Bei der Aufenthaltsermittlung sollten die rechtlichen Möglichkeiten der Informationsgewinnung stärker ausgeschöpft werden

92 Ferner können Suchaufträge an das Bundeszentralregister erteilt und Meldedaten abgerufen werden. Jugendämter nutzten die Ermittlungsmöglichkeiten unzureichend und hatten keinen unmittelbaren Zugriff auf die Einwohnermeldedaten.

Bei der Aufenthaltsermittlung sollten die rechtlichen Möglichkeiten der Informationsgewinnung stärker ausgeschöpft werden. Es empfiehlt sich, mindestens an einem Arbeitsplatz im Bereich der wirtschaftlichen Jugendhilfe eine elektronische Zugriffsmöglichkeit auf die Einwohnermeldedaten einzurichten.

- Leistungsakten waren oft unvollständig. Es fehlten für die Leistungsgewährung und Kostenbeitragserhebung bedeutsame Unterlagen, zum Beispiel Sorgerechtsentscheidungen, Kindergeldbescheide, Belege zum Einkommen oder zu abgesetzten Belastungen, Nachweise über das Alter eigener Kinder von Pflegeeltern64 sowie Unterlagen zum aufenthaltsrechtlichen Status von Ausländern. Die Akten waren teilweise rein chronologisch geordnet, mit der Folge, dass zum Beispiel für die Erhebung von Kostenbeiträgen relevante Unterlagen über die gesamte Akte verteilt waren.

Akten müssen eine ordnungsgemäße Fallbearbeitung unabhängig von der Person des zuständigen Sachbearbeiters ermöglichen. Dies erfordert eine vollständige Dokumentation des entscheidungserheblichen Sachverhalts in einer für die Aufgabenerledigung geeigneten Form. Neben einer Komplettierung der Leistungsakten ist daher auch ein thematischer Aufbau zu empfehlen, etwa durch Zusammenfassung der kostenbeitragsrelevanten Unterlagen innerhalb der Akte.

Eingliederungshilfe - Bewilligung trotz fehlender oder unklarer Leistungsvoraussetzungen

Bei der Bewilligung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII genügte die Feststellung der Leistungsvoraussetzungen oft nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Hiernach ist die Diagnose eines normabweichenden seelischen Gesundheitszustands und die Feststellung einer dadurch bedingten, aktuellen oder drohenden Beeinträchtigung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erforderlich. Die Diagnose obliegt einem Arzt oder Psychotherapeuten, die Feststellung den Fachkräften des Jugendamts. Eine personelle Trennung zwischen Diagnostik und späterer Leistungserbringung soll gewährleistet werden. Jugendämter bewilligten Eingliederungshilfe, obwohl

- keine, veraltete oder inhaltlich unzureichende Diagnosen vorlagen,

- die Diagnose vom Personal des Leistungserbringers stammte,

- für eine seelische Behinderung lediglich die Einschätzung von Elternteilen oder dem Personal von Kindergärten sprach oder

- Fachkräfte keine Feststellungen zu einer Teilhabebeeinträchtigung getroffen hatten.

Zur Zulässigkeit vgl. § 19 Landesverordnung über den automatisierten Abruf von Meldedaten aus dem Informationssystem (Informationssystemabrufverordnung) vom 30. März 2006 (GVBl. S. 147), BS 210-20-3.

Vgl. § 39 Abs. 6 SGB VIII.

Vgl. § 6 Abs. 2 SGB VIII.

§ 35a Abs. 1 SGB VIII.

§ 35a Abs. 1a SGB VIII.

§ 35a Abs. 1a Satz 4 SGB VIII.

Zur Vermeidung unnötiger Hilfen sind die Leistungsvoraussetzungen unter Einhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens belastbar festzustellen. Die Objektivität der Diagnosen ist im Hinblick auf das wirtschaftliche Interesse von Leistungsanbietern grundsätzlich durch Trennung zwischen Diagnostik und Leistungsgewährung sicherzustellen.

Zuständigkeit und Kostenerstattung - hohe Schäden wegen unzureichender Prüfung Jugendämter zogen verschiedentlich keine Konsequenzen aus aktenkundigen Informationen über Umzüge von Elternteilen betreuter junger Menschen oder die Begründung gewöhnlicher Aufenthalte in Einrichtungen. So wurden Kostenerstattungsansprüche nicht geltend gemacht oder trotz Wegfall der Zuständigkeit Leistungen weiterhin gewährt.

Mehrfach entstanden Einnahmeausfälle von jeweils über 100.000, in einem Fall sogar von geschätzt 1 Mio.. Hier war ein Zuständigkeitswechsel übersehen worden, nachdem 2001 die alleinerziehende Mutter zweier im Heim untergebrachter Kinder in ein anderes Bundesland umgezogen war.

Angesichts des Umfangs der Risiken sollten entsprechend qualifizierte Sachbearbeiter mit der Prüfung von Zuständigkeit und Kostenerstattungsfragen beauftragt werden. Im Rahmen der regelmäßigen Überprüfung der Kostenbeitragspflichten (Tz. 6.5.3) ist besonders auf Sachverhalte mit Relevanz für Zuständigkeit und Kostenerstattung zu achten.

Vorrangige Leistungen - nicht immer geltend gemacht

Opferentschädigung Häufig war die Misshandlung oder der Missbrauch junger Menschen Anlass für die Gewährung erzieherischer Hilfen. Derartige Sachverhalte können den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Opferentschädigungsgesetz erfüllen. Das Gesetz regelt die Entschädigung von Opfern vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriffe, die zu gesundheitlichen Schädigungen geführt haben. Ihnen steht ein Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes70 zu, der auch Erziehungsbeihilfe nach § 27 BVG beinhaltet. Jugendämter können Anträge selbst stellen und auf diesem Wege auch Erkenntnisse der pädagogischen Fachkräfte über gesundheitliche Schäden der jungen Menschen und ihre Ursachen in das Verfahren einbringen.

Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz wurden von den Jugendämtern öfter nicht geprüft. Ein Jugendamt gewährte erzieherische Hilfen an mehrere junge Menschen, die Renten nach dem OEG bezogen. Die Renten wurden zwar als vorrangige Ansprüche berücksichtigt. Weitergehende Anträge, etwa auf Erziehungsbeihilfe nach dem Bundesversorgungsgesetz, wurden aber nicht gestellt.

Die vorrangige Inanspruchnahme von Erziehungsbeihilfen auf der Grundlage des OEG trägt zur Aufwandminderung der örtlichen Jugendhilfeträger bei, da ihre Finanzierung Land und Bund obliegen.

Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Januar 1985 (BGBl. I S. 1), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Juni 2009 (BGBl. I S. 1580). Zu Details des Tatbestands vgl. z. B. Empfehlungen "Opferentschädigung - Informationen für die Jugendämter" des Landesamts für Soziales, Jugend und Versorgung (http://www.lsjv.rlp.de) und JAmt 2006, 382, 425.

Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl. I S. 21), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1885).

Vgl. § 97 SGB VIII.

§§ 10 und 6 Landesgesetz zur Durchführung der Kriegsopferfürsorge (DGKOF) vom 8. März 1963 (GVBl. S. 82), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. September 2010 (GVBl. S. 280), BS 83-1.

6.4.2 Sonstige vorrangige Leistungen Gelegentlich hatten es die Jugendämter versäumt, sog. zweckidentische Leistungen, insbesondere Waisen- oder Halbwaisenrente, Ausbildungsförderung und Berufsausbildungsbeihilfe, rechtzeitig geltend zu machen. Darüber hinaus fehlten Angaben bei der Antragstellung für diese Leistungen, beispielsweise über Fahrtkosten bei Anträgen auf Berufsausbildungsbeihilfe, wodurch die zweckidentischen Leistungen zu niedrig ausfielen. Das führte zu Einnahmeausfällen und überhöhten Ausgaben. Die Jugendämter wurden aufgefordert, für eine rechtzeitige und vollständige Antragstellung zu sorgen.

Kostenbeiträge - Einnahmemöglichkeiten wurden nicht ausgeschöpft

Nicht alle Jugendhilfeleistungen sind für die Betroffenen unentgeltlich. Für teilstationäre und stationäre erzieherische Hilfen einschließlich der Vollzeitpflege werden Kostenbeiträge erhoben. Kostenschuldner sind insbesondere jeder Elternteil für sich75 und die jungen Menschen selbst. Sie werden aus ihrem Einkommen, junge Volljährige zusätzlich aus ihrem Vermögen, zu Kostenbeiträgen herangezogen. Die Berechnung des Einkommens und der Umfang der Heranziehung sind in § 92 ff. SGB VIII und der Kostenbeitragsverordnung geregelt.

Den Kostenbeitragspflichtigen ist der unterhaltsrechtliche Selbstbehalt zu belassen. Bei stationären Hilfen ist mindestens das Kindergeld einzusetzen.

Die Prüfung der Kostenbeitragserhebung hatte folgendes Ergebnis:

- Bei der Heimerziehung und sonstigen betreuten Wohnformen reichte der Fallanteil der über den Einsatz des Kindergeldes hinausgehenden Kostenbeiträge von 19,8 % bis 50,6 % bei einem Mittelwert von 32,8 %.

- Bei der Erziehung in Tagesgruppen wies der Anteil der Fälle mit Kostenbeiträgen eine Spanne von 11,5 % bis 60,8 % auf. Im Mittel lag er bei 26,2 %. Unterschiede in der sozialen Struktur des Zuständigkeitsbereichs der Jugendämter können bis zu einem gewissen Grad abweichende Quoten bei der Erhebung von Kostenbeiträgen erklären. Die im Rahmen der Prüfung festgestellten Diskrepanzen haben aber ein Ausmaß, das letztlich nur auf eine unterschiedliche Aufgabenerledigung durch die wirtschaftliche Jugendhilfe zurückgeführt werden kann.

Jugendämter, deren Quote bei der Kostenbeitragserhebung deutlich unter den vom Rechnungshof ermittelten Durchschnitten liegt, sollten dies daher zum Anlass nehmen, im Rahmen des Controlling den Ursachen nachzugehen.

Ermittlung und Berücksichtigung von Einkommen - häufig fehlerhaft

Die Einkommensüberprüfung genügte häufig nicht den Anforderungen:

- Zur Ermittlung des Einkommens von abhängig beschäftigten Kostenbeitragspflichtigen gingen die Jugendämter überwiegend vom Nettoeinkommen nach den Gehaltsbescheinigungen der Arbeitgeber aus. Es wurde nicht geprüft, ob den Kostenbeitragspflichtigen Steuererstattungen zustanden.

§ 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII.

§ 91 SGB VIII.

§ 92 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 SGB VIII.

§ 92 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGB VIII.

§ 92 Abs. 1a SGB VIII.

Verordnung zur Festsetzung der Kostenbeiträge für Leistungen und vorläufige Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe (Kostenbeitragsverordnung - KostenbeitragsV) vom 1. Oktober 2005 (BGBl. I S. 2907).

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. August 2010 - 5 C 10.09.

§ 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII und § 7 KostenbeitragsV.