Interregionale Kooperation im Bereich des Katastrophenschutzes vor dem Hintergrund des Chemieunfalls von Carling

Vorbemerkung der Fragestellerin: „In Situationen von Störfällen jeglicher Art müssen die Partner diesseits und jenseits der Grenzen vertrauensvoll und konstruktiv zusammenarbeiten.

Nur wenn dies in der kleinräumigen Struktur der Saar-Lor-Lux-Region gelingt, können die Menschen auch Vertrauen in größere Projekte wie beispielsweise das der Europäischen Union gewinnen." Vorbemerkung der Regierung des Saarlandes:

Die saarländische Landesregierung teilt die Einschätzung, dass zur Beherrschung von Störfallen und Schadenslagen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen die Partner diesseits und jenseits der Grenze vertrauensvoll und konstruktiv zusammenarbeiten müssen, und legt auf eine Förderung dieser Zusammenarbeit einen Schwerpunkt ihrer Arbeit.

Die saarländische Landesregierung verfolgt das Ziel, den Bürgerinnen und Bürgern ein Höchstmaß an Sicherheit zu bieten. Unfälle in chemischen Großanlagen stellen dabei einen Teil des Bedrohungspotenzials dar, dem die Bevölkerung ausgesetzt ist. Teil der Vorsorge gegen solche Unfälle wie auch gegen andere Schadenslagen zum Beispiel nach Naturkatastrophen bildet der Katastrophenschutz, der in erster Linie die Vorhaltung von Personal und technischem Gerät zur Abwehr der aus diesen Schadenslagen resultierenden Gefahren umfasst. Fragen der betrieblichen Sicherheit oder der Kontrolle und Wartung von Sicherheitseinrichtungen von Unternehmen gehören begrifflich nicht zum Katastrophenschutz.

Welche Konsequenzen wurden aus dem Chemieunfall von Toulouse aus dem Jahre 2002 gezogen? Welche Konsequenzen werden aus dem Chemieunglück von Carling am 24. Juni 2005 gezogen?

Zu Frage 1: Die Richtlinie 96/82/EG zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (sog. Seveso-II-Richtlinie) dient der Verhütung von schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen und der Begrenzung der Unfallfolgen für Mensch und Umwelt, um in der gesamten Europäischen Union ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten. Diese Richtlinie ist sowohl in Deutschland (durch die Störfallverordnung) als auch in Frankreich in nationales Recht umgesetzt. Die Richtlinie findet für Betriebe Anwendung, in denen gefährliche Stoffe in bestimmten Mengen vorhanden sind oder bei einem außer Kontrolle geratenen industriellen chemischen Verfahren anfallen können. Je nach Menge der vorhandenen gefährlichen Stoffe verpflichtet die Richtlinie die Betreiber dieser Anlagen zu verschiedenen Vorsorgemaßnahmen. So haben Betreiber, welche die erweiterten Pflichten erfüllen müssen, einen Sicherheitsbericht nach Anlage II der Richtlinie zu erstellen.

Das Europäische Parlament und der Rat haben im Anschluss an die Industrieunfälle von Baia Mare und Enschede im Jahr 2000 sowie von Toulouse im Jahr 2001 die Richtlinie 2003/105/EG zur Änderung der Seveso-II-Richtlinie verabschiedet. Die neue Richtlinie erfasst die chemische und thermische Behandlung in der Bergbauindustrie sowie in Betrieb befindliche Anlagen, in denen gefährliche Stoffe enthaltendes Versatzgut behandelt wird, und gilt auch für karzinogene Stoffe. Ferner wurden verschiedene Bestimmungen für Bereiche wie die Information der Öffentlichkeit und die Ausbildung für Notfälle gestärkt. Die Mitgliedstaaten sind außerdem verpflichtet, der Kommission bestimmte Mindestinformationen über alle „Seveso-Standorte" auf ihrem Hoheitsgebiet vorzulegen.

Auf nationaler Ebene wurde als Folge des Industrieunfalls von Toulouse in Frankreich das bestehende Regelwerk unterhalb der Seveso-II-Richtlinie überarbeitet. Diese Überarbeitung hatte als Ergebnis das „loi sur la prevention des risques technologiques et la reparation des dommages" vom 30. Juli 2003. Dieses Gesetz stellt vor allem das Verursacherprinzip und damit die Verantwortung des Unternehmens sowie die Vorsorge in den Vordergrund. Die Möglichkeit der Entstehung einer Gefahr soll auf ein Minimum reduziert werden. Zu den Maßnahmen, die das Gesetz vorsieht, gehört u.a. die Gründung von Komitees zur Information der Öffentlichkeit und zur Abstimmung (CLIC ­ Comite Local dInformation et de Concertation) in der Nähe der entsprechenden Anlagen. Die CLIC, durch die zuständigen Präfekten vor etwa zwei Jahren ins Leben gerufen, setzt sich zusammen aus dem Präfekten und den Behördenvertretern der jeweiligen Region, aus den Bürgermeistern der betroffenen Gemeinden, aus Arbeitnehmervertretern, aus den Betriebsleitern der jeweiligen Unternehmen und aus Vertretern von Umweltverbänden. In die CLIC am Standort Carling sind außerdem Vertreter der betroffenen saarländischen Ministerien einbezogen. Das Komitee ist beteiligt an der Ausarbeitung von PPRTs (Plan de Prevention de Risques Technologiques), einer weiteren als Konsequenz aus dem Toulouse-Unfall durch dieses Gesetz eingeführten Neuerung. Diese Pläne dienen vor allem der Begrenzung der Auswirkungen von Unfällen auf die umliegende Bevölkerung. Ebenfalls neu gegenüber dem bisherigen Regelwerk ist die Verpflichtung zur Durchführung von Gefahrenstudien beim Transport von gefährlichen Stoffen, insbesondere in Bezug auf mögliche Gefahren beim Umladen auf Rangierbahnhöfen, beim Befahren von Brücken oder auf größeren LKW-Parkplätzen.

Weitere Änderungen betreffen die Einbindung der Arbeitnehmer in die Prävention und Entschädigungsmaßnahmen.

Der Unfall von Carling am 24. Juni 2005, der in keiner Weise mit dem Unglück von Toulouse vergleichbar war, hatte innerstaatliche Maßnahmen der französischen Aufsichts- und Genehmigungsbehörde zur Folge. Bereits in einer Sitzung am 6. Juli 2005 hat der Präfekt eine mündliche Anordnung erlassen, die mit Schreiben vom 7. Juli 2005 schriftlich bestätigt wurde. Im Rahmen dieser Anordnung wurde in einem ersten Schritt die Einstufung und Charakterisierung der Störfälle ­ ausgehend von einem schnellen und zuverlässigen Messsystem ­ verbessert. Die Umsetzung dieser Maßnahme liegt in der Verantwortung des Unternehmens und wird durch die Aufsichtsbehörde kontrolliert. In einem zweiten Schritt muss, ausgehend von einer schnellen Identifikation der Gefahr, die Weiterleitung der Information an alle betroffenen französischen und deutschen Behörden und Gemeinden erfolgen. Die Inhalte dieser Informationen müssen eindeutig, klar und vollständig sein. Für die Umsetzung dieser Maßnahme sind sowohl das Unternehmen als auch die französischen Behörden verantwortlich. Als dritte durchzuführende Maßnahme hat das Unternehmen die Sicherheit der Polystyrolanlage zu erhöhen. Dies soll durch eine Revision der Abläufe und der Ausrüstung, durch Verstärkung und Schulung des Personals sowie die Überarbeitung der Gefahrenstudie erfolgen. Erst nach Durchführung dieser Maßnahmen kann das Unternehmen die betreffende Anlage wieder in Betrieb nehmen. Als weitere Konsequenz muss Frankreich einen Unfallbericht für die EU-Kommission ausarbeiten. Dieser Bericht muss nähere Angaben über die vom Betreiber nach dem Unfall getroffenen Maßnahmen und der zur Vermeidung einer Wiederholung eines solchen Unfalls unmittelbar notwendigen Sicherheitsvorkehrungen enthalten.

Auf saarländischer Seite wurden im Bereich des Katastrophenschutzes die im Zusammenhang mit dem Informationsverfahren zu Carling bestehenden Meldewege optimiert und Planungen zur besonderen Gefahrenabwehr initiiert.

Welche Sicherheitsvorkehrungen sind angedacht, um zukünftig eine optimale Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit der Menschen in der betroffenen Grenzregion zu garantieren?

Zu Frage 2: Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit saarländischer Behörden mit entsprechenden französischen Stellen ist gängige Praxis. Sowohl für die Chemieplattform Carling als auch für das Kernkraftwerk Cattenom bestehen abgesprochene Informations- und Alarmierungsverfahren.

Als Ergebnis dieser Zusammenarbeit wurden auf der Grundlage des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen am 16.12.

2002 eine Absprache zur Durchführung dieses Abkommens und eine Absprache über die gegenseitige Information bei Gefahren und Schäden, die sich auf das Hoheitsgebiet des Nachbarstaates auswirken können, abgeschlossen.

Der Bereich der Notfallrettung wird von dem am 22.7.2005 unterzeichneten Rahmenabkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich erfasst. Nach Unterzeichnung der notwendigen Verwaltungsvereinbarung und In-Kraft-Treten des Rahmenabkommens wird für diesen Bereich zügig eine regionale Kooperationsvereinbarung angestrebt.