Koordinierung und Finanzierung von Opferverbänden und Aufarbeitungsinitiativen - Beratung zum Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz - Teil 2

Unverändert hohen Beratungsbedarf gibt es in bezug auf materielle Folgeansprüche aus der strafrechtlichen Rehabilitierung, die anerkannt zu bekommen keine zwangsläufige Folge des Akts der unmittelbaren Rehabilitierung ist.

Wie gut der Gesetzgeber beraten war, die Antragsfristen für die Rehabilitierungsgesetze bis Ende 999 zu verlängern, zeigt sich daran, dass die Mitarbeiter des LStU noch immer auf Betroffene stoßen, die von den gesetzlichen Rehabilitierungsmöglichkeiten bisher nicht Kenntnis hatten. Dies gilt insbesondere für Ratsuchende aus Brandenburg. Auch kommen zunehmend Bürger in die Beratung, die von der Bundesversicherungsanstalt anläßlich von Berechnungen ihres Rentenkontenstandes darauf aufmerksam gemacht worden sind, dass eine Rehabilitierung die Voraussetzung ist, um gegebenenfalls rentenrechtlich besser gestellt zu werden.

Die Anerkennung und Behandlung psychischer und psychosomatisch bedingter Verfolgungsschäden:

Der Berliner LStU hat seit Beginn seiner Tätigkeit sich darum bemüht, die Anerkennung psychischer und psychosomatischer Haftfolge-Verfolgungsschäden durch die Versorgungsämter zu verbessern, unter anderem im Wege von Fortbildungsveranstaltungen für Mitarbeiter der Versorgungsämter, für Richter an den Sozialgerichten und für ärztliche Gutachter, die entsprechend den Regelungen des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in solchen Verfahren herangezogen werden. Diese Anstrengungen haben nach den Erfahrungen der letzten Jahre Früchte getragen.

Die Sachkunde über Haftbedingungen und Haftfolgeschäden hat bei den mit deren Anerkennung befaßten Institutionen und Gutachtern zugenommen ­ auch als Folge fortgeführter regelmäßiger Gespräche zwischen Mitarbeitern des LStU und des Berliner Versorgungsamtes.

Gleichwohl gab es auch im Berichtsjahr weitere Fälle, in denen Haftfolgeschäden nicht ­ oder nur in zu geringem Maße ­ anerkannt worden sind. Dies gilt insbesondere für den Bereich psychosomatischer Haftfolgeschäden. Zudem wird von den meisten Betroffenen die Prozedur der ärztlichen Begutachtung und die mühsame Suche nach oftmals nicht mehr vorhandenem Beweismaterial als Retraumatisierung erlebt. Dies gilt insbesondere, wenn Anträge gänzlich abgelehnt werden oder die Schädigung nur in geringem Maße anerkannt wird. Zu lösen wäre dieses Problem durch eine gesetzliche Änderung, die zur Vereinfachung des Anerkennungsverfahrens führt.

Therapeutische Angebote bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD):

In vielen Fällen schämen sich die Betroffenen psychischer Folgeschäden ihrer Verfolgung und versuchen, ihre Beschwerden geheim zu halten. Sie fürchten die Stigmatisierung als psychisch Kranke, die als nicht mehr ganz zurechnungsfähig gelten und in die Psychiatrie abgeschoben werden könnten. Nicht unbegründet fürchten sie auch die berufliche Ausgrenzung auf Grund psychischer Beschwerden. Trotz intensiver Aufklärungsanstrengungen seitens der in der Beratung tätigen Mitarbeiter des LStU nehmen weniger als 50 % der Betroffenen Behandlungsangebote an.

Was solche Angebote betrifft, hat sich im Land Berlin die Situation in den letzten Jahren deutlich verbessert. Gegenwärtig gibt es sowohl im Behandlungszentrum für Folteropfer als auch in der Beratungsstelle „Gegenwind" entsprechende Selbsthilfegruppen.

Die Abt. Sozialpsychiatrie der Freien Universität Berlin bietet seit Jahresbeginn ebenfalls diese Therapiemöglichkeit an.

Der beim Berliner LStU angesiedelte Arbeitskreis „Psychotherapie", in dem sich monatlich die Berater des LStU und der Opferverbände mit Psychotherapeuten aus den zuvor genannten Einrichtungen treffen, erarbeitet regelmäßig für konkrete Fälle Lösungsmöglichkeiten. Für die Zusammenstellung von Selbsthilfegruppen sind in diesem Rahmen gemeinsam Kriterien entwickelt worden.

Erstellt wurde ein Verzeichnis von Psychotherapeuten, Psychiatern und ärztlichen Gutachtern, die mit den einschlägigen Krankheitsbildern vertraut sind. Dank ständiger Fortbildungsangebote konnten bereits die Therapiemöglichkeiten im Land Berlin deutlich verbessert und der Bedarf an geeigneten Psychotherapeuten auf diesem Wege allmählich gedeckt werden.

Da, wie bereits betont, gerade der Berliner LStU auch Beratungsbedarf von ehemaligen DDR-Bewohnern abzudecken hat, die inzwischen in den alten Bundesländern oder in Brandenburg leben, gilt es immer wieder, auch für diese Personen in ihrer Region Behandlungsmöglichkeiten zu finden.

2..2 Beratung zur Rehabilitierung beruflichen (BerRehaG) und verwaltungsrechtlichen (VwRehaG) Unrechts

Wie bereits im Jahresbericht 997 festgestellt, hat die 997 verabschiedete Novelle zum 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz (2. UnBerG) in diesem Bereich nur geringe Besserstellungen bewirkt.

Unverändert geblieben ist die Situation:

- verfolgter Schüler, die bereits von der Polytechnischen Oberschule relegiert wurden oder die aus politischen Gründen die Erweiterte Oberschule nicht besuchen konnten;

- ehemaliger Ausreiseantragsteller, die ihre Arbeit aufgaben bzw. zugewiesene Arbeit verweigerten, um ihrem Ausreisebegehren entsprechenden Nachdruck zu verleihen;

- ehemaliger freischaffender Künstler, die plötzlich die in der DDR üblichen staatlichen Aufträge nicht mehr erhielten und z. B. keine Ausstellungen mehr machen durften bzw. aus politischen Gründen nur noch mit Aufträgen geringsten Umfanges versorgt wurden;

- der aus Gebieten östlich von Oder und Neiße in die Sowjetunion Verschleppten.

Ein allgemeines Defizit dieser Gesetze besteht darin, dass eine Reihe politischer Protest- und Verweigerungshaltungen trotz heutiger rentenrechtlicher Nachteile und gesundheitlicher Folgeschäden nicht anerkannt werden. Dies gilt z. B. für:

- die Verweigerung der Mitgliedschaft in den Betriebskampfgruppen

- die Verweigerung des Abbruchs von Westkontakten

- die Verweigerung des Wehrdienstes oder des Schießbefehls

- die Verweigerung der Teilnahme am Wehrkundeunterricht bzw. am Wehrlager

- den Austritt bzw. Ausschluß aus der SED

- die Verweigerung der FDJ-Mitgliedschaft bzw. der Teilnahme an der Jugendweihe

- die Verweigerung der Teilnahme an den Volkskammer- oder Kommunalwahlen

- die Verweigerung des Beitritts zur Freiwilligen Zusatz-Rente (FZR)

- die Antragstellung auf Ausreise

- andere widerständige Verhaltensweisen ohne direkten Eingriff in Ausbildung und Beruf.

Es handelt sich hierbei in der Regel um Tatbestände, die den Voraussetzungen des § Abs. Ziff. 3 und 4 des BerRehaG nicht genügen. Demnach ist politisch Verfolgter, wer durch eine hoheitliche Maßnahme nach § des VwRehaG oder durch eine andere Maßnahme, die der politischen Verfolgung gedient hat, zumindest zeitweilig weder seinen bisher ausgeübten, begonnenen, erlernten oder durch den Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung nachweisbar angestrebten noch einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben konnte.

Gemäß eines unlängst verkündeten Urteils des Verwaltungsgerichts Dresden setzt die Anerkennung der Rehabilitierung voraus, daß ein zielgerichteter Eingriff von erheblicher Intensität erfolgte. „Die ideelle und finanzielle Wiedergutmachung soll sich auf die Fälle beschränken, in denen auf Grund massiver individueller Verfolgung die Betroffenen in einem nach Grundsätzen eines Rechtsstaates nicht mehr hinnehmbaren Maß beeinträchtigt wurden. Damit sind aber solche Beeinträchtigungen grundsätzlich nicht zu rehabilitieren, denen die Mehrheit der DDR-Bevölkerung systembedingt ausgesetzt war." (Az.: 2 K 226/96 vom 23. November 998).

Der Anspruch auf Rehabilitierung wird damit allein auf die einstigen Beeinträchtigungen bzw. Verfolgungsmaßnahmen abgestellt. Unberücksichtigt bleibt, wie sich der Einzelne im Unrechts staat zu rechtsstaatswidrigen Maßnahmen verhielt und welche damals nicht absehbaren Nachteile heute wirksam sind ­ Nachteile, von denen ehemalige Bürger der DDR, sofern sie sich systemkonform verhielten, heute nicht betroffen sind.

Die Maßnahmen gegen Verweigerungshaltungen waren unterschiedlich und wurden individuell festgelegt, so dass eine generelle Bewertung nicht möglich ist. Neben beruflichen Aufstiegsschäden sind heute soziale Nachteile wirksam, die mit den einstigen Verweigerungs- oder Protesthaltungen ursächlich zusammenhängen. Wo dies der Fall ist, sollte die Rehabilitierung anerkannt werden, zumal das Ziel der Rehabilitierung darin bestehen soll, „noch heute spürbare Auswirkungen verfolgungsbedingter Eingriffe in den Beruf oder Ausbildung in der Rentenversicherung auszugleichen" (Merkblatt des Bundesministeriums der Justiz zu den Rehabilitierungsgesetzen vom Juli 997) bzw. „den Verfolgten in versorgungsrechtlicher Hinsicht so zu stellen, als sei die Verfolgung nicht eingetreten, um so dass vom SED-Staat begangene Unrecht nicht fortwirken zu lassen" (BVG-Urteil vom 2. Februar 998, Az.: 3 C 25.97, vgl. BT-Drucks 2/4994, S. 49). Voraussetzung für die Rehabilitierungsansprüche sollten in diesen Fällen nicht die damaligen unmittelbaren Folgen wie Verdienstminderung oder Herabsetzung in der sozialen Stellung sein, sondern nachweislich rechtswidrige Maßnahmen der SED, des MfS und anderer SED-naher Organisationen, die noch heute wirksam Betroffene benachteiligen. Diese Fälle sollten nach dem VwRehaG rehabilitiert werden. So kann laut § (5) VwRehaG für eine hoheitliche Maßnahme, die nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, „an die Stelle der Aufhebung der Maßnahme die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit (treten)". Dazu gehören u. a. auch Maßnahmen der SED (§ 1 [6] VwRehaG). Sie lassen sich durchaus unterscheiden von Beeinträchtigungen, die systembedingt für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung wirksam waren, wie z. B. die Versagung von Reiseerlaubnissen in die Bundesrepublik und West-Berlin.

Beispiele für die Nichtanerkennung der Rehabilitierung bei rehabilitierungswürdigen Maßnahmen bzw. Verweigerungshaltungen Verweigerung des Schießbefehls und nicht klassenmäßiges politisches Verhalten

Der Betroffene wurde 940 geboren und wuchs in einem Elternhaus auf, in dem er schon als Kind mit politischer Verfolgung (Bedrängnisse der Besitzer von Privatbetrieben; Flucht des Onkels mit Familie in die Bundesrepublik und Versuch des Staates, das mit dem Onkel im gemeinsamen Besitz befindliche Haus zu enteignen; Diskriminierung auf Grund christlicher Erziehung) konfrontiert wurde. Die Ausbildung erfolgte als Elektrofacharbeiter. Die Einberufung zum Wehrdienst in den Grenzgruppen führte 962 zur Verweigerung des Schießbefehls. Die Mutter wurde in der Sorge um ihren Sohn gesundheitlich überfordert und erkrankte psychisch so schwer, dass der Sohn sie betreuen und deshalb aus dem Armeedienst entlassen werden mußte. Aus den damaligen betrieblichen Beurteilungen geht hervor, dass er zwar auf Grund seiner sehr guten fachlichen Fähigkeiten für eine Qualifizierung zum Meister geeignet, aber seine politische Haltung „noch nicht gefestigt sei". Zwei Jahre nach Beginn des Qualifizierungswunsches erfolgte im Januar 964 die erste Ablehnung.

Die SED verhinderte die Weiterbildungsmaßnahme aus politischen Gründen, was allerdings nicht konkret im Sinne eines expliziten Beschlusses belegt, sondern nur auf Grund der Beurteilungen vermutet werden kann. Erst 974, nach einer schon erteilten Bestätigung zum Meisterlehrgang, wurden die politischen Gründe in einem Schreiben der Kaderabteilung genannt:

In der APO-Leitung wurde eingeschätzt, dass es nicht vertretbar ist, Koll. E. zum Meisterstudium zu delegieren, weil sein politisches Auftreten und seine gesellschaftliche Tätigkeit nicht zu Qualifizierung als Meister berechtigen". Bekräftigt wird die politische Unzuverlässigkeit auch in anderen Schreiben, in denen trotz fachlicher Eignung darauf verwiesen wird, dass das „gesellschaftliche und klassenmäßige Auftreten" des Betroffenen den Anforderungen an einen künftigen Meister nicht entspricht. Der Antrag auf Rehabilitierung nach dem VwRehaG und BerRehaG vom November 997 und Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 998 wurden von der Rehabilitierungsbehörde mit der Begründung abgelehnt, dass keine Maßnahme nach § Abs. Nr. 4 BerRehaG vorliege, die in einen durch den Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung durch den Betroffenen nachweisbar angestrebten Beruf eingreife. Dagegen wurde Klage beim Verwaltungsgericht Dessau erhoben.

Verweigerung der Mitgliedschaft in den Kampfgruppen und des Beitritts zur Freiwilligen Zusatzrente (FZR) aus politischen Gründen

Auf diesen Fall wurde schon im Dritten Tätigkeitsbericht hingewiesen. Im Dezember 998 hat das Verwaltungsgericht Dresden in der Sache entschieden. Im Urteil heißt es zur verweigerten Kampfgruppenmitgliedschaft, dass „solche Beeinträchtigungen grundsätzlich nicht zu rehabilitieren [sind], denen die Mehrheit der DDR-Bevölkerung systembedingt ausgesetzt war". Der Betroffene müsse im Vergleich zum „normalen" DDR-Bürger als politisch Verfolgter erkennbar erscheinen. Zum Sachverhalt des Nichtbeitritts zur Freiwilligen Zusatzrente (FZR) wird lediglich darauf verwiesen, dass eine Verfolgungsmaßnahme nicht gegeben sei, da der Betroffene die soziale Schlechterstellung im Beruf durch Eigenkündigung und den Nichtbeitritt zur FZR selbst verschuldet habe. Auf die politischen Hintergründe dieser Entscheidung des Betroffenen wird nicht eingegangen, der Zusammenhang zwischen grundsätzlicher politischer Protesthaltung gegenüber der Politik der SED-Führung und konkreten Verweigerungshaltungen nicht hergestellt. Dabei bedeutete die Verweigerung des Beitritts zu den Kampfgruppen aus der Perspektive der Betriebs- und Parteileitung eine Handlungsweise, die in der Regel als feindlich-negativ bewertet wurde und schwerwiegende Eingriffe in den Beruf und in das Familienleben des Betroffenen erwarten ließ. Durch die Eigenkündigung und den Wechsel in einen kleineren Betrieb mit geringeren beruflichen Möglichkeiten wollte der Betroffene einer möglichen Kündigung oder anderen zu erwartenden politisch-ideologischen Konflikten und Benachteiligungen im alten Betrieb vorbeugen. Hätte sich der Betroffene damals dem politisch-ideologischen Anpassungsdruck im Hinblick auf die Kampfgruppenmitgliedschaft gebeugt, so wären er und seine Familie den damaligen psychischen Belastungen und weiteren Entbehrungen nicht ausgesetzt gewesen. Er würde heute eine um rund 700,- DM höhere Rente bekommen.

Auf Grund der Ablehnung des weiteren Rechtsschutzes durch die IG Metall und der damit auf den Kläger zukommenden ungewissen Kosten verzichtete er auf die Weiterführung des seit 994 anhängigen Verfahrens (Rehabilitierungsantrag vom August 994, Widerspruchsverfahren vom Februar 996, Verwaltungsgerichtsklage vom Juli 996).

Anerkennung von Verfolgungszeiten:

Weiterhin der Situation Betroffener nicht gerecht werdend ist die gesetzliche Regelung, nach der die politische Verfolgung mit der Ausreise in die Bundesrepublik bzw. mit dem 2. Oktober 990 als beendet bewertet wird. Dies kann sich besonders nachteilig auf die Rente auswirken. Diese Regelung trägt dem nicht Rechnung, dass sowohl die psychischen Folgen der Verfolgung (Haft, Berufs- bzw. Arbeitsverbote oder Zersetzungsmaßnahmen) als auch die Folgen für die berufliche Situation mit dem Schritt in die Bundesrepublik nicht automatisch außer Kraft gesetzt waren, viele Betroffene an den Folgen weiter gelitten haben.

Die Verfolgungszeit ist nach § 2 Abs. Satz Nr. 2 BerRehaG derjenige Zeitraum, in dem der Verfolgte auf Grund einer Maßnahme nach § Abs. Nr. 3 und 4 BerRehaG oder als Folge einer Maßnahme nach § Abs. Nr. oder 2 BerRehaG seine bisherige oder eine angestrebte Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt oder ein geringeres Einkommen als aus der bisherigen Erwerbstätigkeit erzielt hat. Auch hier bildet ­ wie bei der Anerkennung der Rehabilitierung ­ der unmittelbare Eingriff unter Nachweis des herabgesetzten Entgeltes und/oder des heruntergesetzten sozialen Status die Voraussetzung für den Beginn der Verfolgungszeit. Unberücksichtigt bleiben dabei die vorherigen Verfolgungsmaßnahmen, die den Kriterien für die Anerkennung der Verfolgungszeit nicht genügen, sich aber heute zum Nachteil im sozialen Ausgleich, insbesondere in der Rentenversicherung auswirken.

Dies trifft vor allem auf die aus Stasi- und anderen Unterlagen nachweislichen verdeckten, damals nicht unmittelbar spürbaren Zersetzungsmaßnahmen (z. B. Unterwanderung der moralischen und fachlichen Integrität der Persönlichkeit, Untergrabung der Gesundheit) und andere Verfolgungsmaßnahmen (Ablehnung von Fach- und Hochschulstudium sowie Meisterlehrgängen, keine oder nur geringfügige Lohnerhöhungen u. a.) zu, die trotz heutiger nachteiliger Auswirkungen als Verfolgungszeiten nicht anerkannt werden. Nachteile ergeben sich hierbei vor allem dadurch, weil die Anspruchsvoraussetzungen für bestimmte Ausgleichsleistungen von der Dauer der Verfolgungszeit abhängen.

So hat ein in wirtschaftlicher Notlage befindlicher Verfolgter keinen Anspruch auf Ausgleichsleistungen, wenn die festgestellte Verfolgungszeit vor dem 2. Oktober 990 endet und weniger als 3 Jahre beträgt. Die entsprechenden Ausgleichsleistungen für Rentner werden nur dann gewährt, wenn zwischen dem Beginn der Verfolgungszeit und dem Zeitpunkt des Rentenbezugs mehr als sechs Jahre liegen. Die Dauer der Verfolgungszeit ist auch in den Fällen von entscheidender Bedeutung, wenn keine freiwillige Zusatzrente (FZR) abgeschlossen wurde. So wird die ermittelte Beitragsbemessungsgrundlage in vollem Umfang, unabhängig von der Beitragszahlung zur FZR, zugrunde gelegt, wenn der Verfolgte vor Beginn der Verfolgung nicht mindestens 24 Kalendermonate lang die Möglichkeit hatte, der FZR beizutreten.

Ein weiteres Defizit bei der Festsetzung der Verfolgungszeit kommt dadurch zustande, dass sie zu dem Zeitpunkt endet, zu dem das vor Beginn der Verfolgungszeit gezahlte Entgelt wieder erreicht wird. Die Verdienstverbesserungen durch reguläre Lohnsteigerungen bleiben dabei unberücksichtigt.

Beispiel für die formale Begrenzung von Verfolgungszeiten:

Dem Betroffenen wurde als Folge eines Disziplinarverfahrens im Juni 980 fristlos gekündigt, weil er seit 977 das Westkontaktverbot mehrfach verletzte. Auf Grund seiner Verbindung zu seinem 969 inhaftierten und danach in den Westen verkauften Schulfreund wurde er vom MfS ständig observiert und in diesem Zusammenhang bereits 973 wegen Westkontakten vom Abteilungsleiter zum Gruppenleiter ohne Gehaltsverminderung heruntergestuft. Im Februar 978 wurde durch das MfS eine operative Personenkontrolle (OPK) wegen des Verdachts von strafbaren Handlungen nach § 97 StGB (Spionage) angelegt. Die gegen ihn gerichteten operativen Maßnahmen schlossen die konspirative Durchsuchung des Wohnhauses (am. Juli 977), die Degradierung vom Gruppenleiter zum wissenschaftlichen Mitarbeiter (am. Januar 979 ohne Gehaltsabzug) und ein Verhör (9. Dezember 979) ein. Von der Rehabilitierungsbehörde wurde eine Verfolgungszeit wegen fristloser Kündigung von Juni bis Januar 985 anerkannt. Da der Betroffene 985 entsprechend seiner Qualifikation den alten Verdienst erreichte, wurde die Verfolgungszeit als beendet angesehen. Da der Betroffene die Möglichkeit des Beitritts zur FZR seit 97 nicht nutzte, wurden seit 97 jährlich maximal 7 200 DM für die Rente angerechnet.

Der Betroffene hat gegen diesen Rehabilitierungsbescheid Widerspruch eingelegt. Er besteht auf der Anerkennung der Verfolgungszeit ab dem Zeitpunkt der rechtswidrigen Maßnahmen des MfS.

Rentenrechtliche Beratung:

Die rentenrechtliche Beratung umfaßte schwerpunktmäßig die Feststellung weiterer Defizite des sozialen Ausgleichs in der Rentenversicherung, ihre rentenrechnerische Analyse anhand konkreter Fälle und die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen für gesetzgeberische Maßnahmen. Die in den Jahresberichten 996 und 997 des LStU angeführten Defizite in der bisherigen Rentenregelung der politisch Verfolgten sind auch weiterhin wirksam.

Dabei haben sich inzwischen vier Arten herauskristallisiert:

- Defizite in der Feststellung des Rehabilitierungsanspruchs

- Defizite in der Festsetzung von Verfolgungszeiten

- Defizite im Rentenberechnungsverfahren

- Sonstige Defizite.

Die Defizite in der Feststellung des Rehabilitierunganspruchs und in der Festsetzung von Verfolgungszeiten sind bereits zuvor beschrieben.

Das Rentenberechnungsverfahren wird in zwei aufeinanderfolgenden Stufen realisiert. In der ersten Stufe wird die Rehabilitierungsbehörde tätig. Sie prüft den Antrag des Verfolgten und stellt bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen eine Rehabilitierungsbescheinigung aus, in der die Verfolgteneigenschaft, die Verfolgungszeit (VZ) sowie die Einstufung in Qualifikationsgruppen und Wirtschaftsbereiche festgehalten sind.

In der zweiten Stufe werden die Rentenversicherungsträger tätig. Sie sind an die Feststellungen der Rehabilitierungsbehörde in den Rehabilitierungsbescheinigungen gebunden und nehmen die Vergleichsberechnung für die Rentenansprüche mit und ohne Verfolgungszeit vor.

Die Grundlage für rentenrechtliche Ausgleichsleistungen bilden nicht die individuelle Leistungsfähigkeit und die damit eventuell verbundene höhere Einkommenschance, sondern die berufliche Qualifikation auf Grund einer Ausbildung. Für den Verfolgungszeitraum werden für den Verfolgten die um 20 % erhöhten Durchschnittsverdienste der Anlage 4 Sozialgesetzbuch (SGB) VI angerechnet. Wenn das tatsächliche Einkommen mehr als 600 Mark monatlich betrug und keine Beitragszahlung zur FZR erfolgte, so werden die um 20 % erhöhten Beträge der Anlage 6 zum SGB benutzt. Sie bilden die Berechnungsgrundlage für grundsätzlich alle sozialversicherten Bürger ohne FZR.

Dies führt zur Abnahme des jährlichen Entgeltpunktes von rund 0,99 im Jahre 97 bis auf rund 0,58 im Jahre 989. Ergebnis ist, daß Opfer häufig geringere Entgeltpunkte erhalten als vergleichbare Personen, deren Rente auf der Grundlage der tatsächlich gezahlten Bruttoentgelte berechnet worden ist.

Das zweistufige Verfahren erweist sich als problematisch, da keine Abstimmung zwischen beiden Verfahren erfolgt. So wird in einem ersten Schritt von der zuständigen Rehabilitierungsbehörde die Rehabilitierungsbescheinigung ohne Berücksichtigung der geldwerten Ansprüche ausgestellt, die sich erst aus dem zweiten Schritt auf Vorlage dieser Bescheinigung beim zuständigen Rentenversicherungsträger ergeben. Beim Vergleich zwischen der berechneten Rente nach dem Rehabilitierungsbescheid und ohne Rehabilitierungsbescheid werden die tatsächlichen jährlichen Verdienste, die höher als die durchschnittlichen Bruttoentgelte laut Tabelle ausfallen, auf die Durchschnittswerte nivelliert.

Um eine bessere Einzelfallgerechtigkeit zu erreichen, wäre eine nochmalige 25-prozentige Aufwertung der Tabellenwerte gemäß Anlage 4 SGB VI bzw. eine Aufsplittung der dort zugrunde gelegten Wirtschaftsbereiche in Berufsgruppen (Leistungsgruppen) analog dem Fremdrentengesetz denkbar. Dagegen spricht, daß eine solche Lösung mit einem hohen Arbeitsaufwand für die Neuberechnung der Renten verbunden wäre. Für den Rentenausgleich bietet sich mit der Gewährung einer zusätzlichen Rentenausgleichsleistung von derzeit 0 DM pro Verfolgungsjahr und mit der Anerkennung einer Verfolgungsnachwirkungszeit von 5 Jahren eine Lösung an, die in der Realisierung einfach ist und die unterschiedlichen Defizite im Rentenausgleich beseitigt. Die monatliche Rente für einen politisch Verfolgten mit 0 Jahren Verfolgungsjahr würde damit 00 Mark höher ausfallen. Diese Geldwert-Rentenausgleichsleistung entspricht gegenwärtig ungefähr 0,25 Entgeltpunkten pro Jahr. Auf den ursprünglich vorgesehenen 0,25-Entgeltpunktzuschlag als Ausgleichsgröße wird verzichtet, weil er sich nach Aussagen von Vertretern der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) mit der Rentenformel des § 64 SGB VI nicht vereinbaren läßt. Der Geldwert-Ausgleich müßte allerdings der Dynamisierung des aktuellen Rentenwertes nach ein oder zwei Jahren angepaßt werden. Die Verbesserung der Anerkennung von Verfolgungszeiten sollte in dem Sinne erfolgen, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung nicht mehr in erster Linie an den unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen der Verfolgung (Verminderung des Verdienstes), sondern gleichberechtigt an der Herabstufung des sozialen Status gemessen wird, wie dies in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam zum Ausdruck kommt, das über die Dauer der Verfolgungszeit zu befinden hatte. Im Urteil heißt es: „Aus der in Alternativen formulierten Gesetzesdefinition der Verfolgungszeit nach § 2 Abs. S. Nr. 2 ­ entweder konnte die bisherige oder angestrebte Tätigkeit wegen einer Maßnahme nach § BerRehaG nicht ausgeübt werden oder der Verfolgte erzielte ein geringeres Einkommen als aus der bisherigen Erwerbstätigkeit ­ lässt sich ableiten, dass die Verfolgungszeit erst dann endete, wenn keine der beiden Alternativen mehr erfüllt war. Einkommen als aus der bisherigen Erwerbstätigkeit erzielte und er in dem bisherigen oder angestrebten Beruf wieder tätig sein konnte, endet die Verfolgung. [...] Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob dem Kläger in irgendeinem Zeitpunkt nach erfolgter beruflicher Benachteiligung nach § Abs. Nr. 4 BerRehaG ein gleich hohes Einkommen aus seiner späteren Tätigkeit bis zu seiner Pensionierung zustand, denn er konnte jedenfalls weder seiner bisherigen Tätigkeit als Referent beim Verkehrsministerium der DDR in der Hauptverwaltung Betrieb und Verkehr nachgehen, noch hat er einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben können. [...] Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz will nach dem gesetzgeberischen Willen auch in diesen Fällen eine Wiedergutmachung gewähren und stellt daher nicht allein auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ab." (Urteil des VG Potsdam ­ 2 K 245/96 ­ vom 7. September 997).