Markierung des Mauerverlaufs

Die Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr legt nachstehende Mitteilung dem Abgeordnetenhaus zur Besprechung vor:

Das Abgeordnetenhaus hat in seiner 89. Sitzung am 21. September 1995 auf Grund des Antrages der Fraktion Bündnis 90/ Grüne (AL)/UFV folgendes beschlossen: „Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Grüne (AL)/UFV über Markierung des Mauerverlaufs ­ Drucksache Nr. 12/5616 ­ wird in folgender Fassung angenommen: „Der Senat wird aufgefordert, in Zusammenarbeit mit den Berliner Bezirken (besonders den Kultur- bzw. Kunstämtern und den Bauämtern) bis zum 15. März 1996 ein Konzept samt Finanzierungsvorstellungen für die baldige Markierung des früheren innerstädtischen Mauerverlaufs zu erarbeiten. Dabei ist eine breite Beteiligung der Bevölkerung und von Geschichtsinitiativen vorzusehen, um den erstrebten Prozeß aktiven Erinnerns zu befördern.

Der Senat wird weiterhin aufgefordert, im Vorgriff auf eine endgültige Lösung an markanten Stellen der Stadt über den Mauerverlauf zu informieren."

Hierzu wird berichtet:

Für das vom Abgeordnetenhaus geforderte Konzept zur Mauermarkierung sowie für den erstrebten Prozeß aktiver Erinnerungsarbeit unter Beteiligung von Bevölkerung und Geschichtsinitiativen waren klare Vorgaben für die Vorgehensweise erforderlich. Das dafür notwendige Strategiepapier einschließlich Kostenschätzung wurde im Auftrag der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr wegen der Spezifik des Themas vom Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart e. V. erarbeitet. Die im folgenden Text verwendeten Zitate stammen aus den Ausarbeitungen dieses Forums.

1. Markierung des Mauerverlaufs: Basis der Untersuchung waren die Ergebnisse des von der ehemaligen Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen bereits im Juni 1995 veranstalteten Hearings, insbesondere die eindeutige Forderung, den ehemaligen Mauerverlauf in einfachster Form, d. h. nicht künstlerisch überhöht, zu markieren.

Ein Farbstreifen wäre mit dem geringsten Kostenaufwand zu realisieren, müßte jedoch in regelmäßigen Zeitabständen erneuert werden und gegen die Farbmarkierungen könnte möglicherweise eingewendet werden, dass sie im Straßenverkehr Gebotsoder Verbotscharakter tragen.

Wünschenswert und letztlich auch kostengünstiger, weil nicht immer erneuerungsbedürftig, wäre eine Ausführung der Markierung mit Pflastersteinen (s. Foto Anlage 1).

Diese von Fachleuten empfohlene und von den beteiligten Berliner Bauämtern mehrheitlich unterstützte nüchterne Markierung mit der doppelläufigen Großsteinpflasterreihe vermeidet falsche Assoziationen oder ästhetische Überhöhung. Sie informiert den Fragenden über den Verlauf der Berliner Mauer im Stadtraum und drängt sich dennoch nicht auf.

Die einfache Doppelsteinreihe ­ im historisch rekonstruierten Verlauf der Mauer ­ wird die bestehenden (wie die in Planung befindlichen) Orte des Gedenkens und der Erinnerung miteinander verbinden. Sie wird dabei künstlerische Lösungen zur Markierung an ausgewählten Orten sowie künstlerische Zeichen an herausragenden Stellen auf zurückhaltende Weise in einen stadträumlichen Zusammenhang bringen (s. Anlage 2 Denkmäler, Gedenkstätten und Initiativen im Bereich der ehemaligen Sektorengrenze zwischen Ost- und West-Berlin).

2. Der Mauerverlauf:

Die Untersuchung der zu markierenden Strecken führte zu folgendem Ergebnis für das weitere Vorgehen:

Im Grundsatz soll die Gesamtstrecke der innerstädtischen Mauer nachvollzogen werden, es sind jedoch Ausnahmesituationen zu berücksichtigen: „Die bei der Gründung Groß-Berlins 1920 festgelegten Stadtbezirksgrenzen, nach denen die Sektorengrenzen und später entsprechend auch der Verlauf der Berliner Mauer bestimmt worden sind, liegen in weiten Abschnitten parallel zu Flüssen und Kanälen sowie Bahndämmen und Bahnanlagen, an denen eine Markierung nur in besonderen.... Bereichen empfohlen werden kann. Außerdem wurden Bereiche ermittelt, in denen sich eine Markierung als entbehrlich erweist, weil dort noch Mauersegmente erhalten oder die ehemaligen Sperranlagen bereits in anderer Form gekennzeichnet sind, wie etwa durch den „Mauerpark" im Bezirk Prenzlauer Berg.... oder am Friedhof Liesenstraße im Bezirk Mitte. Diese vorhandenen Kennzeichnungen sind.... unbedingt zu respektieren und durch eine Form der Markierung im Rahmen der Gesamtkonzeption weder zu ersetzen noch zu ergänzen. Eine weitere Einschränkung des Markierungsvorhabens ergibt sich aus der Feststellung der Mehrheit der Baustadträte, dass es wenig sinnvoll erscheint, den Mauerverlauf parallel zu Industriegebieten, in Kleingartenkolonien oder der freien Landschaft in den Außenbezirken nachzuzeichnen. Darüber hinaus wird die Kennzeichnung des Mauerverlaufs in einigen Abschnitten wie z. B. auf Friedhöfen als unangemessen betrachtet, es sei denn, es gäbe einen ausdrücklichen Beschluß bzw. Wunsch der Gemeinde oder Friedhofsverwaltung."

In einzelnen Fällen des Innenstadtmauerverlaufs, der an Flüssen, Kanälen, Bahndämmen etc. liegt, ist zu prüfen, ob nicht die zweite „Hinterlandmauer" statt dessen im Verlauf sichtbar gemacht wird. Beim Mauerverlauf auf Privatgeländen muss im Einzelfall über eine mögliche Sichtbarmachung verhandelt werden.

Um den Verlauf der Mauer im Stadtraum zu rekonstruieren, werden Luftbilder benötigt. Geeignete Luftbilder im Maßstab 1 : 4000 vom April 1989 und August 1990 liegen im Landesluftbildarchiv der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr vor. Aus diesen Luftbildern ist der Mauerverlauf mit einer durchschnittlichen Genauigkeit von 1 m in Flurkarten im Maßstab 1 : 1000 übertragen worden. Diese Genauigkeit reichte u. a. für den Auftrag aus, für die Oberfinanzdirektion und das LAROV die Mauergrundstücke zu erfassen, die im „Todesstreifen" zwischen den Grenzmauern (innere und äußere Mauer) lagen.

Soll die Mauermarkierung eine historische möglichst exakte Rekonstruktion des Mauerverlaufs zum Zeitpunkt April 1989 oder August 1990 sein, müssen die Luftbilder für diesen Fall stereoskopisch ausgemessen werden.

Über die konkrete Umsetzung der Markierung besteht in den betroffenen Bezirken weitestgehend Konsens. Die Bezirke sind allerdings nicht in der Lage, die Erstmaßnahme aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Die bauliche Unterhaltung der Steinreihe wird als gering eingeschätzt und kann im Rahmen turnusmäßiger Sanierungsarbeiten von den Bezirken geleistet werden.

Die für die beabsichtigte Mauermarkierung in Frage kommenden Strecken sind in der Anlage 3 (Übersichtsplan und Straßenauflistung) aufgeführt. Begonnen werden soll mit dem Abschnitt Zimmerstraße zwischen Wilhelmstraße und Axel-SpringerStraße.

Dabei soll möglichst eine zeitliche Abstimmung mit der Realisierung künstlerischer Zeichen an den ehemaligen innerstädtischen Grenzübergängen erfolgen.

Es wird geschätzt, dass die Streckenlänge unter Berücksichtigung der zuvor genannten Ausnahmesituationen ingesamt rund 20 km beträgt, d. h. jeweils 10 km sogenannte Vorderlandmauer und Hinterlandmauer.

Entscheidend für eine zügige Umsetzung der Markierung sind inbesondere die Eigentumsverhältnisse: von den 10 km Vorderlandmauer liegen im City-Bereich (Bezirk Mitte) rund 5 km, in den angrenzenden Bezirken Prenzlauer Berg, Pankow, Friedrichshain und Treptow rund 1 km auf öffentlichem Straßenland. Die restlichen rund 4 km Vorderlandmauer befanden sich auf Privatland; eine Markierung ist hier erst nach umfänglichen Vorverhandlungen möglich.

Die Hinterlandmauer verlief vorwiegend auf Privatland. Für eine Markierung bieten sich darum zunächst nur alle Straßenquerungen (öffentliches Straßenland) an; außerdem besondere Bereiche wie Pariser und Potsdamer Platz und am Schlesischen Busch.

Daraus ergibt sich für einen ersten Bauabschnitt eine Markierungsstrecke von rund 6 km Vorderlandmauer und rund 1,5 km Hinterlandmauer.

3. Begleitende Dokumentation „Leben mit der Mauer"

Die vom Abgeordnetenhaus gewünschte Verbindung zwischen der Markierung des Mauerverlaufs und einer Beteiligung der Bevölkerung und von Geschichtsinitiativen hat sich in der konzeptionellen Umsetzung als schwierig erwiesen.

Die Vertreter der bezirklichen Kulturämter haben ihr Interesse formuliert, den Prozeß der Mauermarkierung mit einem gemeinsamen Forschungsprojekt zum „Leben mit der Mauer" zu begleiten. Auf Grund der angespannten Haushaltssituation sind sie jedoch nicht in der Lage, das Forschungsvorhaben aus eigenen Mitteln zu konzipieren und durchzuführen. Es müssen deshalb eine Trägerinstitution gefunden und (Stiftungs-) Mittel zur Finanzierung angefordert werden. Voraussetzung ist die Unterstützung der Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie sowie Bauen, Wohnen und Verkehr; die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur wird das Projekt ausschließlich inhaltlich begleiten.

Die Verbindung zwischen dem Markierungsvorhaben und dem Forschungsprojekt soll in der Dokumentationsphase erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt vorliegende Ergebnisse werden die beteiligten Kunst- und Kulturämter auf der Basis noch zu treffender Absprachen für die Dokumentation zur Markierung des Mauerverlaufs zur Verfügung stellen.

Von den Bauämtern der betroffenen Bezirke wurde zur Einbeziehung der Bürger mehrheitlich empfohlen, sich mit einer zentral vorbereiteten Informationsveranstaltung an die örtlichen „Betroffenenvertreter" zu wenden. Dieser Personenkreis ist bereits in lokale Entscheidungsprozesse eingebunden und wird sich nach Einschätzung der Vertreter der bezirklichen Bauämter auch für die Mauerkennzeichnung engagieren. Das Mittel der Bürgerbeteiligung ist dazu geeignet, die mit der historischen Rekonstruktion des Mauerverlaufs verbundenen Absichten darzustellen und zu verdeutlichen sowie Hinweise zu den projektierten Markierungsstrecken in die Planung aufzunehmen. Die bezirklichen Bauämter sind grundsätzlich bereit, die organisatorischen Vorbereitungen für die Bürgerbeteiligungen zu übernehmen, wenn die inhaltliche Vorbereitung (Konzepte, Pläne, Skizzen etc.) von der Projektkoordination „Leben mit der Mauer" geleistet wird.

Auch die im Mauerbereich tätigen Initiativen wurden mehrheitlich zu dem Markierungsvorhaben befragt. Sie begrüßen die Markierung des Mauerverlaufs besonders als Verbindungslinie zwischen den einzelnen Gedenk- und Erinnerungsorten. Sie sind an der zusammenhängenden Darstellung ihrer vielfältigen Arbeit besonders interessiert und haben sich grundsätzlich bereiterklärt, die geplante Dokumentation zur Markierung des Mauerverlaufs mit Material und Informationen zu unterstützen.

4. Kosten/Finanzierung

Zur Finanzierung des Gesamtprojektes wird ­ entsprechend dem Eigentum am jeweiligen Grundstück ­ eine Mischfinanzierung aus öffentlichen und privaten Mitteln angestrebt.

Die Gesamtkosten werden wie folgt geschätzt:

- Für die doppelläufige Großsteinpflasterreihe betragen die Kosten für Material plus Ausführung ohne Sonderanfertigung durchschnittlich ca. 80,00 DM pro lfd. m;

- das ergibt für die 7,5 km auf öffentlichem Straßenland Gesamtkosten der öffentlichen Hand von 600 000,00 DM

Zur Finanzierung der Markierung soll in einem ersten Schritt für die Durchführung auf öffentlichem Straßenland über rund 1,5 km eine Summe von 125 000,00 DM vom Land Berlin noch im laufenden Haushaltsjahr bereitgestellt werden (Mittel dafür sind in Kapitel 12 00, Titel 812 78 vorhanden).

Um das dringend notwendige politische Zeichen zu setzen, geht Berlin damit in Vorlage. Zu der noch zu klärenden Restfinanzierung sind erste Gespräche geführt worden, mit dem Ziel, eine angemessene Beteiligung der Bundesregierung, vertreten durch das BMI, d. h. zumindest mit der Hälfte der Kosten für Markierung auf öffentlichem Straßenland ­ rund 300 000,00 DM ­, zu erreichen (in zwei Raten 1998/1999).

Die darüber hinaus noch notwendige Summe von rund 175 000,00 DM soll im Haushaltsjahr 1999 aus dem Ansatz in Kapitel 12 00, Titel 812 78 gedeckt werden.

Zur Vorbereitung der Markierung auf Grundstücken Dritter (rund 4 km Vorderlandmauer und rund 8,5 km Hinterlandmauer) ist in den Verhandlungen jeweils auch die Finanzierungsfrage zu klären. Grundsätzlich soll erreicht werden, dass die Grundstückseigner die Kosten übernehmen. Da dieses Ziel mit Sicherheit nicht in allen Fällen erreicht werden kann, werden Lücken im Markierungssystem verbleiben, die jedoch das Gesamtprojekt in seiner Wirkung nicht in Frage stellen werden.

- Für Informationssystem, Forschung und Dokumentation (ohne mediale Aufbereitung); finanziert durch Stiftungsmittel 500 000,00 DM

- Vorbereitungsmaßnahmen und Koordination einschließlich Spendensammeln sollen verwaltungsintern geleistet werden.

Anmerkungen:

In welcher Höhe Spendengelder für die Markierung und Sponsormittel für Informationssystem und Dokumentation realistischerweise zu erwarten sind, kann nicht geschätzt werden. Haushaltsmittel aufzubringen, ist gegenwärtig ebenfalls nicht problemlos. Um für die Absicht der Markierung des Mauerverlaufs kurzfristig ein Zeichen zu setzen, ist bereits der Vorschlag von „Partner für Berlin" umgesetzt und im zentralen Bereich Wilhelmstraße bis Axel-Springer-Straße ein Farbstrich gezogen worden, der sobald wie möglich durch die dauerhaften Pflastersteine ersetzt werden soll.

Der Senat wird versuchen, in Gesprächen mit den Initiativen, die sich bisher für eine Markierung des ehemaligen Mauerverlaufs engagiert haben, und anderen mit der Mauer befaßten Bürgerinitiativen eine Abstimmung herbeizuführen.

Die Finanzierung des Forschungs- und Dokumentationsprojektes der bezirklichen Kunst- und Kulturämter erfolgt durch Projektantrag auf Stiftungsmittel mit gutachterlicher Unterstützung der beteiligten Senatsverwaltungen.

Die Finanzierung des Informationssystems und der Dokumentation des Gesamtprojektes erfolgt nach Maßgabe der vorhandenen Mittel durch die Anwerbung von Sponsoren- und Stiftungsgeldern, die der ausführenden Senatsverwaltung produktbezogen zur Verfügung gestellt werden.

Die Dokumentation wäre unabhängig von ihrer konkreten Form als „Produkt" zu beschreiben und ebenso wie das Informationssystem zum Mauerverlauf grundsätzlich für ein Sponsoring geeignet. Zu beachten ist dabei, dass „Sponsoring" sich aus Achtung vor den Opfern und ihren Angehörigen nur unter bestimmten Voraussetzungen für die Finanzierung der eigentlichen Mauermarkierung eignet.

Die Kosten der medialen Aufbereitung der Dokumentation sind zur Zeit noch nicht kalkulierbar, da die Aufbereitung nur in Abhängigkeit vom entstandenen Material geklärt werden kann.

Die Bandbreite liegt zwischen Informations-Broschüre in der Art, wie sie zu verwandten Themen z. B. von der Senatskanzlei herausgegeben wird, Informationsangebot im Internet und multimedialer Aufbereitung für den Infopunkt im American Business Center, der Info-Box usw.

5. Zeitplanung:

Das Markierungsprojekt ist für einen Zeitraum von 3 Jahren geplant. Als Abschlußdatum angestrebt ist der 9. November 1999

(10 Jahre Mauerfall). Als erstes sichtbares Ergebnis soll bis zum 9. November 1997 die Markierung in folgenden Straßenzügen erfolgt sein: Zimmerstraße von Wilhelmstraße bis Charlottenstraße/Platz vor dem Brandenburger Tor und ein Teilstück Ebertstraße/Kommandantenstraße von Axel-Springer-Straße bis Alte Jakobstraße/Boyenstraße/Chausseestraße/Alte Jakobstraße und Sebastianstraße östlich der Heinrich-Heine-Straße.

Wir bitten, den Beschluß als erledigt anzusehen.

Berlin, den 12. September 1997

Jürgen Klemann Senator für Bauen, Wohnen und Verkehr