Tierversuche

Rechtsprechung weiterentwickelt und gesellschaftlichen Gegebenheiten angepaßt werden, ohne dass eine Gesetzesänderung erforderlich wäre.

Ein vernünftiger Grund kann dann gegeben sein, wenn der mit der Tötung verfolgte Zweck, die die Handlung auslösenden Umstände und die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts die Handlung erforderlich machen. Diese auf den ersten Blick eher abstrakten Kriterien sind inzwischen durch gerichtliche Entscheidungen und Bearbeitungen in der Literatur konkretisiert worden.

Beispielsweise ist ein vernünftiger Grund im Einzelfall dann gegeben, wenn ein krankes Tier nur durch eine langwierige und schmerzhafte Behandlung überleben würde. Bei erheblichen, nicht zu lindernden Schmerzen oder Leiden kann sogar eine Verpflichtung zur Tötung eines Tieres bestehen, weil nach allgemeiner Auffassung der Schutz des Wohlbefindens eines Tieres über den Schutz seines Lebens gestellt wird.

Unter Umständen kann auch eine Tötung überzähliger Nachkommen gerechtfertigt sein, deren Aufzucht das Muttertier in einem aus der Sicht des Tierschutzes nicht vertretbaren Maß belasten würde. Dies setzt allerdings voraus, dass sich andere Alternativen z. B. die Ammenaufzucht als undurchführbar erwiesen haben. Eine Tötung nur auf Grund des Auftretens rasseunerwünschter Merkmale ist nicht gerechtfertigt. (Ausnahmen sind nur dann möglich, wenn die Nachkommen Leiden bedingende Mißbildungen erwarten lassen, so dass deren Leben zur Qual wird, oder wenn von den Nachkommen eine Gefahr für Leib oder Leben von Menschen zu erwarten ist.) Insgesamt muss vom Tierhalter verlangt werden, dass er geeignete Vorsorgemaßnahmen zur Verhinderung unerwünschten Tiernachwuchses ergreift.

Bei nachgewiesener Bissigkeit oder Aggressivität gegenüber Menschen oder Tieren kann unter Umständen die Tötung eines Tieres zur Gefahrenabwehr gerechtfertigt sein.

Aus Artenschutzgründen werden in Zoos zunehmend nur solche Tierarten gehalten, die in wissenschaftlich begleiteten Arterhaltungsprogrammen gezüchtet werden. Hierbei kommt es vor, daß bestimmte Tiere aus der weiteren Zucht ausgeschlossen werden müssen. Um die in den einzelnen Zoos vorhandenen Kapazitäten optimal zu nutzen, kann die Einrichtung von Hengstherden usw. sinnvoll sein. Sind alle Möglichkeiten einer anderweitigen Unterbringung von Tieren ausgeschöpft, kann im Sinne des Artenschutzes auch die Tötung einzelner Tiere unumgänglich werden. Sind die Erhaltungszuchtprogramme sorgfältig ausgearbeitet und auf die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse gestützt, so können die im Rahmen eines Erhaltungszuchtprogrammes für notwendig erachteten Maßnahmen als vernünftiger Grund zum Töten im Sinne des Tierschutzgesetzes herangezogen werden.

Ebenso kann im Einzelfall das hohe Alter eines Tieres mit der einhergehenden Verschlechterung des Allgemeinbefindens ein vernünftiger Grund für das Töten eines Tieres sein. Auch hier besteht für einen Zoo eine besondere Problematik. Zootiere erreichen auf Grund des Wegfalls natürlicher Selektionsmechanismen häufig ein bedeutend höheres Alter als ihre freilebenden Artgenossen. Dies kann zu besonderen, nicht mehr artgerechten Haltungsbedingungen führen. Hier ist im Interesse des Tieres abzuwägen, ob einer Tötung nicht zuzustimmen ist, zum Beispiel wenn seine notwendig gewordene Behandlung in auffallendem Widerspruch zu seiner natürlichen Lebensweise steht.

Auch im Berliner Tierheim müssen bisweilen Entscheidungen zur Tötung von Tieren gefällt werden. Die Tötung eines Tieres kann gerechtfertigt sein, wenn es so starke Verhaltensstörungen zeigt, dass es eine akute Gefährdung für sich oder die Umwelt darstellt oder sein Weiterleben mit schweren Leiden verbunden wäre. Dabei wird diese Entscheidung laut Tierheimordnung von einer Kommission getroffen.

Ebenfalls immer wieder in der Diskussion ist, ob für das Töten „überzähliger" Versuchstiere der vernünftige Grund gegeben ist.

Von der Wissenschaft und von den zuständigen Behörden muß die Notwendigkeit der Tötung solcher Tiere anerkannt werden.

SenGesSoz, in Berlin für den Vollzug des Tierschutzgesetzes im Bereich der Tierversuche zuständig, motiviert Wissenschaftler, auch durch intensive Nachfrage in anderen Einrichtungen, zunächst auf solche „überzähligen" Tiere zurückzugreifen. Dieser Möglichkeit sind jedoch u. a. aus wissenschaftlichen Gründen Grenzen gesetzt.

Auf andere Fälle, wie zum Beispiel auf die Verfahrensweise bei Zirkustieren aus tierschutzwidrigen Haltungen, sind die oben beschriebenen Entscheidungsgrundsätze übertragbar.

Die vielfältigen Umstände, die Anlaß zur Tötung eines Tieres sein können, sind einer allgemeinen Einteilung in rechtswidrige oder rechtmäßige Fälle nicht zugänglich. Nur das Abstellen auf den Einzelfall unter Einbeziehung aller für das Tier und seinen Halter wichtigen Faktoren kann zu einer der Situation des in der Obhut des Menschen lebenden Tieres angemessenen Entscheidung führen. Insofern sind hier Einzelfallentscheidungen zu treffen, die zeitaufwendig sind und ein hohes Maß von Verantwortungsbewußtsein von den Verantwortlichen fordern.

3. Schlachten und Töten von Tieren

Nach § 4 a Abs. 1 des Tierschutzgesetzes sind warmblütige Tiere beim Schlachten vor dem Blutentzug zu betäuben. Ausnahmen sind nach § 4 a Abs. 2 des Tierschutzgesetzes nur zulässig bei Notschlachtungen oder wenn die zuständige Behörde eine Ausnahmegenehmigung für das Schlachten ohne vorherige Betäubung (Schächten) erteilt hat. Eine Ausnahmegenehmigung darf nur insoweit erteilt werden, als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich des Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. Diese Regelung trägt dem durch Artikel 4 Abs. 2 des Grundgesetzes geschützten Recht der freien Religionsausübung Rechnung.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 15. Juni 1995, BVerwG 3 C 31.93, entschieden, dass den in Deutschland lebenden Moslems das Schlachten warmblütiger Tiere ohne vorherige Betäubung zur Versorgung mit Nahrungsmitteln nicht gestattet werden darf. Ausgangspunkt des Revisionsverfahrens war die Klage einer Firma, die die Kantine einer Moschee in Hamburg betreibt und Moslems in Hamburg und Umgebung mit Fleisch und Wurstwaren versorgt, der eine Ausnahmegenehmigung von dem Verbot des Betäubungszwanges verwehrt worden war. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Urteilsbegründung ausgeführt, das Tierschutzgesetz lasse eine Ausnahme vom Schächtungsverbot zur Versorgung mit Nahrungsmitteln nur in den Fällen zu, in denen zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft deren Mitgliedern den Verzehr von Fleisch nichtgeschächteter Tiere verbieten. Das Gesetz gebe damit einen objektiven Maßstab vor und lasse die individuelle Sicht einzelner Gläubiger nicht gelten. Damit verletze es nicht das Grundrecht auf Religionsfreiheit, weil niemand gezwungen werde, gegen seine Glaubensüberzeugung Fleisch nichtgeschächteter Tiere zu verzehren. Wer es aus persönlicher Glaubensüberzeugung ablehne, Fleisch von Tieren zu essen, die vor dem Schlachten betäubt worden sind, könne notfalls auf den Fleischverzehr verzichten. Auf dieser Grundlage sei die Klage zu Recht abgewiesen worden. Nach den umfangreich begründeten und aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts gebe es nach dem Zeugnis islamischer Gelehrter und Autoritäten im Islam keine Vorschrift, die die Betäubung von Tieren vor dem Schlachten zwingend untersage.

In Berlin ist es notwendig, einer sehr großen (statistisch allerdings nicht erfaßten) Zahl von hier lebenden Mitbürgern orthodoxen muslimischen Glaubens (es leben allein ca. 120 000 türkische Mitbürger in Berlin) im Rahmen der rechtlichen Rahmenbestimmungen zu ermöglichen, Fleisch zu verzehren, welches nach den religiösen Vorschriften des Islam gewonnen wurde.

In den muslimischen Glaubensvorschriften wird in einer Reihe von Speisegeboten des Koran der Verzehr von Fleisch bestimmter Tiere verboten. So wird von muslimischer Seite besonders häufig die fünfte Sure des Koran zitiert, in der unter anderem folgendes festgelegt ist: „Verboten ist euch der Genuß von Fleisch von verendeten Tieren, Blut, Schweinefleisch und Fleisch, worüber beim Schlachten ein anderes Wesen als Gott angerufen worden ist, und was erstickt, zu Tode geschlagen, zu Tode gestürzt oder von einem anderen Tier zu Tode gestoßen ist und was ein wildes Tier angefressen oder geschlagen hat ­ es sei denn, ihr schächtet es, indem ihr es nachträglich ausbluten laßt... Und wenn einer von euch aus Hunger sich in einer Zwangslage befindet und aus diesem Grund gegen ein Speisegebot verstößt, ohne sich bewußt einer Sünde zuzuneigen, so ist Gott barmherzig und bereit zu vergeben..." Erst durch Tradition und wegen des Fehlens brauchbarer Betäubungsverfahren zur Entstehungszeit des Islams hat sich das Schächten als betäubungslose Schlachtmethode des muslimischen Ritus in der muslimischen Welt als das übliche Schlachtverfahren verbreitet. Eine zwingende Notwendigkeit der Erhaltung dieser traditionsbegründeten Regel des betäubungslosen Schlachtens wird heute selbst von der Mehrheit der Muslime nicht mehr gesehen. So wurde auf verschiedenen Treffen der Liga der Muslimischen Welt 1985 und 1986 ausdrücklich eine derartige Notwendigkeit verneint. Auch wird eine Betäubung der Schlachttiere mit Elektroschock prinzipiell als den heiligen Vorschriften des Koran gemäß angesehen, soweit nicht die Anwendung des Betäubungsverfahrens selbst die Schlachttiere deutlichen Leiden oder Schmerzen aussetzt, zu nachhaltigen Schäden oder zum Tod der Schlachttiere führt oder die Beschaffenheit der Fleischqualität nachteilig beeinflußt.

Zur kurzzeitigen, vollständigen Ausschaltung von Schmerzempfinden, Bewußtsein und Abwehrbewegungen ist das Verfahren der Elektrokurzzeitbetäubung geeignet, bei dem überdies die rituellen Vorschriften des Koran eingehalten werden können. Auf Grund dieser Reversibilität der Bewußtseinsausschaltung können mit der Elektrokurzzeitbetäubung die muslimischen Religionsvorschriften, welche fordern, dass die Schlachttiere zum Zeitpunkt des Ansetzens des Schächtmessers mit Sicherheit unbeschädigt am Leben sind, mit der tierschutzrechtlichen Forderung nach Ausschaltung des Schmerzempfindens vor Beginn des Blutentzugs in Einklang gebracht werden.

Die Reversibilität dieser Betäubungsmethode wurde von SenGS und dem Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin 1988 maßgeblichen Vertretern der Muslimischen Gemeinde Berlins mehrfach eindrucksvoll vorgeführt. Dabei gelang es, sowohl Vertreter des muslimischen Schlachtgewerbes als auch einflußreiche Religionsvertreter von der Eignung dieses Betäubungsverfahrens im Hinblick auf die rituellen Vorschriften zu überzeugen. Von Beginn des Jahres 1989 an konnte daher in den Berliner Schlachtstätten für alle Schlachtungen nach muslimischem Ritus von Schafen und Rindern die Elektrokurzzeitbetäubung vor Ansetzen des Schächtschnitts gefordert werden.

Zur Unterstützung der zunächst sehr aufwendigen und vielfachen Überzeugungsarbeit der Veterinärbehörden wurde ein Merkblatt für das Schlachten von Tieren nach muslimischem Ritus in deutscher und türkischer Sprache herausgegeben.

Nach Beobachtungen der VetLeb und der amtlichen Fleischuntersuchung wurden bis zur Schließung des Schlachthofs Beusselstraße und eines Schlachtbetriebs in Reinickendorf bei rituellen Schlachtungen die Elektrokurzzeitbetäubung vom muslimischem Schlachtpersonal ausnahms- und widerspruchslos durchgeführt. Wesentliches Element ist die tatsächliche Einhaltung der Betäubungszeit von 2 Sekunden. Als besonderer Erfolg in der praktischen Umsetzung der Forderung nach allgemeiner Elektrokurzzeitbetäubung beim rituellen Schlachten darf gelten, daß auch bei dem jährlichen Beyram-Fest ausnahmslos nach vorangegangener Elektrokurzzeitbetäubung geschlachtet wurde.

(Bei dem BeyramFest, auch muslimisches Opferfest genannt, wird durch in Schlachtstätten vorgenommene Schafschlachtopfer der höchste islamische Festtag begangen, was ­ kultisch bedingt ­ zu einer großen Zahl von rituellen Schlachtungen und reger Inaugenscheinnahme der Schlachtmodalitäten durch viele orthodoxe Muslime führt.) Der geringfügige, aus dem Kreis anwesender Muslime artikulierte anfängliche Widerstand gegen die neue Form konnte durch Überzeugungsarbeit in aller Regel überwunden werden.

Ausnahmegenehmigungen nach § 4 a Abs. 2 des Tierschutzgesetzes für das Schlachten ohne Betäubung sind in Berlin nicht erteilt worden.

Nach der oben erwähnten Schließung zweier Schlachtstätten werden in Berlin auch keine Schlachtungen nach muslimischem Ritus mit vorangehender Elektrokurzzeitbetäubung mehr durchgeführt. Ebensowenig wird in Berlin nach mosaischem Ritus geschlachtet.

An der einzig in Berlin verbliebenen gewerblichen Schlachtstätte treten hinsichtlich der Einhaltung der Vorgaben der TierSchlVO keine Probleme auf.

4. Regulieren von Wirbeltierpopulationen

Von zahlreichen Betroffenen wird die Verminderung bestimmter besonders stark ausgebreiteter Wirbeltierbestände gefordert, insbesondere wenn diese die Gesundheit des Menschen oder seiner Nutztiere gefährden können, wirtschaftliche Schäden verursachen, die Sicherheit von Verkehrsanlagen bedrohen, als Schädlinge oder Lästlinge im Siedlungsbereich auftreten oder Verminderungsmaßnahmen aus Gründen des Artenschutzes für erforderlich gehalten werden, ein vernünftiger Grund also in der Regel vorzuliegen scheint.

Nach § 13 Abs.1 des Tierschutzgesetzes ist es verboten, zum Fangen, Fernhalten oder Verscheuchen von Wirbeltieren Vorrichtungen oder Stoffe anzuwenden, wenn damit die Gefahr vermeidbarer Schmerzen, Leiden oder Schäden für Wirbeltiere verbunden ist; dies gilt nicht für die Anwendung von Vorrichtungen oder Stoffen, die auf Grund anderer Rechtsvorschriften zugelassen sind. Vorschriften des Jagdrechts, des Naturschutzrechts, des Pflanzenschutzrechts und des Seuchenrechts bleiben von dieser Bestimmung unberührt. Hierbei wird von der Einheit der Rechtsordnung ausgegangen: Was auf Grund der vorgenannten Rechtsvorschriften erlaubt ist, kann nicht generell durch das Tierschutzgesetz verboten werden.

Die Auslegung des § 13 Abs. 1 des Tierschutzgesetzes bei der Planung und Durchführung bestandsvermindernder Maßnahmen gestaltet sich oft schwierig. Denn hier muss im Einzelfall beurteilt werden, ob bei der Durchführung der jeweiligen Maßnahme die Gefahr vermeidbarer Schmerzen, Leiden oder Schäden für Wirbeltiere besteht. Zusätzlich muss geprüft werden, ob ein vernünftiger Grund vorliegt. Dies wird immer dann zu bejahen sein, wenn wichtige Rechtsgüter gefährdet werden und ein zumutbares Mittel angewandt wird, das den betroffenen Tieren die geringsten Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt. Zur Klärung strittiger Fragen hat das Bundesministerium für Ernährung Landwirtschaft und Forsten das Gutachten über „Maßnahmen zur Verminderung überhandnehmender freilebender Säugetiere und Vögel. Bestandsaufnahme, Berechtigung und tierschutzrechtliche Bewertung" herausgegeben. Hierin werden diejenigen Tierarten beschrieben, die regelmäßig oder in nennenswertem Umfang von Verminderungsmethoden betroffen sind oder bei denen Verminderungsmaßnahmen erwogen werden.

Nach den Erfahrungen der VetLeb stellt die tierschutzgerechte Verminderung überhöhter Populationen verwildeter Haustauben und freilebender Katzen in Berlin ein besonders Problem dar.

5. Kastration/Sterilisation freilebender Katzen

Neben den unmittelbaren Leiden, die ein ausgesetztes Tier ertragen muß, resultieren aus dem Aussetzen weitere tierschutzrelevante Folgen. Ein besonderes Problem stellt dabei das Überhandnehmen freilebender Katzen dar.

Probleme mit freilebenden Katzen, die sich vor allem auf einige wenige, örtlich begrenzte Bereiche der Stadt, wie Wohngebiete (Hellersdorf), Krankenhäuser (Friedrichshain), Kindertagesstätten oder Schulhöfe konzentrieren, bestehen nach Informationen aus den VetLeb nicht mehr in dem Maße, wie noch im Bericht von 1996 dargestellt werden mußte.

Diese Entwicklung ist nach unserer Auffassung auf die Weiterführung des gemeinsam vom Tierschutzverein für Berlin und Umgebung e. V., der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales sowie der Tierärztekammer initiierten Katzenkastrationsprogramms zurückzuführen. Im Rahmen dieses Programms wurden in den Räumen der Berliner VetLeb und im Tierheim Lankwitz in den Jahren 1996 und 1997 insgesamt 14 200 freilebende Katzen kastriert. Außerdem wurden in diesem Zeitraum 11 166 vom Tierheim aufgenommene Katzen kastriert.

Nach Einschätzung des Institutes für Zoo- und Wildtierforschung Berlin-Friedrichsfelde führen diese Kastrationen nicht zu einer wesentlichen Reduzierung der Gesamtpopulation. Allerdings verbessert sich die Situation an oben erwähnten Schwerpunkten, wenn dort die Kastrationsaktionen konsequent durchgeführt werden. Das Institut für Zoo- und Wildtierforschung arbeitet seit einigen Jahren an der Entwicklung eines Impfstoffes, der bei weiblichen Katzen eine Trächtigkeit verhindert. Die in vitro Untersuchungen sind bereits mit Erfolg abgeschlossen worden.

Die Forschungsgruppe des IZW erwartet, dass der Einsatz eines derartigen Impfstoffes die Populationsdichte freilebender Katzen deutlich stärker beeinflussen kann, als dies durch die Kastrationsaktionen möglich ist.

6. Stadttauben

Seit Jahrhunderten haben sich die sogenannten „verwilderten Haustauben" dem Menschen als Kulturfolger angeschlossenen.

In der Stadt Berlin profitieren sie als Abkömmlinge der Felsentaube und somit Höhlenbrüter auf Grund nahezu idealer Nistplatz- (Gebäude) und Nahrungsbedingungen (Abfall, Fütterung) vom menschlichen Lebensraum und den Gewohnheiten der hier lebenden Berliner Bevölkerung, diese Tiere ausgiebig zu füttern.

Günstige Lebensbedingungen ermöglichen durch mehrfache jährliche Bruten mit etwa fünf ausgeflogenen Jungtieren pro Taubenpaar eine relativ hohe Vermehrungsrate. Hinzu kommen eine Lebenserwartung von 25 Jahren und das Fehlen natürlicher Feinde, wie der Wanderfalken.

So ist in Berlin seit den fünfziger Jahren eine ständige Bestandszunahme verwilderter Tauben festzustellen. Die Bestandsgrößen können zwischen mehreren hundert und -zigtausend Stück betragen. Schwarmgrößen setzen sich in der Regel aus 15 bis 300 Tieren zusammen.

In einigen Gebieten der Stadt kommt es durch ihr gehäuftes Auftreten zu Konflikten im Zusammenleben zwischen Mensch und Stadttaube:

Eine Taube produziert jährlich 10 bis 12 Kilogramm Naßkot.

Dieser harnsäurehaltige Kot trägt mit seiner ätzenden Wirkung zur Zerstörung der Bausubstanz bei und kann zu Beschädigungen und Verschmutzungen von Autos führen. Zahlreiche Bürger fühlen sich durch ständiges Gurren großer Taubenschwärme belästigt und empfinden Taubenkot ekelerregend sowie als Minderung ihrer Wohnqualität, wenn Balkone, Fensterbretter usw. davon betroffen sind. Reinigungsmaßnahmen verursachen Eigentümern und Verwaltern hohe Unkosten und Ärger und Auseinandersetzungen mit den Mietern.

Schäden entstehen auch durch Picken an Putz- und Mauerteilen zur Gewinnung von Magensteinchen zur Aufrechterhaltung der physiologischen Verdauung. Schäden werden auch aus Grünanlagen gemeldet, wo die Tauben durch Fressen von Pflanzenteilen und Saatgut einen vom sonstigen defizitären Futterangebot herrührenden Vitamin- und Mineralstoffmangel auszugleichen versuchen. Außer Gebäudeschäden und Belästigung können Tauben auch für den Menschen gesundheitliche Gefahren mit sich bringen: Eine Reihe von Schädlingen und sogenannten Lästlingen können von den Brutplätzen in den Wohn- und Arbeitsbereich des Menschen überwechseln. Bei Tauben oder in deren Kot werden immer wieder zu gewissen Prozentsätzen Krankheitserreger gefunden, die auch für den Menschen mehr oder weniger ansteckend sein können. Insofern ist es berechtigt, von einer potentiellen gesundheitlichen Gefährdung des Menschen durch verwilderte Haustauben zu sprechen.

Ziel der Maßnahmen ist die Verminderung der verwilderten Haustauben auf ein vertretbares Maß und keinesfalls deren Ausmerzung.

Sowohl aus Tierschutz- als auch aus populationsdynamischen Gründen ­ selbstregulatorische Wiederauffüllung des Tierbestandes nach Abschöpfung ­ sollten Tötungsaktionen situationsbedingt nur das letzte Mittel sein oder Teil eines Gesamtkonzeptes der Bestandssteuerung (Baseler Vorbild) zur primären Anpassung der Populationsstärke an ein vermindertes Futterangebot.

Da die Größe einer Stadttaubenpopulation letztlich nur vom Nahrungsangebot bestimmt wird, ist eine langfristige Bestandsverminderung nur über eine Reduktion des Futterangebotes zu erreichen.

Fütterungsverbote können nur mit Schwierigkeiten ausgesprochen werden: Dabei handelt es sich um ein psychologisches Problem, da vielfach bei alten Leuten das Taubenfüttern zum Lebensinhalt geworden ist. Als lokale Schutzmaßnahmen sind die Verhinderung unerwünschter und ungeeigneter Nist- und Rastmöglichkeiten mittels Netzen und Abweiseelementen (sog. Reiter, Spikes, Elastikdrähte) sowie die Abdichtung von Dachböden und Gebäudesanierung zu empfehlen.

Folgende mit dem Tierschutzrecht in Einklang stehende Maßnahmen können Eigentümer oder Verwalter ergreifen:

- Sicherungsmängel auf Dachböden und an Wohngebäuden sollten behoben werden, um Nist- und Unterschlupfmöglichkeiten zu verhindern. Insbesondere sollten eventuelle Schäden an Dächern umgehend abgedichtet und Dach- und Treppenhausfenster nur zum kurzen Lüften geöffnet und ansonsten geschlossen bleiben.

- Wohnungsleerstand sollte vermieden und eventuelle Sicherungsmaßnahmen durchgeführt werden (z. B. zerbrochene Fensterscheiben ersetzen).

- Besonders in Innenhöfen sollte auf Sauberkeit geachtet werden.

- Das Taubenfüttern aus Fenstern, Balkonen oder auf Höfen sollte über die Hausordnung oder den Mietvertrag untersagt werden.

- Wo es möglich, nötig und sinnvoll ist, sollten tierschutzgerechte Taubenvergrämungseinrichtungen installiert werden.

Für die Taubenvergrämung sind folgende Systeme effektiv und auch aus tierschutzrechtlicher Sicht geeignet:

- Bespannung mit Kunststoff- oder Drahtgeflechten (geeignete Maschenweite beachten!)

- Spanndraht-Systeme (ein- bis mehrreihig bei unterschiedlicher Simstiefe)

- Spikes aus Kunststoff oder Edelstahl

Die Installation ist nur dann sinnvoll, wenn eine regelmäßige Wartung der Vergrämungssysteme und Reinigung gesichert ist.

Dieses gilt insbesondere für die Wartung der Netze und Drahtgeflechte, da sonst die Tierschutzprobleme, wie zum Beispiel Verfangen oder Verletzungen und damit verbundene Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten können.

Die Verwendung von klebenden Pasten ist aus Tierschutzgründen verboten!

Verabfolgung von fortpflanzungshemmenden Stoffen („Taubenpillen") ist als weitere flankierende Maßnahme ebenfalls grundsätzlich empfehlenswert. Im Bezirk Kreuzberg wird seit Jahren ein ABM-Projekt zur Bestandsregulierung der Stadttauben durchgeführt. Dabei werden

a) Bürger und Hausbesitzer beraten,

b) die Bevölkerung aufgeklärt („Nicht füttern ist Tierschutz!") und

c) Pellets zur Sterilisierung sowohl des männlichen als auch des weiblichen Tieres („Taubenpille") ausgelegt.

Diese Pellets sind erbsengroß und werden von den Tieren nur nach mehrmaligem Anfüttern mit Erbsen aufgenommen. An bestimmten Plätzen werden die Tauben von den Kreuzberger Bürgern so gefüttert, dass dieses Versuchsprogramm immer wieder unterbrochen wird. Die Gesamtzahl der Tauben, denen im Frühjahr und Herbst 1997 Hormonpellets verabreicht wurden, betrug 2 539. Am Hermannplatz, am Kottbusser Tor und am Marheinekeplatz wurden Taubenpillen ausgebracht und die Bestandsentwicklung registriert. Die Arbeit im Zusammenhang mit der Erprobung der Taubenpille gestaltete sich als schwierig,