Neue Strategien für den Alexanderplatz

Der Senat wird beauftragt, kurzfristig folgende Schritte zum behutsamen Umgang mit dem Alexanderplatz einzuleiten und regelmäßig, erstmals zum 31. Dezember 1998, über die Umsetzung zu berichten: Grundsatzentscheidung und Einbeziehung der Öffentlichkeit

1. Die Aufstellung der Teilbebauungspläne 1-B 4 a bis 1-B 4 c wird gestoppt, es werden keine finanzwirksamen und/oder rechtlich bindenden Vereinbarungen mit Investoren getroffen.

2. In einem geeigneten öffentlichen Verfahren wird eine Neubewertung der stadtstrukturellen, städtebaulichen, finanziellen und architektonischen Voraussetzungen und Konsequenzen der bisher favorisierten Planungen vorgenommen.

3. Gemeinsam mit dem Bezirk Mitte, der Bürgerinitiative Alexanderplatz, den Anwohner(inne)n und Gewerbetreibenden wird ein „Forum Alexanderplatz einberufen, das sich regelmäßig mit Problemen der weiteren Gestaltung und Nutzung des Platzes befaßt und über zu treffende Entscheidungen Einvernehmen herstellt.

Abbau bestehender räumlicher und funktioneller Defizite

4. Der Senat legt bis zum 31. März 1999 ein kurzfristig umsetzbares Verkehrsorganisationskonzept mit folgenden Zielen vor:

- Die Erreichbarkeit des Platzes für Fußgänger(innen) und Radfahrer(innen) wird durch ebenerdige Zugänge verbessert, Fahrradrouten und Abstellmöglichkeiten für Fahrräder werden geschaffen,

- Die Verkehrssicherheit an den Zugängen zu den Parkplätzen wird verbessert.

- Die Umsteigesituation im ÖPNV wird optimiert und die Einordnung des Nachtknotens der BVG geprüft. Hierzu soll ein Runder Tisch aus BVG, Senat, Bezirk, Fahrgastverband IGEB und Bewohnergremien, gebildet werden.

- Für die Weiterentwicklung des Straßenbahnnetzes werden Trassierungsvorschläge unterbreitet, die die sich etablierende Freiraumnutzung auf der Nordseite des Bahnhofes Alexanderplatz nicht beeinträchtigen.

5. Gegenüber der Landesbank Berlin wirkt der Senat darauf hin, dass die bauliche Erneuerung des Berolina-Hauses kurzfristig in Angriff genommen wird. Hierbei soll die Einordnung von öffentlich zugänglichen Nutzungen, u. a. Gastronomie gesichert werden. Die kurzfristige Wiedereröffnung der früheren Gaststätte Alex-Treff zwischen Alexanderplatz und Rathauspassagen wird geprüft, damit eine bessere Verbindung dieser beiden städtebaulichen Bereiche erreicht werden kann.

6. Gemeinsam mit dem Bezirk Mitte entwickelt der Senat bis zum 31. März 1999 ein Konzept der Zwischennutzung und weiteren Platzgestaltung, das eine Entsiegelung und stärkere Begrünung vorsehen soll und insbesondere den Anforderungen an öffentliche und kulturelle Nutzungen an diesem zentralen Platz des Ostens gerecht wird. Die künftige Funktion des Hauses des Lehrers als bisher einziges öffentliches Gebäude am Platz wird hierin eingeschlossen.

Orientierung am städtebaulichen Bestand und Berücksichtigung finanzieller Auswirkungen

7. In Zusammenarbeit mit dem Bezirk Mitte werden neue Planungsziele für die bestandsorientierte städtebauliche Weiterentwicklung des Alexanderplatzes definiert. Dabei werden Entwürfe aus dem Wettbewerb von 1993/1994, die von Bestandserhaltung ausgehen, in die Prüfung und Überarbeitung einbezogen. Für die bauliche Weiterentwicklung des Alexanderplatzes werden Aspekte des Denkmalschutzes stärker als bisher berücksichtigt, Möglichkeiten des Ensembleschutzes werden geprüft.

8. Die Beschlußfassung über ein städtebauliches Konzept erfolgt nur im Zusammenhang mit einem gesicherten Finanzierungskonzept. Dieses muss garantieren, dass dem Land Berlin keine Mehrkosten durch Straßenumbau und sonstige Erschließungsmaßnahmen entstehen. Die Schaffung von Baurecht sowie die Erteilung von Bauvorbescheiden und -genehmigungen darf nur erfolgen, wenn der erforderliche Finanzierungsbeitrag des Bauherren vorher durch städtebaulichen Vertrag festgelegt ist.

Begründung:

Der Senat hält seit fünf Jahren unverändert an dem Konzept fest, den Alexanderplatz einem umfassenden Stadtumbau zu unterziehen und mit dem Bau von Hochhäusern zum Manhattan Berlins zu machen. Bei diesem Großvorhaben soll vom jetzigen Alexanderplatz nicht viel mehr bleiben als die Behrensbauten und die Weltzeituhr. Die Pläne sind gegenüber dem Ursprungsentwurf von Hans Kollhoff leicht abgeändert worden, statt 13 Turmhochhäuser sollen nur noch 10 entstehen, bei der Verteilung der Funktionen gab es Verschiebungen zugunsten von Wohnflächen. Es bleibt aber bei dem Grundanliegen, den Alexanderplatz durch vollständige Neugestaltung neben dem Potsdamer Platz zum zweiten Schwerpunkt der neuen Berliner City zu machen.

Das Bebauungsplanverfahren für den Stadtumbau am Alexanderplatz steht mit der Beendigung der öffentlichen Auslegung am 6. Oktober 1998 formal kurz vor seinem Abschluß. Nur wenn, im Ergebnis von Einwendungen der Bürger(innen) wesentliche Planänderungen notwendig werden, ist, eine erneute öffentliche Auslegung erforderlich. Gerade dies ist nicht zu erwarten, sind doch in den früheren Beteiligungsschritten die zum Teil sehr heftigen kritischen Äußerungen immer mit Verweis auf das städtebauliche Konzept beiseite geschoben worden. Der Senat hält an seiner Absicht fest, noch im Jahr 1998 durch Beschlußfassung im Abgeordnetenhaus die rechtliche Festsetzung des B-Planes zu erreichen. Die baurechtliche Festlegung auf das Hochhaus-Konzept würde die Realisierung anderer Bauabsichten verhindern und damit zu einer Bremse für alternative Ideen werden.

Die im Vorfeld der öffentlichen Auslegung beschlossene Teilung des Plangebietes in drei Abschnitte ist ein Beleg dafür, daß für die Umsetzung des Gesamtkonzeptes gegenwärtig keine Realisierungschancen bestehen. Um so wichtiger ist es deshalb, den Einstieg in den Ausstieg aus diesem anachronistischen Mega-Projekt einzuleiten. Nicht nur die Annahmen eines günstigen Konjunkturverlaufes, einer dynamisch zunehmenden Büroflächennachfrage haben sich mittlerweile als Illusion erwiesen. Außerdem hat inzwischen landesweit ein Wandel in der Bewertung städtebaulicher Zeugnisse ­ nicht nur der DDR ­ aus den 60er und 70er Jahren eingesetzt. Von einer Orientierung auf Kahlschlag und Neudefinition wird umgesteuert auf schrittweise Weiterentwicklung unter Einbeziehung des Bestehenden.

Die PDS hat das Vorhaben von Anfang an abgelehnt, weil es an den Lebensinteressen der Berliner(innen) vorbeigeht, und mit seiner autoritären Architektur und dem ignoranten Umgang mit den Zeugnissen des DDR-Städtebaus ein Musterbeispiel für die euphorischen, realitätsfernen Planungen kurz nach der Wende ist. Die Beseitigung bestehender stadträumlicher und funktioneller Mängel des Alexanderplatzes erfordert keinen großflächigen Umbau. Die kurzfristige Überwindung bestehender Defizite und die behutsame städtebauliche Weiterentwicklung ist hingegen nur in einem schrittweise realisierbaren und von der Öffentlichkeit getragenen Umgestaltungskonzept möglich.