Warum ein Pendel schwingt Erkenntnisse aus Physik Biologie und Psychologie können jedoch erklären warum ein Pendel ohne Geisterunterstützung schwingt oder ein Glas auf dem Tisch von Buchstabe zu Buchstabe rückt ohne Geister

verstärkt; gruppendynamische Prozesse und Hierarchien hindern den Einzelnen an einer distanzierten Betrachtung oder Haltung gegenüber den selbst erfahrenen „unerklärlichen Phänomenen". Vorschub wird dem Okkultglauben und damit verbundenen ­ngsten auch dann geleistet, wenn Eltern oder Pädagogen okkulten Praktiken und Erklärungen selbst zugeneigt sind oder aus Unwissenheit unsicher oder gar nicht reagieren.

Warum ein Pendel schwingt Erkenntnisse aus Physik, Biologie und Psychologie können jedoch erklären, warum ein Pendel ohne Geisterunterstützung schwingt oder ein Glas auf dem Tisch von Buchstabe zu Buchstabe rückt, ohne Geister beschwören zu müssen.

Am Beispiel des Pendelns sollen die Wirkmechanismen kurz erläutert werden:

Ein Pendel, das an einem Stativ aufgehängt in Bewegung versetzt wird, folgt allein physikalischen Gesetzen: nach einer gewissen Zeit hört die Bewegung auf.

Beim Auspendeln wird jedoch eine Schnur mit einem Anhänger oder Pendel zwischen Fingern gehalten oder über einen Finger gelegt, es gerät nach einer gewissen Zeit in kreisförmige oder hin und her schwingende Bewegung. Es gibt keinen absoluten „Ruhezustand" der Muskeln, einzelne Muskeln befinden sich (durch meßbare Erregungsimpulse nachweisbar) in ständiger Anspannung. Das Halten eines Pendels ist ein aktiver Vorgang, nach einiger Zeit der Muskeltätigkeit ermüdet dieser mit der Folge eines Muskelzitterns. Der hierdurch erreichte Bewegungsimpuls des Pendels wird durch Resonanz verstärkt, indem der gleiche Schwingungsanstoß in immer gleichem Rhythmus die Pendelbewegung deutlich sichtbar werden läßt. (Dieses Prinzip wirkt in gleicher Weise bei den von ­ früheren ­ Jahrmärkten bekannten Schiffsschaukeln.) Ebenfalls bewegungsverstärkend wirken Kapillarpulswellen und Atmung. Der Arm wirkt hierbei als Hebel, ein geringer Impuls am Drehpunkt wird am anderen Hebelende stark vergrößert. Die Konfiguration der Schwingungsbewegung wird durch den sogenannten Carpenter-Effekt verursacht, der darin besteht, dass jede Bewegungsvorstellung einen Antrieb zum Vollzug dieser Bewegung einschließt. So lassen sich bei Bewegungsvorstellungen Aktionsströme in der entsprechenden Muskulatur nachweisen, intensive Sinneseindrücke greifen ohne Beteiligung des Bewußtseins auf motorische Zentren über. Deutlich wird dieser Effekt z. B. im Auto beim automatischen Mitbremsen des Beifahrers in kritischen Situationen.

Beim Gläserrücken wirken diese Prinzipien ebenfalls, hinzu kommt der gruppendynamische Effekt, indem geringfügige Kräfte der einzelnen auf das Glas gelegten Finger sich zu einer Kraft, die das Glas scheinbar willenlos rutschen läßt, summieren. In der Regel liegen Buchstabenkärtchen um das Glas herum, sinnvolle „Antworten" ergeben sich schon dann nicht mehr, wenn die Buchstabenkärtchen gemischt mit der Buchstabenseite nach unten liegen oder die Oberfläche des Tisches nicht glatt genug ist.

Typische Rechtschreibfehler von Teilnehmern ließen sich zudem in den „Geisterantworten" wiederfinden.

Sicher gibt es auch Phänomene, die mit unserem heutigen Wissen nicht erklärbar sind. Im alltäglichen Leben sind wir von vielen technischen Geräten umgeben, deren Funktionsweise uns im einzelnen nicht bekannt ist ­ deshalb deuten wir das Funktionieren von Fax, Telefon, Kühlschrank etc. noch lange nicht als okkulte Phänomene.

Lediglich die Deutungen sind okkult, konstatierte Professor Zinser, nicht die Phänomene selbst.

Satanismus

Von einer manchmal vermuteten weit verbreiteten Gefährdung Jugendlicher durch Satanismus kann keine Rede sein. In der schon zitierten Untersuchung (Zinser/ Hahn) gaben weniger als 2 Prozent der Befragten an, an „Schwarzen Messen" beteiligt gewesen zu sein. „Als „Schwarze Messen" werden verschiedene Veranstaltungen bezeichnet, bei denen unter Umkehrung christlicher Symbole, z. B. des Kreuzes, Luzifer oder das Böse angerufen und verehrt wird.

Diese sollen auf einem Friedhof oder an anderen unheimlichen Orten durchgeführt werden. Dabei werden alle „heiligen" Symbole entweiht, auch wird gelegentlich von perversen und gewalttätigen sexuellen Handlungen berichtet."

Gerade der letzte Aspekt kann sowohl Ausdruck von Satanismus als auch Vorwand für die Handlungen sein.

Solche Rituale finden in aller Regel wirklich im Verborgenen statt, zumeist in informellen Gruppen, sie sollen der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden.

An die Öffentlichkeit gelangende Zerstörungen und das Beschmieren von Kircheneinrichtungen oder auf Friedhöfen müssen nicht zwangsläufig mit einem „Satanskult" in Verbindung stehen, sondern können auch Ausdruck von Vandalismus ohne den Hintergrund einer „Antireligion" sein. Auch einzelne spektakuläre Ereignisse mit einem „satanischen Hintergrund", die von der Presse gern begierig aufgegriffen und mit entsprechenden Schlagzeilen belegt werden, erweisen sich bei differenzierter Betrachtung als komplexe Probleme, die nicht einfach in eine Schublade „verursacht durch Glauben und Anbetung Satans" eingeordnet werden können. Deutlich wurde das Problem z. B. insbesondere in der Medienberichterstattung über den Mordfall von Sandro B. 1993 in Sondershausen. Bei vordergründiger Betrachtung wurde das Motiv für die Tötung des 15jährigen durch Mitschüler in deren „satanischen Glauben" gesehen. Tatsächlich war jedoch ein Ursachenbündel, angefangen von den familiären Bedingungen der Täter bis hin zu deren Beschäftigung mit Horrorvideos und -literatur in der Clique, tatentscheidend. „... Aleister CROWLEY (1875 ­ 1947) (kann) als einflußreichster „Ideenlieferant" im Hinblick auf die Entwicklung von „satanischen" Praktiken gelten. Von CROWLEY stammt auch der Satz: „Tue, was du willst, soll sein das ganze Gesetz"."

Das Absolutsetzen des eigenen Willens ohne Rücksicht auf Ethik und Moral kann Ausdruck anarchistischer Opposition gegen alles und jedes, ungezügeltes Ausleben von Machtgefühlen oder auch aggressiver und masochistischer Phantasien sein. In erster Linie kann man jedoch den „Jugendsatanismus" als ein Protestphänomen gegen gesellschaftliche Normen verstehen. „Eine Fixierung auf „die schwarze Gegenwelt" wird erst dann gefährlich, wenn der Satanismus nicht bloß die symptomatische Erscheinung einer pubertären Durchgangsphase, einer depressiven Verstimmung oder einer Provokation gegenüber der Erwachsenenwelt ist, sondern zu einem beständig sich selbst bestätigendem „Teufelskreis" wird." Hier, wie auch bei der sensiblen Wahrnehmung anderer Ausdrucksmöglichkeiten von Hilflosigkeit, Überforderung, ­ngsten gilt es, nicht „blind" oder gar nicht zu reagieren, sondern den Jugendlichen deutlich zu zeigen, dass die Erwachsenen verläßliche Bezugspersonen und Partner bei der Suche nach Lösungen für ihre Probleme sind.

Sogenannte Strukturvertriebe

Eine Fülle von Anfragen erreichen die Informations- und Dokumentationsstelle zu sogenannten Strukturvertrieben.

Zumeist wird ein Zusammenhang mit Scientology vermutet.

Die Anfragen konzentrieren sich auf ca. ein Dutzend Strukturvertriebe. Da es eine wohl weit größere Zahl dieser Unternehmen auf dem deutschen Markt gibt, entwickelten bislang offensichtlich nur einige Strukturvertriebe eine für einzelne Mitarbeiter potentiell konfliktträchtige Struktur.

Die folgende Darstellung sollte also nicht als für Strukturvertriebe allgemeingültig gelesen werden.

Eine potentielle Konfliktträchtigkeit erwirbt ein Strukturvertrieb erst durch eine extreme Ausformung bestimmter Merkmale und deren Zusammenspiel. Angehörige von Mitarbeitern und ehemalige Mitarbeiter, die sich selbst als „ausgestiegen" bezeichnen, assoziieren dann in ihren Anfragen und Berichten den Begriff „Sekte". Struktur

Das System „Strukturvertrieb" kommt aus den USA und ist ein reines Vertriebssystem. Nach dem Prinzip des „Multi-Level-Marketing" (MLM) werden u. a. Kosmetika, Wasserfilter, Staubsauger, Schlankheitsmittel, Finanzdienstleistungen vertrieben. MLM ist ein Synonym für das bekannte Schneeballprinzip. Es gibt keine Angestellten; jeder Mitarbeiter ist selbständiger Handelsvertreter. Als solcher baut er an seinem „Unternehmen im Unternehmen", sprich an seiner Pyramide innerhalb der großen Firmenpyramide. Parallel zur Kundenwerbung betreibt er Mitarbeiterwerbung: Jeder Mensch soll möglichst Kunde und Mitarbeiter werden. Der neue Mitarbeiter wird dem Werber zugeordnet, wirbt selbst neue Mitarbeiter, die neue Mitarbeiter werben. Jeder Werber erhält dann neben der Provision für seinen direkten Umsatz zusätzliche, anteilige Provision am Umsatz seiner Mitarbeiter, die mit dem eigenen Aufstieg in der internen Provisionstufenleiter auch ihren Werber und dessen Werber gen Pyramidenspitze und damit in die Richtung der erstrebenswerten Einkommenssphären schieben, welche ­ mathematisch gesetzmäßig ­ nur wenige erreichen können.

Programmatik Werbung Zunächst wird die Stelle gesucht, bei der der Hebel angesetzt werden kann:

So ist es der Traum vom „Irgendwann-nicht-mehr-arbeitenMüssen" oder der vom „Großen Geld", der viele Menschen in diese Unternehmen führt. Inzwischen steht zusätzlich ein Heer von Arbeitslosen vor den Toren der Strukturvertriebe, die in der „Selbständigkeit" einen rettenden Ausweg aus dem sozialen Abstieg vermuten. Die miserable Ausbildungsplatz- und Berufseinstiegssituation für junge Menschen tut ein übriges.

Im Strukturvertrieb braucht es kaum Voraussetzungen, bedarf es keines Abschlusses, auch wenn natürlich dem Neuling kundgetan wird, man habe ihn aus einer großen Zahl von Bewerbern auf Grund seiner besonderen Qualitäten ausgewählt. Ein Strukturvertrieb braucht jeden, denn jeder bringt als sein „Kapital" seine „Kontakte" ein: Verwandte, Freunde, Nachbarn, Bekannte, Kollegen, Vereinskameraden, Bäcker, Metzger, Blumenfrau ­ Menschen, denen ein Produkt verkauft werden kann.

Geworben wird in Zeitungsanzeigen, an Laternenpfählen, im Bekanntenkreis. Nach einem Vorstellungsgespräch, in dem der potentielle Mitarbeiter von seiner zukünftigen Tätigkeit noch nahezu nichts erfährt, aber oft unter der Wirkung eines ausgeklügelten settings freundlicher Annahme und Bestätigung und sanften Drucks bereits einen Vertrag unterschreibt, folgt die sogenannte „Unternehmensvorstellung", die zu bestreiten Profis vorbehalten bleibt.

Geld = Erfolg:

In der Regel in Hotelsälen wird vor den Neulingen die Welt der Reichen und Schönen als für jeden erreichbar ausgebreitet.

Bereits hier erfährt der Neuling überrascht von seinem Beitritt zu einer Elite: Willkommen im Club der winner. Ab heute sei der Erfolg nicht mehr aufzuhalten. Die erstaunten Neulinge werden mit der üblichen Geschichte beglückt: von Straßenfeger und Putzfrau, die dieses Unternehmen kennenlernten, ihre Chance sahen, das Leben in der Welt der looser hinter sich zu lassen, und nun eben parkt der schwarze Jaguar vor der Tür, wird eigene das Haus gebaut. Erfolg drücke sich im Kontostand aus, das bisherige Leben wird pauschal als erfolglos deklassiert.

Psychische Beeinflussung

Die Welt wird geteilt in weiß und schwarz, tatsächlich und vermeintlich Intelligente, in winner und looser: Jeweils letztere sitzen außerhalb dieses Saales und trachten nur danach, die frischgebakkenen winner in die alte Erfolglosigkeit zurückzuzerren, weil sie neidisch sind auf das, was sie selbst nicht wagen. Und so funktioniert bereits an dieser Stelle die Immunisierung gegen künftige Einwände aus dem bisherigen sozialen Umfeld. Auch gegen innere Zweifel wird geimpft: Dem einzelnen sei alles möglich, wenn er nur wolle und sich mit dem perfekten System verbinde.

Versagen könne nur der einzelne, das System stimmt immer.

Die Neulinge verlassen den Saal häufig mit einem Siegel-Satz des Animateurs, wie etwa: „Eine Ausrede habt ihr ab heute nicht mehr: Ihr könnt nicht mehr sagen, ihr hättet keine Chance gehabt."

Es folgt eine oft eine „Ausbildung", die in der Regel vom Mitarbeiter finanziert werden muss und weniger auf den Erwerb von Fachwissen als auf mentale Konditionierung zielt. Mit Hilfe von Psychotechniken soll eine der Unternehmensideologie kompatible Identität installiert werden. Neben der totalen Ausrichtung auf Geld und Erfolg sickern firmeninterne Phraseologie und Satzintonation, uniforme Kleidung und kuriose Zeichen der Verbundenheit ein. Sogenannte „incentives" als Gratifikation für besondere Leistungen sollen dem Mitarbeiter einen Vorgeschmack auf künftigen Luxus bieten. In manch Vertrieb werden einzelne Führungspersonen oder die Führungsspitze mit fast kultischer Verehrung bedacht. Banalste Weisheiten von der Bühne werden mit standing ovations der Massen beantwortet. Rituale bilden sich heraus. Motivationsveranstaltungen werden nach allen Regeln der Kunst fast religiös zelebriert.

Weniger kultiviert geht es bisweilen bei Veranstaltungen einher, die das Wir-Gefühl stärken sollen. Hier wird die Gruppendynamik genutzt, um Niveauunterschiede der Mitarbeiter im Rahmen gemeinsamer Grenzerfahrungen auszugleichen: Alle lassen nach dem Essen „die Sau raus" und werfen mit Kartoffeln, alle steigen auf den Stuhl, schwingen die Kinderrassel und rufen „Wir sind erfolgreich". Eine gewisse Infantilisierung ist dabei unübersehbar und für den Außenstehenden ebenso verblüffend wie die Tatsache, dass die angewandten Beeinflussungstechniken oft recht leicht durchschaubar sind, sofern man nicht von einer durch das Wir-Gefühl ausgelösten, mehr oder weniger ausgeprägten Kritiklosigkeit geblendet ist.

Finanzielle Schwierigkeiten

Neben dem Besuch kostenintensiver Seminare und Schulungen (zum Teil in teuren Spitzenhotels) werden Statussymbole erworben, bevor der Status erreicht ist, finanziert im New-AgeGlauben, dass man sich seine Wirklichkeit selbst erschaffe. In manchen Strukturvertrieben müssen Produkte vom Mitarbeiter in großen Mengen vorab gekauft werden. Nicht selten verwandeln sich private Keller in große Lager mit Waren, die keinen Ansatz finden.

Manche Strukturvertriebe bieten gegen Zahlung von mehreren Tausend Mark den Einstieg auf einer höheren Stufe an; der Mitarbeiter kauft sich so wertlose Phantasietitel wie „Bezirksleiter" oder „Regionalmanager" und erhofft schnelleren Aufstieg. Verschuldungen nehmen ihren Lauf.

Die Wirkung potentiell konfliktträchtiger Strukturvertriebe auf Mitarbeiter entspricht in vielen Fällen der bereits beschriebener Gruppen des religiösen und Psychomarkts: Mit der Firmensprache, der darin aufbereiteteten Lebensvision und entsprechenden Rahmenbedingungen verändern sich Werte, Denken und Handeln oft radikal. Es entsteht eine eigene Welt, und der Kontakt mit der Realität außerhalb erweist sich zunehmend als schwierig.

Das Unternehmen wird zu Familienersatz und letztem Hort wahren Verständnisses. Partnerbeziehungen scheitern. Man trennt sich von bisherigen sozialen Bezügen, sofern diese nicht als Kunden oder Mitarbeiter infrage kommen. Es entstehen psychische Abhängigkeiten von Personen und Animationsveranstaltungen, in denen neu aufgetankt werden muß. Strukturvertriebe sind oft relativ labile Systeme mit einer hohen Mitarbeiterfluktuation.

Ein Ausstieg ist insofern bisweilen besonders schwierig als zusätzlich zu der notwendigen Verarbeitung der Erfahrung und umfassenden Neuorientierung das soziale Umfeld zu sanieren ist, das sich viele „Strukkis" durch ihr penetrantes Verkaufs- und Werbegebaren zerstörten.

Ausblick Man wird sich darauf einstellen müssen, dass konfliktträchtige Merkmale und Strukturen, Psycho- und Manipulationstechniken mit der Tendenz zur Vereinnahmung des einzelnen Menschen zunehmend in Bereiche unserer Gesellschaft vordringen, die jenseits einer „klassischen" religiösen oder weltanschaulichen „Sekte" liegen, und die dennoch eine durchaus vergleichbare schädliche Wirkung entfalten.

8. Erfahrungsberichte Betroffener

Der folgende Abschnitt gibt ausgewählte Erfahrungsberichte von Menschen wieder, die die jeweilige Gruppe wieder verlassen haben und als sogenannte „Aussteiger" negativ bilanzieren. Ausgewählt wurden solche Berichte, in denen das Mühen der Betroffenen um einen sachlichen Blick auf das Erlebte von Erfolg gekrönt war.

Bei aller verbleibenden und in dieser Form unvermeidlichen Subjektivität der persönlichen Sicht tritt in diesen Berichten das Konfliktpotential dieses Marktes sehr plastisch zutage. Bewußt ist auf die Nennung der jeweiligen Gruppe verzichtet worden, um den Leser in dem Anliegen zu unterstützen, allgemeine konfliktträchtige Merkmale und Strukturen und deren mögliche Auswirkungen zu erkennen.

Nicht unterstellt werden soll damit, dass solche Erfahrungen zwangsläufig seien, noch, dass nicht auch andere, in der Selbstwahrnehmung positive Bilanzen, möglich seien.

Bericht Herr A:

Ich habe 1995 die „Gemeinde" in einer Zeit eines persönlichen Umbruchs kennengelernt. Nach Abbruch meines Studiums (ich war damals 33 Jahre alt) hatte ich gerade eine Arbeitsstelle in Aussicht ­ alles in allem keine Lebenskrise. Trotzdem kamen mir die netten Studenten der Gruppierung, die ich bei einer von diesem Verein veranstalteten Semesterfete kennenlernte, irgendwie recht: Ich konnte noch Bezugspunkte in das studentische Umfeld behalten und freute mich über die Aussicht, einen neuen Freundeskreis gewonnen zu haben.

Gerade deshalb, weil sich diese Menschen sehr für mich interessiert haben. Ein junger russischer Chemiestudent schlug vor, mit mir mal ins Theater zu gehen (ich erzählte ihm von meiner großen Leidenschaft fürs Theater)Doch bevor wir das gemeinsam taten, lud mich dieser Student zu einem Gottesdienst seiner „Gemeinde" ein. Mir wurde vermittelt, es handele sich um eine „christliche Freikirche" ­ mehr durfte ich zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch nicht erfahren. Ich nahm dann die Einladung zu einem sonntäglichen Gottesdienst der Gruppe tatsächlich an. Schon kurz nach meinem Eintreffen (der Student holte mich an der U-Bahn ab, um sicherzustellen, daß ich auch hinfinde) wurde ich von verschiedenen Mitgliedern umringt und freundlich, aber bestimmt ausgefragt. Die Veranstaltung lief spürbar mit amerikanischem Einschlag ab. Kurz danach wurde ich dann eingeladen, die Bibel kennenzulernen, zusammen mit den Leuten, die ich dort getroffen und kurz kennengelernt hatte.

Für mich zunächst nicht bemerkbar, wurde ein Plan geschmiedet und fast generalstabsmäßig umgesetzt: ich sollte in einer sog. „Studie" die Bibel, das Wort Gottes, kennenlernen. Die Bibelstunden fanden 2 bis 3 mal in der Woche und auch verstärkt an den Wochenenden statt. Ziel war es, mich zur Taufe in der Gruppe zu „führen". Aus mir sollte ein „Jünger Jesu" gemacht werden. Denn nur wer „Jesus nachfolgt und ein Leben nach der Bibel führt, dem werden alle Sünden vergeben, der wird das Reich Gottes auf Erden und im Himmel gewinnen" ­ so stellt sich im Rückblick die Grundlage der „Ideologie" dieser Bewegung dar. Um dieses Ziel auch erreichen zu können, mußte ein enges Vertrauensverhältnis aufgebaut werden. Hier legte sich ein 12 Jahre jüngerer Student (nicht zufällig!) mächtig ins Zeug

­ wir wurden sehr gute Freunde (seine Rolle war die des sog. „Jüngerschaftspartners/Disciplers" und ich war ein „Babychrist").

In den 6 Wochen bis zu meiner Taufe lernte ich dann die Bibel kennen, aber in der von dieser Bewegung vorgegebenen Interpretation/ Auslegung. Daß hier auch eine spezielle Ideologie (Lehre) des geistigen Führers dahintersteckte, wurde mir lange nicht bewußt (gemacht). Ich hatte mich ja noch nie ernsthaft mit der Bibel befaßt.

So wurde ich nach und nach durch eine subtile Verhaltens- und Bewußtseinskontrolle von dieser „Gemeinschaft" abhängig; auch von meiner Bezugsperson. Wir trafen uns fast täglich in und mit der „Gemeinde", mein neuer Freund rief mich täglich an und fragte nach, ob und was ich in der Bibel gelesen habe, wie mein Leben außerhalb der „Gemeinde" aussieht usw. Schon vor meiner Taufe wurde ich unter „Missionsdruck" gesetzt. Es wurde mir eingetrichtert, dass man als „Jünger Jesu" wie ein Arbeiter für Gott unablässig andere Menschen missionieren (bekehren/anwerben) sollte. Die Taufe wurde als unbedingte Voraussetzung für die Rettung aus der von Satan beherrschten Welt hingestellt.

Ich wurde auf eine sehr unfaire Weise stark bedrängt (zum Schluß auch vom Gemeindeleiter), meine Taufentscheidung zu treffen. Im März 1995 traf ich diese Entscheidung nach einer „Mammutsitzung" in der Wohnung des Gemeindeleiters. Ich wurde schließlich am 12. März 1995 im ehemaligen Gewerkschaftshaus in Berlin-Mitte zum zweiten Mal getauft (das erste Mal wurde ich 1962 als Kind in der Katholischen Kirche getauft) und fühlte mich dann tatsächlich als vollwertiges und gerettetes Mitglied dieser „Gemeinde". Erst jetzt konnte (und mußte) ich am Gemeindeleben täglich teilnehmen.

Konnte ich mal nicht an einem Bibelkreis oder einer anderen Veranstaltung teilnehmen, wurde mir sofort ein schlechtes Gewissen eingeredet: „Du schadest der Gemeinschaft". Es blieb also keine Zeit mehr, sich mit alten Freunden zu treffen (oder auch einfach nur neue zu finden) oder Hobbies nachzugehen. Selbstsüchtig sei ich, wenn ich z. B. ins Theater gehe und nicht die Gemeinschaft mit meinen „Brüdern und Schwestern" suche. An meiner Arbeitsstelle bekam ich Probleme, denn auch dort sollte ich Mitglieder werben, angeblich Menschen retten, so der eigentümliche Sprachgebrauch der Gruppierung.

Ich distanzierte mich deutlich von meiner bisherigen Umwelt und war hin- und hergerissen zwischen dem vermeintlichen „Reich Gottes" der Bewegung und der „Welt", in der ich schließlich mein Geld verdienen mußte. Später dann war auch das für meine „Brüder" von großem Interesse, nämlich zu wissen, wieviel ich verdiene und ob ich durch eine leitende Position „Einfluß" auf andere Menschen habe...

Ich verlor zunehmend die Kontrolle über mein Leben außerhalb der „Gemeinde". Manchmal war ich nicht in der Lage meinen Kolleginnen und Kollegen vernünftig zu begegnen. Ich fühlte mich nicht mehr wohl in dieser Umgebung. Schließlich hatte ich es mit Menschen zu tun, die sich im „Machtbereich" von „Satan" befinden, weil sie eben nicht dieser Bewegung nachfolgten. Über andere Glaubensgemeinschaften zu reden, war sinnlos, weil sich diese Bewegung für die einzig wahren Christen hält. Andersglaubende, Anderslebende und Andersdenkende werden verurteilt und möglichst gemieden. Ich habe es in meinem damaligen Bibelkreis nicht erlebt, dass die eigene Familie mit der Mitgliedschaft ihrer Angehörigen in dieser Gruppe uneingeschränkt einverstanden war. Es gab hier viele Probleme.

Zwischenmenschliche Kontakte durfte es nur innerhalb der „Gemeinde" geben. Es gehört auch zu den Zielen dieser Bewegung aus den eigenen Reihen heraus „Ehen" zu stiften. Dieses Procedere läßt sich aber besser mit „Kuppelei" beschreiben: im Laufe der Zeit (nach der Taufe) wurden immer wieder „Brüder" und „Schwestern" an Samstagen zu Freizeitunternehmungen zusammengeführt, um sich dabei näher und besser kennenlernen zu können (sog. Dating). Bei diesen Treffen waren stets mindestens 2 Paare zusammen (und selbstverständlich die Bibel) ­ es konnte also nicht viel passieren.

Nach solchen Dates hat mich mein Jüngerschaftspartner immer gefragt, wie mir das Date mit der betreffenden „Schwester" gefallen hat. Sexualität vor der Ehe wird tabuisiert, Sex in der Ehe ist wohl auch Thema in Gesprächen mit z. B. der Gemeindeleitung. Jedenfalls ist für mich kein gesundes Verhältnis in dieser Hinsicht erkennbar.

Daß ich in der Gruppierung auf der „richtigen Seite" war, konnte ich bald nicht mehr glauben ­ ich begann zu zweifeln. Schließlich kam es nach Pfingsten 1995 zu einem Zusammenbruch, der mich sehr mitgenommen und erschreckt hat, denn ich hatte zum ersten Mal Lebensangst und auch Selbstmordgedanken: Ich hatte versagt, weil ich nicht in der Lage war als „Jünger Jesu" zwischen zwei Welten zu leben. Ich war es nicht wert in dieser „Gemeinschaft" zu leben, ich genügte nicht den hohen Ansprüchen.