Sozialhilfe

Durch Überprüfung der Konzeptionen zur psychosozialen Betreuung wird die Fachaufsicht dafür Sorge tragen, daß Klienten auf Grund besonderer, schwerwiegender Drogen-(Begleit-)Symptomatik nicht durch Mechanismen der konzeptionellen Programmatik von Beratungsstellen ausgeschlossen werden. Zur psychosozialen Betreuung gehört auch die nachgehende aufsuchende Betreuung.

- Betreuungsplätze waren seit Jahren knapp. Eine Verbesserung ist inzwischen ­ bei allen Schwierigkeiten der konkreten Umsetzung ­ durch die neue Finanzierungs-Regelung eingetreten, nach der psychosoziale Begleitung von Substituierten als Eingliederungshilfe nach §§ 39 ff. BSHG gewertet und geleistet wird.

- Es gibt ein Kontakt-Cafe? für Substituierte, das wesentlich in Selbsthilfe betrieben wird. Selbsthilfe-Einrichtungen für Substituierte stellen gerade für die Übergangszeit zwischen „Szene"-Leben und Finden eines neuen Lebensstils einen wichtigen Bezugspunkt für die Betroffenen dar.

- Ein großes Problem stellen bisher flankierende Maßnahmen dar, deren überragende Bedeutung für den Prozeß der sozialen Reintegration im Abstinenz-Bereich des Drogenhilfesystems längst erkannt und in Ansätzen realisiert sind: nämlich betreutes Wohnen und geschützte Arbeitsplätze.

Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse der Auswertung zu sehen: Substitution kann unter den gegebenen Bedingungen für einen Teil der Klienten (rund ein Viertel der Behandelten) offenbar eine dramatische Besserung ihrer Situation bewirken ­ für einen etwa gleich großen Anteil aber brachte die Behandlung nicht die erhoffte Verbesserung. Für eine relativ große Gruppe kann zumindest ein schadensbegrenzender Effekt konstatiert werden, wenn auch die ­ sicherlich von vorneherein überhöhten ­ Erwartungen an eine Überwindung des suchttypischen Lebensstils und an eine daraus folgende psychische und soziale Stabilisierung sich nicht erfüllt haben.

Es ist auch zu erwähnen, dass eine ganze Reihe von Patienten erheblichen Nebenkonsum haben, wobei insbesondere Alkohol, RohypnolXR und Kokain eine große Rolle spielen. Dies geht mit all den bekannten Begleiterscheinungen der Polytoxikomanie einher: Aggressivität, Straftaten, Unfälle, Unfähigkeit zur Regelung der Alltagsanforderungen, Verhaftetbleiben in der Drogenszene, massive gesundheitliche Schäden wie Intoxikationen, psychotische Zustände, infizierte Leistenfisteln, etc.

Es ist also keineswegs so, dass die Substitution automatisch bei allen Betroffenen zu einer Verbesserung ihrer Situation führt.

Gerade deshalb müssen für die Gruppe der Substituierten die flankierenden Maßnahmen weiterentwickelt und ausgeweitet werden. Es besteht vor allem deshalb die Notwendigkeit eines Ausbaus, damit die Grundidee der Substitution, durch Stabilisierung der sozialen Situation und berufliche und soziale Wiedereingliederung in die Gesellschaft, die Voraussetzungen für den Schritt in ein drogenfreies Leben tun zu können, eine Chance zur Verwirklichung hat.

In diesem Zusammenhang sind die bisher aufgebauten Projekte zu erwähnen, die Substituierten Unterstützung anbieten.

In Trägerschaft von BOA e. V. bietet das Wohnprojekt Pohlstraße sechs Plätze für HIV-infizierte und AIDS-erkrankte Substituierte bzw. ehemalige Drogenabhängige an. Die sozialarbeiterische Betreuung erfolgte bis zum 30. Juni 1996 über Zuwendungen (Fehlbedarfsfinanzierung) der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport. Derzeit wird versucht, eine Weiterfinanzierung im Rahmen der §§ 39 ff. BSHG zu erreichen.

Die ZiK gGmbH (Zuhause im Kiez gGmbH) vermittelt seit 1989

HIV-infizierten Menschen Wohnungen; viele von ihnen sind substituierte Drogenabhängige. Bis Ende 1995 konnten 556 Personen in 432 Wohnungen vermittelt werden. Je nach Betreuungsnotwendigkeit sind dies reine Wohnungsvermittlungen oder auch von ZiK gemietete Wohnungen, die an die Betroffenen untervermietet werden. Den Bewohnern steht die psychosoziale Betreuung von ZiK zur Verfügung, welche Einzelgespräche, soziale Hilfen, Förderung von Selbsthilfe, Vermittlung ambulanter Pflege sowie Unterstützung bei Drogenproblemen umfaßt. Die Finanzierung der sozialarbeiterischen Betreuung und geringer Sachkosten erfolgt, u. a. auch anteilig, über Zuwendungen (Fehlbedarf) der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport.

Das Wohnprojekt „Dessauer Straße" in Berlin-Kreuzberg steht seit Sommer 1993 AIDS-kranken Personen zur Verfügung und bietet acht Einzelzimmer und einen Gemeinschaftsbereich an.

Auch hier ist ein Großteil drogenabhängig bzw. wird substituiert.

In den meisten Fällen waren die Personen vor dem Einzug obdachlos. Die intensive sozialarbeiterische Betreuung und notwendigen Pflegeleistungen werden durch Tagespflegesätze finanziert.

Seit Sommer 1994 stehen im „Übergangshaus Pankstraße" in Berlin-Wedding Wohnungen für 16 Menschen mit HIV und AIDS für 6 bis 12 Monate zur Verfügung. Fast alle Bewohner sind substituierte Drogenabhängige. Die Bewohner erhalten Unterstützung in lebenspraktischen Fragen und sollen hier auf ein eigenständiges Leben in eigener Wohnung vorbereitet werden. Die Finanzierung dieses Hauses und die Betreuung erfolgt wie in der „Dessauer Straße" über Tagespflegesätze.

Diese bestehenden, bisher ausschließlich auf die Zusatzproblematik von HIV-Infizierung und AIDS-Erkrankung ausgerichteten Angebote können den Bedarf an betreutem Wohnen für Substituierte nicht abdecken.

Ein dringender Bedarf an betreutem Wohnen ist vor allem für Substituierte in Krisensituationen und sozialen Notlagen zu verzeichnen. Besonders verelendete, verwahrloste, obdachlose oder haftentlassene Substituierte benötigen eine intensivere, im Wohnverbund organisierte Betreuung mit dem Ziel einer schrittweisen Wiedereingliederung in die Gesellschaft und des Ausstiegs aus der süchtigen Lebensweise. Derzeit steht der Abschluß eines eingeleiteten Mitzeichnungsverfahrens bevor, in dem eine Tagessatzfinanzierung auf der Grundlage des § 39 BSHG für 42 Plätze betreuten Wohnens für die beschriebene Zielgruppe geregelt werden soll. Die Betreuung der sehr schwierigen Klientel in Wohngemeinschaften setzt ein hohes Maß an Erfahrung in der Suchtarbeit und der Professionalität im Umgang mit sozial Desintegrierten voraus. Die Verteilung der 42 Wohngemeinschaftsplätze wurde deshalb auf drei Träger begrenzt: den seit 20 Jahren im Bereich der Abstinenztherapie in betreuten Wohngemeinschaften erfolgreich tätigen Anti-Drogen-Verein, ADV e. V., sowie die im Hinblick auf den genannten Personenkreis ebenfalls sehr erfahrenen Trägervereine BOA e. V. und Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige e. V. Ebenso, wie dieser Bereich ausgebaut werden muß, ist es notwendig, mehr Arbeits- und Ausbildungsangebote zur Verfügung zu stellen. Oft ist der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben nur unter der Voraussetzung möglich, dass flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit reduzierter Stundenzahl sowie eine spezielle Betreuung insbesondere in Krisensituationen angeboten werden. Die Fähigkeit, sich in die Arbeitswelt (wieder) zu integrieren, muß von vielen Substituierten erst mühsam wieder gelernt werden.

Einzelne derartige Projekte befinden sich zur Zeit in der Planung, hier im übrigen teilweise auch von Trägern, die sich bisher ausschließlich im Bereich der abstinenzorientierten Therapie engagierten.

Schlußfolgerungen

Die Substitutionsbehandlung mit Methadon ist inzwischen als eine weitere Säule in der Drogenhilfe in Berlin zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

Nach Anfangsschwierigkeiten ist es weitgehend gelungen, genügend Ärzte fortzubilden und sie somit in die Lage zu versetzen, entsprechend der „Berliner Linie" Patienten zu behandeln.

Die psychosoziale Betreuung wird trotz Umstellungsschwierigkeiten ausgebaut und für immer mehr Substituierte auch langfristig sichergestellt.

Die flankierenden Maßnahmen wie Arbeit und Wohnen müssen ausgebaut werden, um neben der körperlichen und psychischen Stabilisierung auch eine tatsächliche Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen erreichen zu können und eine reale Grundlage für das Ziel, nämlich die Drogenfreiheit, zu bilden.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass für die Substitutionsbehandlung wie für die Behandlung Drogenabhängiger insgesamt die Entwicklung von Standards und Qualitätskriterien dringend zum Gegenstand der fachlichen Diskussion werden muß. Ethische und gesundheitspolitische Bedenken gegen die medikamentengestützte Behandlung sind weitgehend ausgeräumt worden.

Indessen gibt es nach wie vor konträre Diskussionen über Indikation und Durchführungsregeln bei der Substitution.

Eine große Zahl von Drogenabhängigen kann nur deshalb in der Substitution gehalten werden, weil die Teilnahmebedingungen niedrig sind und Verstöße (z. B. Nebenkonsum) kaum sanktioniert werden. Bei hohen Anforderungen und klaren Sanktionen von Verstößen ist die Zahl der Klienten, die man erreicht, gering.

Eine Entpolitisierung der Debatte über hoch- oder niedrigschwellige Aspekte wäre wünschenswert. Dadurch könnte die Gefahr gemindert werden, dass sich die langfristige Behandlung von Drogenabhängigen auf die reine Vergabe des Methadons beschränkt. Eine angemessene, fachlich hochstehende Behandlung mit Methadon ist letztlich nur in dafür fachlich und personell qualifizierten Einrichtungen gewährleistet.

Es bleibt ferner abzuwarten, ob die gesetzlichen Kosten- und Leistungsträger sich künftig bereit erklären, die Substitutionsbehandlung umfassend in ihr Leistungsspektrum aufzunehmen.

1) Vgl. Rundschr. Nr. 2/1994 SenJugFam „Psychosoziale Betreuung methadon-substitutierter Drogenabhängiger als Maßnahme der Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff. BSHG" vom 16. Februar 1994

2) Vgl. Clearingstelle für Substitution der Ärztekammer Berlin, Hrsg., Fünf Jahre Polamidon-Substitution in Berlin, Berlin, Juli 1993

3) Vgl. Clearingstelle für Substitution Berlin, Ergebnisse der Substituiertenbefragung 1995/96 (unveröffentlichter Zwischenbericht)

Medizinische Versorgung

Funktion, Aufgaben, Ziele

Die adäquate ambulante und stationäre medizinische Versorgung von Abhängigkeitskranken ist selbstverständliche und humanitäre Pflicht, aber auch Voraussetzung für sinnvolles, therapeutisches Handeln.

Die medizinische Erstversorgung von Verletzungen sowie Begleit- und Folgeerkrankungen gehört zu den notwendigen Überlebenshilfen für Abhängige. Sie darf Abstinenz oder Therapiemotivation nicht zur Voraussetzung haben. Im Einzelfall müssen Teilziele für eine ärztlich indizierte Behandlung definiert werden, ohne dabei die Behandlung der Primärerkrankung Alkohol-, Drogen-, Medikamentenabhängigkeit aus dem Auge zu verlieren.

Wesentliche Aufgaben medizinischer Versorgung sind:

- Erste Hilfe und Primärversorgung

- Behandlung von Begleit- und Folgeerkrankungen (ambulant und stationär)

- Früherkennung und Vermittlung in das Suchthilfesystem

- Motivierende Entgiftungsbehandlung

- Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung innerhalb des Verbundsystems der Suchtkrankenhilfe

- allgemeinmedizinische Versorgung ehemals Abhängiger unter Berücksichtigung ihrer Suchtstrukturen

- Substitutionsbehandlung Drogenabhängiger

Situationsbeschreibung

Die ärztliche Primärversorgung von gesundheitlich und sozial verelendeten Abhängigkeitskranken wird allgemein als mangelhaft beschrieben. Dies hat zweifelsohne verschiedene Ursachen:

- Sie suchen selbst nicht um ärztliche Hilfe nach, weil sie sich aufgegeben haben, Strafverfolgung und Registrierung fürchten, die Zugangsschwelle (Krankenschein, Weg zum Sozialamt etc.) zu hoch ist, sie andere Ängste haben,

- sie werden in Arztpraxen und Rettungsstellen abgewiesen oder so sehr abgeschreckt, dass sie nicht wiederkommen, weil sie lästige und schwierige Patienten sind, Absprachen nicht einhalten, Drogenhandel und Kriminalität befürchtet werden,

- die Organisationsstrukturen kassenärztlicher Versorgung und Kostenübernahmen gehen objektiv an ihren Lebensbedingungen vorbei.

Auch die sozial angepaßten und (noch) unauffälligen Abhängigkeitskranken werden nicht adäquat ärztlich versorgt. Zu selten wird ein Zusammenhang zwischen ihrer Organsymptomatik und der verursachenden Suchterkrankung hergestellt; sie werden jahrelang fehlbehandelt, nicht in das Suchthilfesystem vermittelt, erhalten „Ratschläge" zur Verhaltensänderung, aber auch Medikamente mit Suchtpotential ­ der Weg in die Medikamentenabhängigkeit wird überwiegend iatrogen gebahnt.

Ähnliche Mängel sind in der Krankenhausversorgung zu konstatieren; auch hier wird berichtet, dass es außerordentlich schwer ist, z. B. für Drogenabhängige ein Bett zu bekommen, selbst, wenn sie unabweisbar behandlungsbedürftig sind. Der durch Vorurteile geprägte Umgang mit ihnen führt dann sehr häufig zum vorzeitigen Abbruch der Behandlung.

Äußerst kostenträchtig dürfte die stationäre „Fehl-Behandlung" von Alkoholabhängigen sein. Bis zu 30 % aller internistischen Behandlungsfälle werden als alkoholbedingt geschätzt, ohne dass daraus Konsequenzen für eine frühzeitige suchtspezifische Intervention gezogen würden.

Entgiftung

Die motivierende Entgiftungsbehandlung von Abhängigkeitskranken gehört im Prinzip zu den Aufgaben der pflichtversorgenden psychiatrischen Abteilungen bzw. Krankenhäuser; sie kann auch in internistischen Stationen durchgeführt werden; spezifische Bettenmeßziffern für die Entgiftung existieren nicht.

Für die qualifizierte Entgiftung Drogenabhängiger halten die Drogenbeauftragten der Länder eine Platzzahl von 12 bis 14 auf Einwohner für wünschenswert, d. h. für Berlin würden mindestens 84 Betten/Plätze benötigt.

Insbesondere für die Gruppe der Drogenabhängigen gibt es sowohl quantitative als auch qualitative Probleme hinsichtlich der Entgiftungsplätze.

Auch hier spielen unterschiedliche Gründe eine Rolle:

- In einer psychiatrischen Aufnahmestation können angesichts der Mischung schwieriger Patienten höchstens 1 bis 2 Drogenabhängige gleichzeitig behandelt werden; Wartezeiten auf einen Platz für die Entgiftungsbehandlung sind an der Tagesordnung,

- auf Grund mangelnder regionaler Kooperation zwischen Drogenberatungsstelle und Krankenhaus, aber auch auf Grund der Wohnungslosigkeit vieler Drogenabhängiger, gibt es häufig Unklarheiten über die Aufnahmepflicht,

- Drogenberater wie auch Drogenabhängige halten eine gemeinsame Unterbringung mit psychisch Kranken für nicht zumutbar und auch nicht zweckmäßig,

- die räumlichen Bedingungen und Möglichkeiten zur Tagesstrukturierung und psychosozialen Betreuung im Akutkrankenhaus lassen eine Aktivierung und Motivierung von Drogenabhängigen in der Phase der Entgiftung häufig nicht zu.

In den vergangenen Jahren wurden deshalb zwei spezielle, motivierende Entgiftungseinrichtungen entwickelt, die Drogenabhängige aufnehmen; allerdings müssen auf Grund der jeweiligen Konzeptionen Drogenabhängige mit einer gleichzeitig bestehenden Medikamentenabhängigkeit in der Regel in andere Krankenhäuser überwiesen werden.

Entzugshaus „Count-Down"

Das „Count-Down" (Drogentherapiezentrum e. V.) arbeitet nach dem Prinzip der therapeutischen Wohngemeinschaft, welches unter Berücksichtigung der speziellen Problematik der

Entzugssituation allerdings den strukturierten Tagesablauf individuell flexibel gestalten läßt. Das Motto „kalter Entzug in warmer Atmosphäre" wird durch die Herstellung eines warmen und familiären Gruppenklimas und das vielfältige Angebot an physikalischen Anwendungen zur Linderung der Symptomatik sowie durch Freizeitaktivitäten geprägt.

Die zur Verfügung stehenden 12 Plätze für Männer und Frauen werden inzwischen nach Anerkennung durch die Krankenkassen durch Tagespflegesätze finanziert.

1994 wurden insgesamt 444 Drogenabhängige zum Entzug aufgenommen, die in erster Linie über Drogenberatungsstellen, teilweise auch über Kontaktläden oder als „Selbstmelder" kamen. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutete dies eine Steigerung um 34 %. 66,7 % der Klienten konnten ihren Entzug erfolgreich beenden und wurden im Anschluß in eine stationäre Therapieeinrichtung (Kurz- oder Langzeittherapie) oder in ambulante Weiterbetreuung bzw. Nachsorge vermittelt. Dies ist im Vergleich zu den hohen Abbruchquoten bei Entgiftungen im regulären Krankenhaussetting eine außerordentlich gute Erfolgsquote. „Station 19" ­ Entzugsstation des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe

Auch nach Übernahme in anthroposophische Trägerschaft wird die Konzeption des motivierenden Drogenentzugs dieser Station des ehemaligen Krankenhauses Spandau erhalten bleiben. Im Anschluß an den umfassend medizinisch betreuten, kalten Entzug besteht die Möglichkeit, mit Hilfe therapeutischer Unterstützung weitere notwendige Schritte zur Entwicklung neuer Lebensperspektiven anzugehen. Das Behandlungskonzept umfaßt neben der körperlichen Entgiftung Angebote wie handwerkliches Arbeiten, Kunsttherapie, körpertherapeutische Selbsterfahrung mit Entspannungsverfahren sowie Einzel- und Gruppengespräche.

Die vorhandene Platzzahl von derzeit 10 Plätzen soll auf 12 ausgeweitet werden. Die Vermittlung erfolgt über Drogenberatungsstellen. Auch können sich die Abhängigen mit einer ärztlichen Einweisung direkt auf der Station anmelden. Es besteht eine enge Kooperation mit den Therapieeinrichtungen des Berliner Hilfesystems.

Neben diesen beiden Einrichtungen ist das Angebot des Krankenhaus Am Urban (Kreuzberg), das inzwischen mehr Entgiftungsbetten zur Verfügung stellt, zu erwähnen. Hier erfolgt in der Regel der methadongestützte sogenannte „warme" Entzug, der eine längere stationäre Aufenthaltsdauer notwendig macht. Es wäre sachgerecht, für das Krankenhaus Am Urban im Rahmen der Krankenhausbedarfsplanung für Berlin insgesamt 12 Plätze für den medikamentengestützten Drogenentzug vorzuhalten.

Angesichts der Bemühungen, Drogenabhängige möglichst frühzeitig mit einem Behandlungsangebot zu erreichen, ist zu prüfen, ob an einem weiteren Standort eine zentrale Entgiftungsstation eingerichtet werden kann. Am ehesten geeignet ­ auf Grund ihrer Fachkompetenz und der zu erwartenden Inanspruchnahme aus dem Ostteil ­ erscheint hier die Wilhelm-GriesingerKlinik.

Zur Beschreibung der Situation bei der Entgiftung Alkoholabhängiger sei aus dem Bericht der Arbeitsgruppe Sucht der Psychiatrieplanungskommission in Berlin zitiert: „Ein großer Teil der Entgiftungen findet (jedoch) in internistischen Stationen ­ gleichsam als „Nebenprodukt" ­ statt. Die Behandlung beschränkt sich hier fast ausschließlich auf die Behandlung von körperlichen Begleit- und Folgekrankheiten. Die Leugnung der Grunderkrankung auf diesen Stationen ist mit schwerwiegenden Folgen für die abhängigkeitskranken Patienten verbunden: Auf Grund der fehlenden Motivationsbehandlung wird weder die Krankheitseinsicht noch die Bereitschaft zur Abstinenz und zur Annahme von Hilfe gefördert. Statt dessen wird die Abhängigkeit unterstützt. Die Erkrankung mit all ihren körperlichen, seelischen und sozialen Folgen schreitet weiter fort.

Häufig kommt es auch zu einer polytoxischen Erweiterung der Abhängigkeit.

Auf diese Weise kommt es zu einem Drehtüreffekt, der eine wirksame Behandlung von Abhängigkeitskranken in großem Umfang blockiert.

Diese krankheitsfördernde Haltung in der Ärzteschaft ist zum einen auf kostentechnische Gesichtspunkte zurückzuführen; zum anderen ­ und dieser Faktor ist höher einzuschätzen ­ auf mangelnde fachliche Kompetenz der Ärzte und des Pflegepersonals.

Die rein somatische Krankheitsbehandlung kommt unbewußten Bedürfnissen und Tendenzen der Abhängigkeitskranken entgegen. Deshalb werden diese Einrichtungen von vielen Patienten bevorzugt, da sie selbst sowie ihre Angehörigen und Ärzte dazu neigen, ihre Abhängigkeit zu leugnen. Besonders viele chronisch mehrfachgeschädigte Abhängigkeitskranke, die einer besonders intensiven somatischen, aber auch psycho- und soziotherapeutischen Behandlung bedürften, werden auf diesen Stationen versorgt.

Insgesamt sind die Ergebnisse der Motivationsarbeit im Sinne einer Motivierung zur Suchttherapie bisher unbefriedigend, da nur ein kleiner Teil der Klientel während der ­ oft zu kurzen ­ Entgiftungsbehandlung eine Bereitschaft zu einem abstinenten Leben und zur Annahme weiterer Hilfe entwickeln kann. Offensichtlich fehlt es vor allem an einer psychosomatisch orientierten Grundhaltung, die zum Verständnis der Behandlungsbedürfnisse von Abhängigkeitskranken beiträgt.1)

Die Schwierigkeiten, Verständnis für Ursachen und Verlauf einer Suchterkrankung in ärztliches Handeln zu integrieren, werden den Betroffenen nach einer erfolgreichen Behandlung ihrer Abhängigkeit besonders deutlich. Sie haben oft alle Mühe, ihren behandelnden Hausarzt von ihrer abstinenten Lebensweise und der Rückfallgefährdung durch die Verschreibung alkoholhaltiger Arzneimittel oder Medikamente mit Suchtpotential zu überzeugen.

Es ist daher insgesamt festzuhalten, dass die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Ärzten bisher nicht dazu geführt hat, dass sie sich auf Grund von Kenntnissen und Reflexion gegenüber einer Suchterkrankung und der Abstinenzentscheidung anders verhalten als die sogenannte Allgemeinbevölkerung. Es herrscht weithin eine Ablehnung des manifest Süchtigen, ein falsch verstandenes Helfen-Wollen bis hin zur Co-Abhängigkeit und ein emotionaler Widerstand gegen die Abstinenz vor.

Besondere medizinische Angebote für Drogenabhängige

Der sich zunehmend verschlechternde Gesundheitszustand besonders bei langjährig Drogenabhängigen und die Tatsache, daß ein großer Teil von ihnen aus verschiedenen Gründen weder niedergelassene Ärzte noch Krankenhäuser aufsuchen, hat die Notwendigkeit von besonderen Angeboten im ambulanten und stationären Bereich deutlich werden lassen.

Viele selbst ernsthaft erkrankte Drogenabhängige nehmen die Dienste niedergelassener Ärzte nicht in Anspruch. Auch Krankenhäuser nehmen diese Patienten nur ungern auf. Andererseits werden stationäre Aufenthalte von den Patienten häufig selbst abgebrochen, wenn sich Entzugssymptome einstellen.

Vor diesem Hintergrund war es aus gesundheitspolitischer Sicht notwendig, modellhafte Lösungen zu suchen, die den Lebensumständen der Betroffenen Rechnung tragen: unbürokratisch, niedrigschwellig, akzeptierend und eingebettet in das Drogenhilfesystem.

Unterschiedliche Reinheitsgrade der Drogen und der zusätzlich zum Teil exzessive Gebrauch von verschreibungspflichtigen Medikamenten führen zu akuten und chronischen Vergiftungen.

Häufig kommt es zu Infektionserkrankungen: Hepatitis A, B, C, D, HIV-Infektionen, Gonorrhoe, Lues, bakteriellen Pneumonien, Endokarditiden, Mykobakteriosen, Hautabszessen, Impetigo contagiosa („Schleppscheiße"). Einige dieser Krankheiten enden im akuten Stadium letal, andere verlaufen chronisch, hinterlassen bleibende Schäden oder führen nach längerem Leiden zum Tode.

Durch Wohnungslosigkeit, Unterernährung und mangelnde Hygiene wird die ohnehin schon schlechte gesundheitliche Situation der Betroffenen noch verschärft.

1) Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, Vorschläge zur Neustrukturierung der Suchtarbeit in Berlin, Berlin.