LStU
Dies setzt allerdings voraus, dass dem Betreffenden das Angebot gemacht wird, zu einem Gespräch Mitarbeiter des Landesbeauftragten mit heranzuziehen und er hierzu seine Einwilligung gibt. In nicht wenigen Fällen waren die Betroffenen für eine solche Möglichkeit dankbar, da sie vor dem Hintergrund des hierbei notwendigen Sachverstandes den bisherigen Verlauf ihres Lebens darlegen konnten. Häufig half ein solches Gespräch, einen Teil des psychischen Druckes abzubauen, unter dem die betreffenden Personen stehen.
Mitwirkung in Personalkommissionen auf Anforderung von Personalstellen:
Für alle Seiten fruchtbar hat sich die kontinuierliche Mitarbeit in der bei der Senatsverwaltung für Gesundheit für die leitenden Mitarbeiter der damals kommunalen Krankenhäuser installierten Personalkommission erwiesen. Sie legte Wert darauf, dass in ihr jemand mitarbeitet, der sich in den vergangenheitsbezogenen politischen Fragen, aber auch mit der besonderen Struktur des DDR-Gesundheitswesens auskennt. Der Zeitaufwand für die im Rahmen dieser Kommission mit von der Überprüfung Betroffenen geführten Gespräche liegt über dem üblichen. Es kann bis zu 6 Stunden dauern, wenn eine Tätigkeit für das MfS hartnäckig bestritten wird und Stück für Stück bewiesen werden muß.
Auf Grund dieser guten Erfahrung sowie angesichts der im Herbst 1995 erwarteten Fusion der Länder Berlin und Brandenburg erklärte sich der LStU auf Nachfrage einzelner Ämter Brandenburgs bereit, ihre Personalkommissionen zu unterstützen.
Nicht selten wurde der Landesbeauftragte von personalführenden Stellen mit der Erwartung konfrontiert, dass er im konkreten Fall die Entscheidung abnimmt. Eine solche Erwartung verkennt die Rechtslage. Über die unmittelbare Beratung hinaus in Form einer gutachterlichen Stellungnahme kann der LStU den personalführenden Stellen bei der Begründung ihrer Entscheidungen Hilfestellung geben, aber nicht die Entscheidung den Behörden abnehmen.
Das Personalvertretungsgesetz gibt Personalräten ein Mitspracherecht bei Personalentscheidungen. Gewerkschaften und sonstige Berufsvertretungen von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes erfüllen für die Beschäftigten eine „anwaltliche" Funktion. Daher hat der LStU im Berichtsjahr den Kontakt zu Gewerkschaften und Personalräten gesucht, sofern in Einzelfällen diese sich nicht selbst an den LStU gewandt haben, um Fragen der Überprüfung zu klären.
In Zusammenhang mit der Diskussion um die Novellierung des StUG (3.StUÄndG vom 20. Dezember 1996) sind vor allem durch die neue Stichtagregelung für Beauskunftungen Irritationen bei Gewerkschaften und Personalräten entstanden. Die neue Regelung, die ab dem 1. August 1998 gilt, besagt (§ 19 Abs. 1 StUG), daß ab diesem Zeitpunkt im Rahmen von Personalüberprüfungsanfragen der BStU keine Auskunft mehr zu erteilen hat, sofern „keine Hinweise vorhanden sind, dass nach dem 31. Dezember 1975 eine inoffizielle Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst oder einen ausländischen Nachrichtendienst vorgelegen hat". Ein neuer Abs. 8 erweitert diese Einschränkung der bisherigen Auskunftspraxis generell, d. h. ohne einen Stichtag, auch auf Fälle, in denen trotz einer vorliegenden Verpflichtungserklärung es nach Kenntnis des BStU zu keinen Mitteilungen an das MfS gekommen ist. Die gleiche Regelung gilt für Wehrpflichtige, die während der Wehrpflicht zwar Kontakte zum MfS hatten, jedoch keine personenbezogenen Informationen lieferten und nach Beendigung der Dienstzeit die Zusammenarbeit mit dem MfS nicht fortsetzten.
In diesem Zusammenhang kam bei Personalräten und gewerkschaftlichen Vertretungen die Frage auf, ob in der Vergangenheit getroffene Entscheidungen mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen durch die neue Rechtslage zur erneuten Entscheidung anstehen.
Nach Auffassung des LStU ist dies nicht der Fall.
Beim LStU lassen sich nicht nur personalführende Stellen beraten, sondern auch jene, denen bei einer Überprüfung anhand von BStU-Auskünften vorgehalten werden mußte, dass sie StasiKontakte hatten. Ein häufig vorkommender Sonderfall betrifft Beschäftigte, die vor der Auskunft des BStU die Frage einer Tätigkeit für das MfS in den Personalfragebögen der Berliner Verwaltung verneint bzw. nicht beantwortet hatten.
Der LStU vertritt in Übereinstimmung mit der Berliner Verwaltung und der Rechtsprechung die Position, dass bewußt falsche Angaben gegenüber dem Arbeitgeber ein wichtiges Kriterium bei der Prüfung der „persönlichen Eignung" sind, die insbesondere bei der Entscheidung über eine Verbeamtung Berücksichtigung finden müssen.
Der LStU verkennt nicht, dass es spezifische Situationen der Verpflichtung zur IM-Tätigkeit gegeben hat, die vergessen zu haben durchaus glaubhaft vorgetragen werden kann. Dies gilt speziell für Wehrpflichtige, die unmittelbar nach Dienstantritt von MfS-Mitarbeitern in NVA-Uniformen aufgefordert wurden, ein Papier zu unterzeichnen, mit dem sie sich verpflichteten, über die Sicherheit der NVA Gefährdendes Mitteilungen zu machen.
Die Konferenz der Landesbeauftragten hat in diesem Sinne bereits vor längerer Zeit eine Empfehlung an die personalführenden Stellen gegeben.
3 Bürgerberatung und -betreuung:
Wie bereits eingangs betont, ist das Interesse an der Einsicht in MfS-Akten ungebrochen und spiegelt sich entsprechend in der Bürgerberatung des LStU wider. Neben dem Wunsch, anhand von MfS-Unterlagen früheren Eingriffen in die Lebens- und Familiengeschichte durch das MfS auf die Spur zu kommen, sind die seit 1991 geschaffenen Rehabilitierungsansprüche ein weiterer Anlaß, Einsicht in MfS-Unterlagen und die Beratung seitens des LStU in Anspruch zu nehmen.
Seit Bestehen der Behörde erfolgten insgesamt ca. 3 500 Beratungen. Die Ratsuchenden kommen nicht nur aus den ehemaligen Ost- und Westbezirken Berlins, sondern auch aus Brandenburg und aus den alten Bundesländern. Soweit sich Bürger aus der alten Bundesrepublik beraten lassen, sind es überwiegend ehemalige Bewohner der DDR, die einst in die Bundesrepublik geflüchtet oder ausgereist sind bzw. nach politischer Haft im Rahmen des Häftlingsfreikaufes in die Bundesrepublik kamen und seit 1992 in Berlin beim BStU Akteneinsicht nehmen. Da es für sie in ihren heimatlichen Bundesländern keine speziellen Beratungsstellen gibt, nehmen sie den Berliner LStU in Anspruch, sowohl unmittelbar anläßlich von Berlin-Besuchen, aber auch telefonisch und schriftlich. Die Beratung steht auch Personen offen, die in irgendeiner Form für das MfS tätig waren.
Während die Beratung vor der Akteneinsicht beim BStU im wesentlichen nur Modalitäten der Antragstellung betrifft in diesen Gesprächen werden die Bürger zugleich auf die verschiedenen gesetzlichen Möglichkeiten der Rehabilitierung aufmerksam gemacht , ist sie nach der Akteneinsicht im Regelfall weitaus intensiver.
Die Akteneinsicht bewirkt bei vielen einen erheblichen psychischen Druck, der aufgefangen werden muß. Es ist in diesen Gesprächen mithin weitaus mehr zu leisten, als nur die mitgebrachten MfS-Akten zu interpretieren und das für das Verständnis der Akten notwendige Wissen über Struktur und Arbeitsweise des MfS zu vermitteln.
Sich von Verwandten, Freunden und vertrauten Arbeitskollegen verraten zu sehen, die als IM tätig waren, wirkt auf die Betroffenen oft schwer und nachhaltig. Die andere, positive Seite der Akteneinsicht ist, dass aber auch der Verdacht gegen Freunde, Verwandte und Bekannte entkräftet werden kann.
In den Gesprächen, die im Bedarfsfall auch in den Wohnungen der zu Beratenden geführt werden, wird versucht, den emotionalen Druck nach der Konfrontation mit der Vergangenheit aufzufangen. Während es für zahlreiche Besucher bereits eine hinreichende Hilfe ist, dass nach der Akteneinsicht, die viele Erlebnisse und Erfahrungen wieder ins Gedächtnis zurückruft, die Möglichkeit besteht, mit Mitarbeitern des LStU über ihre Verfolgung zu reden, da sie niemanden kennen, der sich für ihr Schicksal interessiert, bedarf es bei manchen Ratsuchenden weitergehender Hilfe. In diesen Fällen wird gegebenenfalls empfohlen, weitere Gespräche mit kompetenten Psychotherapeuten zu führen.
Anläßlich der Beratungen werden die Betroffenen über ihre Entschädigungsrechte informiert. Manchem von ihnen gilt es, Mut zu machen, ihre gesetzlich garantierten Rechte wahrzunehmen und resignative Haltungen aufzugeben. Es wird bei Bedarf Mithilfe beim Überwinden bürokratischer Hürden, so z. B. beim Ausfüllen von Anträgen, beim Schreiben von Briefen, beim Führen von Telefonaten, bei Behördengängen usw. angeboten.
Sofern Betroffene mit rechtlichen Mitteln oder anderen Formen der offenen und öffentlichen Auseinandersetzung gegen jene ehemaligen IM vorgehen wollen, von denen sie einst verraten wurden, werden sie mit der gegenwärtigen Rechtsprechung bekannt gemacht und es wird ihnen empfohlen, sich in brisanten Fällen an die ZERV bzw. an die zuständige Staatsanwaltschaft zu wenden.
Schwerpunkte der Beratung Besondere Schwerpunkte der Beratung werden gesetzt durch die verschiedenen gesetzlichen Regelungen zur Rehabilitierung erlittenen Unrechts und zur Milderung der Folgen langjähriger Verfolgung, Haft und beruflicher wie sozialer Diskriminierung aus politischen Gründen.
Beratung zum strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG):
Seit 1991 sind mehr als hunderttausend ehemalige politische Häftlinge zunächst im Wege von Kassationsverfahren, seit 1992 auf Grundlage des StrRehaG (auch als 1. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, 1. SED-UnBerG, bezeichnet) rehabilitiert worden.
Die Justiz des vereinten Deutschlands hat in dieser Frage eine gewaltige Leistung vollbracht. Nach dem gegenwärtig geltenden Recht wird Ende 1997 die Antragsfrist auslaufen, doch ist damit zu rechnen, dass im Rahmen einer weiteren Novellierung des StrRehaG, die seit längerer Zeit vom Bundestag vorbereitet wird, auch die Antragsfrist erneut verlängert wird.
Es liegt in der Natur der Sache, dass insbesondere ehemalige Häftlinge oder zu DDR-Zeiten in die Psychiatrie Eingewiesene zur Beratung kommen, bei denen es aus unterschiedlichen Gründen zu Problemen mit der Rehabilitierung kam, dass die Rehabilitierung völlig versagt wurde oder nur zu Teilen erfolgte. Sofern sich aus dem Beratungsgespräch und den vorgelegten Unterlagen der Eindruck ergibt, dass Rehabilitierungen zu Unrecht verweigert wurden, werden Ratsuchende im Rahmen der Möglichkeiten des LStU intensiv unterstützt.
Ein typischer Fall aus der Beratungspraxis (eine Teilrehabilitierung):
Im Januar 1964 wird ein junger Mann vom Militärobergericht Neubrandenburg wegen „Fahnenflucht" zu einer Zuchthausstrafe von 27
Monaten Haft verurteilt. Anlaß war ein mit Freunden schon seit längerem geplanter Fluchtversuch, der im September 1963 gescheitert war. Der junge Mann war Anfang Mai 1963 zum Wehrdienst in die NVA eingezogen worden und hatte sich unter Druck und Drohungen bei der Musterung zu drei Jahren Dienst in der NVA verpflichtet. Dies war für ihn erst recht Anlaß, sein Fluchtvorhaben zügig voranzutreiben, um so bald wie möglich dem Zwang, Druck und künftig zu erwartenden Drill zu entgehen.
Im Oktober 1996 entscheidet das LG Neubrandenburg, dass das Urteil des Militärobergerichts „für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben wird, soweit der Antragsteller zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Monat verurteilt worden ist. Im übrigen wird der Rehabilitierungsantrag als unbegründet zurückgewiesen."
Zur Begründung wird u. a. erklärt: „Die Entscheidung hat hier, soweit sie nicht aufgehoben worden ist, nicht politischer Verfolgung gedient." Des weiteren heißt es im Urteil, dass das LG Neubrandenburg ursprünglich Verurteilungen wegen „Fahnenflucht" auf Grund des repressiven Charakters der NVA nach innen und außen immer als rehabilitierungsfähig bewertet und entsprechend entschieden habe.
Doch seien diese Beschlüsse stets vom OLG Rostock mit der Begründung aufgehoben worden, „die NVA müsse hinsichtlich des Strafrechtsschutzes einer demokratisch legitimierten Armee gleichgestellt werden."
Die grundsätzliche Bestätigung des DDR-Urteils, die Negierung des repressiven Charakters der NVA und letztendlich die Gleichsetzung der Armee einer Diktatur mit der einer Demokratie hinsichtlich des strafrechtlichen Schutzes ist nach Auffassung des LStU unakzeptierbar. Die Nichtanerkennung von einem der insgesamt 27 Monate Haft mag auf den ersten Blick vernachlässigbar wirken, doch würde dabei verkannt, wie solche Entscheidungen und Begründungen auf ehemalige Häftlinge wirken. Sie werden fast wie eine zweite Verurteilung empfunden. Das Trauma von ungerechtfertigter Verurteilung und Haft wird erneut heraufbeschworen. Der Betroffene gerät wiederum in eine psychische Situation, deren Auswirkung nach dem Urteil eines in diesem Falle zur Unterstützung des Betroffenen herangezogenen Psychotherapeuten äußerst schädigend ist.
Dies ist ein Fall, der nach Ansicht des LStU dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen wäre. Doch verfügt der mit diesem Fall an den LStU herangetretene Bürger über nicht ausreichende finanzielle Mittel, um mit der notwendigen anwaltlichen Unterstützung diesen Weg zu gehen.
Während in diesem Fall die völlige Rehabilitierung bisher an einem juristischen Problem scheiterte, liegen die Gründe der Versagung der Rehabilitierung oder einer nur teilweisen Rehabilitierung in anderen Fällen, die der LStU aus seiner Beratungstätigkeit kennt, in Beweiserfordernissen, die die Antragsteller nicht oder nicht aus eigener Kraft erbringen können. Dies trifft insbesondere bei Urteilen zu, in denen gegen die Betroffenen keine politischen Vorwürfe erhoben, sondern ihnen Verstöße gegen das sonstige Strafrecht vorgehalten werden und bei denen die über die Rehabilitierung zu entscheidenden Richter aus dem Urteilstext selbst keine Hinweise auf eine Verurteilung aus politischen Gründen entnehmen können. Ein typisches Beispiel sind Verurteilungen wegen Asozialität/Arbeitsscheu. Berechtigterweise bestehen die entscheidenden Gerichte auf einer Beweisführung, die zumindest plausibel belegt, dass politische, im Urteil nicht genannte Gründe Anlaß der Verurteilung waren. In Fällen, in denen die Mitarbeiter des LStU, dies vor dem Hintergrund ihrer Kenntnisse über die verdeckten Praktiken des MfS und der DDRJustiz, die Darstellung der mit ihrem Rehabilitierungsantrag Abgewiesenen für überzeugend halten, werden ratsuchende Bürger auch beim Auffinden neuer Dokumente unterstützt, die beitragen können, den Anlaß der Verurteilung aufzuhellen. In solchen Fällen sind die im Laufe der letzten Jahre gewonnenen Kenntnisse des LStU über die verschiedensten archivalischen Überlieferungen des Staats- und Parteiapparates der DDR von besonderer Bedeutung, da sich die repressive Maschinerie keineswegs auf das MfS beschränkte, sondern Spuren politischer Repression und Disziplinierung sich in einer Vielzahl weiterer, weitaus weniger bekannter Archive finden lassen.
Besondere Schwierigkeiten, Belege und Zeugen zu finden, die auf politische Hintergründe verweisen, haben jene ehemaligen DDR-Bürger, die einen Zwangsaufenthalt in der Psychiatrie verbracht haben. Die Krankenakten sofern sie noch vorhanden sind sagen über politische Motive der Unterbringung nichts aus.
Auch MfS-Unterlagen sind, so die bisherigen Erfahrungen aus der Beratungstätigkeit, in diesem Bereich nicht aussagekräftig.
Zeugenschaftliche Aussagen, die letztlich nur von jenen kommen könnten, die an der Zwangspsychiatrisierung beteiligt waren, sind nicht zu erwarten. Sie befürchten, auf Grund ihres damaligen Verhaltens heute strafrechtlich belangt werden zu können.
Beratungen zum Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) und zum Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG):
Die Zahl derjenigen, die zu Fragen der beruflichen und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung gemäß dem 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz (2. SED-UnBerG) beraten und unterstützt werden möchten, ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.
Die Probleme, bei denen die Betroffenen Hilfe erwarten, sind vielfältig. Die Palette reicht von der Bitte um Unterstützung beim Beschaffen von Belegmaterialien über die Befürwortung einer beschleunigten Akteneinsicht beim BStU bis zur Hilfe beim Ausfüllen des komplizierten Antragformulars.
Bei diesen Verfahren ist der LStU in allen das SED-Regime und speziell das MfS betreffenden Fragen für die Mitarbeiter der Berliner Rehabilitierungs-Behörde (Landesamt für zentrale soziale
Aufgaben) zum ständigen Ansprechpartner geworden. Es hat sich ausgezahlt, dass der Berliner LStU unmittelbar nach der Verabschiedung des 2. SED-UnBerG ein Fachseminar für Mitarbeiter dieser Behörde und anderer, mit der Erfüllung der sich aus dem Gesetz ergebenden Aufgaben betrauten öffentlichen Institutionen (Bundesversicherungsanstalt, Arbeitsämter) organisiert hat.
Genauso unterschiedlich wie die einzelnen Fälle beruflicher und verwaltungsrechtlicher Verfolgung in der ehemaligen DDR sind auch die heutigen Rehabilitierungsergebnisse. In der Summe sind die bisherigen Ergebnisse für die Betroffenen äußerst enttäuschend.
Ein typischer Fall einer gescheiterten beruflichen Rehabilitierung Beispielhaft ist die Geschichte einer Frau, die in der DDR im Kulturbereich tätig war, große Veranstaltungen organisierte und sich nicht scheute, zu jener Zeit verfemte Künstler und Künstlerinnen, wie z. B. Bettina Wegener, auftreten zu lassen. Dadurch wurde das MfS auf sie aufmerksam und eröffnete einen Operativen Vorgang (OV).
Als sie Anfang der 80er Jahre eine Veranstaltung mit internationaler Beteiligung gegen die Raketenstationierung realisieren wollte, schaltete sich das MfS direkt in dieses Vorhaben ein und setzte sie unter Druck. Da die Betroffene die geforderten Abstriche an ihrem Programm nicht akzeptierte, begann das MfS mit Zersetzungsmaßnahmen von besonders perfider Qualität, um ihre Widerstandskraft zu brechen.
Während der Schwangerschaft wurde ihr vom behandelnden Gynäkologen (einem IM) glaubhaft versichert, dass sie an Syphilis erkrankt sei. Als sie Zweifel an dieser Diagnose anmeldete, gab ihr der Arzt eine entsprechende medizinische Beweisführung, die für diesen Zweck vorbereitet worden war. Einige Zeit später wurde sie von diesem Arzt in eine Klinik eingeliefert, um einer vermeintlichen Fehlgeburt vorzubeugen. Wenige Tage vor der Entbindung informierte sie der gleiche Mediziner über eine bösartige Geschwulst, die man bei ihr diagnostiziert hätte. Die P. bekam daraufhin innerhalb kurzer Zeit graue Haare und Haarausfall. Wie die Akteneinsicht ergab, waren insgesamt 40 IM auf diese Frau angesetzt worden, die sie in allen Lebensbereichen bespitzelten und beeinträchtigten. Nach der glücklich verlaufenen Entbindung bekam sie tagelang ihr Baby nicht zu sehen. Als sie schließlich aus der Klinik entlassen wurde, fand sie die Kündigung vor. Sie bekam keine Arbeit mehr, stellte daraufhin einen Ausreiseantrag und war bis zur Ausreise in die Bundesrepublik als Reinigungskraft bei der Kirche tätig.
Im Aufnahmelager Gießen erlitt sie einen schweren körperlichen und seelischen Zusammenbruch. Alle Versuche, eine ihrer Qualifikation und früheren beruflichen Tätigkeit vergleichbare Arbeit zu finden, schlugen bisher fehl. Von gelegentlichen, befristeten Tätigkeiten abgesehen, war sie bis in die jüngste Gegenwart arbeitslos. Seit einigen Monaten ist sie als ABM-Kraft in einer Bücherei tätig.
Als Folge der langjährigen Verfolgung mit Arbeits- oder Berufsverboten in der DDR sind die Betroffenen auf dem heutigen Arbeitsmarkt zum Teil nur schwer oder gar nicht mehr in ihrem alten Beruf vermittelbar. Das 2. SED-UnBerG gewährt den Betroffenen bisher keine gesetzlich bevorzugte (Wieder-)Einstellung in den Arbeitsfeldern, für die der Gesetzgeber die prinzipielle Möglichkeit hätte. Dies gilt sowohl auf Bundes- wie auf Länderebene.
Seit 1990 sind jene Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung der ehemaligen DDR, die sich den Anforderungen des SED-Regimes angepaßt haben, nahezu alle übernommen worden (sofern nicht im Einzelfall besondere Belastungen zur Kündigung führten), während für jene, deren Zivilcourage zu DDR-Zeiten zur Entlassung und beruflichen Diskriminierung führte, auch nach der friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung die Türen des öffentlichen Dienstes faktisch verschlossen geblieben sind.
Dem Landesbeauftragten bleibt nur im Einzelfall die Möglichkeit, personalführende Stellen des Landes auf die besondere Situation dieses Menschen anzusprechen und eine Fürsorgepflicht anzumahnen.
Die Anerkennung von Verfolgungszeiten gemäß dem 2. SEDUnBerG hat für diese Betroffenengruppe nur nachgeordnete Bedeutung, soweit es sich um Menschen handelt, die noch nicht das Rentenalter erreicht haben und die willens und fähig sind, in den erlernten oder verwandten Berufen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Zwar werden bei der späteren Berentung die Verfolgungszeiten zugunsten der Betroffenen berücksichtigt. Doch die mangelnde Unterstützung bei der beruflichen Wiedereingliederung nach der Ausreise in die Bundesrepublik bzw. nach der Wiedervereinigung führt dazu, dass auch die Rentenansprüche weitaus geringer bleiben als die jener ehemaligen Kollegen und Kolleginnen, die in der DDR ein unauffällig angepaßtes berufliches Leben geführt haben.
Wie die Beratungstätigkeit zeigt, hat die problemlose Anerkennung von Berufsabschlüssen in der DDR seit der Wiedervereinigung bei jenen Berufsgruppen, die bis 1989 aus der DDR ausgereist sind (z. B. Ärzte und Lehrer), erheblichen Mißmut geschaffen. So mußten in der DDR ausgebildete Lehrer, waren sie vor 1989 in die Bundesrepublik ausgereist, hier das 2. Staatsexamen nachholen, während ihre Kollegen, die seit dem 3. Oktober 1990 im Schuldienst geblieben sind, sich erneuter Examina nicht unterziehen mußten. Ähnlich ist die Situation bei Fachärzten.
Viele Bürger, die sich vom LStU beraten lassen, müssen nicht mehr um ihre berufliche Wiedereingliederung nach Jahren und Jahrzehnten des Berufsverbotes in der DDR kämpfen. Sie haben das Rentenalter erreicht. Gleichwohl ist für sie die Anerkennung von Verfolgungszeiten in doppelter Hinsicht bedeutsam. Zum einen wirkt sie sich auf die Höhe ihrer Rente aus. Zum anderen bedeutet die Anerkennung politischer Verfolgung weitaus mehr als eine fiskalisch sich auswirkende Entscheidung. Meist wird übersehen, welches moralische und damit auch psychologische Gewicht es hat, Jahre und Jahrzehnte des Lebens in Widerspruch anerkannt zu bekommen.
Hierfür ist der Fall eines Lehrers beispielhaft, der auf Grund seiner politischen Haltung 1969 die Arbeit verlor: Er, ein bekennender Christ, hatte sich geweigert, in den FDGB einzutreten, an staatlich verordneten Demonstrationen teilzunehmen und 1968 gewagt, den „Prager Frühling" zu verteidigen. Die Kündigung wurde durch ein Arbeitsgerichtsurteil bestätigt.
Über Unterlagen, die den politischen Hintergrund für das Berufsverbot belegen konnten, verfügte er nicht mehr. Das Gerichtsurteil in dieser Arbeitsrechtssache, das er im Winter 1989 an das Oberste Gericht der DDR geschickt hatte, blieb fortan verschwunden. Erst eine zweite, von Mitarbeitern des LStU sachkundig begleitete Akteneinsicht beim BStU erbrachte aussagekräftige Dokumente, die den politischen Hintergrund seiner Kündigung und des folgenden Berufsverbotes belegten. Nach 21 Jahren des Berufsverbotes, in denen er mit unterschiedlichsten Jobs sein materielles Überleben mehr oder weniger schlecht löste, war seine finanzielle Situation desolat. Der Streit um seine Rehabilitierung dauerte ca. zwei Jahre. Es war schwierig, ihn aus der Mutlosigkeit herauszuholen und ihn wieder zu aktivieren.
Schließlich bekam er die langen Jahre des Berufsverbots als Verfolgungszeit anerkannt. Dadurch änderte sich nicht nur seine materielle Situation, sondern zugleich und vor allem das Lebensgefühl.
Depressive Stimmungen traten in den Hintergrund, er faßte wieder Lebensmut, das mit der Anerkennung der Verfolgungszeiten bestätigte Gerechtigkeitsbewußtsein stärkte das Selbstwertgefühl.
Diese Lebens- und Leidensgeschichte sie steht für unzählige andere verdeutlicht, wie ehemalige DDR-Bewohner, begehren sie strafrechtliche, verwaltungsrechtliche oder berufliche Rehabilitierung, nicht vorrangig materielle Wiedergutmachung anstreben, sondern in erster Linie Wiederherstellung der Würde und des sozialen Wertgefühls. Von daher sind aktuelle gesetzgeberische Initiativen von Fraktionen im Deutschen Bundestag, neben Rehabilitierungsmaßnahmen mit materiellen Folgen auch eine eigenständige Rehabilitierungsmöglichkeit gesetzlich zu schaffen, die „nur" politische Verfolgung ohne daran gebundene materielle Wiedergutmachungen anerkennt, zu unterstützen. Diese gesetzgeberischen Initiativen nur als billigen Versuch zu begreifen, ehemalige DDR-Bürger ohne finanzielle Folgelasten „abzuspeisen", verkennt das Gewicht, das der Streit für ein Leben in Wahrhaftigkeit und dessen Anerkennung für jene hat, die nicht einen solchen Streit unter den Bedingungen eines Rechtsstaates, sondern unter denen eines totalitären Regimes führen mußten.
Indes darf die eigenständige moralische Rehabilitierung nicht zum Instrument werden, materiellen Leidensausgleich in anderen Worten: die Milderung der Folgen langjähriger Verfolgung und sozialer Diskriminierung zu verabschieden.