Leitlinien für eine kinder- und jugendfreundliche Stadt

„Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Grüne (AL)/UFV über Leitlinien für eine kinder- und jugendfreundliche Stadt ­ Drs 12/5339 wird in folgender Fassung angenommen: „Der Senat wird aufgefordert, bis zum 31. März 1996 dem Abgeordnetenhaus zu berichten, welche Möglichkeiten er sieht, Leitlinien für eine kinder- und jugend-freundliche Stadt zu erarbeiten. Hierbei sind die Erfahrungen anderer Städte bei der Erarbeitung solcher Leitlinien zu berücksichtigen."

Hierzu wird berichtet:

Entsprechend dem obengenannten Antrag sind von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie bei den Städten Stendal (50 000 Einwohner), Herten (70 000 E), Bochum (408 000 E), Essen (625 000 E) sowie Köln (1 007 000 E) Maßnahmen und organisatorische Strukturen zur Berücksichtigung der Interessen von Kindern und Jugendlichen ermittelt und ausgewertet worden. Darüber hinaus wurden die Berliner Bezirke um Auskunft gebeten, in welchem Umfang und in welchen Arbeitsbereichen Erfahrungen mit der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen vorliegen.

In den befragten Städten wurden jeweils besondere Einrichtungen bzw. Stellen für die Interessenwahrnehmung von Kindern und Jugendlichen geschaffen. Dies sind z. B. Kinderbeauftragte, Referenten für Kinderfragen, Verwaltungsarbeitsgruppen, Kinderbüros sowie ­ in der Stadt Köln ­ ein der Jugendverwaltung zugeordnetes „Amt für Kinderinteressen". Diese Einrichtungen und Stellen stehen als direkte Ansprechstellen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zur Verfügung, bieten umfangreiche Hilfs- und Beratungsangebote und initiieren und koordinieren vielfältige Aktionen und Maßnahmen. Mit dieser Interessenwahrnehmung bzw. durch eine direkte Beteiligung ist die Absicht verbunden, die Bedürfnisse und Interessenlagen der Kinder und Jugendlichen stärker als durch die bisher bestehenden Planungsinstrumente möglich in den Planungs- und Realisierungsprozeß einzubringen. Zum Aufgabenspektrum gehört dabei auch eine Öffentlichkeitsarbeit, die mit Publikationen sowie mit Aktionen für eine größere Berücksichtigung von Kinder- und Jugendinter

essen wirbt. Auf Grund der gesammelten Erfahrungen sind in diesem Zusammenhang auch Konzepte, Leitlinien und Prüfverfahren für eine kinderfreundliche Stadt bzw. Planung entwickelt worden.

In Berlin erfolgte in einigen Fällen eine Beteiligung von Kindern und Jugendlichen insbesondere bei der Gestaltung von Spielplätzen, bei der Wohnumfeldgestaltung und im Rahmen der Jugendarbeit bei der Programmgestaltung in Jugendfreizeiteinrichtungen, weiterhin bei Einrichtungen, bei denen vorhandene Strukturen bzw. ein fester Nutzerkreis einer Beteiligung entgegenkommt oder diese vorgeschrieben ist, z. B. in Schulen und Kindertagesstätten.

Ein Beispiel bei der Gestaltung einer kinder- und jugendfreundlichen Stadt bilden die wohnumfeldverbessernden Maßnahmen in den großen Neubauwohngebieten im Ostteil Berlins (Marzahn, Hohenschönhausen, Hellersdorf). Die hier bereits durchgeführten und in Planung befindlichen Maßnahmen laufen auch unter Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen. Darüber hinaus gibt es gemeinsame Anstrengungen der zuständigen Fachabteilungen bei der Berücksichtigung der Belange von Kindern und Jugendlichen bei der Planung von neuen Wohnungsbaustandorten.

Für die Spielplatzplanung stehen in den bezirklichen Naturschutz- und Grünflächenämtern Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter zur Verfügung, die die quantitative Spielflächenversorgung sowie die Spielqualität der vorhandenen Angebote untersuchen und daraus Konzepte und Maßnahmen zur Entwicklung und Verbesserung der Spielplatzversorgung ableiten. Sie werden darüber hinaus auch als wichtige Ansprechpartner für von außen an sie gerichtete Fragen und Probleme in Anspruch genommen.

Nach den Bestimmungen des Kinderspielplatzgesetzes vom 15. Januar 1979 wurden in allen Bezirken Spielplatzkommissionen eingerichtet, die auch eine Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche darstellen. Sie sollen „bei der Planung und Weiterentwicklung von Spielplätzen beratend mitwirken sowie den Behörden Anregungen und Vorschläge unterbreiten" (§ 6 Kinderspielplatzgesetz). Die Spielplatzkommissionen setzen sich aus Fachkräften aus der Verwaltung sowie weiteren an der Thematik interessierten Personen und Stellen außerhalb der Verwaltung zusammen.

In einigen Bezirken sind darüber hinaus besondere Ansprechstellen für Kinder und Jugendliche wie z. B. Kinder- und Jugendbüros, Kinderforen, Kinderparlamente eingerichtet worden, die u. a. versuchen, die Belange dieser Altersgruppe in die entsprechenden Planungsprozesse einzubringen.

In anderen Städten sind sowohl besondere Stellen und Einrichtungen geschaffen, als auch Konzepte, Leitlinien und entsprechende Prüfverfahren entwickelt worden, die dazu beitragen, die Interessenlagen von Kindern und Jugendlichen in die jeweiligen Planungsprozesse einzubringen und somit eine kinder- und jugendfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.

In Berlin sind erst vereinzelt derartige Ansätze entwickelt und umgesetzt worden, obwohl entsprechende Grundsatzaussagen im

- Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetz (AG KJHG) vom 9. Mai 1995 (GVBl. S. 301 ff) und im

- Stadtentwicklungsplan 2 (StEP 2) „Öffentliche Einrichtungen/Versorgung mit wohnungsbezogenen Gemeinbedarfs-, sozialen und kulturellen Einrichtungen ­ Teilplan Kindertagesstätten, Jugendfreizeitstätten, Kinderspielplätze" mit den darin enthaltenen Leitsätzen zur Entwicklung der sozialen Infrastruktur enthalten sind.

Das AG KJHG benennt umfassend Aufgaben, Zuständigkeiten und Instrumente der Jugendhilfeplanung und bekräftigt die Beteiligungsnotwendigkeit von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungen, die sich auf die Lebenswelt und Zukunftsperspektiven von jungen Menschen und Familien auswirken. Insbesondere wird dabei der grundsätzliche Anspruch der Jugendhilfe zur Mitwirkung in Planungsverfahren bekräftigt, § 5 Nr. 3 enthält z. B. die Forderung: „In jedem Bezirk sind... geeignete Formen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Jugendhilfeplanung und anderen sie betreffenden Planungen zu entwickeln und organisatorisch sicherzustellen". In § 44 wird die grundsätzliche Einbeziehung der Jugendhilfeplanung in die „Planungen anderer Verwaltungen, insbesondere die Schul-, Gesundheits-, Verkehrs-, Sozial-, Stadtentwicklungs- und Wohnungsbauplanung" bestimmt, „soweit sie sich auf die Lebenswelt und die Zukunftsperspektiven von jungen Menschen und Familien auswirken können".

Die im StEP 2 integrierten Leitsätze stellen einen verbindlichen Rahmen dar, der Regelungen für die Entwicklung der sozialen Infrastruktureinrichtungen enthält, die dazu beitragen sollen, dass diese Einrichtungen zeitgleich mit dem Wohnungsbau, wohnungsnah und unter frühzeitiger Einbindung und Beteiligung der Betroffenen bereitgestellt werden. Weitere Ziele sind die Verpflichtung zur Schaffung von Lern- und Lebensräumen für Kinder und Jugendliche sowie zur Verbesserung der mit sozialen Infrastruktureinrichtungen schlecht versorgten Stadtbereiche.

Mit der Entwicklung Berlins zu einer europäischen Metropole und auch durch die Übernahme der Hauptstadtfunktion kommt dem Erhalt und der Verbesserung der Bewohnbarkeit der Stadt, insbesondere der Berücksichtigung der Bedürfnisse von Familien mit Kindern, eine besondere Bedeutung zu. Im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen ist es dabei dringend erforderlich, die Belange junger Menschen und ihrer Familien in allen Bereichen des städtischen Lebens und der entsprechenden Planung insbesondere in den Bereichen Umwelt, Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr stärker als bisher zu berücksichtigen.

Der Gestaltung positiver Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche muss deshalb besonderes Gewicht verliehen werden, weil daraus eine positive Ausstrahlung auf die Lebensbedingungen aller Altersstufen erwächst. Damit werden die sozialen Rahmenbedingungen insgesamt stabilisiert bzw. verbessert. Die Erfahrungen anderer Städte bestätigen, dass „Familienfreundlichkeit" ­ und damit auch „Kinder- und Jugendfreundlichkeit" ­ zur Attraktivitätsverbesserung und damit auch zur langfristigen Sicherung der Stadt als Lebens- und Arbeitsort beiträgt.

Der Senat ist deshalb der Auffassung, dass mit „Leitlinien für eine kinder- und jugendfreundliche Stadt", die unter umsetzungsorientierten Aspekten in einem Handlungsrahmen allgemeingültige Aussagen zur Verbesserung der alltäglichen Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen treffen, ein wichtiger Beitrag zur Zukunftssicherung Berlins geleistet wird.

In der Auswertung der Erfahrungen insbesondere der eingangs aufgeführten Städte wird deutlich, dass schwerpunktmäßig folgende Themenbereiche angesprochen werden:

- die Berücksichtigung kindlicher und familiärer Bedürfnisse bei der Größe und Gestaltung der Wohnräume und des Wohnumfeldes;

- die Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse bei der Abfassung von Hausordnungen und Mietverträgen;

- die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen bei der Gestaltung öffentlicher Räume;

- die Berücksichtigung der Interessenlagen von Kindern und Jugendlichen im Rahmen des öffentlichen Personennahverkehrs;

- die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Verkehrsplanung sowie die Überwachung der Einhaltung der die Gesundheit schützenden verkehrlichen Anordnungen;

- der Ausbau der Beteiligungsmöglichkeiten für die Realisierung einer kindgerechteren Lernumgebung in Kindertagesstätten, Schulen und in anderen Einrichtungen der sozialen Infrastruktur;

- die Bereitstellung von Möglichkeiten zur eigenverantwortlichen Artikulation und Veröffentlichung der Interessenlagen und der Meinung von Kindern und Jugendlichen;

- die Vermeidung gesundheitlicher Risiken bei Kindern und Jugendlichen insbesondere durch eine Verbesserung der Luft-, Wasser- und Bodenverhältnisse;

- die Bewahrung und Pflege der natürlichen Ressourcen und die Gestaltung einer lebenswerten Umwelt.

Die Leitlinien für Berlin werden sich an dieser Themenauswahl orientieren und werden von der dafür zuständigen Senatsverwaltung erarbeitet.

Die in den genannten Grundsätzen und gesetzlichen Regelungen enthaltene Pflicht, Kinder und Jugendliche stärker in die Entscheidungsprozesse zur Gestaltung ihres Lebensumfeldes mit einzubeziehen, muss eingebettet sein in ein System von Beteiligungsformen der Bürger bei der Entwicklung der Stadt insgesamt.

Ziel der Leitlinien soll insbesondere auch die Umsetzung des Artikels 3 des „Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes" (BGBl. II S. 121) der Vereinten Nationen sein, das für die Bundesrepublik Deutschland mit der Bekanntmachung über das Inkrafttreten vom 10. Juli 1992 eingeführt ist: „Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist."

Neben einer dezidierten Aufzählung, welchen Rechten des Übereinkommens besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist, sollen die Leitlinien auch dazu beitragen, dieses Übereinkommen insgesamt stärker ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken.

Auswirkungen auf den Haushaltsplan und die Finanzplanung Keine.

Wir bitten, den Beschluß damit als erledigt anzusehen.