Kindeswohlgefährdung und Entwicklungsrisiken

Auf der Grundlage der vorliegenden Befunde wurden mehrere Merkmale identifiziert, die die „erfolgreichsten" Interventionen auszeichneten. Zu den Ergebnissen im Hinblick auf den Erfolg ambulanter Hilfen nach körperlicher Kindesmisshandlung zählten etwa die folgenden drei Punkte (vgl. Kindler & Spangler, 2005, S. 107):

· Belegbar wirksame Interventionen beinhalteten häufig eine intensive Unterstützung und Anleitung der Eltern bei der angemessenen Bewältigung von Konfliktsituationen in der Erziehung und bei der positiven Beziehungsgestaltung mit den Kindern.

· Die Familie allgemein entlastende oder die Familienbeziehungen bzw. das familiäre Netzwerk allgemein fördernde Maßnahmen lassen sich zwar als wichtige Ergänzungen ansehen, zeigten für sich genommen jedoch, zumindest in bisherigen Evaluationen, eher geringe bzw. wechselnde Wirkungen.

· Wenngleich nur selten explizit untersucht, wurde bei belegbar wirksamen Interventionsansätzen doch häufig darauf hingewiesen, dass im Einzelfall bei besonderen familiären Umständen (z.B. Suchterkrankung, Partnerschaftsgewalt) eine Hinzunahme weiterer spezialisierter Hilfen erfolgte. Die bedarfsgerechte Vernetzung von Hilfen wurde daher als ein weiteres Merkmal eher erfolgreicher ambulanter Hilfen bei Kindesmisshandlung angesehen.

In ähnlicher Weise wurden auch für ambulante Hilfen mit Eltern nach Vernachlässigung Merkmale derjenigen Interventionen mit der bislang am besten belegten Wirksamkeit identifiziert. Eher wirksame Formen ambulanter Hilfe nach Vernachlässigung zeichneten sich besonders durch folgende vier Merkmale aus (vgl. Kindler & Spangler, 2007, S. 108):

· eine Dauer von deutlich mehr als einem halben Jahr, meist ein bis eineinhalb Jahren;

· eine zumindest in Teilen aufsuchende Arbeitsweise;

· eine alltagsnahe, detaillierte und geplante Anleitung und Unterstützung der Eltern bei der angemessenen Versorgung und Erziehung vorhandener Kinder und

· die Möglichkeit zur bedarfsgerechten Ergänzung der Hilfe durch weitere Dienste wie etwa Krisenintervention, Bereitschaftspflege in Krisensituationen, sozialpsychiatrische Dienste und Suchtberatung.

Im internationalen Kontext liegen darüber hinaus aussagekräftige Informationen zur Wirksamkeit von Psychotherapie im Bereich sexueller Missbrauch vor (vgl. zusammenfassend Hardt 2005). Nurcombe et al (2000) beobachteten bei sieben von neun Studien zur Psychotherapie bei sexuellem missbrauchten Kindern und Jugendlichen einen Effekt der Psychotherapie. Dabei erwiesen sich die in der Therapie erreichten Effekte als relativ stabil. Auch Finkelhor & Berliner (1995) analysierten die Wirksamkeit von Psychotherapie bei sexuell missbrauchten Kindern und Jugendlichen. Der Großteil der von ihnen analysierten Studien zeigte, dass signifikante Verbesserungen im Befinden oder Verhalten der Kinder und Jugendlichen auftraten. Allerdings profitierten einige Kinder gut von der Therapie, andere hingegen kaum.

Bei einigen wenigen Kindern und Jugendlichen traten sogar Verschlechterungen ihres Befindens ein. Darüber hinaus erwiesen sich sexualisiertes und aggressives Verhalten als therapeutisch besonders schwer zu behandeln.

Eine quantitative Metaanalyse zur Wirksamkeit von Gruppentherapien bei sexuell missbrauchten Kindern und Jugendlichen wurde von Reeker et al (1997) vorgelegt. Als Ergebnis zeigt die Metaanalyse insgesamt eine Wirksamkeit der Psychotherapien. Dabei zeigen Therapien, die im Rahmen von Institutionen, die sich mit missbrauchten Kindern und Jugendlichen beschäftigen, stattgefunden haben, bessere Erfolge als solche die im Rahmen von Forschungsprojekten an Universitäten durchgeführt wurden. Weiterhin ziehen Jungen nach dieser Analyse tendenziell weniger Nutzen aus den Therapien als Mädchen.

Price et al (2001) wiederum führten eine Metaanalyse über acht Studien bei Erwachsenen durch, die als Kinder sexuell missbraucht wurden. Zwar waren die Effektstärken der Studien insgesamt sehr heterogen, doch selbst bei konservativen Mittelungen der Ergebnisse kann zumindest kurzfristig - auch bei Erwachsenen von einer Wirksamkeit der Therapien ausgegangen werden.

Wirksamkeit von Präventionsprogrammen:

Evaluation von Programmen zu Frühen Hilfen in Deutschland:

Als ein Weg, um Eingriffe in Familien möglichst zu vermeiden und gleichzeitig Kinder vor Misshandlung und Vernachlässigung zu schützen, hat sich die Idee früher primärer Prävention zu einem neuen Hoffnungsträger in der deutschen Kinderschutzdiskussion entwickelt.

Entsprechend ist bundesweit eine rasche Zunahme von Projekten in diesem Bereich festzustellen. Das Deutsche Jugendinstitut hat eine vergleichende Darstellung, Analyse und Bewertung dieser Projekte vorgenommen (vgl. Helming u.a. 2006). Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse dieser Kurzevaluation vorgestellt (vgl. Helming u.a., 2006, S.72ff.).

Zugang zu den Familien:

Es besteht vor allem im Bereich des Gesundheitssystems die Möglichkeit eines eher systematischen und/oder breiten Zugangs zu allen Familien (z.B. über Geburtskliniken oder Geburtsmeldungen beim Einwohnermeldeamt). Diese Vorgehensweise wird von den Familien kaum als stigmatisierend wahrgenommen. Entscheidend für die effektive Nutzung dieser Zugänge ist, Familien bei Bedarf (in) geeignete Hilfen zu vermitteln. Dies ist nur durch die systematische Verzahnung von Gesundheits- und Jugendhilfesystem möglich.

Der weitaus größte Anteil der untersuchten Projekte fällt in die Kategorie der eher fokussierten und/oder spezifischen Zugänge. Diese Projekte sind zumeist im Jugendhilfebereich angesiedelt und wenden sich schon von vorne herein an bestimmte Teilpopulationen. Die Tatsache, dass sie oft Eigenmotivation und Mobilität der Familien voraussetzen, stellt zuweilen gerade für belastete Familien - eine hohe Zugangshürde dar. Aufsuchende Hilfen können hier Abhilfe schaffen, aber gleichzeitig stigmatisierend wirken.

Risikoerkennung Allgemeine Screeningverfahren zur Erkennung möglicher Risiken werden bislang in Deutschland nur punktuell angewendet. In der betrachteten Praxis der Sozialen Arbeit und des Gesundheitssystems werden Risiken für die Entwicklung von Kindern und Gefährdungen des Kindeswohls zumeist auf der Basis der jeweiligen Berufserfahrung abgeschätzt, zum Teil in Kombination mit einer Vielzahl von verschiedenen Instrumenten, deren Güte nicht immer überprüft ist.

Während im Gesundheitssystem Unsicherheiten in Bezug auf das Erkennen und Handeln im Fall von Kindeswohlgefährdung und Entwicklungsrisiken bestehen, wird im Jugendhilfesystem vielfach ein fehlendes Fachwissen in Bezug auf Bedürfnisse und Entwicklung von Säuglingen festgestellt. Multidisziplinarität ist notwendig, um die Wissensbestände aus beiden Systemen zusammenzuführen und zu nutzen. Von den Praktiker/-innen in den genannten Projekten werden Fortbildungen zum Thema Risiken und Kindeswohlgefährdung eingefordert und z. T. auch schon realisiert.

Motivation:

Gerade die „Frühen Hilfen" werden unter „Motivationsaspekten" als eine große Chance angesehen: Fast alle Eltern wollen, dass sich ihre Kinder positiv entwickeln und sind rund um die Geburt für entsprechende Hilfen zugänglich.

Dabei bieten so genannte Center-based Angebote den Vorteil, dass sie - da sie allen Familien offen stehen - wenig stigmatisierend und somit motivierend wirken können. Diese KommStrukturen erfordern jedoch ein gewisses Engagement der Eltern. Demgegenüber haben so genannte Home-based Angebote vor allem in Bezug auf Familien in gravierenden Unterversorgungslagen in mehreren Lebensbereichen den Vorteil, dass sie wenig Eigenaktivität der Eltern erfordern. Diese Familien können vor allem durch aufsuchende und nachgehende Hilfen erreicht und zur Teilnahme motiviert werden, da die Hilfen auf die Familien zu gehen und den Alltagskontext der Familien aufnehmen.

Der Aufbau einer Vertrauensbeziehung ist unverzichtbar für die kontinuierliche, aktive Teilnahme der Familien. Allerdings sind dem Prinzip der Freiwilligkeit Grenzen gesetzt, wenn bei den Familien keine Einsicht in notwendige Veränderungen besteht. Daher sind ggf. verbindliche Vereinbarungen, auch in Form von Auflagen und gegebenenfalls in Kombination mit Sanktionen, notwendig, um das Wohlergehen der Kinder in den Familien sicher zu stellen.

Entwicklung passgenauer Hilfen Eher standardisierte Angebote mit Komm-Strukturen passen vor allem für Eltern, deren Belastungen nicht sämtliche Lebensbereiche betreffen. Familien in gravierenden Unterversorgungslagen in vielen Bereichen und mit großen Risiken für das Aufwachsen der Kinder brauchen eher individualisierte, aufsuchende, sozialraumorientierte Hilfeformen, die die Förderung einer positiven Eltern-Kind-Interaktion mit vielfältiger alltagspraktischer Unterstützung verbinden, die zeitlich flexibel auf den Bedarf der Familien reagieren und eine längerfristige Begleitung und Betreuung umfassen. Die Kombination beider Ansätze scheint gerade für belastete Familien die aussichtsreichste Form der Unterstützung.

Die Lösung des Problems der Passgenauigkeit der verschiedenen Angebote im Bereich „Früher Hilfen", die Bewertung der jeweiligen „Notwendigkeit" und „Geeignetheit" findet im praktischen Handeln in einem Einschätzungsprozess statt, in dem eine Balance hergestellt werden muss zwischen der fachlichen Verantwortung der Fachkräfte einerseits und der Verantwortung der Mütter und Väter für ihre persönlichen Lebensentscheidungen andererseits darunter auch für oder gegen die Annahme eines bestimmten Hilfeangebotes. Nicht angebracht ist dagegen nach den vorliegenden Erkenntnissen eine am medizinischdiagnostischen Modell orientierte, expertokratisch formulierte Entscheidung im Bereich einer Unterstützung von Eltern in ihrer Lebensbewältigung allgemein und in Bezug auf die Förderung ihrer Erziehungskompetenz.

Monitoring:

Die Fallverantwortung und das Monitoring im Bereich der Gefährdung von Kindern liegen eindeutig beim ASD. In der Praxis werden von Seiten des ASD vermehrt Kooperationsvereinbarungen in Bezug auf den § 8a SGB VIII mit den Maßnahmeträgern getroffen, die u.a. verbindliche Mitteilungspflichten beinhalten. Dagegen kommt die Evaluation zu dem Schluss, dass unterhalb der Schwelle zu einer möglichen Gefährdung keine eindeutigen Verantwortlichkeiten festgeschrieben sind.