Jod-Bevorratung als vorbeugender Gesundheitsschutz im Falle eines GAU in einem europäischen Atomkraftwerk

Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen:

1. Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales wird aufgefordert, als Maßnahme des vorbeugenden Gesundheitsschutzes im Falle eines möglichen GAU in einem europäischen Atomkraftwerk oder eines anderen Atomunfalles eine ausreichende Jod-Bevorratung sicherzustellen.

2. Der Senat wird aufgefordert, eine Bundesratsinitiative zu ergreifen, die in allen Ländern der Bundesrepublik eine JodBevorratung sicherstellt.

Begründung:

Die ökologischen und gesundheitlichen Folgen eines GAU eines Atomkraftwerkes sind verheerend. Weite Landstriche werden mit langlebigen radioaktiven Substanzen verseucht, und in Abhängigkeit von der Strahlendosis treten schwere Krankheiten bei der betroffenen Bevölkerung auf. Solange es betriebene Atomkraftwerke gibt, bleibt diese Gefahr bestehen.

Trotzdem ist es aus medizinischen Gründen gerechtfertigt, daß wenigstens solche „Notmaßnahmen" vorbereitet werden, die eine akute Aufnahme einzelner radioaktiver Substanzen wie z. B. Jod-131 reduzieren können und damit die Strahlendosis für die empfindliche Schilddrüse verringern. Im Rahmen der Katastrophenvorbereitung auf einen GAU müssen daher Jodtabletten in ausreichender Anzahl für die Bevölkerung zur Verfügung stehen und ein Verteilungsplan vorhanden sein.

Aber elf Jahre nach dem GAU in Tschernobyl hat Berlin noch keine entsprechenden Notmaßnahmen gegen eine radioaktive Jodbelastung vorbereitet ­ es gibt weder eine Bevorratung an Jodtabletten noch einen Katastrophenplan. Die Verdrängung funktioniert perfekt.

Im Falle eines GAU in einem der im Umkreis von 350 km von Berlin sich befindenden acht Atomkraftwerke (Krümmel, Stade, Brockdorf, Brunsbüttel, Esensham, Grohnde, Würgassen, Grafenrheinfeld) breitet sich die radioaktive Wolke bei schwachen westlichen Winden in ein bis zwei Tagen bis nach Berlin aus. Die Radioaktivität der Wolke könnte weitgehend unverdünnt im Berliner Siedlungsgebiet ankommen. Das kurzlebige Jod-131 (Halbwertzeit 8 Tage) wäre in diesem Fall in fast noch unverminderter Aktivität in der radioaktiven Wolke vorhanden.

In einem solchen Notfall ist es fast unmöglich, dass in der verbleibenden kurzen Zeit von einem Tag das entsprechende JodMedikament zur Blockierung der Aufnahme von radioaktivem Jod in der Schilddrüse herangeschafft und an die Bevölkerung verteilt werden kann.

Berlin muss 11 Jahre nach dem Tschernobyl-Unfall endlich die entsprechenden Folgen zum Schutz seiner eigenen Bevölkerung ziehen. Nach dem Tschernobyl-Unfall Ende April bis Anfang Mai 1986 wurden die Menschen in bis zu 400 km entfernten Regionen der Republik Belarus einer massiven radioaktiven Schilddrüsendosis ausgesetzt, die teilweise 10 Gray übertraf. Die Folgen sind heute unübersehbar, obwohl sie damals offiziell geleugnet wurden. Die Zunahme der Häufigkeit von Schilddrüsenkrebs bei Kindern beträgt das 100fache, bei Erwachsenen das 5fache. Darüber hinaus gibt es vielfältige Funktionsstörungen der Schilddrüse, die vorher äußerst seiten waren, aber mittlerweile zu Massenerkrankungen in den betroffenen Gebieten geworden sind.

Diese besonders dramatischen Spätschäden können zum großen Teil vermieden werden, wenn im Falle eines Super-GAU eine rechtzeitige Jod-Prophylaxe durchgeführt werden kann.