Sozialversicherung
83 Die Entgeltvereinbarung für eine ausschließlich von Förderschülern besuchte Tagesgruppe eines privaten Schulträgers sah einen Tagessatz von rund 71 auf der Basis einer täglichen Betreuungszeit von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr an Schultagen vor. Das Jugendamt finanzierte so zusätzlich erzieherische Hilfe für Zeiträume, in denen die jungen Menschen an dem mit Landesmitteln geförderten Nachmittagsunterricht der Förderschule teilzunehmen hatten.
Die Bewilligung stationärer oder teilstationärer erzieherischer Hilfen für die Förderschüler ist nach § 63 SchulG möglich, aber nicht verpflichtend. Daher ist zu prüfen, ob der durch den Förderschulbesuch nicht gedeckte Erziehungsbedarf durch - wesentlich kostengünstigere - ambulante Maßnahmen gedeckt werden kann. Im Übrigen ist auf den Ausschluss von Doppelfinanzierungen zu achten.
Bei Tagesgruppen, die von Förderschülern besucht werden, ist im Rahmen der Entgeltvereinbarung die Unterrichtsdauer der Förderschule zu berücksichtigen.
Ungerechtfertigte Zahlung von Entgelten - mehr Sorgfalt ist angebracht Jugendämter zahlten Leistungsanbietern Entgelte ohne Rechtsgrund oder obwohl ein Verstoß gegen rechtliche Vorschriften vorlag:
- Für eine Einrichtung waren unterschiedliche Tagessätze für Inobhutnahmen, Heimgruppen und Außenwohngruppen vereinbart. Der Leistungsanbieter rechnete Leistungen, für die niedrigere Tagessätze vereinbart waren, zu Unrecht mit den höheren Tagessätzen einer anderen Leistung ab (Inobhutnahme statt Heimgruppe, Heimgruppe statt Außenwohngruppe). Das Jugendamt zahlte ohne Beanstandung, was zur Zeit der Prüfung zu Überzahlungen von rund 7.000 führte.
- Drei Kinder besuchten eine Tagesgruppe, für die ein Tagessatz von 68 vereinbart war. Bei zwei Kindern beschränkten sich die Besuche auf zwei Tage, bei einem Kind auf einen Tag je Woche. Der Leistungsanbieter rechnete
- vom Jugendamt unbeanstandet - für beide Fallkonstellationen gleichbleibende Monatspauschalen von 784 bzw. 672 ab. Diese waren in jedem Monat höher, als bei einer Abrechnung anhand der vereinbarten Tagessätze.
"Ausfalltage", zum Beispiel während der Ferien, wurden nicht entgeltmindernd berücksichtigt. Überzahlungen von mindestens 15.000 waren die Folge.
- Ein Pflegeelternpaar betreute neun junge Menschen in sozialpädagogischer Vollzeitpflege und erhielt hierfür Pflegegeld. Ohne faktische Änderung der Betreuungsintensität bewilligte das Jugendamt drei der jungen Menschen die Hilfe ab Januar 2008 als "Betreutes Wohnen" nach § 34 SGB VIII. Folge war eine Vergütungserhöhung für die Pflegeeltern um insgesamt rund 720 pro Monat (Mehraufwand zur Zeit der Prüfung rund 10.000).
Das Pflegeelternpaar verfügte nicht über die nach §§ 48a und 45 SGB VIII erforderliche Betriebserlaubnis für eine betreute Wohnform. Deren Betrieb und die Belegung durch das Jugendamt verstießen daher gegen geltendes Recht.
Die Vergütungserhöhung entbehrte davon unabhängig auch jeder materiellen Rechtfertigung. Bereits die Belegung einer sozialpädagogischen Vollzeitpflegestelle mit neun jungen Menschen stand im eklatanten Widerspruch zu fachlichen Empfehlungen des Landesjugendamts, wonach in der Regel nicht mehr als zwei junge Menschen in einer sozialpädagogischen Pflegestelle aufgenommen werden sollen
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Ein Jugendamt teilte hierzu bereits mit, dass die bisherige Verfahrensweise, den Förderschulbesuch stets mit stationären oder teilstationären erzieherischen Hilfen zu verbinden, nicht mehr aufrechterhalten werde.
Vgl. Empfehlungen "Sozialpädagogische Pflegestellen in Rheinland-Pfalz", Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom 16. Dezember 2002 (http://www.lsjv.rlp.de).
4.2 Ambulante Hilfen Stundensätze und Zeitzuschläge - auf konkrete Vereinbarungen achten Ambulante Leistungen der Jugendhilfe wurden von den Jugendämtern nach größtenteils schriftlich, vereinzelt aber auch mündlich vereinbarten Stundensätzen vergütet. Vergütungsgrundlage waren regelmäßig die Stunden mit unmittelbaren pädagogischen Kontakten. Leistungsanbieter erhielten häufig pauschale Zeitzuschläge für mittelbare Leistungen, wie zum Beispiel für Verwaltungsaufgaben, Fortbildung und Supervision. Der Anteil der Zuschläge an der Gesamtvergütung belief sich nach dem Ergebnis der Prüfung auf 20 % bis 40 %, in einem Fall sogar auf 50 %.
Welche Aufwendungen mit dem Zuschlag abgegolten werden sollten, war in den Vereinbarungen häufig nicht konkret genug beschrieben. Der Zeitaufwand für Hilfeplangespräche, Fahrten, Berichterstellung und abgesagte Termine wurde daher teilweise durch Zeitzuschlag berücksichtigt, teilweise aber auch als vergütungspflichtige Stunden ausgewiesen.
Vereinbarungen über Entgelte für ambulante Leistungen sollten stets schriftlich abgeschlossen werden und einen möglichst abschließenden Katalog der vergütungsfähigen unmittelbaren Leistungen sowie der durch Zuschläge pauschal abgegoltenen mittelbaren Leistungen enthalten. Die Zuschläge sollten einen Anteil von 20 % bis 30 % der Gesamtvergütung nicht überschreiten.
Einsatz von Honorarkräften - Kostenvorteile gegenüber Leistungsanbietern Honorarkräfte erhielten nach den Angaben der geprüften Jugendämter einen durchschnittlichen Stundensatz von 24. In dieser Vergütung waren in der Regel auch die mittelbaren Leistungen enthalten. Die Entgelte der Leistungsanbieter lagen im Durchschnitt bei 43 je Stunde. Nur fünf der zehn geprüften Jugendämter beschäftigten Honorarkräfte. Lediglich bei einem Jugendamt betreuten sie mehr als 10 % aller Fälle. Einwände der Jugendämter hinsichtlich der Qualität der Leistungen von Honorarkräften wurden nicht vorgebracht.
Um die Wirtschaftlichkeit ambulanter erzieherischer Hilfen zu verbessern, sollte erwogen werden, verstärkt Honorarkräfte einzusetzen. Auf eventuell eintretende sozialversicherungsrechtliche Verpflichtungen wird hingewiesen. Diese können den Wirtschaftlichkeitsvorteil mindern, heben ihn aber nicht auf.
Umsatzsteuer - Befreiung nicht immer beachtet
Durch das Jahressteuergesetz 200843 sind Leistungsanbieter im Bereich der Jugendhilfe seit 1. Januar 2008 in erweitertem Umfang von der Umsatzsteuerpflicht befreit. Die Umsatzsteuerbefreiung muss auf der Rechnung angegeben werden. Andernfalls sind der Steuersatz und der auf das Entgelt entfallende Steuerbetrag auszuweisen.
Ein Leistungsanbieter wies auf seinen Rechnungen auch nach der Rechtsänderung weiterhin Umsatzsteuer aus. Das Jugendamt zahlte den jeweiligen Rechnungsbetrag, ohne eine Befreiung von der Umsatzsteuerpflicht zu prüfen. Zwei weiteren Anbietern zahlte das Jugendamt Entgelte, die unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer vereinbart worden waren, obwohl diese ab 2008 auf ihren Rechnungen keine Umsatzsteuer mehr auswiesen. Dies bewirkte eine "verdeckte"
Vgl. BAG, Urteile vom 4. November 2009 - B 12 R 7/08 R und B 12 R 3/08 R.
Vom 20. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3150).
§ 4 Nr. 25 Umsatzsteuergesetz (UStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 2005 (BGBl. I S. 386), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. April 2011 (BGBl. I S. 554).
§ 14 Abs. 4 Nr. 8 UStG.
Entgelterhöhung. Die möglichen Überzahlungen beliefen sich zur Zeit der Prüfung auf rund 40.000.
Bei Abrechnungen von Leistungsanbietern, die Umsatzsteuer ausweisen, sind die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Umsatzsteuerpflicht zu prüfen. Vor 2008 abgeschlossene Entgeltvereinbarungen, deren Kalkulation eine ab 2008 weggefallene Umsatzsteuerpflicht des Leistungsanbieters nicht berücksichtigt, sind mit dem Ziel einer Entgeltreduzierung neu zu verhandeln.
Leistungsnachweise - prüffähige Angaben erforderlich
Die Jugendämter hatten mit Leistungsanbietern und Honorarkräften meist keine Vereinbarungen über Form und Inhalt von Leistungsnachweisen im Rahmen der Abrechnung getroffen. Vergütungen wurden daher häufig gezahlt, ohne dass dem Jugendamt Erkenntnisse vorlagen, ob die entsprechende Leistung erbracht worden war.
Teilweise wiesen Rechnungen ohne Bezug zu den erbrachten Leistungen lediglich einen Betrag aus, der dem Produkt aus der bewilligten Stundenzahl und dem vereinbarten Stundensatz entsprach. Selbst wenn sich ein Jugendamt in einer Vereinbarung das Recht auf Anforderung von Stundennachweisen vorbehalten hatte, wurde hiervon kein Gebrauch gemacht.
Die Abrechnungen anderer Leistungsanbieter und Honorarkräfte, die zumindest Angaben über
- Datum und Uhrzeit der Leistungserbringung,
- Namen der eingesetzten Kräfte und den
- Inhalt der Leistungen auswiesen, zeigten, dass die erbrachten Stunden durchaus hinter den bewilligten Stunden zurückblieben, zum Beispiel wegen Urlaubszeiten oder Terminabsagen.
Die kommunalen Jugendämter sind nach § 25 Abs. 3 Satz 1 GemHVO verpflichtet, Auszahlungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen und festzustellen. Dies setzt ein Mindestmaß an prüffähigen Informationen voraus. Zudem erschweren fehlende Angaben zum Inhalt ambulanter Leistungen den sozialen Diensten die Beurteilung der Fallentwicklung und die Fallsteuerung.
Die Jugendämter sollten daher mit den Anbietern ambulanter Leistungen Vereinbarungen über den Mindestinhalt der Abrechnungen treffen, um die Identität zwischen abgerechneten und geleisteten Stunden besser kontrollieren und sich einen Eindruck vom Inhalt der erbrachten Leistungen verschaffen zu können. Werden im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII Integrationshilfen in Schulen oder Kindergärten erbracht, sollten die Leistungsanbieter verpflichtet werden, sich von diesen Stellen den zeitlichen Umfang der erbrachten Leistungen bestätigen zu lassen
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Fehlerhafte Abrechnungen - hohe Schäden waren die Folge
Die Prüfung der Abrechnungspraxis von Leistungsanbietern für ambulante Leistungen zeigte Fehler mit erheblichen finanziellen Auswirkungen zu Lasten der Jugendämter. Beispiele:
- Anbieter rechneten Gruppenbetreuung als Einzelbetreuung ab. So wurden beispielsweise für eine dreistündige gemeinsame Betreuung von acht jungen Menschen durch zwei Fachkräfte 24 Stundensätze geltend gemacht, obwohl nur sechs Personalstunden angefallen waren. Vereinbarungen zur Vergütung der Gruppenbetreuung fehlten oder wurden nicht angewandt.
Bestätigungen der Hilfeempfänger über ambulante Leistungen von Leistungsanbietern wurden von den Jugendämtern aus pädagogischen Gründen nicht als opportun erachtet.