Geschichte im Stadtraum: Straßennamen-Ergänzungsschilder

Der Senat wird aufgefordert, die Ausführungsvorschriften zu § 5 des Berliner Straßengesetzes ­ Benennung ­, zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 16. August 1991, wie folgt zu ändern:

II. 14. erhält folgende Fassung: „Ist die Bedeutung von Straßennamen nicht eindeutig zu erkennen oder besteht ein öffentliches Interesse, Anlaß und Umstände der Benennung bzw. Umbenennung einer Straße, das historische Wirken des Namensgebers/der Namensgeberin oder die historische Bedeutung des mit dem Namen erinnerten Ereignisses sowie gegebenenfalls auch frühere Benennungen der betreffenden Straße zu erläutern, so sind an den Straßennamensschildern Erläuterungsschilder anzubringen."

II. 15. Als neuer sechster Satz wird hinzugefügt: „Erläuterungen zur Geschichte der Straßenbenennung sollen ebenfalls kurz sein und im allgemeinen nicht mehr als zehn Zeilen in Anspruch nehmen."

II. 21. Als neuer zweiter Satz wird eingefügt: „Hiervon ausgenommen sind Erläuterungsschilder zur Geschichte der Straßenbenennung."

Begründung: Straßennamen nach Personen widerspiegeln in besonderer Weise das Traditionsverständnis einer Gesellschaft. In einer pluralistischen Gesellschaft sind diese Traditionen in einem bestimmten Maße notwendig umstritten. Die politische Auseinandersetzung wird zumeist darum geführt, wer nicht länger bzw. nun auch zum offiziellen Traditionsbestand zu zählen sei. Im Sinne von Ausschlußkriterien geben die Ausführungsvorschriften zum Straßengesetz die Möglichkeit der Umbenennung von aus der Zeit von 1933 bis 1945 bzw. von 1945 bis 1989 stammenden Straßennamen nach „aktiven Gegnern der Demokratie und geistig-politischen Wegbereitern der nationalsozialistischen bzw. der stalinistischen Gewaltherrschaft". So richtig es einerseits ist, überhaupt Ausschlußkriterien zu fixieren, so bleibt andererseits deren konkrete Formulierung und noch mehr deren Anwendung weiterhin umstritten.

Nach einer Vielzahl von Umbenennungen nach 1989 im Ostteil der Stadt, besteht, wie das Abgeordnetenhaus im Oktober 1996 mit seinem Beschluß „Kein Bestandsschutz für nationalsozialistische Altlasten bei der Straßenbenennung" ausdrücklich feststellte, heute Handlungsbedarf vor allem im Hinblick auf Straßennamen aus der NS-Zeit im Westteil der Stadt. Das Abgeordnetenhaus bat „alle Bezirke im ehemaligen Westteil der Stadt, ihre Straßennamen darauf zu überprüfen, ob sie nach Wegbereitern der Nationalsozialisten benannt sind, und sie gegebenenfalls zu ändern." (Plenarprotokoll 13/16, S. 1114) Umbenennungen sind jeweils Ergebnis historisch-politischer Debatten, die mitunter Jahre und Jahrzehnte währen und gesellschaftlich bedeutungsvolle Umwertungen der Vergangenheit bezeugen. Nebem einem möglichst breiten Spektrum von Straßennamen nach Personen, denen sich eine demokratische Gesellschaft in ihrem pluralistischen Traditionsbezug verbunden fühlt, kann vor allem die öffentlich markierte Namensgeschichte bestimmter Straßen das historische Bewußtsein einer Gesellschaft zum Ausdruck bringen. Die Namensveränderungen sind dabei mitunter bezeichnender als die Benennungen jeweils für sich genommen. Insofern ist es ein großer Nachteil, dass die geltenden Ausführungsvorschriften zum Straßengesetz lediglich eine Erläuterung des aktuellen Straßennamens vorsehen, aber keine weitergehenden Informationen zulassen.

Totalitäre Gesellschaften reduzieren Geschichte auf das aktuell herrschende Traditionsverständnis und verdrängen ihre Vorgeschichte oder eingetretene Umwertungen der eigenen Vergangenheit. Demokratische Gesellschaften verzichten nicht darauf, politisch-historische Traditionen zu begründen, entwickeln sie aber vor dem Hintergrund und im Bewußtsein der Brüche der Geschichte, in ihr ersetzen Traditionen nicht Geschichte, sondern Traditionen haben selbst Geschichte und geben diese zu erkennen. Erst dadurch vermögen sich demokratische Gesellschaften auch von als überholt erkannten Traditionen zu lösen.

Bedeutungsvolle Straßenumbenennungen sollten daher generell markiert und erläutert werden. Umbenennung und Erklärung hätten sich so dauerhaft und in aller Öffentlichkeit zu bewähren.

Bei Straßennamen, bei denen sich die Wertung der Ereignisse, Personen usw. gegenüber der Zeit der Namensgebung gravierend verändert hat, es aber nicht sinnvoll erscheint, den betreffenden Namen zu ändern, sollte die Bedeutungsveränderung kenntlich gemacht werden. In diesem Sinne fordern z. B. SPD, Bündnisgrüne und die Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger (WUB) in Zehlendorf die Erläuterung des Straßennamens „Spanische Allee" durch den Text: „Die Spanische Allee erhielt 1939 ihren Namen anläßlich der Rückkehr der Legion Condor, die im spanischen Bürgerkrieg (1936 ­ 1939) die Stadt Guernica zerstörte. Dieses nationalsozialistische Verbrechen forderte zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung. Heute ist der Name Ausdruck der Freundschaft mit dem demokratischen Spanien." Solche, an ausgewählten Orten unaufwendig angebrachte und beiläufig wahrgenommene Straßennamen-Erläuterungsschilder „würden die Stadtlandschaft in ein offenes Geschichtsbuch verwandeln, in dem die Vergangenheit in ihren jeweiligen Umdeutungen ablesbar wäre." (Presseerklärung des Aktiven Museums Faschismus und Widerstand in Berlin e. V. aus Anlaß der Anbringung eines Erläuterungsschildes am Hindenburgdamm am 27. April 1994)