. 18,75 Metern (Gliederzug) zugelassen. In den Niederlanden können bereits Lkw mit einer Gesamtlänge von 25,5 Metern und einem Gesamtgewicht von 60 Tonnen im Straßenverkehr erprobt werden. Befürworter erwarten Einsparmöglichkeiten für die Transportunternehmen. Kritiker verweisen auf eine erhöhte Belastung von Straßen durch den Schwerlastverkehr und eine mögliche Verlagerung des Verkehrs von Schiene und Schiff auf die Straße.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Hat die Landesregierung Kenntnis von Erfahrungen bei Transportgenehmigungen und dem Einsatz von „Gigalinern" in anderen Ländern und Staaten?

2. Was sieht die bei der Verkehrsministerkonferenz vereinbarte Vorgehensweise hinsichtlich der Einführung von „Gigalinern" vor?

3. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zur grundsätzlichen Problematik beim Einsatz von „Gigalinern", beispielsweise hinsichtlich einer zusätzlichen Straßen- und Brückenbelastung, einer zukünftigen Arbeitsplatzentwicklung im Transportgewerbe oder möglicher hoher Investitionskosten für kleine und mittlere Unternehmen?

4. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung darüber, dass mit dem Einsatz von „Gigalinern" möglicherweise Verkehr von der Schiene auf die Straße verlagert würde?

Das Ministerium fürWirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 28. Februar 2007 wie folgt beantwortet:

Zu Frage 1: Lastzugkombinationen mit einem Gewicht von 60 t (sog. „Gigaliner" oder „Euro-Combis") sind derzeit u. a. in Finnland, Schweden und den Niederlanden zugelassen. Vor dem Hintergrund der in diesen Ländern gegebenen Verkehrsverhältnisse und Einsatzbedingungen wird von zum Teil positiven Ergebnissen berichtet.

­ In Schweden und Finnland werden für den Einsatz von Gigalinern hauptsächlich ökologische Gründe genannt, wie z. B. die Einsparung von Fahrten und damit weniger Treibstoffverbrauch.

­ In den Niederlanden sind derzeit rund 100 Gigaliner im Rahmen einer noch andauernden Pilotphase im Einsatz, für die ein umfangreicher Anforderungskatalog hinsichtlich Fahrtstrecke, Fahrtlänge sowie Anforderungen an den Fahrer besteht.

­ Nach Kenntnis der Landesregierung werden in Deutschland wissenschaftlich begleitete Modellversuche in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Abschließende Ergebnisse liegen noch nicht vor.

Zu den Fragen 2 und 3: Die Verkehrsministerkonferenz (VMK) hat beschlossen, die Auswirkungen des Einsatzes von Gigalinern auf die Straßeninfrastruktur, das Unfallgeschehen sowie die Wirtschaftlichkeit des Verkehrs einschließlich konkurrierender Verkehrsträger zu untersuchen, bevor über den Einsatz derartiger Fahrzeuge entschieden wird.

Die VMK hat daher das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gebeten, zeitnah zu berichten. Dieses hat die Bundesanstalt für das Straßenwesen mit den entsprechenden Untersuchungen beauftragt; eine abschließende Veröffentlichung der Ergebnisse soll in Kürze erfolgen. Nach ersten Ergebnissen dieser Untersuchungen lässt sich Folgendes festhalten:

­ Gigaliner verursachen erhebliche Belastungen für die Brückenbauwerke im Zuge des Bundesfernstraßennetzes; insbesondere die Tragreserven des Brückenbestandes werden deutlich reduziert. Hieraus ergibt sich keine unmittelbare Beeinträchtigung der Standsicherheit, es sind jedoch Auswirkungen auf die Lebensdauer der Brücken zu erwarten. Diese müssten nach jetzigem Kenntnisstand verstärkt oder schrittweise ersetzt werden.

­ Im Hinblick auf die Verkehrssicherheit werden Gigaliner bei Unfällen deutlich schwerwiegendere Folgen auslösen als die derzeit zugelassenen Lkw, da sie eine erheblich höhere kinetische Energie entfalten. Es existieren gegenwärtig keine Rückhaltesysteme (Leitplanken), die einem Aufprall standhalten würden. Insbesondere in Tunneln entstehen höhere Anforderungen an die Sicherheitsausstattung.

­ Ohne Nachlauflenkachsen ist die Befahrbarkeit von Straßenverkehrsanlagen (insbesondere Einmündungen, Kreisverkehre) nicht möglich. Darüber hinaus werden erhebliche Probleme auf Rastplätzen erwartet, deren Kapazität durch eine Einführung von längeren Lastzugkombinationen beeinträchtigt würde.

Nach Auffassung der Landesregierung sind diese Erkenntnisse vor einer Entscheidung über einen möglichen Einsatz von 60-t-Fahrzeugen sorgfältig abzuwägen.

Zu Frage 4: Nach Auffassung der Landesregierung ist nicht auszuschließen, dass mit dem Einsatz von Gigalinern die Wettbewerbsfähigkeit des Straßenverkehrsgewerbes steigen und damit der Umfang der Verkehre auf der Straße weiter zu Lasten der Verkehrsträger Schiene und Binnenschifffahrt zunehmen würde.

Dies entspricht auch den Ergebnissen einer Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für kombinierten Güterverkehr, die beim Einsatz von Gigalinern von wesentlichen Wirtschaftlichkeitszuwächsen für den Lkw ausgeht.