Verkehrskonzept für den Verkehrskorridor Potsdamer Platz ­ Alexanderplatz

„Der Senat wird aufgefordert, auf der Basis aktueller Bedarfsanalysen und vergleichender Betrachtung verschiedener Investitionsvarianten unter Berücksichtigung städtebaulicher und stadtgestalterischer Gesichtspunkte ein Verkehrskonzept für den Korridor Potsdamer Platz ­ Alexanderplatz zu entwickeln. Dabei sind folgende Varianten zu prüfen:

- Pre?-Metro in der Leipziger Straße,

- Straßenbahnführung durch die Niederkirchnerstraße,

- oberirdische Verkehrsführung der Straßenbahn durch die Leipziger Straße,

- Null-Variante (kein zusätzliches Schienenverkehrsmittel). Ziel ist es, eine möglichst hohe Gesamtverkehrsleistung der Leipziger Straße zu erreichen, um kostengünstig einen ÖPNVBetrieb und gleichzeitig den notwendigen Individualverkehr, insbesondere Wirtschafts- und Dienstleistungsverkehr, zu gewährleisten.

Dem Abgeordnetenhaus ist bis zum 31. März 1998 zu berichten."

Hierzu wird berichtet: 0. Vorgeschichte

Im Zusammenhang mit dem Ost-West-Straßenverkehr hat der Gemeinsame Ausschuss Bund/Berlin in seiner Sitzung am 6. Juli 1993 folgendes beschlossen: „In der Leipziger Straße wird eine geplante Straßenbahn im Abschnitt Charlottenstraße ­ Leipziger Platz nicht oberirdisch geführt. Bei einem Straßenquerschnitt von 28,5 m (einschließlich 6 m Arkadierung) werden zwei durchgehende Fahrspuren je Richtung geschaffen. Auf der nördlichen Seite sind ausreichende Flächen für Fußgänger (und evtl. Radfahrer) vorzusehen.

Die technischen und finanziellen Voraussetzungen für eine unterirdische Führung der Straßenbahn in diesem Bereich sind noch weiter zu prüfen."

Der Prüfauftrag führte zu dem Ergebnis, dass eine unterirdisch geführte Straßenbahn vom Land Berlin im Rahmen der bestehenden Finanzierungsprogramme des ÖPNV nicht zu finanzieren ist.

Als Ausweichmöglichkeit für die geplante Straßenbahnverbindung wurde vom Senat eine Trassenführung vom Alexanderplatz über Spittelmarkt ca. 300 m südlich der Leipziger Straße durch die Zimmerstraße ­ Niederkirchnerstraße ­ Stresemannstraße ­ Potsdamer Platz zum Kulturforum vorgeschlagen. Dieser Führung der Straßenbahn hat der Gemeinsame Ausschuss Bund/Berlin in seiner Sitzung am 20. Juni 1994 zugestimmt. In dem entsprechenden Beschluss heißt es dazu: „Die Projektplanung hat sich an folgenden Punkten zu orientieren:

1. Im Interesse der Bewältigung des Ost-West-Straßenverkehrs ist die Straßenbahn im Bereich des Potsdamer Platzes so zu führen, dass die Leistungsfähigkeit des Straßenzuges Leipziger Straße ­ Leipziger Platz/Potsdamer Platz nicht beeinträchtigt wird.

2. Die Niederkirchnerstraße darf durch die Aufnahme der Straßenbahn in ihrer Erschließungsfunktion für Regierungsstandorte nicht eingeschränkt werden."

Die Streckenführung durch die Niederkirchnerstraße ist seit diesem Zeitpunkt Bestandteil des Straßenbahnkonzeptes. Unter verkehrsplanerischen und technischen Gesichtspunkten ist diese Streckenführung allerdings wenig attraktiv. Deshalb ist von den Investoren am Potsdamer Platz und den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) eine unterirdische Führung der Straßenbahn in der Leipziger Straße als Vorlaufbetrieb für die geplante U-Bahnlinie 3 zwischen Weißensee und der City-West zur Diskussion gestellt worden. Daraufhin erfolgte eine neuerliche Behandlung der Thematik Pre?-Metro im Senat: Unter Berücksichtigung der finanziellen Randbedingungen hat der Ausschuss „Berlin 2000" in seiner Sitzung am 21. August 1996 beschlossen, das Projekt Pre?-Metro zu diesem Zeitpunkt nicht fortzuführen.

Die Berliner Verkehrsbetriebe, die sich der verkehrlichen Bedeutung der Pre?-Metro bewusst sind, haben deshalb 1997 ein eigenes Finanzierungskonzept vorgelegt, um bis zum Jahre 2002 die Betriebsaufnahme der Pre?-Metro zu ermöglichen. Danach wären die von der BVG vorzufinanzierenden Investitionskosten ab Inbetriebnahme unter Berücksichtigung der Finanzierungskosten in Form von jährlich vom Senat zu zahlenden Trassenpreisen zu refinanzieren.

Das Abgeordnetenhaus hat im Zusammenhang mit diesen erneuten Diskussionen in seiner Sitzung am 27. November 1997 den o. g. Beschluss gefasst. Die Ergebnisse der für die Umsetzung des Beschlusses erforderlichen Untersuchung und das daraus resultierende Verkehrskonzept für den Verkehrskorridor Potsdamer Platz ­ Alexanderplatz werden im folgenden dargelegt. In die Bewertung des Senats ist auch der aktuelle Stand der Diskussion zum Planwerk Innenstadt eingeflossen.

1. Gutachterliche Untersuchung

Organisation

Mit den Untersuchungen zur Leistungsfähigkeit des Kfz-Verkehrs und des ÖPNV im Verkehrskorridor Potsdamer Platz ­ Alexanderplatz wurde das Ingenieurbüro Schnüll Haller (Hannover) beauftragt. Professor Schnüll verfügt über besondere und umfangreiche Erfahrungen auf diesem speziellen Sachgebiet.

Projektbegleitend war ein Arbeitskreis unter Federführung der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr unter Mitwirkung

- der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie,

- der BVG,

- von Herrn Dr. Bahm als wissenschaftlicher Berater und

- der GRI GmbH tätig. Die Gesellschaft für Informatik, Verkehrs- und Umweltplanung mbH (IVU) stand für Konsultationen zur Verfügung.

Aufgabenstellung Ziel der Untersuchungen war es, Grundlagen für ein „Verkehrskonzept für den Verkehrskorridor Potsdamer Platz ­ Alexanderplatz" unter Berücksichtigung der verkehrlichen und städtebaulichen Aspekte im Untersuchungsraum zu erarbeiten. Auf der Basis der Simulation der Verkehrsabläufe waren dafür folgende Planfälle zu untersuchen:

- Null-Variante (kein zusätzliches Schienenverkehrsmittel, Planfall P0).

- Pre?-Metro in der Leipziger Straße (Planfall P1),

- oberirdische Verkehrsführung der Straßenbahn durch die Leipziger Straße (Planfall P2),

- Straßenbahnführung durch die Niederkirchnerstraße (Planfall P3),

Die Auswirkungen der Straßenbahn auf den Kfz-Verkehr sollten für Nahverkehrsfrequenzen von 12, 18 und 24 (Straßenbahn-) Zügen/Stunde und Richtung ausgewiesen werden.

Die Untersuchung basiert auf den Ergebnissen der Studie der IVU „Untersuchung zu einem notwendigen ÖPNV-Angebot zwischen Alexanderplatz und Potsdamer Platz im Zuge der Leipziger Straße oder zu einer alternativen Streckenführung" vom Oktober 1997, die im Auftrag der BVG erarbeitet worden ist.

Für den Kfz-Verkehr wurde die Vorgabe zugrunde gelegt, nach der in der Leipziger Straße zukünftig 2 000 Kfz/h und Richtung abzuwickeln sind, damit die prognostizierten und mit dem Bund als Planungsziel vereinbarten 8 000 Kfz/h und Richtung im OstWest-Verkehr zwischen Invalidenstraße und Kanaluferstraßen gewährleistet werden können.

Für die Gestaltungskonzepte wurden verschiedene Grundlagen herangezogen:

Als Gestaltungskonzept für den Planfall P0 (sog. Null-Variante) wurde die aktuelle Planung des Senats mit einem Fahrbahnquerschnitt von 16,5 m und der Arkadierung der nördlichen Randbebauung der Leipziger Straße zugrunde gelegt.

Grundlage für den Planfall P1 (Pre?-Metro) war der Trassierungsvorschlag der BVG für eine im Zuge der westlichen Leipziger Straße im Tunnel geführte Straßenbahn, bei dem sich der östliche Tunnelmund zwischen der Markgrafen- und der Charlottenstraße befindet und die Straßenbahn von dort oberirdisch auf besonderem Bahnkörper in Mittellage der Leipziger Straße weiter in Richtung Spittelmarkt geführt wird.

Für den Planfall P2 (oberirdische Straßenbahn in der Leipziger Straße) wurden in einer Voruntersuchung fünf Gestaltungskonzepte untersucht und bewertet. Ein besonderer Bahnkörper für die Straßenbahn ist im Abschnitt Charlottenstraße ­ Leipziger Platz/Potsdamer Platz nicht realisierbar. Vor diesem Hintergrund wurde das Konzept mit einer straßenbündigen Straßenbahntrasse in Mittellage und Haltestellen als Mittelinseln einvernehmlich als Untersuchungsgrundlage für eine oberirdisch geführte Straßenbahn in der westlichen Leipziger Straße ermittelt, wobei der Einsatz von Zweirichtungsfahrzeugen vorausgesetzt worden ist. Für den Abschnitt östlich Charlottenstraße wurde eine oberirdisch auf besonderem Bahnkörper in der Mittellage der Straße geführte Straßenbahn vorgegeben und eine 39,5 m breite Straße einschließlich des Gleiskörpers vorausgesetzt. Das Gesamtkonzept

­ straßenbündige Straßenbahnführung westlich und besonderer Bahnkörper östlich der Charlottenstraße ­ wurde als Konzept des Planfalls P2 in den weiteren Untersuchungen berücksichtigt.

Dem Planfall P3 (Straßenbahn in der Niederkirchnerstraße) wurde das Gestaltungskonzept der Verkehrsanlagen Consult GmbH (VAC) zugrunde gelegt, die eine Machbarkeitsstudie im Auftrag der BVG erarbeitet hatte.

Ergebnisse:

Ergebnisse der Simulation

Die Simulation der künftigen Verkehrsverhältnisse ergab die in der nachstehenden Tabelle aufgeführte Leistungsfähigkeit für den Kfz-Verkehr in den im Gutachten simulierten Planfällen. Die im entsprechenden Planfall erreichte Beförderungsgeschwindigkeit für den ÖPNV ist in der Tabelle ebenfalls enthalten.

Die Simulation des künftigen Verkehrs in der Leipziger Straße, die für die Beurteilung des Ost-Westverkehrs von besonderer Bedeutung ist, führte zu folgenden Ergebnissen:

- Im Planfall P0 können unter den angenommenen Randbedingungen in der Leipziger Straße die beschlossenen 2 000 Kfz/h und Richtung auch ohne Straßenbahn nicht zu Prozent (1 740 bzw. 1 687 Kfz/h und Richtung) abgewickelt werden.

- Im Planfall P2 wird die Leistungsfähigkeit für den Kfz-Verkehr (1 650 bzw. 1 543 Kfz/h und Richtung) gemindert. Bei der Simulation war es als Folge der Flächeninanspruchnahme der Haltestelleninseln der Straßenbahn an den Knotenpunkten Wilhelmstraße und Friedrichstraße nicht möglich, das Linksabbiegen aus Richtung Westen zuzulassen.

Für die Straßenbahn wurde auf Grund der hohen Belastungen im Straßenverkehr in der Leipziger Straße eine mögliche Beförderungsgeschwindigkeit von 15,1 bzw. 16,6 km/h in Richtung und Gegenrichtung ermittelt. Das ist eine Größenordnung, die unter der heutigen durchschnittlichen Beförderungsgeschwindigkeit im Berliner Straßenbahnnetz liegt.

Ergebnisse der ganzheitlichen Bewertung

Die ganzheitliche Bewertung des Gutachters erfolgte nach dem im Arbeitskreis abgestimmten umfassenden Bewertungskatalog mit den Zielfeldern Verkehr, Städtebau und Straßenraumgestalt, Umfeld sowie Wirtschaftlichkeit und Realisierung. Bei einer ungewichteten Gesamtbeurteilung gelangte der Gutachter zu folgendem Ergebnis:

- Planfall P0

Null-Variante (kein zusätzliches Schienenverkehrsmittel) Note 2,43,

- Planfall P1

Pre?-Metro in der Leipziger Straße Note 2,91,

- Planfall P2 oberirdische Verkehrsführung der Straßenbahn durch die Leipziger Straße Note 2,62,

- Planfall P3

Straßenbahnführung durch die Niederkirchnerstraße Note 2,84.

2. Bewertung der Untersuchung

Bewertung der Simulation

Obwohl sich die Angleichung der theoretischen Ansätze des Gutachtens an die praktischen Berliner Verhältnisse im Verlaufe der Untersuchung als sehr problematisch dargestellt hat (Durch Zählung wurden in der Leipziger Straße ca. 1 990 Kfz/h und Richtung in Höhe der Wilhelmstraße ermittelt), ist die Grundaussage des Gutachters zur Größenordnung der Leistungsfähigkeit des Kfz-Verkehrs in der Leipziger Straße mit und ohne Straßenbahn nachvollziehbar.

Zum Anteil des Schwerlastverkehrs am Kfz-Verkehr und in Bezug auf die indirekte Berücksichtigung der Fußgänger in der Simulation wurden im Hinblick auf die zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit vertretbare Ansätze erarbeitet.

Die ermittelte Qualität für die Straßenbahn, die im wesentlichen an der in der Simulation unter Beachtung der ermittelten Leistungsfähigkeit für den Kfz-Verkehr erreichten Beförderungsgeschwindigkeit von 15,1 und 16,6 km/h gemessen wird, ist unter den gegebenen Randbedingungen nachvollziehbar.

Eine höhere Reisegeschwindigkeit für die Straßenbahn wäre nur mit einer weiteren Einschränkung des Kfz-Verkehrs möglich.

Ganzheitliche Bewertung

Der Gutachter ist der Auffassung, dass die Erschließung der Neubauten am Potsdamer Platz und im Bereich der Friedrichstraße bei entsprechender Auslastung der U-Bahnlinie 2 mit ca. 240 000 Personen pro mittlerer Werktag sichergestellt und daher der gegenwärtige Zustand beibehalten werden kann. Der Senat hält dagegen eine zusätzliche ÖPNV-Schienenverbindung zwischen Alexanderplatz und Potsdamer Platz für zweckmäßig.

Auf Grund der ungünstigen Gesamtbewertung werden die Planung einer Pre?-Metro im Zuge der Leipziger Straße bzw. einer Straßenbahn durch die Zimmerstraße ­ Niederkirchnerstraße aufgegeben.

Für die Erschließung des Verkehrskorridors Potsdamer Platz ­ Alexanderplatz wird eine oberirdisch geführte Straßenbahn in die Planung aufgenommen.

Der Senat leitet derzeit die planrechtliche Absicherung einer oberirdischen Straßenbahnverbindung zwischen Alexanderplatz und Potsdamer Platz ­ Kulturforum ein, wodurch eine zusätzliche Veranlassung der planerischen Absicherung der Verlängerung der Französischen Straße im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens I-202-c gegeben ist. Bei der Entscheidung über die Realisierung der Verlängerung der Französischen Straße soll einbezogen werden, ob die Inbetriebnahme der Straßenbahnstrecke zu einer verminderten Kapazität führt.

3. Verkehrskonzept für den Verkehrskorridor Potsdamer Platz ­ Alexanderplatz

Für den Verkehrskorridor Potsdamer Platz ­ Alexanderplatz wird nach Abwägung der Ergebnisse und Empfehlungen des Gutachtens vom Land Berlin nunmehr das folgende Verkehrskonzept verfolgt:

Für die ÖPNV-Erschließung des Verkehrskorridors Potsdamer Platz ­ Alexanderplatz wird neben der vorhandenen U-Bahnlinie 2 eine neue Straßenbahnverbindung vom Knotenpunkt Spandauer Straße/Karl-Liebknecht-Straße im Zuge Spandauer Straße ­ Mühlendamm ­ Gertraudenstraße ­ Leipziger Straße ­ Potsdamer Straße zum Kulturforum geführt.

Sie wird grundsätzlich auf einem separaten Mittelstreifen geführt. Lediglich im Abschnitt zwischen Charlottenstraße und Potsdamer Platz der Leipziger Straße sowie auf der Gertrauden brücke ist nur eine straßenbündige Führung in der Mittellage der Straße vorgesehen. An den Haltestellen werden deshalb für die Aus- und Einsteiger Zeitinseln eingerichtet.

Die Straßenbahn wird gegenüber dem Kfz-Verkehr bevorrechtigt, um die Betriebsführung so attraktiv und leistungsfähig wie möglich zu gestalten.

Auf Grund der örtlichen Situation am Kulturforum kann dort keine Wendeschleife angelegt werden. Für den Betrieb auf der neuen Strecke sind daher Zweirichtungsfahrzeuge erforderlich.

Mittelfristig ist die Weiterführung der Straßenbahn vom Kulturforum zum Innsbrucker Platz geplant.

Wir bitten, den Beschluss damit als erledigt anzusehen.